Klaviersonate

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 26.04.2012, 13:04

Klaviersonate

Inspiration ist alles, dachte ich, stellte eine Schale mit Konfekt und ein Glas Rotwein neben das Klavier, zündete im silbernen Leuchter die Kerzen an, legte den gespitzten Stift neben die noch leeren Notenblätter und griff in die Tasten. Ich lauschte den ersten Tönen, führte behutsam meine Hände über die Klaviatur. Ich versuchte meiner musikalischen Idee, die ich schon den ganzen Tag pfiff und summte, eine Form zu geben.

Vor vielen Jahre hatte ich mal Musik studiert, Klavier und Komposition, drei Semester, bevor ich mich dann doch für die Juristerei entschied. Die Liebe zur Musik ist geblieben, genau so wie die Lust zum Komponieren. Einige kleine Stücke für Klavier hatte ich schon in Noten gesetzt, Freunden vorgetragen, und viel Lob bekommen.

Jetzt saß ich also vor den weißen und schwarzen Tasten und komponierte, besser gesagt, versuchte zu komponieren.

Aber an diesem Abend war alles ein wenig anders. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte meinen musikalischen Einfall nicht in Noten setzen. Immer wieder spielte ich diese Melodie, dann schrieb ich sie auf, spielte sie wieder, korrigierte die Noten auf dem Papier, strich einige, fügte andere ein, zerknüllte das Notenblatt, nahm ein Neues, griff wieder in die Tasten, gestaltete neu, hörte den Klang, setzte die Noten, spielte sie wieder, und verzweifelte.

Ich tauschte die heruntergebrannten Kerzen aus, nahm ein Stück Konfekt, nippte am Rotweinglas, dann versuchte ich mich wieder an den Tasten, es half alles nichts. Langsam wurde ich müde, vom nahen Kirchturm schlug es Mitternacht, ich löschte die Kerzen und ging zu Bett. In Windeseile nahm mich Morpheus in seine Arme, ich träumte, träumte von schwarzen und weißen Tasten, die sich wie Bausteine zu Wänden formten, die mich einschlossen. Ich träumte von Noten, die wie Regentropfen diese Wände hinunterliefen, von dumpfen Tönen begleitet.

Ein Geräusch ließ mich aus dem Traum erwachen. Ich schreckte hoch und traute weder meinen Augen noch meinen Ohren. Aus dem Nebenzimmer, wo das Klavier stand, flackerte Kerzenlicht, Musik drang an mein Ohr, meine Melodie, mein musikalischer Einfall, an dem ich mich den ganzen Abend lang versuchte. Jetzt hörte ich ihn, durchkomponiert, brillant gespielt. Mein Motiv, meine Idee, meisterhaft vollendet. Unfähig, mich zu bewegen, saß ich im Bett. Hörte eine Klaviersonate, meine Sonate in drei Sätzen. Allegro, Andante, Presto. Ich spürte eine leichte Gänsehaut, dann der Schlussakkord, eine Tür fiel ins Schloss. Stille.
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Ich sprang aus dem Bett, lief ins andere Zimmer, merkwürdig, ich hatte keine Angst. Was ich sah, ließ mich staunen. Die Kerzen waren knapp am verlöschen, das Rotweinglas war leer, das Konfekt aus der Schale verschwunden. Auf dem Klavier lagen eng beschriebene Notenblätter, sauber gesetzt, Note an Note, ohne Korrekturen, makellos. Am Ende des letzten Blattes fand ich eine kleine Notiz, an den Rand geschrieben.

" Lieber Compositeur, so darf ich Euch doch nennen, oder? Ich konnte nicht mitansehen, wie Ihr Euch gemüht habt, letzten Abend, Euren kleinen musikalischen Einfall in Noten zu setzen. So habe ich, zwar nicht Eure Erlaubnis einholend, aber doch mit großem Spaß beschlossen, Euch ein wenig zu helfen. Ich habe mir gestattet, als kleines Honorar, das Konfekt aus Eurer Schale mitzunehmen. Gar köstlich, diese süssen runden Kugeln, verpackt in ein Papier mit meinem Konterfei, und noch dazu nach mir benannt. Ich empfehle mich, Euer Wolfgang Amadé."

Mit einem leisen Lächeln setzte ich mich an das Klavier und spielte meine Sonate, seine Sonate, unsere Sonate...
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Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 26.04.2012, 13:24

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 26.04.2012, 13:32

Hallo Cicero,
es tut immer wohl, von einem glücklichen Menschen zu lesen ...
Ich habe nur den winzigen Einwand, dass Du meiner Meinung nach den Akzent in Amadé falsch herum gesetzt hast.
(Eigentlich wollte ich auch einwenden, dass das Konterfei auf den bewussten Kugeln mit dem mörderischen glykämischen Index mit Sicherheit nicht Amadé zeigt. Aber dann ist mir eingefallen: Ich habe selbst einmal die Theorie aufgestellt, dass Mozart drei Köpfe hatte. Moment ... (suchen) hier.

Danke für die kleine Geschichte, habe ich gern gelesen!

Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.04.2012, 13:43

Hallo Franz,

das hat mir gerade so gefallen, deine Geschichte zu lesen, dass ich hier sitze und lächle.
So schön, das Ende. *schmelz*

Genussvolle Grüße
von Gabi, die Mozartkugeln zum Fressen gern hat! ;-)

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 26.04.2012, 14:32

Hallo Rosebud, Zefira und Gabriella,

habe mich über Eure Rückmeldungen sehr gefreut. :smile:

Würde die Klaviersonate gerne am Samstag in Hamburg lesen, wenn Rosebud nichts dagegen hat auch den "Schutzengel".

Herzliche Grüße
Cicero
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Rosebud

Beitragvon Rosebud » 26.04.2012, 14:51

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 26.04.2012, 15:06

Hallo Rosebud,

wenn man vorher ein Paar Worte dazu sagt, dann hält sich die Verwirrung der Zuhörer sicher in Grenzen. Natürlich könnte auch Flora den Schutzengel lesen, dann wäre es stimmiger, aber es würde auch mit einem Sprecher funktionieren.

Meine Stimme würde ich natürlich nicht hochziehen. ;o)

Liebe Grüße
Cicero
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Rosebud

Beitragvon Rosebud » 26.04.2012, 15:28

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Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 17:20, insgesamt 1-mal geändert.

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 26.04.2012, 15:54

Herzlichen Dank, Rosebud, für die "Genehmigung".

Wir werden den Applaus nach dem "Schutzengel" aufnehmen und Dir zukommen lassen. :smile:

Natürlich sende ich Dir auch nach der Lesung eine PN.

Liebe Grüße
Cicero
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 25.03.2013, 11:17

Salve Cicero!

Narratio tua multum me delectavit.

Ita scribis ut credo musicum preclarum revera te visitavit.

Optime narras. Multa de te legere spero.

Carpe diem, carpe noctem.

VALE


"Climperius"

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 21.11.2017, 19:34

Guten Morgen,

nette Kurzgeschichte, rund und flüssig geschrieben, finde ich.

Außerdem, meiner Empfindung nach, vermittelt sich der Text durch verschiedene Tempi (Erzählgeschwindigkeiten). Dass die mit den auf jene Sonate zutreffenden "allegro, andante, presto" Tempi zusammenhängen, ist sicherlich Zufall. Jedenfalls beginnt mein Lesetempo in "andante", und in den eher atemlosen Sätzen nach "Ich schreckte hoch" geht es über "allegro" hinüber zu "presto". Das Ende ist dann wieder "andante". Ob gewollt oder nicht, es macht den Text dynamischer und damit auch stimmig zu seinem schauspielerischen Inhalt.

Ab der Stelle "Lieber Compositeur ..." dachte ich wegen der alten Sprache intuitiv an eine jahrhunderte alte Person, und nach der humorvollen Sache mit dem Honorar, dachte ich, so frech kann nur Mozart gewesen sein; und ab den süßen Kugeln wars eindeutig. Der Name am Ende musste also gar nicht erwähnt werden.


Ahoy

Pjotr


P.S.: Wenns kein Gespenst war, dann vielleicht ein geträumtes Aufwachen im Traumtraum; das passiert mir auch manchmal. Da erkenne ich, oh das war nur ein Traum und wähne mich wach, bin es aber nicht wirklich, und ein paar Momente später wache ich nochmal auf, dann aber endgültig (vermutlich). In dem Fall müsste man allerdings auch noch schlafwandeln; ob das mir auch schon passiert ist, weiß ich nicht (meine Mitmenschen haben mir bisher noch nichts berichtet) :-)


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