Ordnung muss sein!

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 20.09.2016, 16:54

Herbert soll Lebensmittel einkaufen. „Hetz nicht!“, sagt er zu seiner Frau, die ihn gefragt hat – vor einer halben Stunde. Herbert erhebt sich aus dem Sessel, er dreht das Radio aus. Die Schlagerparade ging eben zu Ende. Wehmütig säufzt er, dann schlurft er auf den Gang. Wo stehen die Schuhe? Die Schuhe stehen im Schuhschrank neben der Eingangstür. Herbert schlurft dahin; er nimmt den linken Schuh, dann nimmt er den rechten Schuh. Er zieht sich den rechten Schuh an. Wo nur zum Teufel ist der linke Schuh?Herbert sieht vergebens im Schuhschrank nach. Dass Dinge nicht an ihrem Platz sind, ermüdet und erschöpft Herbert. Meine Frau, die Dingsbums, müsste das wissen. Schließlich teilen wir seit vierzig Jahren Tisch und Bett miteinander. Herbert schlurft zurück in sein Zimmer und plumpst in den Sessel. Wo ist der linke Schuh? Herbert überlegt, was Gott ihm damit sagen will? Ist der fehlende Schuh ein Zeichen für eine biblische Plage? Ist sein fehlender Schuh das Omen für den drohenden Weltuntergang? Er will sich am Kopf kratzen, schlägt sich aber stattdessen mit dem linken Schuh an die Stirn. Ach da ist mein oller Schuh! Erfreut, dass Gott es mit ihm gut meint, zieht er den Schuh über und stolziert in die Küche, wo auf dem Tisch die Einkaufstasche und das Geld liegen. Beides aber sind weg. Wo zum Teufel sind die Einkaufstasche und das Geld für den Einkauf? Herbert läuft der Schweiß aus allen Poren. Er hasst es, wenn Dinge nicht an ihrem Platz sind. Seine Frau, die Dingsbums, weiß das genau. Wo ist die überhaupt? „Verdammt!“, schreit Herbert, „ich will jetzt einkaufen!“ Und dabei schlägt er mit der Faust auf den Tisch. „Warum lärmst du so! Das hält ja keiner aus“, ruft seine Frau aus dem Wohnzimmer. Herbert rennt aus der Küche, durch den Gang, ins Wohnzimmer. „ Ach“, sagt er, „Madame geruhen fernzusehen, während meiner einer sich müht. Einkaufstasche und Geld sind nicht an ihrem Platz. Ich kann nicht einkaufen. Und du schaust Glücksrad.“ „Ich war schon im Markt. Du hast doch Schlagerparade gehört.“ Herbert stutzt. „Dann räum die Wohnung auf, man findet ja nichts – du olles Schwein.“

CPMan

Beitragvon CPMan » 23.10.2016, 11:30

Eine nette kleine Anekdote, wenn auch in Form und Inhalt nicht neu, aber dennoch handwerklich ganz gut hinbekommen. Gehen eigentlich Demenz oder das Vorstadium von Alzheimer automatisch mit verbalen Ausfällen einher? Das 'olle Schwein' am Ende wirkt so brutal im Kontrast des vorhergehenden Textes. Man denkt erst 'Was für ein liebenswerter alter Trottel' und gelangt dann zum 'unzurechnungsfähigen Choleriker, der seine Frau beschimpft'.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 16 Gäste