gottesdienst

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 26.10.2014, 23:42

gottesdienst

durch die hirnwindungen
dieser stadt wandern
zehntausend in ihre mitte –
erhoffen sich heilung
von ihren wünschen.
ja, die mitgliedschaft kostet,
„im namen gottes,
nimm drei davon“,
dann kriegst du
das ewige leben in bunt.
über glastreppen rollt
die welle der gläubigen,
vorbei an brunnen springen
die kinder, entdecken
begeistert im tiefen
ihr neu gekleidetes spiegelbild –
während die eltern sich
von opferstock zu opferstock weiter-
quälen, am schicksal der welt
mittragen, tüten und taschen
mit freundlichen predigten
halten und tauschen:
einer trage des anderen last.
jetzt singen kinderchöre davon,
dass sie unlustig sind,
aber trost kehrt ein mit
dem heiligen abendmahl
in der pappschale.
zum schlussakkord
reibt er sich seine hände, der gott
des verkaufsoff‘nen sonntags –

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 27.10.2014, 15:14

Das sprudelt schön, und klingt menschlich, unverrenkt. Das strömt wie am verkaufsoffenen Sonntag. Passt.

Rita

Beitragvon Rita » 28.10.2014, 07:07

Ja, Amanita, gefällt mir auch, das fließt unbeschwert, kaum von überflüssigen Gedanken getragen, eine Sonntagsgeschichte, in die du ein paar Stadterlebnisse packst. Ein wenig gestolpert bin ich bei "Einer trage des anderen Last", als Witz geht der Vers dann doch daneben.

Lieben Gruß, Rita

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 28.10.2014, 07:35

Ach danke, Rita, dass Du wieder gleich das Haar in der Suppe gefunden hast und das auch gleich ziemlich absolutistisch formulierst. Man könnte diese Zeile notfalls streichen, ja, ich bin allerdings der Ansicht, dass sie zusammen mit den anderen Anspielungen und Umwidmungen funktioniert (klar, sonst hätte ich's nicht so geschrieben).

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 28.10.2014, 07:40

Bloß nicht streichen. Gerade diese Zeile fand ich witzig, hatte sofort die entsprechenden Bilder vor Augen. *




* "Kannste ma kurz halten?"

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 28.10.2014, 08:23

Ich find den Ansatz ganz gelungen, sprachlich ist das schon gut ineinandergemixt (könnte für mich gerne noch gröber werden). Bin allerdings nicht sicher, ob die 'Plot'-Orientierung dem Text wirklich gut tut, es reduziert so eine Studie eher (in Richtung 'Spannung und Auflösung' oder der Pointe wie bei einem Witz); ich würde vermutlich, wenn es denn explizit ausgesprochen werden muss, die jetzige letzte Zeile eher früher platzieren.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 28.10.2014, 18:23

Hatte ich auch schon überlegt, Franz (sie "Auflösung" wegzulassen oder an andere Stelle zu setzen), aber so oft ich das durchprobiert habe, so wenig hat es mich überzeugt.


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