Denken, was man nicht wollen kann

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
JULI

Beitragvon JULI » 13.04.2014, 23:04

Denken, was man nicht wollen kann
und lieben, was immer wieder von vorne
beginnt.
Dein Blick scheint sintflutartig die Richtung zu wechseln,
und lauert auf mögliche Hochlagen.
Das wohlgeordnete Geäst soll standhaft bleiben und atmen
die Raubtierluft, in der du dich verhakt hast, mit dir selbst.
Teile unserer Verbrechen sind mit sich selbst beschäftigt
und hinterlassen uns von Zeit zu Zeit traumlos in den Tag,
der immer fast bereit ist.

Weit geöffnet stehen sie vor uns und verteilen
ausführliches Blau.
Wir aber ertragen die Differenz nicht,
die fremde Witterung belichtet uns die Straßen.
Am Fuß der Berge verlieren wir den Weg,
ich verpasse die Nacht, wenn die Musik angeht,
an vielen Stellen muss gekürzt werden.
Leise betäuben neue Konturen
die hellen Felder neben der Spur.
Mein Blühen verschlägt Aufbauland
in Bodenrichtung.
Zuletzt geändert von JULI am 27.04.2014, 00:29, insgesamt 1-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 13.04.2014, 23:31

hallo JULI,

die sprache dieses textes sagt mir sehr zu - als erholsam empfinde ich, keinen oft gelesenen 'heischenden' bildern/motiven zu begegnen, nur schlichten, sich zurücknehmenden.

wenn alles so klar gesagt wird - gibt es auch nichts weiter zu kritisieren, das finde ich schön.

ich zögerte nur an einem punkt - "in dem tag", nicht "im" - und bemerkte, wie ich überhaupt dazu tendierte "und entlassen uns von zeit zu zeit traumlos in den tag" zu lesen, obwohl es nicht da steht.

alles andere ließ sich ich ganz ruhig lesen, bei überhaupt nicht ruhigem inhalt - mir gefällt das sehr.

wie die zeilen schimmern - "Teile unserer Verbrechen sind mit sich selbst beschäftigt", "ich verpasse die Nacht, wenn die Musik angeht, / an vielen Stellen muss gekürzt werden." - und andere.

grüße und willkommen im salon!

ecb

Beitragvon ecb » 14.04.2014, 06:58

Wunderbar evokative Vorstellungen, die sich zwischen Konkret-Bildhaftem und Übertragenem hin und her bewegen, ineinander übergehen und mich unmittelbar mitgehen lassen - mit diesem Text hast du auf Anhieb einen Favoriten bei mir gelandet, JULI, den ich mir für die Monatswahl vormerke - willkommen!

Liebe Grüße
Eva

JULI

Beitragvon JULI » 14.04.2014, 22:28

Vielen Dank für deine aufmunternden Worte und herzliche Grüße nach Schweden,
JULI

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 15.04.2014, 10:43

Hallo Juli!

Vielleicht hast du den Kommentar von Aram übersehen?

LG

Klimperer

JULI

Beitragvon JULI » 15.04.2014, 11:02

Nein, dem habe ich schon per Mail geschrieben, weil ich mich erst einmal mit diesem System hier zurechtfinden muss.
Gruß, J.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 15.04.2014, 11:24

OK

Jetzt kann ich dir sagen, dass auch ich deine Gedichte für außergewöhnlich gut finde.

Alles Gute

und Danke für deine Rückmeldung.

Kimperer

JULI

Beitragvon JULI » 15.04.2014, 14:44

Das ist nett;-) Danke für dein Lob! Es freut mich sehr, etwas gutes zu hören. Ich habe in meinem offline-Leben irgendwie Niemanden, mit dem ich mich über Geschriebenes austauschen kann. Viele Grüße, Juli

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nera
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Beitragvon nera » 16.04.2014, 13:13

herzlich willkommen juli!
mir gefällt der text auch, muss aber konzentrierter lesen, um genaueres sagen zu können. kommt noch!

lg

(klimperer, du solltest erziehungsminister werden ;))

aram
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Beitragvon aram » 25.04.2014, 19:52

hallo juli, merci für deine mailantwort - kannst du noch etwas zum "in dem tag" sagen? (vs.'im') - ein bestimmter tag, worauf diese formulierung hindeutet, kann ja durch das "fast immer" nicht gemeint sein, oder?

(liegt nicht an der reihenfolge meines lesens - dieser eine text und seine bilder berühren mich deutlich am stärksten von deinen bisherigen salon-texten; danke schön.)

JULI

Beitragvon JULI » 27.04.2014, 00:28

Hallo Aram, du hast Recht damit, dass sich diese Textstelle sperrig liest und "in den Tag" vielleicht die bessere Formulierung wäre. "Im" hingegen ist mir noch nicht in den Sinn gekommen, einfach klanglich nicht. Vielleicht ändere ich den Text. Danke für deine Zeilen! Es ist kein bestimmter Tag gemeint, sondern eher jeder Tag, der als Versuch für Vollkommenheit dasteht.
Gruß, Juli

aram
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Beitragvon aram » 27.04.2014, 01:11

hallo juli,

ja ich sehe, du hast "in dem" zu "in den" geändert - dann greife ich das jetzt nochmal auf und frage dich auch zum "hinterlassen", denn damit scheint es sich nun extra zu beißen - 'hinterlassen in' steht üblicherweise mit dem dativ, nicht mit dem akkusativ ('in etwas hinein-hinterlassen' -??)

das sperrige dieser stelle lag schon in der erstversion in der vorstellungsschwierigkeit, von den (teilen der) verbrechen "in dem tag hinterlassen" zu werden; ganz zu schweigen vom aktuellen "in den tag hinterlassen", das noch zusätzlich unklar wirkt - ich kann mir unmittelbar nicht vorstellen, was das bedeuten könnte.

natürlich muss ich das in einem lyrischen text auch nicht unbedingt können. ich frage aber nach, weil das die einzige stelle im text ist, die sich auf solche art sperrt. (dadurch las ich von anfang an fast 'entlassen' statt 'hinterlassen', denn das wäre mir sofort verständlich.)

kannst du zum "hinterlassen" sagen, wie du selbst das liest? teile unserer verbrechen hinterlassen uns (> sie gehen weg / wir bleiben zurück) - in den tag (>also gehen wir doch in den tag?)
- sind meine verständnisschwierigkeiten nachvollziehbar? liest du anders, vllt. nicht im sinn von 'zurücklassen', oder soll es vllt. gar nicht auflösbar sein?

wenn nicht auflösbarer doppelsinn 'hinterlassen/ mitschwingendes entlassen' und evokatives stolpern an dieser stelle gewollt sind, ist es natürlich auch gut so.

liebe grüße.


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