Prosalog

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

Bild
Foto A.P. Sandor et moi


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Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

jondoy
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Beitragvon jondoy » 18.07.2013, 02:09

Ramadan in Kiruna

[align=right]Nach dem islamischen Mondkalender hat vor kurzem der neunte Monat begonnen, der Fastenmonat Ramadan.
Für gläubige Muslime in aller Welt gibt es keine ramadanfreie Zonen mehr.[/align]
In den nördlich des Polarkreises gelegenen Gebieten scheint im Sommer wochenlang auch um Mitternacht die Sonne. Im kommenden Jahr 2014 fällt in Lappland der Fastenmonat Ramadan in die Zeit direkt nach der Midsommernacht, in Kiruna geht während jenes Monats die Sonne auch für gläubige Muslime nicht unter...

Ramadan in Kiruna,

Gläubige Muslime aus Kiruna, die nicht krank sind, brechen, um nicht zu verhungern und zu verdursten, auf zu einer 29-tägigen Reise in ferne Länder südseits des Polarkreises, oder pendeln stattdessen fast (ein)en Monat lang jeden Abend, um möglichen weiteren mekkadusischen Irrtümern zu entgehen, nach Südlappland, eingeladen von den dort lebenden muslimischen Glaubensbrüdern und -schwestern zum in jenem Monat täglich stattfindenden nächtlichen Mitternachtsbuffet, kurz nach Sonnenuntergang. Auf der Einladungskarte steht in arabischer Schrift: "Koransurisch Dinieren mit medinesischen Vampiren".

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Eule
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Beitragvon Eule » 20.07.2013, 13:57

A propos Vampire. Die Fledermäuse Südamerikas laufen immer in Bürgerkriegszeiten zur Hochform auf. Nicht, dass man die immer erkennenen könnte, manchmal sei alles nur eine Frage der Höhengrenzen. Nach dem ersten Viehmarkt in der nächsten Kreisstadt befiel Miguel ein Schatten. Viele hatten ihn schon davor gewarnt, aber glauben konnte er es immer noch nicht. Der Schatten fiel unter seine Augen, stach von dort in die elektronischen Schließsysteme der örtlichen Ladenbesitzer, gab seinem ganzen Gesicht ein anderes Aussehen und, es mußte wohl so kommen, verbündete sich mit den schwereren, tiefen Schatten der Gebirgsschluchten. Er kroch von unten in seine Beine und zog seinen bislang athletischen Jungenkörper mit unwiderstehlichen Kräften in die Vertikale. Seine Umrisse verzogen sich und begannen langsam zu flimmern und mit der Umgebung zu verschmelzen. Immer öfter wurde er nun nicht mehr bemerkt oder übersehen und seine Stimme klang leiser und schwächer. Er verstand auch die Sprache seiner Angehörigen und Freunde schlechter, von den gesprochenen Sätzen kamen nur noch Wortfetzen oder schrille Lautkaskaden bei ihm an, dafür bemerkte er deutlich die Anzeichen der Sorge und Bestürzung in ihren Gesichtern. Er mußte weg, sofort, sonst würde er noch hier versickern, immer tiefer in die Felsspalten, Grotten und karstigen Bachschlünde hinein. Er wirbelte kleine Staubwolken auf, als er versuchte, seine Beine in Gang zu setzen, wohin wußte er nicht. Es war später Vormittag, bald würde die Sonne ihren Höchststand erreichen und ihn durch ihre starke Strahlung weiter schwächen, er mußte vorher die Felsen der Paßhöhe erreichen, und dann auf die Westseite der kleinen Bergkette gelangen, in die der Stadt abgewandte Richtung der Cordillera. Dann, war er sich sicher, würde er noch eine Chance bekommen, würden die Symptome zurückgehen und er wieder zurückkehren in die Menschenwelt. Der Rückweg in sein Dorf würde ihm dann zwar verschlossen sein, aber er war sich sicher, Mittel und Wege zu finden, zurückzukommen, irgendwann.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Herby

Beitragvon Herby » 05.09.2013, 21:49

Ich sitze draußen auf der Terrasse, blicke ständig nach oben und habe jetzt schon Nackenschmerzen, dabei ist es noch nicht einmal 22 Uhr und ich werde in dieser Körperhaltung noch eine Weile verharren.

Ein wolkenloser Nachthimmel wie funkelnder Lurex - was für ein Anblick, was für ein Geschenk!

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 15.09.2013, 01:54

Vom Parkplatz vor der Bäckerei her beobachtet: Ein junger Mann, Anfang zwanzig nach meiner Schätzung, mit tief hängenden Hosen, Windjacke, Bürstenschnitt (beinahe Kahlkopf). Er geht auf dem Bürgersteig gegenüber. Da ist ein berühmter Bildstock; er geht dran vorbei, er lacht.
Vor ihm und hinter ihm geht niemand; er geht allein. Lachend. Er schüttelt im Lachen den Kopf, ungläubig, als hätte er einen genialen Witz gehört. Fummelt etwas aus seiner Windjacke. Hebt den Arm hoch über den Kopf. Die Geste kenne ich: Handy-Selbstporträt. Ungewohnt erscheint mir, dass er wirklich den Arm über den Kopf hebt, nicht einfach das Handy vor sich hinhält. Er schaut nach oben, fotografiert sein eigenes Gesicht von oben, noch immer aus vollem Hals lachend.
Die Geste scheint irgendwie gesucht, wie eine Vorstellung; aber es ist ja außer mir niemand in der Nähe, und mich sieht er nicht. (Als Frau über 50 existiere ich sowieso nicht wirklich.)
Ich habe halb und halb erwartet, dass sein Handyfoto nachher in den Reklameleisten bei Facebook aufscheint, unter der Überschrift "Singles in Deiner Nähe suchen Kontakt! Dieser Mann ist nur 2 Kilometer von Dir entfernt!" In Wahrheit ist er keine 20 Meter von mir entfernt, aber was Partnervermittlungen betrifft, lebt er auf einem anderen Kontinent. Und überhaupt stelle ich mir viel lieber vor, dass er das Foto nur für sich gemacht hat. Vielleicht schreibt er ein Blog, das niemand liest. Ein fernes Eiland im Getümmel des Internets. Und setzt das Bild rein: Hier, das bin ich. Ging da gerade die Straße lang. Habe gelacht.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.10.2013, 23:08


Manchmal beobachte ich mich, als ob Fremde mich beobachten. (Natürlich können sie meine Gedanken dabei hören). Und deshalb analysiere ich auch meine Gedanken, während ich mich beobachte. Doch ich nehme all diese kleinen Beobachtungen nicht als neutraler und (im positiven Sinne) neugieriger Betrachter auf, wie zum Beispiel Seth in "Stadt der Engel". Nein, ich bin da kritisch. Scheuche Gedanken beiseite. Lache mich selbst hämisch aus, korrigiere mich ständig. Ich betreibe eine eigene Zensur.
Es gibt noch eine ganz tolle Variante der Selbstbeobachtung. Man kennt das so gut aus Filmen. Da zieht jemand in eine Wohnung oder ein Haus ein. Hunderte von Kartons stehen herum. Arbeit, Arbeit, Arbeit. So ein Umzug ist ein Albtraum. Und dann kommt da dieser herrliche, ja richtig befreiende Dreh. Alle Arbeiten, jeder Schritt, jeder Gang, alles, was jetzt folgt, wird in Zeitraffer gezeigt. Zack, zack, zack. Und alles ist fertig. Wie genial. Und ich stelle mir vor, während ich etwas tue, wie es in Zeitraffer geschieht. Ich sehe mich von oben, wie ich, gleich einer ferngesteuerten Puppe, in Zeitraffer durch die Räume hin und her laufe, wie ich das eine tue, dann das nächste. Wie mein Kopf, mein Körper, meine Hände sich dabei bewegen, alles blitzschnell. Und wenn ich mich beobachte, wie ich alles in Zeitraffer tue, fange ich an zu lachen. Die Fremden, die mich beobachten, wissen, warum ich lache, weil sie ja meine Gedanken hören. Was sie wohl denken?
Besonders akribisch beobachte ich mich beim Putzen und stelle in Gedanken fest, wie sehr ich das Putzen hasse. Und denke darüber nach, dass es viele Frauen gibt, die es lieben, den ganzen Tag zu putzen. Die gar nicht aufhören können zu putzen. Auf gut Deutsch: einen Putzfimmel haben. Ich halte dies eher für eine Zwangsneurose. Aber es steht mir gar nicht zu, diese putzbessenen Frauen zu beurteilen, hab ich doch selbst etliche Zwangsneurosen. Zum Beispiel, mich selbst zu beobachten.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 09.10.2013, 01:18

...zum Beispiel, mich selbst zu beobachten...

Wenn ich zwischendrin innehalte und mich beobachte, lustvoll gedanklich die Perspektive wechsle, mit leiser Selbstironie von außen auf mich (diesen Kerl da) blicke, um mein, sein Treiben zu beobachten, wie Sabina in der untrüglichen Leichtigkeit des Seins ihres im großen Spiegel vorm Bett, grinse ich oft über ihn, zwinkere ihm zu, lad ihn spontan ein, zu nem Drink an der imaginären Bar, an dessen Tresen heute zufällig Beppo Straßenkehrer jobt, um endlich mal jemanden real in einer Geschichte zu treffen.

Während er den Kaffeesatz ausklopft und mich frägt, was ich trinken will, flüstert mein Alter Ego mir ungefragt ins Ohr, dass er Sisiyphos in seiner Sage wegen seines unsteten Treibens am Berg schon immer am liebsten mal nen Arschtritt verpasst hätte. Die Wirbelsäule in der schwarzhaarigen Blondine neben mir auf den Möbelstück, das unter ihrem Gesäß versteckt ist, räkelt sich (mit ihr) um ihre eigene Achse, wie grünes Efeu - im Zeitraffertemp - sprießend um ein Grab.

Aus Blondines Mundhöhlen strömt ein Wortefall, seine Gischt überspült die Wunsch-nach-Stille-Mauer meiner Gehörgänge, ihre Wellen flüstern, dass die Psychatrie wieder mal in der Krise steckt, ein in sich geschlossenes Schönwettergebiet, dass sich in Regenbogen- farben aufleuchten sieht, obwohl es doch den Regen für alle Zeiten des Landes verwiesen hat. Erleben Sie, staunen Sie, raunen mir die Wellküren zu, die auf ihren Wellen geritten kommen, stoßen Sie an mit ihrem Atem und erleben Sie seinen Duft, trinken Sie mit ihm auf Du und Du, genießen sie, er perlt Ihnen von ihrer Zunge ab, wie die Reden von den Zungen von Politikern.

Der Latte Macciatto, den mir Beppo kurz darauf serviert, beamt mich augenblicklich einige Breitengrade tiefer, in ein namenloses Fischerdorf an der kampanesichen Küste des italienischen Cilento, an dessen Dorfschönheit, einer Ronja Räubertochter, seltsamerweise wiederum dieser Beppino rumhängt...

Draußen in den Feldern vor dem Dorf sitzt ein alter Mann, der Sommer. Lauscht still einer seralen Symphonie. Grillenzirpen. Der Musik des Sommers. Wenn morgens die Schwalben tot in den aufgespannten Netzen hängen, spüre ich hinter mir ihren kalten Atem. Autumn. Sie strahlt mich an wie die Sonne und während sie mit mir durch die Felder flieht, verliert sie ihre Blätterhaare. Beppo kehrt uns von den Straßen...
[align=right].[/align]

jondoy
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Beitragvon jondoy » 09.10.2013, 01:25

Interview:
- "Sie nennen sie in ihrem Buch die K-Krankheit. Warum?"

- "Weil ich finde, dass Krebs so ein ekliges Wort ist, das schon immer Abscheu in mir hervorgerufen hat.
Ich finde, es sollte ein positiv besetztes Wort für diese Krankheit erfunden werden."

- "Die Kaputtlachkrankeit. Ich danke Ihnen, dass Sie uns mit ihren Worten so nachhaltig......"

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.10.2013, 20:25

Die furchtbarsten Lachkrämpfe treten bei Beerdigungen auf. Und das Schlimmste: wenn dir das einmal widerfahren ist, wirst du an keiner Beerdigung mehr teilnehmen, weil die Angst vor einem erneuten Lachkrampf in dir wuchert.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 19.10.2013, 21:42

Eine entfernte Verwandte starb mit noch nicht 30. Allgemeines Versagen der Organe; sie war nierenkrank, seit über 20 Jahren Dialysepantientin. Ich kannte sie ein wenig, hatte ihr das damals viel gerühmte Buch "Die unendliche Geschichte" geliehen, das ihr so gut gefiel, dass sie es mir zurückgab und sich selbst kaufte. Damals muss ihr schon klar gewesen sein, dass sie noch höchstens vier bis fünf Jahre zu leben hatte. (Ich fragte mich müßig, ob ich mit einer solchen Option noch Bücher gekauft hätte, die ich mir hätte leihen können.)
Bei der Beerdigung erzählte mir ihre Mutter ausführlich, wie ihre letzten Stunden verlaufen waren. Ich verspürte eine unbändige Lachlust. Gab von mir: "Ja, ein ..." und schluckte das "schöner Tod" gerade noch herunter. Ein furchtbarer Schluck.
Manchmal denke ich, dass sie (die Verstorbene) etwas über mich weiß, was sonst niemand wissen darf. Nicht einmal ich.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.10.2013, 20:29

Viele Jahre lang sagte ich: ich möchte eine schöne Leiche sein. Die Reaktionen und Blicke, die ich dafür kassierte, wiesen eine erstaunliche Bandbreite auf: von schenkelklopfendem Lachen verbunden mit dem Satz 'Das kann dir als Leiche doch wurscht sein' über Kopfschütteln ohne Worte oder Kopfschütteln plus Zeigefinger mehrfach an die Stirn tippen, manchmal auch mit den Worten 'Du spinnst ja' oder aber, und das verblüffte mich vollends: mit Zustimmung. Und diese nicht nur mit Nicken, sondern wortschwallbegleitet 'Du, das möchte ich auch. Das ist mir total wichtig! Und ich möchte so schön sein, dass mich der Leichenbestatter nicht mal schminken muss!'
Mist, an den Leichenbestatter hatte ich nicht gedacht. Die machen einen ja so übertrieben zurecht. Da sieht man gar nicht so aus, wie man es möchte. Ich geriet ins Grübeln. Und in Panik. Was ist, wenn der mir womöglich Lippenstift aufträgt? Mir, die ihr Leben lang noch nie Lippenstift getragen hat! Ich hasse Lippenstift. Was ich noch mehr hasse, sind diese Gläser mit Lippenstiftabdruck drauf. Igitt! Jetzt war guter Rat teuer. Ich überlegte, ob eine Feuerbestattung (ich möchte auf jeden Fall verbrannt werden!) auch ohne die Prozedur des Leichenbeschauers vonstatten geht. Oder ob ich testamentarisch verfügen kann, dass dieser Kerl nicht an mir rumfuschen darf.
Zeit, Lebenszeit ist vergangen.

Inzwischen habe ich beschlossen, mir einen Organspendeausweis ausstellen zu lassen. Sprich, ich werde ausgeweidet, überall aufgeschnitten und wieder zusammengeflickt. Dann spielt es keine Rolle mehr. Eine schöne Leiche werde ich nicht sein, aber vielleicht eine nützliche.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 13.12.2013, 02:09

Filme gibt es wie Sand im Meer, doch es kommt selten vor, dass mir ein Film gut gefällt...

"Les Sentiments" - Warnung :mrgreen: Französischer Spielfilm (2003 )
am 11.12.13 um 20.15 Uhr erstmals in deutscher Sprache ausgestrahlt in Arte

Der Film ist eine Augenweide. Es ist ein ganz toller Film, er ist sinnlich, er ist erotisch, bei ihm stimmt jede Nuance, er ist einfach nur großartig.
Der Film wird getragen von vier Schauspielern, zwei Paaren, es ist ein wirklich wunderbares Quartett, die Geschichte selbst wird minimalistisch erzählt, jedoch in wahnsinnig guten Bildern. Jede Gefühlsregung der Protagonisten wirkt so echt, dass ich beim Sehen fast neidisch geworden bin auf diese Leute.
Der Film ist schnell erzählt. Irgendwo in der französischen Provinz sucht ein älterer Arzt nach einen jungen Nachfolger. Der findet sich und zieht mit seiner frischgebackenen Ehefrau in das Nebenhaus ein. Diese junge Frau, Edit(h), wirkt auf den ersten Blick ein wenig (untertrieben, ziemlich) naiv, wie anfangs auch die Handlung, aber das täuscht, sie liebt total und ist sensibel, und sie weiss, was sie will, sie ist ein feiner, lebensfroher Mensch, und wer könnte sich schon so einer Ausstrahlung entziehen. Das "fatale" ist, sie beginnt zwei Männer gleichzeitig zu lieben, und gleichzeitig liebt sie glaub auch ihre Nachbarin, die nichts davon weiss, denn sie mag einfach jeden Menschen. Aber auch die Nachbarin, Carole, ist ein wunderbarer Mensch.
Es entwickelt sich eine Amour Fou, der ältere Mann verliebt sich immer mehr in diese junge Frau, und die zergeht wie Schokolade auf seiner Zunge. Jeder Kuss, jeder Blick zwischen den beiden ist ein Ereignis. Ich kann eigentlich jeden Protagonisten in diesem Film verstehen. Selbst die beiden Kinder von Jaques und Carole bereichern diesen Film; die beiden führen in einer lauen Sommernacht vor den vier Großen ein kurzes Theaterstück auf, dass es in sich hat, am Ende ihrer Vorstellung skandieren sie (nicht umsonst) mehrmals den Refrain: "Jeder Spießer ist ein echtes Schwein; wird er erst mal älter, kann er nur bescheuert sein."
Den ganzen Film umgibt eine originelle Rahmenhandlung, die manchem auch auf den Geist gehen könnte, ein gemischter Chor parodiert im klassischen Gesangsstil (mehrstimmig) ironisch die "Gefühlsverwirrungen" unter den Menschen. Es ist allerdings so fein abgestimmt, dieses Wechselspiel zwischen der Handlung des Films und dem Gesang und der Mimik der Chormitglieder (dass, was sie singen, untertitelt zeitweise auch die Handlung), dass es Freude macht.
Das wunderbarste an dem Film ist jedoch die fein-nuancierte Mimik und Gestik dieser Edit(h), gespielt von Nathalie Baye, die meiner Meinung nach dafür einen Oscar verdient hätte, in ihren Gesten wirkt nichts künstlich, nichts gestellt, sie lebt in diesem Film eine Intensität aus, die allein schon durchs Zuschauen schwindelig macht. Ihre Augen sprechen Bände, dagegen wirkt selbst Scarlett Johansson mit ihrem sinnlichen Mund statisch wie eine Schaufensterpuppe.
Noémie Lvovsky hat diesen Film gedreht. Seine französische Note lässt sich nicht verleugnen.

Anmerkung: Wer sich von den Film ein eigenes Bild machen will, hat noch bis zum 18.12.13 die Möglichkeit dazu, er ist bis dahin in der Arte Mediathek freigeschaltet und somit frei empfangbar über Netz-TV oder wahlweise Internet unter folgendem Link:
- http://www.arte.tv/guide/de/049463-000/ ... rwirrungen

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Eule
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Beitragvon Eule » 18.02.2014, 03:00

-(denkt bei sich:dialog)-

Ja, es war wie in einem Film. Einem Film ? Ja. In was denn für einen ? Na, halt so ein Spielfilm aus den Anfängen der laufenden Bilder, schon coloriert, aber mit Untertiteln. In welcher Sprache ? International. Was soll das heißen ? In mehreren. Ein Beispiel ? Ja, bitte ! Englisch natürlich. Sonst noch ? Vielleicht chinesisch. Chinesisch ? Ja, warum nicht. Wieso wissen sie, dass es chinesisch war ? Es sah so aus. Aha, könnten Sie noch weitere asiatische Sprachen erkennen ? Erkennen, nein, nur benennen. Das ist unwichtig. Wirklich ? Nebensächlich. Und hauptsächlich ? Wie heißen Sie überhaupt ?
Ein Klang zum Sprachspiel.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 20.03.2014, 19:50

Verschaltet

Anni beginnt ihre nächtliche Runde. Sie schaltet das Licht in der Küche an und geht ins Wohnzimmer, knipst die Oberdeckenleuchte an. Sie startet auf der rechten Seite. Die grüne Lampe. Klick. Weiter nach vorne, die gelbe. Klick. Nach links, das kleine runde Lämpchen. Aus. Das war einfach. Der Aschenbecher. Sie hat ihn mehrfach gedreht und bei noch brennendem Licht gesehen, dass sämtliche Asche verschwunden ist. Sie geht zurück, beugt sich hinab und überprüft, dass keine glimmende Kippe daneben liegt. Alles okay. Anni versucht, sich umzudrehen. Es zieht sie zurück. Noch mal gucken. Lange starrt sie hin. Es klickt in ihrem Kopf. Jetzt ist es in Ordnung. Geschafft. Sie hastet zum Schalter der Deckenleuchte. Aus, raus.
Nächste Station ist die Küche. Der Herd. Heute nur vier Mal. Von rechts nach links drückt sie ihre rechte Handfläche auf die vier Herdplatten, ohne auf die Schalter zu sehen. Das geht so leicht. Alle Platten sind kalt. Kein zweiter Durchgang. Anni schaut auf die Drehknöpfe. Es sind fünf. Der Ofenknopf, den sie nie anmacht, ist der äußerste. Von rechts nach links überprüft sie die Knöpfe. 0, 0, 0, 0 und 0. Eins. Das geht ganz schnell. Sie hat ja noch drei Mal. 0, 0, 0, 0, und 0. Zwei. Heute nur vier Mal, Anni! 0, 0, 0, 0 und 0. Drei. Vier Mal! 0. Der Ofendrehknopf. Sie benutzt ihn nie. Sie starrt auf die 0. Die 0 fängt an zu flimmern. Hat sich der Knopf gedreht? Hat sie genau hingeschaut? Weiter. 0, 0, 0, und 0. Vier. Anni. VIER! Kein Klicken in ihrem Kopf. Flammen züngeln. Rauchschwaden. Es riecht verbrannt. Sie bekommt keine Luft. Es brennt lichterloh. Noch einmal. 0, 0, 0, 0 und 0. Fünf. Anni knipst die Küchenlampe aus.
Morgen nur vier Mal!

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Eule
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Beitragvon Eule » 02.08.2014, 09:41

Nur noch vier Mal, es ist an den Fingern abzählbar. Bald kommen die Ferien, abzählbare Auszeit im großen Lebenserlebnis. Ferien, die gerne schnell vorbeigehen, die wir versuchen sollten, in vollen Zügen zu geniessen. Ein Ausgleich für Anstrengungen, Tränen, die Fernsehnachrichten, ein kleines, freches Wort mit Zauberkraft, gefüllt aus langen Tagen. Ein Aufbrechen, Zeiten ändern sich, manchmal hilft es, darauf zu hoffen, auch wenn wir alleine damit aufwachen, sie drängen herein und suchen nach Antworten
Ein Klang zum Sprachspiel.


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