Anlehnung an Dietrich Bonhoeffers “Wer bin ich”

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RubinLohja

Beitragvon RubinLohja » 02.03.2015, 21:55

Wer bin ich gewesen?




Wer bin ich?

Einsam geboren, einsam Leben, einsam sterben. Zerstörter, oder auch nur verstörter Geist?
Vor den Menschen eine leere Hülle und vor Gott ein verlorener Märtyrer. Vor mir selbst ein gleichberechtigtes, im Einklang stehendes Wesen, vor allen anderen würdevoll und akzeptiert; dennoch emotionslos und voller verschwendeter Trauer, und Tränen, die sekündlich verschwinden.
Schweres Herz, leere Seele; schwerer Kopf, volle Augen; schwere Schuld, schwere Lasten.
Gute Laune, eine Illusion der Menge, schlechte Laune, Laune in der Depression meiner Qualen.


Was bin ich, Gott?

Melancholie, die Erkenntnis nach der Unruhe.
Wo bist du, Gott, wo ist dein Odem?
Ich bekomme keine Luft mehr, sterbe, allein!
Zuviel Würde macht mich zum Sklaven meines Verstandes; ist Selbstmord die letzte Lösung?
Hat das Paradies noch Platz für mich, oder ist dies auch nur noch eine Illusion?
Ich bin der Willkür der Menschenmenge ausgeliefert.


Wer oder was bin ich geworden, Gott?

Ich schaffte mir eine enge Zelle, um mich vor den anderen zu verstecken. Sie dürfen meine leeren Augen nicht mehr sehen. Mitleid ist für mich Gift, doch leider wirkt auch dies nicht mehr bei mir.
Einsam geboren, einsames Leben, einsamer Tod...
Wer bin ich auch bin, oder was ich gewesen war, Du kennst mich nicht, Dein bin ich lange nicht mehr, o großer Gott; Gott, vergib mir diese Blasphemie.
Sie verstehen nichts, sind unschuldig... denn sie wissen nicht, was sie tun...werden.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 03.03.2015, 09:10

Hallo RubinLohja,

für mich funktioniert dieser Text leider weder als, noch ohne Anlehnung an den Text von Bonhoeffer, ich versuche mal aufzuzeigen, woran das für mich liegt.
Er spricht von Qualen und von Einsamkeit und Schuld, Selbstmord (wo man in einem Forum natürlich auch zusammenzuckt, zumal, wenn man noch nicht viel von diesem Autor gelesen hat und nicht weiß, wie autobiographisch er schreibt. Da du es aber hier eingestellt hast, gehe ich davon aus, dass dir an Textarbeit liegt und du den nötigen Abstand zum Geschriebenen hast), aber ich spüre in der Sprache nichts davon. Dadurch wird es zur leeren Behauptung, die nicht mehr berühren kann.
Vielleicht wäre es eine Möglichkeit nicht aus der Ich-Perspektive heraus zu schreiben und entweder das „du“, oder ein „er“ zu wählen.

Sätze wie diese: Ich bekomme keine Luft mehr, sterbe, allein! Sind aus der Ich-Perspektive und dem Präsens heraus jedenfalls für mich „unmöglich“. Wer keine Luft mehr bekommt und stirbt, schreibt in dem Moment keine Gedichte. Dadurch verliert aber das Gesamte.

Da du es unter Lyrik eingestellt hast, könntest du auch über eine Verdichtung nachdenken, die mehr Räume schafft, die das Benannte etwas zurücknimmt und so auch die Worte stärker wirken lassen kann. In Bonhoeffers Gedicht spielen die unterschiedlichen Sprecharten ja auch eine Rolle.
Hier als Beispiel mal der Anfang deines Textes:
Wer bist du?

Einsam bist du
geboren lebst du stirbst du
zerstört oder verstört
dein Geist


Vieles kann ich so aber auch nicht nachvollziehen, bzw. es sagt mir nichts, beispielsweise der „verlorene Märtyrer“, aber das kann ja durchaus Teil des Bildes, des Gedankenkonstruktes dieser Person sein, die du zeigen möchtest, nur ist es mir dafür nicht ausgearbeitet genug.
Wer bin ich auch bin, oder was ich gewesen war, Du kennst mich nicht, Dein bin ich lange nicht mehr, o großer Gott; Gott, vergib mir diese Blasphemie.
Dieses Kippen ist gut gesetzt, und hier gefällt mir auch das Aufgreifen der Zeile aus Bonhoeffers Gedicht.
„Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“
Sie verstehen nichts, sind unschuldig... denn sie wissen nicht, was sie tun...werden.
Auf wen sich das „Sie“ hier bezieht, ist mir nicht klar.

Die gähnende Leere unter "Wer bin ich gewesen" ist interessant, das gefällt mir gut.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Eule
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Beitragvon Eule » 05.03.2015, 16:35

Hallo RubinLoha, ein interessanter Text ! Ein Plädoyer für Blasphemie ... erinnert mich an die großen Surrealisten um S. Dali.
Ein Klang zum Sprachspiel.

RubinLohja

Beitragvon RubinLohja » 07.03.2015, 00:05

Danke Eule, ich hatte diesen Text während der Besinnungstage letzte Woche geschrieben. Wir mussten für uns selber herausfinden, wie man selbst von anderen gesehen wird.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 07.03.2015, 08:51

Hallo RubinLoha, es ist nicht das Ansinnen des Salons, fundierte kritische Kommentare einfach zu übergehen, ich empfinde das als Respektlosigkeit gegenüber Flora und ich stimme ihr zu, für mich schwächelt der Text auch an dem Behaupteten. Nun würdest du -würdest du denn auf kritische Kommentare eingehen- vermutlich entgegnen, aber aber der Bonhoeffer hätte ja auch! Darauf antwortete ich dann wiederum, zum Teil ja, aber zB. gerade beim Abschnitt: "Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen" schreibt er bildreich mit Vergleichen und Konjunktiven. Zum anderen steht Bonhoeffer für mich hier ganz klar im Kontext seiner Gefangenschaft und seinem Widerstandskampf. Bei ihm ist es per se existenziell, bei dem LyDu hier nur Jammern auf hohem Niveau? Die Leser können es nicht wissen, sie haben ja nur das was geschrieben steht.
Und wenn wir schon bei der Anlehnung sind: "als würgte mir einer die Kehle" schreibt er, du hingegen begibst dich in perspektivische Schieflage mit: "Ich bekomme keine Luft mehr, sterbe, allein!"
Und es ist für mich gar noch schlimmer @Kontext, denn deinen Text könnte man als Bedauern lesen, nicht als Selbstmordattentäter, nicht als Märtyrer geeignet zu sein. Dieser LyI ist zu schwach, zu ungläubig dafür und das bedauert er?

verstörter Geist?

Vor den Menschen eine leere Hülle und vor Gott ein verlorener Märtyrer.

Hat das Paradies noch Platz für mich

Ich bin der Willkür der Menschenmenge ausgeliefert.

Sie verstehen nichts, sind unschuldig... denn sie wissen nicht, was sie tun...werden.


Von diesen unangenehmen Anklängen mal abgesehen, finde ich den Absatz:
Wer bin ich auch bin, oder was ich gewesen war, Du kennst mich nicht, Dein bin ich lange nicht mehr, o großer Gott; Gott, vergib mir diese Blasphemie.
Sie verstehen nichts, sind unschuldig... denn sie wissen nicht, was sie tun...werden
am stärksten. Da wird wir für mich das erste Mal ansatzweise existentieller Zweifel spürbar.

Aber hä? Dali?
Und Plädoyer für Blasphemie?


Einsam geboren, einsam Leben, einsam sterben.

leben


Wer bin ich auch bin,

ein bin zu viel

Gruß
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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nera
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Beitragvon nera » 07.03.2015, 21:55

hi rubinlohja,
ich sehe es ähnlich wie flora und nifl. der text ist sicherlich für besinnungstage und reflexion geeignet (auch dein massakertext), nur solltest du ihn hier vielleicht in eine lyrische form bringen? also mit deiner "vorlage" arbeiten.
lg


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