Grillabend

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 18.05.2017, 17:26

Grillabend

Sonja und Peter Körner wohnten in einer kleinen Siedlung mit schmucken Einfamilienhäusern nahe der Stadt. Eine große Terrasse und ein Swimming-Pool sorgten, speziell im Sommer, für eine hohe Lebensqualität. Die Häuser in der Siedlung standen nicht dicht aneinandergereiht, sondern ließen ihren Bewohnern genügend Möglichkeiten ihre Intimsphäre zu wahren. Umgekehrt konnte man, wenn man es wollte, jederzeit ein Schwätzchen mit dem Nachbarn führen.

Es war ein wunderbarer Sommerabend, wie geschaffen dafür, die Holzkohle zum Glühen zu bringen und, wenn es so weit war, die marinierten Fleisch-lappen auf den Grillrost zu legen.

Sonja Körner stand in der Küche und bereitete die Grillsoßen vor, Peter kümmerte sich mit einem kleinen Blasebalg um die Glut im Kugelgrill. Auf einem kleinen Tisch daneben lagen in einer Schüssel die Steaks. Es konnte bald losgehen, mit der Bruzzelei.

*

Auch Fritz Seiler wollte an diesem Abend grillen, sein Haus lag nicht weit von dem der Körners entfernt. Auch Seilers hatten eine Terrasse und man konnte, wenn man neugierig war, beobachten, was die Nachbarn so trieben. Seilers Frau Margot hatte vor einem halben Jahr einen Schlaganfall gehabt und saß seitdem im Rollstuhl. Früher waren die beiden Ehepaare befreundet und hatten oft gemeinsam gegrillt, aber als Sonja dahinterkam, dass ihr Peter mit Margot Seiler vor einem Jahr eine kurze, aber heftige Affäre hatte, da war es mit der Freundschaft vorbei. Irgendwann grüßten sich die Männer wieder, aber Sonja blieb unversöhnlich.

Fritz Seiler schob den Rollstuhl mit seiner Frau auf die Terrasse und plazierte ihn am großen Tisch, den er kurz vorher eingedeckt hatte. „Die Abendsonne wird dir gut tun“, sagte er fröhlich und legte die vorbereiteten Würstchen auf den Grill.

*

Sonja Körner stand in der Terrassentür und hatte zwei kleine Schüsseln mit den Grillsoßen in der Hand. „Wie lange brauchst du denn noch mit der Holzkohle, bis Mitternacht will ich nicht mit dem Essen warten“, blaffte sie ihren Mann an und knallte die Schalen mit den Soßen auf den Tisch. Dann blickte sie zu den Seilers hinüber und sah Margot im Rollstuhl auf der Terrasse.

„Tja, manche Sünden bestraft der liebe Gott eben ganz schnell“, sagte Sonja hämisch in Richtung Peter und grinste.

Dieser drehte sich zu ihr um, ein Steak-Messer blitzte in seiner Hand. „Kannst du endlich einmal aufhören, mit deinen blöden Bemerkungen? Sonst ...“

„Was sonst? Willst du mich vielleicht umbringen? Dazu bist du viel zu feige, bei dir reicht es gerade noch zu einem Seitensprung, zu mehr nicht.“ Sonja lachte laut auf, griff sich ein Steak und warf es auf den Grill. „Ich will es medium! Ruf mich, wenn es fertig ist.“ Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rauschte ins Haus.

Peter Körner stieg die Zornesröte ins Gesicht und er murmelte: „Jetzt reicht es!“

*

„Du hast ja gar nichts gegessen“, vorwurfsvoll blickte Fritz Seiler zuerst auf Margots Teller und dann in ihr Gesicht. Sie starrte an ihm vorbei ins Leere.

„Du bist müde, das sehe ich, aber es ist wichtig, dass du dich ab und zu auf der Terrasse zeigst. Die Nachbarn sollen sehen, dass es dir Schritt für Schritt wieder besser geht.“

Fritz holte sich noch ein Würstchen vom Grill und griff nach der Ketchup-Flasche.

„Lass mich noch eine Bratwurst essen, dann bringe ich dich wieder ins Haus.“ Herzhaft biss er in die Wurst.

*

Peter kniete vor Sonja, die auf dem gefließten Küchenboden lag. Er hatte sein Gesicht in seinen Händen vergraben und schluchzte. In ihrer Brust steckte ein Steak-Messer, das Blut lief aus der Einstichwunde auf die weißen Bodenfließen.

„Was habe ich getan? Warum hast du mich so gereizt? Was mache ich denn jetzt?“ Ein kalter Schauer fuhr über seinen Rücken. Er hatte Panik.

*

Fritz Seiler hatte sein Würstchen aufgegessen, er trat hinter Margots Rollstuhl, löste die Bremsen der Räder und fuhr ins Haus. Im großen Flur stoppte er und flüsterte Margot ins Ohr: „Morgen kommt deine Rente auf unser gemeinsames Konto. Dann gibt es wieder mal Rinder-Steak zum Grillen, statt der billigen Bratwürstchen.“ Dann hob er zärtlich, fast liebevoll, Margot aus dem Rollstuhl und legte sie wieder in die große, geöffnete Tiefkühltruhe.

*

Langsam begann Peter wieder klarer zu denken. Dann hatte er den rettenden Einfall: „Ich lasse Sonja einfach verreisen, dann erzähle ich, dass sie auf der Reise einen Mann kennengelernt und mich verlassen hat. Nur, was mache ich mit der Leiche, die muss weg, aber schnell.“ Peter grübelte und grübelte, dann fiel sein Blick auf jenes Ungetüm, auf dem Sonja bei der Einrichtung der Küche bestanden hatte, die Tiefkühltruhe.
Zuletzt geändert von Cicero am 19.05.2017, 00:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 18.05.2017, 22:25

Ach ja, die sommerliche Lebensqualität! Gut, wenn man bei den Temperaturen 'ne ordentliche Kühltruhe hat.
(Ich hab bloß einen Tiefkühlschrank und mein Mann passt in keines der Fächer.)

Sehr gerne gelesen und geschmunzelt. Einziger Winzmeckerer: statt "vor einem halben Jahr hatte Margot einen Schlaganfall" würde ich schreiben "hatte einen Schlaganfall gehabt".
Übrigens dachte ich schon bei dem Wort "Fleischlappen", das es jetzt gleich ganz böse wird. :schweinchen:

Grüße von Zefira
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Cicero
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Beitragvon Cicero » 19.05.2017, 00:44

Hallo Zefi,

falls wir beide uns bei mir zum Grillen verabreden sollten, dann kommt das Grillgut natürlich nicht aus meiner

Tiefkühltruhe.

Da wird frisch beim Metzger eingekauft, versprochen! ;o)

Dir schon jetzt ein schönes (Grill) Wochenende,

Liebe Grüße von Franz, dem Cicero
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.05.2017, 18:18

Man sollte viel öfter in Tiefkühltruhen schauen ... "och zeig mal, was habt ihr denn so eingefroren?" :D:

Sehr stark finde ich die Tote im Rollstuhl. Man meint ja erst, dass sie nicht mehr sprechen kann aufgrund des Schlaganfalls. Kann sie ja auch nicht ... :(:

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 20.05.2017, 11:37

Tja, menschliche Abgründe würden sich auftun, wenn uns ein Blick in fremde Truhen gestattet wäre. Danke, Amanita, für Deinen Kommentar, ich hoffe, der Inhalt Deiner Tiefkühltruhe ist frei von jeglichem Verdacht.

;o)

Herzlich,
Franz, der Cicero
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 20.05.2017, 13:20

Ich hab keine!! :tata:


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