Cuenca

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sam

Beitragvon Sam » 17.06.2009, 14:18

Cuenca


Wie du liegst
an grünen Flanken
inwendig glühender Berge
erinnere ich dich:

Schwarze Frauen am Fluss
über dessen steinigem Ufer
Häuser mit ihrem Einsturz drohen
alt und stolz
errichtet in einer Sprache die
schon lang keiner mehr spricht.

Das Weiß deiner Gassen
ist das Weiß des Nebels
den die Berge ausatmen
wenn die Sonne
an Zwergkiefern hängt
oder sich versteckt
hinter tausendfüßigen Hügeln.

Die blauen Kuppeln der Kathedrale
katzbuckeln nach Norden und Osten
Alabaster und Marmor
völlig verzettelt im Gestern
darunter knöchrige Schatten
die blind sind für die Wände
an denen man bunt das Heute feiert.

Von einer fernen Schwester singst du
in fröhlichen Liedern
aber es sind deine wahllosen Väter
die dir jetzt die Straßen pflastern
die deine Mauern tapezieren
mit alten und neuen Lügen.

Trotzdem kannst du lächeln
ohne Zorn in den Augen
ohne mit dem Gelb deiner Zähne
um Almosen zu betteln
beim Tanz
und auf dem Markt
wo die Mädchen schön sind
wie Lagunen und Vulkane.

In meiner Erinnerung bist du eine helle Feder
im schwarzen Flügel einer traurigen Geschichte
bist der Traum der Caballeros
die letzte Dame der Anden.

scarlett

Beitragvon scarlett » 17.06.2009, 14:28

So macht Geschichts- und Lyrikunterricht Spaß!

Einfach genial!

scarlett

Nicole

Beitragvon Nicole » 17.06.2009, 14:56

Oh Sam,

ich liebe es! Wie auch andere Deiner längeren Gedichte erzählst Du mir hier eine wunderbare, farbige Geschichte, zeigst mir ein Stück Deiner Welt.

Ich mag die "Vermenschlichung" dieser Stadt und die liebevolle Art, wie Du sie beschreibst. Ein bißchen melancholisch, ein bißchen realistisch, ein bißchen exotischer Traum einer anderen Zeit, ein bißchen Realismus des Heute.

Danke,

Nicole

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.06.2009, 16:34

Das ist klasse, Sam!

Dieser Mix aus Verehrung, kritischem Fokus und diese tollen Bilder.
Das hier ist für mich wirklich der krönende Abschluss:
In meiner Erinnerung bist du eine helle Feder
im schwarzen Flügel einer traurigen Geschichte
bist der Traum der Caballeros
die letzte Dame der Anden.

"die letzte Dame der Anden", wunderbar!

Saludos
Mucki

african queen

Beitragvon african queen » 17.06.2009, 17:58

du nimmst den Leser mit, ziehst ihn in den Bann deiner Beschreibung einer Stadt, läßt
trotzdem Freiraum für die eigene Phantasie. Begeistert von deinen schönen Formulierungen.
lg
gertraud

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 17.06.2009, 18:30

Sam.

Mannmannmannmann Sam. Samsamsamsam!

Da kriegt man Pipi in den Augen. Wie Nicole schon schrieb, begeistert die Vermenschlichung bzw. die Zuordnung menschlicher Attribute an vermeintlich leblose Materie, was weit über das Erzeugen von bloßen Bildern hinausgeht. Da wird Geschichte und Leben eingehaucht, und man spürt aus jeder Zeile deine Liebe und Nähe zum Beschriebenen, und zwar ohne Verklärung. Sauber und rein und ehrlich.
Das ist wirklich große, erlebte wie erlebbar gemachte Erzählkunst, richtiges Breitbandkino für alle Sinne. Wenn du dir noch mehr Städte derart vornimmst, braucht von deinen Lesern keiner mehr zu verreisen.

Text des Monats. Mindestens.
Dankeschön.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 17.06.2009, 20:08

Eins würde mich noch interessieren:

Du beginnst die letzte Strophe mit "In meiner Erinnerung..."

Hast du diesen Text 'aus der Ferne' neu geschrieben, als Erinnerung, oder hast du alte Aufzeichnungen gefunden (ich nehme an, du warst dort?), und die nun postum ausgearbeitet?

Ich frage deshalb, weil ich mich immer sehr schwer tue, zurückliegende Erlebnisse oder alte Aufzeichnungen aus dem heutigen Blickwinkel adäquat zu erfassen oder mich noch einmal in sie hineinzuverseten. Oder ist es gerade die heutige Sicht auf Vergangenes, die innewohnende Distanz?

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Sam

Beitragvon Sam » 18.06.2009, 17:18

Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank! eure Zustimmung freut mich sehr, weil ich damit nicht gerechnet habe. Vor einigen Jahren ist mir das Ding in einem anderen Forum nämlich ziemlich um die Ohren gehauen worden. Seitdem habe ich es immer wieder hervorgeholt, aber konnte außer ein paar Kleinigkeiten nichts ändern, weil es mir für mich eigentlich so passt. Jetzt habe ich mich endlich getraut, es nochmal einzustellen...und siehe da, es scheint so schlecht dann doch nicht zu sein. (Foren sind eigenartige Gebilde, der blicke einer mal durch).

scarlett,

ob es für einen Unterricht taugt, weiß ich nicht. Aber es freut mich sehr, wenn das Lesen Spaß gemacht hat.


Nicole,

Bitte - gerne geschehen. Schön, dass es dir so gut gefällt. :bussi:


Mucki,

Ja, der Schluss hat mir von Anfang an auch gefallen. An dem habe ich auch nichts mehr geändert (wobei mein Favorit eigentlich die vorletzte Strophe ist).
Irgendwann werde ich mal versuchen, das Teil mal ins Spanische zu übersetzen...


african queen,

deine Begeisterung freut mich. Und dass du als Leser mitgehen kannst, ohne den nötigen Freiraum einzubüßen.


Tom,

du machst mich verlegen. Was nichts daran ändert, dass ich mich über deine Zustimmung sehr freue!

Du fragst nach dem zeitlichen Abstand. Der betrug schon einige Jahre. Ich habe auch keinerlei Notizen, sondern es war der Versuch meine Erinnerung und die Eindrücke dieser Stadt in Worte zu fassen. Die ist zwar nicht die wirkliche Realität dieser Stadt (zumal mein Besuch nun schon gut zwölf Jahre zurückliegt) aber die Realität meiner Erinnerung. Die sind natürlich auch ein Stück "gemacht". Deswegen habe ich am Anfang auch die eigentlich nicht wirklich korrekte Formulierung:
"erinnere ich dich" gebraucht. Also eine Art aktive Erinnerung, die Bilder und Gefühle miteinander mischt und in eine Form bringt, die das Gemisch einigermaßen adäquat wirderspiegelt.

So oder so ist Erinnerung immer Interpretation.


Euch Allen nochmals herzlichen Dank!


Liebe Grüße

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.06.2009, 18:56

Hi Sam,
Irgendwann werde ich mal versuchen, das Teil mal ins Spanische zu übersetzen...

wenn du das angehst, biete ich dir gerne meine Hilfe dazu an. Das wäre sicher eine faszinierende Sache. Also, sag Bescheid, dann machen wir das gemeinsam, wenn du magst. ,-)

Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 18.06.2009, 21:53

Hallo Mucki,

gerne. Ich hoffe, ich habe irgendwann dafür die Zeit. Und mein Spanisch vertrocknet so langsam...

Liebe Grüße

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.06.2009, 22:00

Hi Sam,
Und mein Spanisch vertrocknet so langsam...

na, dann ist das erst recht ein Grund, es zu machen. ;-)
Also, ich stehe zur Verfügung. Sag einfach Bescheid, wenn du Zeit findest.

Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.06.2009, 10:38

Lieber Sam,

nachdem ich bei deinen letzten Texten ausführlicher war, darf ich hier auch mal kürzer: Ich schließe mich an...ich finde das zwar immer etwas waghalsig, wenn man solch einem Gedicht zustimmt oder sagt, es sei gelungen, obwohl man nie an dem Ort war, den er beschreibt, aber auch mich hat es einfach hingerissen.

Bei einem wirklich gutem Text, stechen ja eigentlich keine einzelnen Passagen heraus, aber obwohl ich ihn wirklich durch und durch stark finde, muss ich doch sagen, dass mich das Ende noch einmal besonders gefangen hat:

In meiner Erinnerung bist du eine helle Feder
im schwarzen Flügel einer traurigen Geschichte


das ist für mich, als l(als kann man eigentlich streichen) auschte man einem Liebesgeständnis .. und es zeigt deine Quälität als Dichter, denn wenn du "weiß" statt hell genommen hättest, wäre das ganze Bild für mich kaputt.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.06.2009, 11:26

Sam hat geschrieben:Tom, du machst mich verlegen.


Ich könnte dich ja mal wirklich verlegen (machen) ... :o)

Da kann man mal sehen:

"Ich erinnere dich" ist mir - glaube ich erstmalig - nicht negativ aufgefallen, und das als bekennender Anglizismenbluthund. Der restliche Text muss irgendwie meinen Spürsinn überstrahlt haben :o)

Eingedenk dessen erschiene es allzu kleinlich, hierdran herumzuzupfen, da die Formulierung für dich wirklich gefühlt zu sein scheint, also nicht in Zusammenhang gebracht werden sollte mit dem Denglischsprech unserer verkorksten Medienlandschaft und deren Jünger.

Fast scheint es so, als hättest du diese Wendung gerade erst dem Wochenbett enthoben, als gäbe es sie andernorts noch nicht, und ob dieses jungfräulich-poetischen Anstrichs einer sonst so schmerzhaften Ohrenzyste will ich darob gerne stilleschweigen ...

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Sam

Beitragvon Sam » 19.06.2009, 14:07

Alles klar Mucki, ich sag dir Bescheid. Vielen Dank schon mal im Voraus!


Hallo Lisa,

vielen Dank für deinen Kommentar! Natürlich darfst du auch ganz kurz ;-)

Das Problem mit dem Ort - da habe ich auch immer wieder drüber nachgedacht. es wäre schon ein großer zufall, wenn ein Leser diese, doch recht ubekannte Stadt, kennen würde. Der Text uss also für sich selbst bestehen - und scheinbar tut er das. zumal ja das Beschriebene nicht wirklich (wie ich oben schon mal sagte) die Realität dieser Stadt wiederspiegelt, sondern eine Erinnerung beschreibt.

denn wenn du "weiß" statt hell genommen hättest, wäre das ganze Bild für mich kaputt.


In der ersten Version stand da sogar weiß. Aber da es einer der ersten Gedichte war, die ich überhaupt geschrieben hatte, waren mir damals solche Kleinigkeiten noch nicht bewusst. Mittlerweile ist man doch ein wenig "sensibler" geworden. In manchen Fällen ist es wirklich gut, gewisse Texte lange reifen zu lassen.


Hallo Tom,


Ich könnte dich ja mal wirklich verlegen (machen) ... :o)


Ach, und wie?
:schwitz:

ob dieses jungfräulich-poetischen Anstrichs einer sonst so schmerzhaften Ohrenzyste


Eigentlich bin ich auch sensibel, was solche "eingedeutschen" Formulierungen betrifft. Aber als ich mich mal eine ganze Zeit damit beschäftigte, wie das Gehirn Erinnerungen produziert (und eben nicht nur abruft), da fand ich die englische Art es zu sagen passender, als die passive deutsche Formulierung.

Neulich las ich das letzte Buch von Helmut Schmidt (Außer Dienst), und da gebraucht er in einem Fall auch diese Formulierung. Und der Mann ist ja nicht gerade ein Holzschuhläufer der deutschen Sprache.

Auch dir nochmal vielen Dank!


Liebe Grüße

Sam


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