Wie ich dich endlich doch verloren habe

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 06.02.2009, 09:58

Wie ich dich endlich doch verloren habe

Auf einmal hatten wir das Winken mit den Augen verlernt
Als hätten wir es nie gekonnt
Da war nur noch ein durchschaubarer Rest
Ein Schulterzucken
Ein Nichtverstehen
Wo das Geheimnisvolle geblieben ist
Da sind immer noch diese Augen
Da ist ein restlos unveränderter Blick
Der nichts berührt wenn er sich mit meinem Blick kreuzt

So viele Nächte bin ich zum Mond gelaufen
Habe die Worte gesucht
Die Gesten die dich erreichen
Damit du wiederkommst
Damit du immer wiederkommst
Und ich Trost schöpfen konnte
Aus deinem Atem
(wie fern er auch sei)
Selbst die roten Ameisen habe ich gefragt
Ob du mich liebst
Ich nahm deine Sätze mit mir wenn ich ging
Um nicht einen Wimpernschlag zu vergessen

Und an den Tagen tanzte ich auf deinen Blicken
Die Zeit lief auf unseren Sohlen
Und unsere Blicke immer himmelwärts
Als wir noch an den Abgrund glaubten
Der die Lüge von der Wahrheit trennt
Die Geschichte vom Märchen
Und unsere Angst alles in ein geheimnisvolles Licht hüllte
Selbst die Falten und kahlen Stellen
Bargen Schönheit hinter diesem Schleier
Jenseits von allem Verständnis

Du warst so dunkel wie die samtene Nacht
Deine Berührungen so unbegreiflich
Dass ich mich auflöste
Bis ich keinen Namen mehr hatte
Und kein Gesicht
Und deine Hände spielten auf dem Hohlraum meines Körpers
(du hast nie behauptet dass es Liebe ist)
Bis die Saiten rissen
Und ich die Augen aufschlug

Im Spiegel saß eine ratlose Frau
Die sich mit leeren Händen
Die Augen zuhielt
Und sah wie der kleine durchschaubare Rest
Zu entkommen versuchte
Dieses glockenhelle Klingen des Abschieds
Von einem Blick der nichts mehr verloren hat
Zuletzt geändert von Xanthippe am 17.02.2009, 16:31, insgesamt 1-mal geändert.

Nicole

Beitragvon Nicole » 06.02.2009, 10:17

Erstmal fast wortlos: WOW....

Tolle Stimmung, wunderbare Bilder. So mag ich's...

Später mehr,

Nicole

DonKju

Beitragvon DonKju » 06.02.2009, 12:27

... man doch fast sprachlos und will am liebsten gar nicht dran rühren, nicht einzelne Worte, Formulierungen und Sätze betrachten, sondern nur diese Stimmung mitnehmen, die unheimlich gut rüberkommt ...

Hallo Xanthippe,

wie oben schon gesagt ein sehr eindrücklicher Text, den ich mir ähnlich gut in Prosa hätte denken können. Und daher auch nur zwei kleine Anmerkungen : Die von Dir geklammerten Textpassagen - Sind die für Dich selbst damit schon als "ggf. entbehrlich" markiert - ich würde sie tatsächlich rausnehmen ; Sowie diese Passage :

"Selbst die roten Ameisen habe ich gefragt
Ob du mich liebst"

Das durchbricht ein wenig das in der Strophe vorherrschende Bild für mein Empfinden. Man könnte es streichen, aber wenn es denn notwendig ist in dem Sinne, daß man selbst die kleinsten Wesen, die diese Symbolfarbe haben, befragte, vielleicht dann als Ausklang ans Ende der Strophe stellen ?

Und nochmals zu guter Letzt : Wirklich gerne gelesen & Gruß
Hannes

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.02.2009, 20:48

Liebe Xanthi,

hui, das gefällt mir auch wahnsinnig gut! Und wie so oft erinnert mich das an die Thematik und den Gefühlsduktus (nicht unbedingt primär Wortduktus) der Bachmann (Gute Gott von Manhattan / Undine / einige Gedichte). Liest du sie eigentlich viel oder schätzt sie besonders?

Ich kann an diesem text auch wieder nicht soviel herumdoktern, habe aber zwei Anmerkungen.

Zum einen ist der Titel einmal grammatisch zu viel "dendlich doch noch",? eins könnte man streichen, finde ich, ich plädiere für das "noch".


Wie ich dich endlich doch verloren habe



Zum anderen würde ich Toms Kommentar zu deinem letzten Erzählgedicht kopieren wollen, manchmal ist mir das zuviel Sprachspiel, natürlich ist eine Kunst und Lust auf sie gekommen zu sein, aber sie sind auch ein wenig so, dass sie die anderen sprachwirkungen verdrängen, sind sie zu dick...an einigen stellen könnte man verzicht üben, finde ich...ich habe mal fett markiert (zwei andere nicht wortspiel aber kritische stellen auch)

Wie ich dich endlich doch noch verloren habe

Auf einmal hatten wir das Winken mit den Augen verlernt
Als hätten wir es nie gekonnt
Da war nur noch ein durchschaubarer Rest
Ein Schulterzucken
Ein Nichtverstehen
Wo das Geheimnisvolle geblieben ist
Da sind immer noch diese Augen
Da ist ein restlos unveränderter Blick
Der nichts berührt wenn er sich mit meinem Blick kreuzt

So viele Nächte bin ich zum Mond gelaufen
Habe die Worte gesucht
Die Gesten die dich erreichen
Damit du wiederkommst
Damit du immer wiederkommst
Und ich Trost schöpfen konnte
Aus deinem Atem
(wie fern er auch sei)
Selbst die roten Ameisen habe ich gefragt
Ob du mich liebst
Ich nahm deine Sätze mit mir wenn ich ging
Um nicht einen Wimpernschlag zu vergessen

Und an den Tagen tanzte ich auf deinen Blicken
Die Zeit lief auf unseren Sohlen
Und unsere Blicke immer himmelwärts
Als wir noch an den Abgrund glaubten
Der die Lüge von der Wahrheit trennt
Die Geschichte vom Märchen
Und unsere Angst alles in ein geheimnisvolles Licht hüllte
Selbst die Falten und kahlen Stellen
Bargen Schönheit hinter diesem Schleier
Jenseits von allem Verständnis

Du warst so dunkel wie die samtene Nacht
Deine Berührungen so unbegreiflich
Dass ich mich auflöste
Bis ich keinen Namen mehr hatte
Und kein Gesicht
Und deine Hände spielten auf dem Hohlraum meines Körpers
(du hast nie behauptet dass es Liebe ist)
Bis die Saiten rissen
Und ich die Augen aufschlug

Im Spiegel saß eine ratlose Frau
Die sich mit leeren Händen
Die Augen zuhielt
Und glasklar sah wie der kleine durchschaubare Rest
Verzweifelt zu entkommen versuchte
Dieses glockenhelle Klingen des Abschieds
Von einem Blick der nichts mehr verloren hat


?

liebe Grüße,
Lisa

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 17.02.2009, 16:37

Liebe Nicole,
danke für eine so überwältigende erste Reaktion
Lieber Bilbo,
auch Dir vielen Dank für Deine Überlegungen. Aber die Klammern und das was darin steht, scheinen mir wichtig. Daran halte ich fest. Ohne sie wäre es nicht mehr mein Gedicht.
Liebe Lisa,
nein, Ingeborg Bachmann gehört nicht zu meinen Lieblingslyrikerinen, da liebe ich viel mehr die Achmatova oder z.B. Margaret Atwood, oder den unübertrefflichen Brodsky, um nur einige zu nennen. Seltsam, dass Du Dich immer an die Bachmann erinnert fühlst, aber vielleicht haben wir irgendetwas gemeinsam, (z.B. lieben wir beide einen Paul ;-), fernab von aller Lektüre.
Ich bin Dir sehr dankbar für die kritische Durchsicht. Einige Deiner Vorschläge haben mir sofort eingeleuchtet, ich habe das Gedicht bereits dahingehend geändert und denke es profitiert davon, bei anderen Stellen bin ich stoisch und beharre auf meiner Version.
Euch allen vielen Dank fürs Lesen und eure Meinung sagen
xanthi


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