tanka

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
ecb

Beitragvon ecb » 18.10.2014, 20:54

du bist so weit fort
und vielleicht ist nacht bei dir
du siehst keinen stern –
darum füllt sich mein papier
mit leere statt mit zeichen

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 18.10.2014, 22:44

Also war das Papier nicht leer, bevor es sich zu leeren begann.

Niko

Beitragvon Niko » 19.10.2014, 10:40

Hi,
Pjotr hat mit seinem Einwand recht. Ich verstehe natürlich, was du sagen möchtest. Aber die Ausschließlichkeit des "statt" irritiert zu sehr. "Die Zeichen füllen sich mit Leere"- soetwas in der Art käme wahrscheinlich dem, was du ausdrücken möchtest, wohl näher. Es sei denn, du wolltest sagen, dass du nichts schreibst.
Ansonsten aber gefällt mir dieses tanka sehr. Ohne jedoch zu wissen, ob es tatsächlich den Maßgaben entspricht.

Beste Grüße-Niko

Nifl
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Beitragvon Nifl » 19.10.2014, 13:29

Widerspreche, es ist ja ein anderes leeres Blatt geworden und nicht mehr das selbe wie vor dem gescheiterten Schreibprozess. Wenn man etwas lange anstarrt, verändert es sich, so ist das mit der Wahrnehmung, jedenfalls meiner. Und natürlich kann sich ein leeres Blatt auch mit Leere füllen.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 19.10.2014, 20:13

Klar kann eine Wüste austrocknen, wenn man sich nicht um plausible Bilder schert (der Regenwald ist eine Wüste, und irgendwann trocknet er aus). Wie auch immer erscheint mir das so, als müsse der Begriff "austrocknen" herhalten als Metapher eines anderen, normaleren Begriffs, etwa wie "trocken sein": allein der Textveredelung wegen, ohne Rücksicht auf die Szene. Auf mich wirkt das wie ein szenischer Tippfehler, nicht wie Absicht.

ecb

Beitragvon ecb » 20.10.2014, 08:23

Nur so viel: Lyrik ist ein Gebiet der Freiheit, und sie verpflichtet weder zu stringenter Logik noch zu Linearität und dergleichen. Ein poetisches Bild hat das Privileg, auch ohne solche Gesetze "stimmig" sein zu können, denn es horcht auf innere Wahrnehmung, siehe Nifl.

Danke für eure Gedanken!

Gruß Eva

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 20.10.2014, 08:37

Hallo Eva,

ich mag das Bild des sich mit Leere füllenden Blattes und sehe es wie Nifl. Trotzdem stört mich der Zusatz "statt mit zeichen", weil er mir zu konkret erklärend, eigentlich überflüssig und auch klanglich zu angehängt erscheint und in diesem Zuviel dann für mich den Widerspruch zwischen dem, was ich lese und der Tatsache, dass da aber doch etwas steht, Zeichen gesetzt wurden/werden, zu sehr in den Vordergrund rückt. Vielleicht könntest du auch überlegen, das Ganze in die Vergangenheit zu setzen?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

ecb

Beitragvon ecb » 20.10.2014, 15:39

Das "statt" steht als Zeichen dafür, was möglich gewesen wäre, aber nicht ist.

Nun gibt es in diesem Fall nicht so viel Raum für Veränderung, weil es sich ja um ein Tanka mit einigen formalen und inhaltlichen Vorgaben handelt, darunter das Silbenschema 5-7-5-7-7. Bei euren Vorschlägen, Niko und Flora, würde sich sofort die Zahl der Silben ändern. Ich habe noch mal hin- und herüberlegt, das Ganze neu zu formulieren, aber für mich wird es dadurch nicht besser. Ich glaube, ich kann die Idee dahinter nicht anders zu fassen bekommen, als in der vorliegenden Form. Natürlich könnte man von der Form des Tanka abweichen und einfach ein Kurzgedicht daraus machen, aber mitunter haben solche Versuche ihren eigenen Reiz für mich.

Und Flora: dieser Widerspruch zwischen dem Behaupteten und der Tatsache, daß da ja doch etwas steht - die ist gemeint, das ist es ja sozusagen gerade; sie ist für mich angedeuteter Ausdruck einer durchaus widersprüchlichen Seelenlage.

Danke euch!
Gruß Eva

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 20.10.2014, 18:40

Natürlich hat Lyrik keine Pflicht. Aber eine Wirkung.

Auf mich wirkt jene Formulierung nicht wie die Beschreibung einer Wahrnehmung, sondern wie ein technischer Konstruktionsversuch. Das "statt" wirkt auf mich übrigens auch exakt so wie es Flora beschreibt, wirkte so beim ersten Lesen schon. Die letzten beiden Zeilen, insgesamt, dienen -- in meinen Augen -- nicht einem bestimmten Gefühlsausdruck; eher einem bestimmten Schema; technisch und logisch (Silbenzahl und Erklärungsnot). Der Hinweis auf die Freiheit der Lyrik passt natürlich immer.

Ich meine das alles aber nicht so hart wie es klingt :-)

Vielen Dank für die Belebung, Eva :-)


Ahoy

P.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.10.2014, 21:02

Liebe eva,

ich mag das und finde es auch nicht "unlogisch", allerdings glaube ich, sprachlich müsste die letzte Zeile noch weicher/fertiger zu lesen sein, dann würden glaube ich auch nicht die ganzen Irritationen da sein. Ich glaub, da steht bis jetzt noch mehr die Idee als eine Gedichtzeile. Alles davor stimmt und auch das, was du ausdrücken möchtest.

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

ecb

Beitragvon ecb » 22.10.2014, 16:35

Ja, das empfinde ich auch so, Lisa, aber ich habe noch keine Lösung gefunden, durch die ich die Tankaform beibehalten könnte, von der es mir jetzt doch leid täte, wenn ich sie aufgeben müßte, weil alles andere so schön paßt. Ich werde wohl noch mal grübeln müssen ...

Danke dir und liebe Grüße
Eva


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