Ihre Stimme

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 20.04.2017, 15:25

Was lange währt wird endlich gut, gell, Mucki, alias Gabriella! Die Geschichte ist Dir gewidmet:

:blumen:

Ihre Stimme

Unaufhörlich tanzten die Schneeflocken gegen die Windschutzscheibe. Ich hatte den ganzen Tag auf der Antiquitätenmesse zugebracht und dann noch bis zum Abend Verkaufsverhandlungen geführt. Müde lehnte ich mich in die Lederpolsterung des Peugeot und nannte meine Hoteladresse.

„Ihr letzter Abend in Paris – und Sie wollen schon ins Hotel?“, fragte mich der Taxifahrer fast vorwurfsvoll. Er trug ein kleines Bärtchen und hatte eine Baskenmütze tief ins Gesicht gezogen.

„Haben Sie einen Tipp für mich?“, entgegnete ich neugierig.

„Und ob ich den habe“, schmunzelte er, änderte die Fahrtrichtung und hielt nach kurzer Zeit vor dem Eingang einer kleinen Bar. „Viel Spaß!“, sagte er noch und zwinkerte mir zu.

Es war eines jener Lokale in Paris, die ein Tourist nie entdecken würde. Eine Künstlerkneipe mit dem Charme der 40er Jahre, verraucht, mit Bildern längst verstorbener Stars an den Wänden. Wir saßen auf rotem Plüsch, ein alter Kellner schlurfte mit Getränken von Tisch zu Tisch. Hinter der Bar stand eine auf jung geschminkte Blondine, die einige einsame Herren zum Trinken animierte. Auf einer kleinen Bühne spielte ein Pianist mit schlohweißem Haar die alten Chansons, welche die großen Sänger vor vielen Jahren berühmt gemacht hatten. Der Laden war brechend voll, die Gäste in ausgelassener Stimmung, es wurde getanzt, gelacht, und der Schampus perlte in den Gläsern.

Ich nippte an meinem Bordeaux und lauschte dem Klavierspieler. Wieder drängte ein Schwung Leute in das Lokal, der Kellner begrüßte sie ausgesprochen herzlich. Er führte sie zu einem reservierten Tisch, mir gegenüber, und nahm die Bestellung auf. Stammgäste, dachte ich: Eine zierliche Frau und fünf ältere Männer, die nur Augen für sie hatten und sie umschwirrten. Amüsiert beobachtete ich die Szene, einmal sah sie kurz hoch, bemerkte mich und schenkte mir ein kleines Lächeln. Einer ihrer Begleiter sprang auf, eilte zur Bühne und redete auf den Pianisten ein. Dann kam er zurück und flüsterte ihr ins Ohr. Nach einigem Drängen erhob sie sich, stieg auf die Bühne, und stellte sich neben das Klavier. Mit einem Schlag verstummten alle Gäste, sie rief dem Pianisten etwas zu, und dann sang sie.

Es war ein trauriges Lied, ein Lied von Liebe und Abschied. Sie zitterte, mit einer Hand stützte sie sich am Klavier ab, mit der anderen schob sie immer wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wirkte zerbrechlich, ihre Stimme klang herb und dunkel, war kraftvoll, kraftvoller als die kleine Sängerin vermuten ließ.

Nach dem letzten Akkord herrschte einen Augenblick Stille, dann sprangen die Gäste auf und klatschten begeistert. Mit einem kleinen Lächeln dankte sie, wieder trafen sich unsere Blicke, und dann kehrte sie nicht in ihre Runde zurück, sondern trat an meinen Tisch.

„Sie sind zum ersten Mal in Paris?“, lächelte sie und setzte sich neben mich.

„Woher wissen Sie das?“, fragte ich erstaunt. Sie sah mich amüsiert an. „Das ist mein kleines Geheimnis, wollen wir ein Glas Champagner trinken?“ Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern winkte dem Kellner. „Dom Perignon“, befahl sie. Sie legte ihre Hand auf meinen Arm. „Meine Freunde sollen sich heute mal ohne mich amüsieren. Immer die gleichen Gespräche, die gleichen Geschichten, das langweilt mich. Ich bin Giovanna.“ Sie prostete mir zu. Ich erzählte von meiner Antiquitätenmesse, und dass ein Taxifahrer mich hierher gelotst hatte.

„Auf Paris, die Liebe und den netten Taxifahrer“, lachte die kleine Sängerin und hob wieder das Glas.

Giovannas Freunde wollten noch weiter ziehen, sie aber lehnte sich leicht an meine Schulter und blieb. Wir tanzten aneinander geschmiegt und küssten uns. „Bleib bei mir, mon ami“, flüsterte sie. „Gegenüber ist ein kleines Hotel. Ich will die Nacht nicht allein sein.“ Sie fuhr mir zärtlich durchs Haar und küsste mich wieder, sanft und fordernd.

Das Hotel wirkte abgewohnt, das Zimmer war winzig, aber das störte uns nicht. Wir tranken noch eine kleine Flasche Champagner aus Zahnputzgläsern. Ich wollte mehr von Giovanna wissen, sie aber erzählte mir, dass sie stets nur für einen Tag nach Paris käme, und legte mir, als ich mehr erfahren wollte, einen Finger auf die Lippen. „Nicht fragen, bitte“, flüsterte sie und küsste mich. „Jetzt nicht.“

Die Morgensonne schien durchs Fenster, ich tastete nach Giovanna – das Bett war leer. Ein Hauch Parfum war alles, was an sie erinnerte. Nein – nicht alles. Auf dem Nachttisch lag ein goldenes Feuerzeug mit Gravur, daneben sah ich goldene Manschettenknöpfe. Auf einem Blatt Papier stand: „Nicht böse sein, Cheri.“

Ich zog mich an, nahm Feuerzeug und Manschettenknöpfe an mich – merkwürdig, an der Rezeption konnte sich niemand an Giovanna erinnern. Aber das Zimmer war bezahlt. Es schneite, der Portier bestellte mir ein Taxi.

Müde lehnte ich mich tief in die Polsterung des Wagens. Der Fahrer stellte das Autoradio an: Ein Chanson. Wie elektrisiert fuhr ich hoch. Das war Giovannas Stimme. Ja, das war sie. Sinnlich, wie letzte Nacht. Ich beugte mich zu dem Fahrer nach vorne und fragte: „Wer ist diese Frau, die da singt?“

Er drehte sich kurz zu mir. Ich erkannte ihn sofort. Das kleine Bärtchen, die Baskenmütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte.

„Das ist Edith“, sagte er, „unsere Edith Piaf. Sie ist schon lange tot, leider. Gestern hatte sie Geburtstag, jetzt spielen sie ihre Lieder auf allen Sendern. Sie hätten diese Frau mal erleben müssen – live.“

Ich holte das goldene Feuerzeug aus der Tasche und betrachtete lange die Gravur. Es waren nur zwei Buchstaben, E.P. Zart streichelte ich mit meinen Fingern über Giovannas Geschenk, lehnte mich zurück und lächelte: „Non, je ne regrette rien ...“
Zuletzt geändert von Cicero am 20.04.2017, 18:15, insgesamt 1-mal geändert.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 20.04.2017, 16:38

Sehr schön, Franz,

gefällt mir sehr!

Nur ein peanut:
Am Schluss: regrette (2 t)

Saludos
Mucki

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 20.04.2017, 18:19

... hab`s korrigiert, ärgerlich sowas ...

Aber Danke für Dein Lob!

Herzlich,
Cicero, der Franz
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 27.04.2017, 14:27

Die Baskenmütze und das Bärtchen sind natürlich ein typisches Frankreichklischee - aber vielleicht hast Du es gerade deshalb so geschrieben, Franz?
Ebenfalls sehr gerne gelesen.

Zum Thema Frankreichklischee die geniale Dorthe Landschulz:

Bild
(Quelle: spiegel.de
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 27.04.2017, 16:49

Köstlich, dieser Cartoon von Dorthe Landschulz!

Manchmal gehen mir sowohl die Kitsch- als auch die Klischeegäule durch, aber so sind wir, wir Wiener.

:-)

Dir ganz lieben Dank, Zefi!

Herzliche Grüße aus Schleswig vom Franz
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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 03.05.2017, 18:56

Eine von mir gern gelesene Geschichte mit einem überraschenden Ende. Fein gemacht.
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 03.05.2017, 22:40

Danke tulpenrot, feines Lob, freue mich!

;o)

Herzlich,
Cicero, der Franz
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