Hier steht Teil II:
viewtopic.php?f=1&t=10295&p=136469#p136469
Die Schwäche des Wortes
Der "Bahnhof" bestand aus einem Signallicht und einem umgestürzten Schild mit der Aufschrift "Fatai", der Karte nach gute dreissig Kilometer vom Ort entfernt. Es wunderte Konit kein bißchen, daß niemand außer ihm hier ausstieg. Kaum war er hinaus, fuhr der Zug davon und hüllte ihn in eine Wolke von aufgewirbeltem Staub. Verstimmt klopfte er sich den Schmutz aus den Kleidern.
Zumindest wurde er abgeholt wie vorgesehen. An einem blauen Kombi mit rostzerfressener Stoßstange, auf dessen Seite jemand mit schwarzer Farbe "Taxi" gepinselt hatte, lehnte ein dicker Mann mit Jogginganzug und Schirmmütze. Er hielt ein Pappschild in die Höhe. In der öden, planen Landschaft, in der es außer Geröll und Staub nur Konit, das Auto und den Fahrer gab, wirkte er dabei etwas töricht. Der Ermittler seufzte. Wahrscheinlich gehörte dieses Ritual einfach fest zu seiner Vorstellung davon, was es hieß, jemand abzuholen. Vielleicht befolgte er auch nur eine dumme, aber unerbittliche Dienstvorschrift. Als er näher kam, konnte er die schiefen Großbuchstaben lesen: "Dr. Manuel Kamit".
Man wußte ja, was gemeint war. Konit verdrehte die Augen und stieg ein.
Erwartungsgemäß dauerte es nicht lange, bis der Mann zu reden begann.
"Gut, daß die Polizei endlich jemand schickt, der sich auskennt. Ich habe ja schon viel erlebt, aber was hier neuerdings geschieht, kann einem schon Angst machen. Am Stadtrand steht ja schon eine ganze Straßenseite leer! Nicht, daß so etwas früher nie vorgekommen wäre. Es sind hier immer wieder Leute verschwunden - die Gegend bringt das wohl mit sich. Sie ist - wie soll ich sagen - voller Löcher. Das Wattenmeer, die tiefen Moraste, zwischen denen die Wanderwege so kunstvoll hindurch geführt sind, daß die kleinste Abweichung dem Unerfahrenen leicht zum Verhängnis wird. An der Küste gibt es hohe Klippen mit überhängenden Grasnaben, die dem ungeübten Auge einen sicheren Tritt vorgaukeln. Und dann natürlich die Berge, eine wilde, wenig erschlossene Fels- und Eiswüste, voll von Lockungen für den Abenteurer, Steilwände, Gletscherspalten, lange Geröllfelder, ständig drohen Lawinen. Dazu dieser Nebel, der jederzeit unvermittelt aufziehen kann, daß man von einer Sekunde auf die nächste die Hand vor Augen nicht mehr sieht - und ich meine es so! Ich erinnere mich noch, wie ich das erste mal hineingeraten bin: Da war ich noch ein Knirps, vielleicht so fünf oder sechs Jahre alte, und bin brav an Mamas Hand mit ihr einkaufen gegangen. Wir standen mitten auf dem Marktplatz, gingen zusammen den Einkaufszettel durch und mit einem Schlag war alles weg! Die Geschäfte, die anderen Leute, die Straße, meine Mutter, mein eigener Körper - nichts mehr davon zu sehen. Alles war plötzlich weißer Dunst. Ich kann Ihnen sagen, so was kann selbst einen gestandenen Mann gruseln. Der kriecht Ihnen überall rein, dieser verdammte Nebel."
Da hielt er inne und räusperte sich verlegen, beschämt, sich vor dem dienstlichen Besucher so persönlich geäußert zu haben. Konit beeilte sich, einem peinlichen Schweigen zuvorzukommen.
"Gut zu wissen, ich bin ja neu hier. Haben Sie vielen Dank für die Warnung. Sie sprachen da gerade von früheren Verschwundenen. Können Sie mir darüber mehr erzählen?"
Der Mann atmete hörbar erleichtert aus. "Nun, ein oder zwei jedes Jahr gehen hier schon verschütt, meistens Touristen, die partout auf nichts hören wollen, was ihnen hier jeder Gastwirt einbleut und auf jeder Infotafel zu lesen ist. Wandern alleine am Strand, gehen bei Nebel schwimmen oder fahren mit einem Boot hinaus, unternehmen Klettertouren auf eigene Faust oder glauben, außerhalb der Wege liefe es sich besser, folgen irgendeinem Wildwechsel und laufen sich fest. Die wenigsten finden wir wieder. Als vor einigen Jahren einer der großen Waldteiche trocken gelegt wurde, weil sie da eine Straße bauen wollten, hat man nicht weniger als neunundzwanzig Skelette gefunden! Neunundzwanzig! Einige davon waren wohl schon ziemlich alt, mehrere hundert Jahre. Hat die Arbeiten ziemlich verzögert, damals, weil ständig diese Wühlmäuse hier anrückten und über jeden alten Knochenhaufen ganz aus dem Häuschen gerieten." Wieder stockte er, dann fügte er leise hinzu. "Die Forscher, wollte ich sagen."
Diesmal ignorierte Konit den Hilfe suchenden Blick des Fahrers. Er war hundemüde und befürchtete ernsthaft, über dem nächsten Redeschwall einfach einzuschlafen. Und was die örtlichen Gegebenheiten anging, hatte er fürs erste genug gehört. Wer hier jemanden verschwinden lassen wollte, hatte dazu reichlich Möglichkeiten.
Von da an herrschte Stille. Die Straße war für ihre Lage erstaunlich glatt. Erst ein Blick auf den Tachometer belehrte Konit, daß der Fahrer das Tempo unmerklich von 50 auf 90 hatte anwachsen lassen. Seine Hände hielten das Lenkrad jetzt fester als zuvor, während er angestrengt auf die fliehende Straße starrte. Aber auf der Straße gab es nichts zu sehen. Dieses Starren war kein Hinsehen-auf, sondern ein Absehen-von. Konit warf einen verstohlenen Blick aus dem Seitenfenster, heimlich und unauffällig wie er hoffte, um den Fahrer nicht daran zu erinnern, daß da war, was immer da war. Zunächst bemerkte er nichts als die tiefe Schwärze einer lichtlosen Nacht. Sie war weit stärker, weit dichter als jene gewohnte, vom Widerschein der Städte verwässerte Verdüsterung der Zivilisation. Erst als seine Augen allmählich die Gewöhnung an das grelle Licht der Frontscheinwerfer verloren, zeichneten sich am Saum der Fahrbahn die Silhouetten schiefer und eingefallener Häuser ab.
Trotzdem die Dunkelheit hier nahezu vollkommen war, schien sie hinter den leeren Fensterhöhlen noch zuzunehmen. Durch sie sah man sich selbst in einem anderen Inneren, sie offenbarten einem das Ich im Spiegel eines fremden Wesens. Sie hatten den Blick, doch keinen beseelten, in dem man Person und Charakter erspürte, sondern den leeren Blick toter Augen, den man nicht erwidern konnte. Sie zeigten das unbegreiflich-körperlose einer bloßen Präsenz, deren Gegenstand Abweisung, Undurchdringlichkeit, ein reines Sichentziehen war. Sie anzuschauen war ein Tanz auf schwindendem Boden, ein Schaudern vor dem Abgrund, ein Schauen ins Nichts.
Es sind nur Fenster, sagte er sich und spürte die Machtlosigkeit des Begriffes vor den Schatten.
Das Licht erfaßte für einen Sekundenbruchteil eine menschliche Gestalt, die in gebeugter Haltung über die Straße huschte und wieder mit dem Dunkel verschmolz. Konit zuckte unwillkürlich zusammen und sah den Fahrer an. Er wirkte noch angespannter als zuvor, doch die befürchtete heftige Reaktion blieb aus. Entweder hatte er nichts bemerkt, oder sein Gleichgewicht hing von dem Erfolg seiner Versuche ab, das Bemerkte nicht zu Bewußtsein kommen zu lassen.
"Ist das hier die Stadt? Fatai?" fragte Konit, weniger aus Zweifel an der Antwort, als vielmehr, um etwas über diesen merkwürdigen Ort herauszubringen.
"Nein!" brachte der Mann mit erschreckend plötzlicher Heftigkeit hervor. Dann schwieg er für eine Weile, in der seine Pflicht heftig mit seinem Widerwillen rang, die Existenz dieses Ortes auch nur als Gesprächsthema zur Kenntnis zu nehmen. Endlich obsiegte die Etikette.
"Das ist Partsa, ein Vorort, wenn sie so wollen. Seit jeher sammeln sich hier die, die nicht nach Fatai passen. Spinner, Einsiedler, Kriminelle... Inzwischen leben hier nicht mehr viele, aber vor den wenigen muß man um so mehr auf der Hut sein. Besser, man hält sich von hier fern."
Von da ab sprachen sie kein Wort mehr. Es war, als fürchte sich der Fahrer vor der beschwörenden Macht der eigenen Worte. Schweigend hielt er schließlich an, lud Konits Koffer aus und deutete flüchtig auf die Tür des Hotels, vor dem sie standen. Kaum daß sein Fahrgast ausgestiegen war, zog er die Tür zu und fuhr davon.
Von Mäusen und Mächten
Aus dem Leben des Manuel Konit
Zu seinen liebsten Pflichten hatte es gehört, Hystria zu füttern. Eine lebende Maus bekam sie jeden Tag, einfältige Pelzkugeln, die in einem Käfig im Nebenraum zu eigens diesem Zweck herangezüchtet wurden. An Menschen von klein auf gewöhnt, ahnten sie nichts Böses, wenn er sie herausnahm. Dann erklärte er ihnen, was mit ihnen zu geschehen hatte. Stets wartete er ihr Nicken ab, ehe er fortfuhr. Er zweifelte keine Augenblick, daß sie verstanden hatten. Mit ihren schwarzen, runden Augen schauten sie ruhig aus seiner Hand heraus. Erst wenn er sie zum Terrarium trug und sie die Schlange witterten, regte sich ihr Instinkt. Sie begannen zu zappeln und zu quieken, die kleinen Krallen suchten seine Hand als Fluchtweg zu gewinnen, manche bissen ihn in den Finger - vergebens. Im Terrarium landeten sie alle. Kaum darin, verfielen sie in sinnlose Hektik. Von Hystria weitgehend unbeachtet, die gut im Futter stand und wenig Anlaß hatte, sich wegen eines Happens große Umstände zu machen, huschten sie in die von dem Reptil am weitesten entfernte Ecke und sprangen auf der Suche nach einem Schlupfloch an der Scheibe auf und ab.
Dieses Schauspiel furchte Konits Stirn, wann immer er es sah. Ihr Eigensinn war ihm ein Rätsel. Ihr Leben hatte einen Sinn. Er lag wenige Meter von ihnen entfernt und züngelte. Was da passierte, war nicht weniger als die Erfüllung ihres Daseinsgrundes. Allein auf diesen Augenblick hin waren sie gezüchtet. Die, vor der sie zu fliehen versuchten, war ihre Sonne, ein Lebensquell von großer Strahlkraft, von dem sie Sinn und Sein empfangen hatten. Schon ihre Urgroßeltern waren einzig darum auf die Welt gelassen und genährt worden, die schöne Hystria war ihnen Gönnerin, Schöpferin und Göttin seit vielen Generationen. Was konnte es Besseres geben, als in seinen Grund einzugehen, ein Teil des Gottes zu werden und sich mit seinem Schöpfer zu vereinigen? Ihre Weigerung war eine vermessene Eitelkeit, ein stures Beharren auf der Wichtigkeit des eigenen Selbst, das sich blind gegen den Ursprung dieser Wichtigkeit wandte.
Für Konit war es eine unerschöpfliche Genugtuung und Freude, wenn ihr Starrsinn endlich scheiterte. Stundenlang wartete er auf den Moment, wenn das Schicksal sich erfüllte und die noch zuckende Schwanzspitze zwischen den Kiefern der Göttin verschwand.
Hier kommt Teil IV:
viewtopic.php?f=1&t=10308
Die Schwäche des Wortes & Von Mäusen und Mächten - DZusG III
Hallo Mnemosyne,
leider vermochte mich der erste Teil des Textes überhaupt nicht zu fesseln, vielleicht weil sich gleich unliebsame Assoziationen zu "Dolmen - Das Rätsel der Steine", vor allem aber zu "The Fog - Nebel des Grauens" aufdrängten; Auf jeden Fall begann ich schon nach den ersten paar Sätzen nurmehr über den Text zu fliegen, will sagen, er vermochte es nicht, mich wirklich in den Bann zu ziehen. Beim zweiten Teil drängt sich natürlich sofort "Von Mäusen und Menschen" ins Bewusstsein und auch, wenn ich das Thema an sich etwas gruselig grausam, teilweise sogar zynisch, empfinde, lässt sich die Passage besser lesen. Wobei die Figur des Konit allerdings ihr einziges Bindeglied darstellt - mir also eine Trennung der beiden Teile durchaus sinnvoll erscheinen will.
Mit lieben Grüßen sowie schon einmal besten Wünschen für 2010 der Hannes
leider vermochte mich der erste Teil des Textes überhaupt nicht zu fesseln, vielleicht weil sich gleich unliebsame Assoziationen zu "Dolmen - Das Rätsel der Steine", vor allem aber zu "The Fog - Nebel des Grauens" aufdrängten; Auf jeden Fall begann ich schon nach den ersten paar Sätzen nurmehr über den Text zu fliegen, will sagen, er vermochte es nicht, mich wirklich in den Bann zu ziehen. Beim zweiten Teil drängt sich natürlich sofort "Von Mäusen und Menschen" ins Bewusstsein und auch, wenn ich das Thema an sich etwas gruselig grausam, teilweise sogar zynisch, empfinde, lässt sich die Passage besser lesen. Wobei die Figur des Konit allerdings ihr einziges Bindeglied darstellt - mir also eine Trennung der beiden Teile durchaus sinnvoll erscheinen will.
Mit lieben Grüßen sowie schon einmal besten Wünschen für 2010 der Hannes
Hallo Bilbo,
bitte entschuldige die arge Verzögerung. Ich danke dir für deinen Kommentar, auch wenn ich hinsichtlich des ersten Teiles nicht recht weiß, was ich damit anfangen soll - der erste Titel ist mir unbekannt, der zweite gehört, wenn ich mich richtig erinnere, zu einem unfreiwillig komischen B-Movie, wie wir sie hier am traditionellen Schlechte-Horrorfilm-Abend zu Halloween sehen
. Der Nebel im Text hat einen völlig anderen Hintergrund, der sich allerdings erst nach und nach im Lauf der Geschichte ergibt. Wenn entsprechende Assoziationen lokal die Lektüre stören, ist das zwar schade, mir fällt aber nicht ein, was ich dagegen tun könnte. Hast du einen Vorschlag? (Außer eine andere Geschichte zu schreiben
.) Der Zusammenhang zwischen den beiden Teilen wird durch den Gesamttext gestiftet, in dem die Figur des Konit hauptsächlich durch Rückblenden aufgebaut wird. Dazu gehört die Haltung des jungen Konit zu den Mäusen im zweiten Teil - die Anlehnung an "Von Mäusen und Menschen" war natürlich beabsichtigt.
Liebe Grüße zurück und auch dir alles Gute für 2010
Merlin
bitte entschuldige die arge Verzögerung. Ich danke dir für deinen Kommentar, auch wenn ich hinsichtlich des ersten Teiles nicht recht weiß, was ich damit anfangen soll - der erste Titel ist mir unbekannt, der zweite gehört, wenn ich mich richtig erinnere, zu einem unfreiwillig komischen B-Movie, wie wir sie hier am traditionellen Schlechte-Horrorfilm-Abend zu Halloween sehen


Liebe Grüße zurück und auch dir alles Gute für 2010
Merlin
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 17 Gäste