compulsive hoarding

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 28.05.2016, 15:19

an jedem ding hängt ein wort
es abzureißen wage ich nicht

berge von gegenständen
stützen mein dach
und aus den anderen (zerschlissenen)
könne man windhemden nähen
hat die mutter gemeint

an jedem ding hängt ein wort
es abzureißen wage ich nicht

die alleswelt ist ein wall
bis zu meiner stirn
man muss sie bunt
anfassen können
sonst wächst die langeweile
der ahnen hinein

an jedem ding hängt ein wort
es abzureißen wage ich nicht

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.05.2016, 11:57

berge von gegenständen
stützen mein dach
und aus den anderen (zerschlissenen)
könne man windhemden nähen
hat die mutter gemeint

die alleswelt ist ein wall
bis zu meiner stirn
man muss sie bunt
anfassen können
sonst wächst die langeweile
der ahnen hinein

Diese beiden Strophen finde ich klasse auch unter dem Titel. (Ich würde wahrscheinlich der "welt" das "alles" nehmen, aus klanglichen Gründen und weil es für mich nicht zu den anderen Worten passt, zu laut sein will.)
an jedem ding hängt ein wort
es abzureißen wage ich nicht
Da frage ich mich, ob es in diesem Kontext nicht eher anders herum sein müsste?
an jedem Wort hängt ein Ding
es abzureißen wage ich nicht


Ich weiß auch nicht, ob die Wiederholung im Sinne des Anhäufens für mich so ganz aufgeht. Ich glaube fast, dafür ist das Gedicht zu kurz, oder zu "zahm", zu geordnet? Einmal am Ende wäre in der jetzigen Fassung für mich stärker.

Liebe Grüße
Ylvi
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 29.05.2016, 12:55

Hallo Ylvi, danke dass Du Dich mit dem Text befasst hast.

Sicher sieht jeder diesen Sachverhalt (wie alles andere) unterschiedlich. Für mich musste die Wiederholung sein, denn ich bin mir sicher, dass jede/r Betroffene durch ein Stadium geht, in dem er weiß, dass er/sie aufräumen müsste und könnte. Und mein Satz ist eine Rechtfertigung dafür, es nicht zu tun, wie sie sein könnte.
Ich kenne zwei Betroffene und weiß, dass sie gern beim "Punkt null" anfangen (durch einen Umzug, Hausbau etc.), mit durchaus höchst guten Vorsätzen. Aber.

Und klar (für mich ...), dass an jedem Ding ein Wort hängt, ein Erinnerungswort, ein Mahnwort, ein Abschiedswort.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.05.2016, 13:27

Und mein Satz ist eine Rechtfertigung dafür, es nicht zu tun, wie sie sein könnte.
...
Und klar (für mich ...), dass an jedem Ding ein Wort hängt, ein Erinnerungswort, ein Mahnwort, ein Abschiedswort.
Aber was hätte das Abreißen (und Entsorgen) des Wortes für eine Konsequenz? Das Ding (und das Problem) wäre doch noch immer da? Oder ging es dir um die Anhäufung von Worten? Worthording. :)
Anders herum jedoch würde es für mich heißen, dass man die Dinge nicht loslassen kann, weil mit jedem einzelnen Worte verknüpft sind, Erinnerungen, eine (innere) Ordnung, Orientierung, Halt, Möglichkeiten und Geschichte(n). Die Angst, dass das dann alles mit verloren ist, verschwindet und man selbst verloren geht. Das wäre eine Rechtfertigung, die wohl ihm Ansatz jeder irgendwie nachvollziehen kann?
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 29.05.2016, 13:46

indem ich das Ding weggebe oder -werfe, löse ich das Wort davon ...

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Werner
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Beitragvon Werner » 29.05.2016, 15:15

ein tolles gedicht, das mir sehr gut gefällt, gelungen, da stimmt fast alles, nur ganz am schluss würde ich die dritte wiederholung "an jedem ding ... " weglassen / streichen, und das gedicht mit den "ahnen" enden lassen, die kommen stark, gerade als schluss

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 29.05.2016, 15:19

Gut, ja, das könnte ich machen - wenn das verstärkend wirkt ... danke für den Tipp.


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