Dumm gelaufen

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Kurt
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Registriert: 30.09.2011

Beitragvon Kurt » 05.01.2017, 08:21

„Herr Therapeut, ich habe ein Alkoholproblem, obwohl ich eigentlich nicht unzufrieden bin.“
„Und warum kommen Sie zu mir?“
„Weil meine Freundin Miranda sich von mir abkehrt.“
„Wie viel trinken sie denn so?“
„Nichts!“
„Gar nichts?!“
„Ich habe früher immer mitgetrunken, ob bei Familienfeiern oder bei den häufigen Partys. Seit längerem aber nicht mehr. Ich wollte weg von diesen vergnüglichen alltagsverdrängenden Gelagen; wollte mich in nachhaltiger Lebensfreude üben, wäre lieber auf Theaterbesuche gegangen und hätte Städtereisen unternommen. Meiner Freundin zuliebe unterdrückte ich jedoch jene Wünsche und nahm an den meisten Feten teil. Es beschwerten sich viele bei Miranda, was ich doch für eine trübe Tasse geworden wäre und dass ich die Stimmung versauen würde. Dabei war ich immer bemüht gewesen, ein freundliches Gesicht zu zeigen.“
„Sie haben kein Alkoholproblem. Ihre Freundin hat offensichtlich eins. Bringen Sie Miranda doch bitte in meine Praxis mit. Wir besprechen dann alles Weitere.“

Miranda, ich war beim Therapeuten gewesen wegen meines Problems mit dem Alkohol; du weißt ja, und wegen der daraus resultierenden Un-spaßigkeit.“
„Ja, und konnte er dir helfen?“
„Nein, er meinte, da müssten wir beide gemeinsam dran arbeiten, denn nicht ich wäre das Problem, obwohl ich ihm sagte, dass ein gesunder Mann es doch wohl vertragen müsse, einmal die Woche Einen mitzutrinken.“
„Gut, du konntest es ja nicht wissen, dass mir diese ewige Feierei schon seit längerem frustriert hatte. Wir haben uns ja nie ausgesprochen. Und da habe ich Eugen kennengelernt, als du gerade im Partystreik warst. Mit Eugen will ich nun an den Wochenenden auf Theaterbesuche gehen und Städtereisen unternehmen.“
„Das hättest du auch mit mir haben können!“
„Nein, Eugen und ich begießen anschließend die nachhaltige Freude über unsere Taten und setzen sozusagen als Belohnung und Plus ein Vergnügen drauf.“

„Herr Therapeut, meine Freundin hat mich verlassen wegen meines Alkoholproblems! Sie hat keins damit.“

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"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

OscarTheFish
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Beitragvon OscarTheFish » 12.01.2017, 10:53

So muss das! Das schreibe ich als homosechsueller lesbischer Lyriker (ich stehe auf Frauen) voll inniger Brunst.
Das Stück beschreibt das Phänomen "aus Spaß wurde Ernst" auf oberflächlich lustige Weise und bleibt tiefsinnig aufrüttelnd. Kurt der Kyniker. Das Dilemma auch im Guten (der renitente Tropfen, der gegen den Mainstream anschwimmen will und in der Tragödie der Realität der Mehrheiten schlidert). Prosa für den Popanz. Weisheit auf gemeine Weise.
Weiter so!
Fazit: Ein Stück Spiegel, dar der Spezies Mensch vorgehalten werden darf und sollte (im Zeitalter der großen Internetfressen).
Ein paar ausgewählte Werke zur Stillung weiterer Neugier:
AKUTES ABDOMEN, OBWOHL WIR BLIND SIND, SCHMUSEREI, MUCH ADO ABOUT FUJI.
Gedichte von: Der beste Dichter der Welt und XRayFusion.


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