kaleidoskop

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.04.2016, 15:02

kaleidoskop


ein stilles leben
im nebel zerspiegelt
von der legehenne ein ei
stapel von leeren tellern
geplatzte glasur
ruß sitzt wie eine spitze
spinne im porzellan
ein gemaltes lamm
salzgurkenkrüge aus glas
ein kanister retsina und
korken in form
von krokodilen
sie liegen am lido
und schlafen falsch
ihre sandaugen starren
genau auf
mich
Zuletzt geändert von Amanita am 23.04.2016, 17:41, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.04.2016, 17:12

Hallo Amanita,

dein Gedicht wird dem Titel sehr gerecht. Es liest sich wirklich wie ein Kaleidoskop. Besonders gefällt mir dieser Passus:
Amanita hat geschrieben:russ sitzt wie eine spitze
spinne im porzellan

Irre bildhaft! Doch es müsste Ruß heißen, oder?

Liebe Grüße
Mucki

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.04.2016, 17:40

Stimmt, hatte ich im Manuskript auch, bin "dass"-konditioniert ;)

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Werner
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Beitragvon Werner » 24.04.2016, 22:37

gefällt mir irgendwie. assoziiert bei mir sofort Clarice Lispector "Nahe dem wilden Herzen" (Roman 1944), gleich auf den ersten zwei seiten, wo die da noch kindliche protagonistin ihren arbeitenden vater mit spontan selbst erfundenen gedichten nervt, zum beispiel das huhn und das ei und die sonne hats gesehn usw. das kaleidoskop hier hat was!

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 24.04.2016, 23:30

danke.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 25.04.2016, 10:59

Es könnte auch Stillleben heißen, ein melancholisches, am Schluss bedrohliches Stillleben mit den Krokodilen in Venedig.

Beim Lesen, im sechsten Vers, stolpere ich über das plötzlich auftauchende Verb.

Das "und" im zehnten Vers stört mich, es ist nicht notwendig für die Aufzählung.

Das Stillleben verwandelt sich in eine Aussage über die Krokodile, die eigentlich immer falsch schlafen ...

Ohne Zeile 13 und 14 hätte das Gedicht mehr Kraft.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 25.04.2016, 11:26

Hallo Klimperer,

für mich müssen die Zeilen - natürlich - drin bleiben. Dazu gleich mehr. Ein Kaleidoskop (dieses Dingsda zum Durchgucken, in dem sich alles x-fach spiegelt) kann man ja auf alles Mögliche richten, aufs Stillleben und auf den Strand. Wobei Krokodile ja eben auch meistens still-leben.

Aber egal. Im Gedicht habe ich Wörter bzw. Wortteile gespiegelt, und die Krokodile, die am Lido falsch schlafen, finde ich da einfach passend.


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