Intellegere

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 24.10.2014, 08:22

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 25.10.2014, 21:22

Hallo Räuber,

ich sehe die Szene, aber ich verstehe sie vermutlich nicht, also ihren (tieferen) „Sinn“, oder warum sie in einem Gedicht festgehalten wird, was es mir „zeigen“ soll. Vielleicht erhellt mich in der Hinsicht noch ein Kommentar.

Die schreiende Katze, die aber überfahren (also bereits tot) ist, wirft mich dann auch aus der Szene selbst, dem Bild?

Das „deiktisch“ erscheint mir hier tatsächlich als Fremdwort/körper, auch wenn das beobachtende Ich insgesamt sehr schriftsprachlich und kalt, distanziert, erhaben „spricht“ und es einen Bogen zum Titel schlägt.

Auch beim "nächtlicher Boulevard" bin ich nicht sicher. Ist es als eine Art Szenenanweisung gedacht? Dann würde ich das „zelebriert für mich“ als „für mich zelebriert“ erwarten? Sonst fehlt mir da etwas?

Liebe etwas ratlose Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Peter

Beitragvon Peter » 25.10.2014, 23:44

Der Verstand sucht die Figur, lese ich.

Was könnte er anders?

Er kann immer anders.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 26.10.2014, 08:56

Adjektivische Provokation, eine Studie über die Sättigung, wann lösen sich Adjektive nicht mehr im Text und was geschieht mit ihnen dann? Setzen sie sich am Textgrund ab? Unterfüttern sie ihn gar doch wie eine medikamentös paradoxe Reaktion?

Wenn eine Katze überfahren ist, heißt das ja nicht, dass sie gleich tot ist, Flora, oft schleifen sie sich noch irgendwo hin und sterben in Ruhe. Und genau das bleibt dieser Katze verwehrt mit der korrespondierend paradoxen Reaktion des Herrn (Katze?). Martialisch. Alles verkehrt sich in diesem Text.
Er fühlt sich für mich an wie Honig an dem fette Gedankenfliegen in ihrer Dekadenz sterben sollen. Thema verfehlt, die gemeine Agonie regt an und auf.
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Das finde ich großartig.

Ä, ich fasele.
Gruß.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 26.10.2014, 09:18

Hallo Flora,

der Todeskampf der Katze (die eben noch nicht tot war, weder die Geräusche noch das Visuelle war zuerst aus der Ferne für mich identifizierbar, prägte sich aber dauerhaft ein - das ist gut 35 Jahre her) als eine Art Vanitas / Totentanz? Boulevard zusammen mit 'Akt' war auf Schauspiel bezogen (vielleicht wäre 'nächtliches Boulevard' besser) und die Umstellung beim zelebriert schien mir das deiktisch nochmal aufzugreifen. Ob es noch mehr 'Füllung' braucht, da legst du den Finger schon in die Wunde, grüble ich auch immer noch hin und her.

Hallo Peter,
bei intellegere (mir fiel noch nichts besseres ein, glücklich bin ich mit dem Titel nicht) hatte ich das 'im Innern lesen' (etymologisch falsch, aber das bekanntere Verständnis; intus-legere wäre noch doofer), also die kontemplative Seite vor Augen, gar nicht so sehr den Verstand, die Bindung an 'Intelligenz' ist die Krux an der Sache. Ich probiere weiter, jedenfalls danke für den Hinweis.

Grüße
Räuber

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 26.10.2014, 09:28

Wenn eine Katze überfahren ist, heißt das ja nicht, dass sie gleich tot ist, Flora, oft schleifen sie sich noch irgendwo hin und sterben in Ruhe.
Sagt man dann nicht angefahren? Überfahren lässt mich an zermatschte Igel denken und da schleift sich auch keine Katze mehr weg, da gibt es auch keinen Todeskampf mehr? Aber vielleicht bin ich da auch zu spitzfindig, aber fordert der Text das nicht auch ein?

Edit:

Noch ein paar Gedanken dazu.
Räuber hat geschrieben:Boulevard zusammen mit 'Akt' war auf Schauspiel bezogen (vielleicht wäre 'nächtliches Boulevard' besser)
Da sich die ganze Szene offensichtlich auf der Straße abspielt, ist für mich diese Bedeutung des Wortes zu präsent, es malt die Kulisse für mich aus, vergrößert sie, pflanzt Bäume .-), als dass ich das Wort selbst als Theater gelesen habe. „Nächtliches“ würde das vermutlich zumindest näher legen, da du aber „nächtlich“ schon weiter oben benannt hast, könntest du hier ev. darauf verzichten und einfach das Theater mit hineinnehmen?
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Nifl
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Beitragvon Nifl » 26.10.2014, 11:29

Ja, anfahren wäre wohl genauer, weil die Katze ja angefahren ist, auch wenn sie überfahren wurde (zwischen den Rädern ist eine Menge Platz)

Die Katze als ihr eigener Herr?

ne, das meinte ich als Kritik im Vorüberschreiben, Katzen und Herr, das passt doch nöcht. Vielleicht ist es aber auch gerade richtig, weil er nun das erste Mal Macht hat über die Katze?

Ich finde den Boulevard wichtig, weil es die Dekadenz unterstreicht, ich sehe einen Harald Juhnke Typ, oder einen Pissprinzen nach durchzechter Nacht, aber in Anzug und Krawatte (wenn auch gelöst) überdreht ...
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 26.10.2014, 16:48

'angefahren' find ich besser, werde ich ändern, danke. Beim 'Herrn' hatte ich wie gesagt an den Totentanz gedacht, mittelalterlich wäre er ein Gerippe, das sein Tänzchen mit der Katze aufführt. Es ist schon der Beobachter, der alkoholbenebelt die Szenerie sieht/aufnimmt. Vielleicht wäre 'wie sie von ihrem neuen Herrn ...' besser, deutlicher?
Akjektivische Sättigung, aber ja. Agonie und lakonie, Brüderchen und Schwesterchen, anregende Notizen, Nifl, danke.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 26.10.2014, 17:27

Ähm, lieber Räuber, Vorsicht mit "angefahren". Jemand anfahren kann auch etwas ganz anderes bedeuten; ich weiß nicht, ob das dann nicht missverständlich wird.

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 26.10.2014, 18:05

Es ist schon der Beobachter, der alkoholbenebelt die Szenerie sieht/aufnimmt. Vielleicht wäre 'wie sie von ihrem neuen Herrn ...' besser, deutlicher?
Oh, okay. Ja, das wäre schon deutlicher, allerdings steht mir, wie ich schrieb, die Sprache für diese Leseweise noch viel stärker im Weg, zumindest kenne ich wenige Angeheiterte, die sich im Moment ihrer Benebelung so ausdrücken würden? :o) Was spräche für dich denn gegen die Vergangenheitsform, eine Rückschau auf die Szene?

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Zefi hat geschrieben:Jemand anfahren kann auch etwas ganz anderes bedeuten;
Jemanden überfahren aber auch?
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aram
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Beitragvon aram » 26.10.2014, 18:50

Flora hat geschrieben:Sagt man dann nicht angefahren? Überfahren lässt mich an zermatschte Igel denken und da schleift sich auch keine Katze mehr weg, da gibt es auch keinen Todeskampf mehr? Aber vielleicht bin ich da auch zu spitzfindig, aber fordert der Text das nicht auch ein?

liebe flora, ich teile deine spitzfindigkeit - mit abweichendem ergebnis, da ich finde: bei 'an-' und 'über-' in verbindung mit '-fahren' handelt es sich um unterscheidungen des ablaufs, die keine aussage über die folgewirkungen beinhalten - anders als etwa im fall von 'er-' und 'ange-' in verbindung mit '-schossen', wozu es im deutschen keinen ausdruck gibt, der die folgewirkung offen lässt.

beispiel - ich überfuhr ein reh; nachdem es einen knall gegeben hatte, rumpelte das rechte hinterrad meines wagens über etwas drüber, wohl körper oder läufe. im rückspiegel konnte ich sehen, wie das reh danach mit den vorderläufen aufsprang und mit nachgezogenen hinterläufen im unterholz verschwand, wo ich es bei anschließender nachschau nicht mehr fand. 'angefahren' hatte ich das reh nicht - es war in die seite des autos gesprungen und darunter geraten.

weiteres beispiel - die bekannte unfallprotokoll-stilblüte: "der fußgänger wusste nicht, ob er nach links oder rechts gehen sollte - da überfuhr ich ihn." - auch hier wird nicht impliziert, dass dies tödlich endete, es bleibt offen.

-
ein wie gespannt wirkender (und darin spannender) text, räuber.

herbstgrüße an euch.

Rita

Beitragvon Rita » 28.10.2014, 10:31

Nach dem Lesen dieses ausnehmend spannenden Textes (man quält sich von Zeile zu Zeile) darf sich der Leser fragen, ob diese etwas wirren Zeilen vom Autor in dem bewussten Zustand (siehe Zeile 2) verfasst wurden. Hoffen kann er dann nur noch, dass sich wenigstens der Verfasser in seinem Text zurechtfindet. Übrigens: Hier wimmelt es ja von Adjektiven.

Gruß, Rita

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.10.2014, 10:52

Rita hat geschrieben:Nach dem Lesen dieses ausnehmend spannenden Textes (man quält sich von Zeile zu Zeile) darf sich der Leser fragen, ob diese etwas wirren Zeilen vom Autor in dem bewussten Zustand (siehe Zeile 2) verfasst wurden.
Rita, so etwas darf getrost in der untersten Schublade bleiben und hat in einem Literaturforum unter einem Text nichts zu suchen.
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

carl
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Beitragvon carl » 28.10.2014, 16:59

Hallo Räuber,

"angefahren" und "neuer Herr" machen das Geschehen klarer!
Ich würde für "nächtliches Boulevard" plädieren, falls du die Theateraufführung meinst, sonst bleibt der Boulevard die Straße. Müsste es dann nicht heißen: " visual Art, akt fünf: sterben"?

Das ist ein Versuch der ironischen Distanzierung: dem Sterben anderer zusehen wie einer Aufführung?
Auch wenns nur ne Katze ist??
Dem widerspricht das Eindringliche des Anfangs, die "schwere Geburt" und das Fortleben als Geist (nach immerhin 35 Jahren)... So bannst du das "zuckende Entsetzen" nicht, das die stufenweise Realisierung des Geschehens begleitet und das ich dem Gedicht als authentisch abnehme.

Was du zum Titel meinst, würde ich mit contemplari oder contemplatio übersetzen.

Gruß Carl


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