Königskinder

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 13.12.2007, 21:41

Neufassung:

Manchmal sind es kleine Dinge,
die einem das Herz umdrehen -

Dieser Igel am Fahrbahnrand;
du siehst dich
verdünnte Milch in die Schale füllen
und es nützt nichts, dass du weißt:
So alt werden Igel gar nicht.

Oder diese Worte:
als hättest du dich
ein Leben lang nach ihnen gesehnt
du könntest in ihnen zuhause sein
doch sie wohnen auf der anderen Seite
der Straße.


Zwischenfassung:

Manchmal sind es so kleine Dinge,
die einem das Herz umdrehen -

Dieser Igel am Fahrbahnrand;
Du siehst dich
verdünnte Milch in die Schale füllen
und es nützt nichts, dass Du weißt:
So alt werden Igel gar nicht.

Oder diese Worte:
als hättest Du Dich
ein Leben lang nach ihnen gesehnt
Du könntest in ihnen zuhause sein
vielleicht - doch:
sie wohnen auf der anderen Seite
der Straße.



Erstfassung:

Manchmal sind es ja nur
die kleinen Dinge,
die einem das Herz umdrehen -

Seine Beine zu lang schon
für das altmodische Karussell
er sitzt auf dem abgeschabten Eisbären
und lacht und weiß dass er lacht.
Im letzten Jahr wusste er es noch nicht.

Oder dieser Igel am Fahrbahnrand;
Du siehst dich
verdünnte Milch in die Schale füllen
und es nützt nichts, dass Du weißt:
So alt werden Igel gar nicht.

Oder diese Worte:
als hättest Du Dich
ein Leben lang nach ihnen gesehnt
Du könntest in ihnen zuhause sein
vielleicht -doch:
sie wohnen auf der anderen Seite
der Straße.
Zuletzt geändert von leonie am 16.12.2007, 20:51, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.12.2007, 10:17

Hallo Leonie,

schön wieder etwas von dir zu lesen!

In der ersten Strophe frage ich mich, ob es tatsächlich "nur" (also ausschließlich) die kleinen Dinge sind, nicht eher "gerade" (im besonderen). Oder vielleicht
Manchmal sind es so kleine Dinge
...
(brauchst du den Gedankenstrich?)

Die zweite Strophe ist eine sehr schöne Beobachtung, ebenso die dritte Strophe. Weshalb hast du denn nach dem Fahrbahnrand einen Strichpunkt gesetzt und keinen Doppelpunkt, wie nach "Worte"?

vielleicht -doch:

Die Zeichensetzung um das "doch" herum finde ich irritierend. Ich würde hier nach dem Gedankenstrich zumindest ein Leerzeichen einfügen aber eigentlich noch lieber beides (Strich und Doppelpunkt) weglassen.

Bei den letzten Zeilen habe ich überlegt. Wenn das Ich in den Worten zuhause sein könnte, können diese selbst dann wohnen? Wäre es hier nicht "logischer" zu schreiben:
sie stehen auf der anderen Seite
der Straße

Ich habe das sehr, sehr gern gelesen und darüber nachgedacht.

(Darf ich dich nur interessehalber fragen, weshalb du es nicht als "ich" Text geschrieben hast? Dieses seltsame "du", das keines ist, empfinde ich persönlich immer als befremdlich.)

liebe Grüße smile

edit: mir ist gerade noch eingefallen, wenn das Ich bei den Worten zuhause wäre, dann könnten diese auch wohnen.

Max

Beitragvon Max » 14.12.2007, 12:58

Liebe Leonie,

ach ja, das ist gut, Dich hier wieder mit einem Text zu lesen!

Zu dem Gedicht: Auch mir ist in Strophe 1 das
ja nur
aufgefallen, dass dem Gedicht für mich etwas Wirkung nimmt, weil es die Sprache auf eine Art "Gespräch unter Nachbarn" transportiert. Wieso nicht


Manchmal sind es
die kleinen Dinge,
die einem das Herz umdrehen -


Das "Beispiel" in Strophe 2 gefällt mir, auch wenn man den Eindruck "das hab ich schon mal gesehen" bekommt. Strophe 3 der Igel ist für mich nahe am Klischee (- noch dazu soll man ihnen eigentlich keine Mildch geben, das ist nicht gut für ihre Verdauung [so was weiß man, wenn man mit Lisa zusammenwohnt ;-) ]) Am besten gefällt mir Strophe 4, die für mich Kraft hat.

Liebe Grüße
Max

Herby

Beitragvon Herby » 14.12.2007, 13:16

Liebe leonie,

ja, das sind feine Beobachtungen, auf die du den Leser lenkst. Und auch, wenn die Erkenntnis der ersten drei Verse nicht neu ist, wirkt sie in deinem Text auf mich keineswegs abgenutzt.
Ich stimme smile zu, was das "nur" betrifft, da ich glaube, dass du in Wirklichkeit die Betonung hier nicht abschätzig meinst, sondern es im Gegenteil tatsächlich im Sinne von "gerade", "besonders" verstanden wissen möchtest.
Und auch im Hinblick auf die Zeichensetzung des drittletzten Verses geht es mir ähnlich wie smile. Den Gedankenstrich mit anschließendem Leerzeichen würde ich belassen, der Doppelpunkt ist nach meinem Empfinden dagegen entbehrlich, da das Wort "doch" an sich schon genuig Aufmerksamkeit im Leser hervorruft.
Anders als smile jedoch stoße ich mich nicht an dem Verb "wohnen", da ich es sehr passend finde als Bedeutungsäquivalent zu "wohnen" im vorletzten Vers.

Ich kämpfe indes mit einer ganz anderen Schwierigkeit, nämlich dem Titel. Ich vermute einmal, du beziehst dich damit auf das Volkslied von den zwei Königskindern, die nicht zusammen kommen konnten. In diesem Fall kann ich zwar mühelos eine Beziehung zur letzten Strophe herstellen, nicht aber zu den vorhergehenden. Kannst du mir da auf die Sprünge helfen?

Herzliche Grüße in einen (zumindest hier) grauen Tag
Herby

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.12.2007, 17:20

Liebe smile, lieber Max, lieber Herby,

danke für Eure Kommentare. Ich werde auf jeden Fall in Ruhe über das "nur" und die Zeichensetzung nachdenken. Mir ist deutlich, dass da noch etwas geschehen muss.
Auch über das "du" denke ich noch nach, smile...

Max, kja, heute weiß ich auch, dass man Igeln keine Milch geben soll. Immerhin ist es verdünnte Milch. Ich weiß von Katzen, dass sie die besser vertragen, vielleicht ist es ja bei Igeln auch so...

Herby, ich finde, es sind alles "Trennungsgeschichten", auch wenn der Abstand nicht immer zwischen zwei Personen ist, so ist er doch immer unüberbrückbar.

Mehr später, liebe Grüße an Euch!

leonie

carl
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Beitragvon carl » 14.12.2007, 18:54

Liebe Leonie,

mir gefällt Deinen Text sehr gut!
Ich würde zu bedenken geben, dass „Die Kleinen Dinge“ schon etwas Sprichwörtliches im Gegensatz zu „Den Großen Dingen“ haben. Das scheint mir hier aber nicht der Punkt. Es geht um Kleinigkeiten, die etwas Großes auslösen oder ins Bewusstsein heben, etwa in der Art:
“Manchmal sind es (gerade) kleine Dinge
Die einem das Herz umdrehen -“

Dann kommt eine sehr gelungene Strophe über die Veränderung in der Mutter-Kind Beziehung, die plötzlich „da“ ist, obwohl sie sich kontinuierlich vollzieht. Ein wenig wie das Marionettentheater a.a.O. hier im Salon…

Und dann 2 Strophen, die sich wunderbar den Ball wechselseitig zuspielen!
Warum werden denn Igel nicht alt genug, ihre Milch zu schlabbern, die doch nur auf der andern Seite der Straße auf sie wartet??
Und dann die Worte, die ein Zuhause sein könnten, wohnten sie nicht ebenfalls auf der andern Straßenseite… Was hinderte denn hinüber zu gehen, wenn nicht die vorige Strophe das Schicksal des Igels so ganz unterschwellig beschworen hätte?

Die Straße als der Fluss, der zu tief ist für die Königskinder! Toll!

Gerade da setzt aber meine Kritik an:
Zwar tut das „oder“ in den Stropheneinleitungen so, als ob die Strophen unabhängige Ereignisse wiedergäben. Das tun sie aber nicht. Nicht die letzten beiden. Die armer-Igel-Nummer würde bei mir für sich allein genommen nicht ziehen, wäre sie nicht selbst eine Metapher für die letzte Strophe. Die beiden schließen sich so sehr gegen die Karussell-Strophe ab, dass diese auf mich wie ein Fremdkörper wirkt.
Es sei denn, die Beziehung der Königskinder sei gerade die der zunehmenden Entfremdung einer Mutter von ihrem Sohn, den sie an die Welt oder eine andere Frau verliert. Die keine gemeinsame Sprache mehr haben und die zu dem Buben, den sie in ihm noch sieht, keinen Zugang mehr findet. Das glaube ich aber nicht und erwähne es hier nur der Vollständigkeit halber…
Deswegen würde ich Dir vorschlagen (schweren Herzens ;-)) darauf zu verzichten:

Manchmal sind es kleine Dinge,
die einem das Herz umdrehen -

Dieser Igel am Fahrbahnrand;
Du siehst dich
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und es nützt nichts, dass Du weißt:
So alt werden Igel gar nicht.

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Du könntest in ihnen zuhause sein
vielleicht -doch:
sie wohnen auf der anderen Seite
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leonie
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Beitragvon leonie » 14.12.2007, 21:45

Lieber carl,

ich bin absolut überrascht von Deiner Lesart des Textes. Und sie ist so einleuchtend, dass ich fast geneigt bin, sie sofort zu übernehmen und aus der wegfallenden Strophe etwas Eigenes zu machen.
Aber ich bremse mich und lasse mir noch ein wenig Zeit, ich glaube, ich muss noch ein- oder mehrere Male drüber schlafen.

Das finde ich sooo faszinierend, dass man meint, man wüßte, was man geschrieben hat. Und dann kommt einer und leuchtet in Ecken, die man selbst gar nicht bemerkt hat. Ich kann mich nur wiederholen: Du hast einen so genauen Blick für so etwas. Vielen Dank dafür.

Liebe Grüße

leonie

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leonie
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Beitragvon leonie » 15.12.2007, 15:29

Lieber carl, liebe alle,

ich habe nochmal drüber nachgedacht, und in der Tat: Es waren zwei Ideen, die ich miteinander verknüpft hatte. Die Karussellstrophe stand zuerst für sich. Dann kam das andere dazu.

Carl, Dein Vorschlag erscheint mir so stimmig und plausibel, dass ich ihn mit winzigen Änderungen so übernehme. Das "nur" ist jetzt weg, ein "so eingefügt und ein wenig habe ich an der Zeichensetzung verändert.

Das andere wandert ins "Archiv" und wird vielleicht an anderer Stelle Verwendung finden (smile, da warten ja auch noch Fledermäuse :smile: , erinnerst Du Dich?

Bei meiner momentanen Kreativität kann das allerdings etwas dauern.

Euch allen nochmal herzlichen Dank!

Lieeb Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.12.2007, 18:45

Hallo Leonie,

:sad: mir fehlt die zweite Strophe. (Die Fledermäuse habe ich natürlich nicht vergessen. ;-) Das ist sozusagen ein Déjà-vu.)

liebe Grüße smile

Caty

Beitragvon Caty » 16.12.2007, 05:35

Liebe Leonie, deine Gedanken über das Trennende gefallen mir so, wie sie gefaßt sind, sehr gut.
Veränderungsvorschläge habe ich nicht. Nur paar Kleinigkeiten: die "sos". Das "so" in der ersten Verszeile halte ich für entbehrlich, es verkleinert die Aussage. Dann: "So alt werden Igel gar nicht" - würde ich umstellen: "Igel werden nicht alt", denn dieses "so" bezieht sich auf eine Aussage, die ja gar nicht getroffen wurde. Noch etwas zur Zeile "Du könntest in ihnen zu Hause sein/vielleicht" - ich halte das "vielleicht" für entbehrlich, weil es ja schon der Konjunktiv ist. Oder du setzt das "vielleicht" mit einem Punkt ab. Also: "Du könntest in ihnen zu Hause sein./Vielleicht.
Doch: ..." Das "du" und "dich" würde ich empfehlen klein zu schreiben. Insgesamt ein durchdachtes Gedicht, das mich in seinen Bildern anspricht. Caty

Niko

Beitragvon Niko » 16.12.2007, 10:16

stark, leonie!
kleinigkeiten in der neuen fassung (die ich ausschließlich las) könnte man sicherlich ändern. aber das wäre aus dem eigenen verständnis heraus, der eigenen art, zu schreiben. aber ein gedicht sollte seine eigen-arten nicht verlieren! so wie ich ihn da lese ist er für mich rund. und gut. vor allem die letzte strofe ist toll!
lieben gruß in den 3. advent: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.12.2007, 20:46

Liebe smile,

die Strophe ist ja nicht für immer weg. Hoffe ich. Sie wird an anderer Stelle wieder auftauchen...

Liebe Caty,

danke für Lob und Kritik. Deine Vorschläge haben viel für sich, ich werde einiges davon übernehmen. An der Igelstrophe überlege ich noch. Mir scheint, es fällt ein Aspekt weg, der mir wichtig ist, wenn ich Deinen Vorschlag übernehme.
Nämlich die Idee, es könnte der Igel sein, der damals mit Milch gefüttert wurde.


Lieber Niko,

danke, ich freue mich übers "stark". Ich denke, die Eigenarten werden auch bei kleinen Änderungen nicht verloren gehen.

Liebe Grüße Euch dreien!

leonie


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