Szenen einer Ehe (1)

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Benutzeravatar
Cicero
Beiträge: 352
Registriert: 10.12.2011
Geschlecht:

Beitragvon Cicero » 08.06.2017, 18:43

Szenen einer Ehe (1)

Sie sind seit zwanzig Jahren verheiratet, Renate und Hans-Egon. Der Liebeszauber ist dahin, der Lack ist ab, man hat sich im Ehealltag eingenistet. Die Süße längst vergangener Tage ist beginnender Diabetes 2 gewichen, der hohe Blutdruck hat nichts mehr mit dem tiefen Blick in die Augen des Partners zu tun, sondern mit Übergewicht und zu viel Alkohol.

Die Romantik von damals, verflüchtigt, wie ein Hauch Parfum im Herbstwind. Es ist kalt geworden im Kamin der Leidenschaft. Nur manchmal, da will es Hans-Egon einfach nicht wahrhaben, dass jenes Feuer von damals erloschen ist.

So auch an jenem Abend, an dem er, wie schon so oft in den letzten Monaten, versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen.

Renate sitzt, eine Tüte Chips vor sich, auf der Couch und starrt gebannt auf den riesigen Flachbildschirm. Helene Fischer trällert in einer Fernseh-Show „Atemlos durch die Nacht“ und Renate schiebt sich hemmungslos ihre Chips mit fettigen Fingern in den Mund.

Hans-Egon kniet sich vor Renate hin und gurrt in höchsten Liebestönen:

„Schon wird es Nacht, du meine Schöne, du fleischgewordene Sinnlichkeit, du, die du meiner Liebe stetig Nahrung gibst, mit einem Lächeln, einer leisen Berührung durch deine zarte Hand. Das Lager habe ich bereitet, dir Lotusblüten auf das Laken gestreut. Lass fallen jetzt die zarten Hüllen aus Samt und Seide, die deinen weißen Alabasterkörper bis jetzt verhüllt, ins Schlafgemach will ich dich tragen, damit du, dich sinnlich auf dem Laken räkelnd, dich hingibst unserem Spiel der Leidenschaft. Mit meiner Lenden Kraft werde ich dich zu allen Gipfeln der Lust treiben, die wir in dieser, unserer Nacht erklimmen werden. Ich will Dich schmecken, riechen, fühlen, deine spitzen Schreie hören, wenn unsere Körper ineinander gleiten. Lieben werden wir uns, bis der fahle Morgen graut und wir, ermattet vom Rausch unserer Sinne, dem Tag entgegen dämmern.“

Renate greift wieder in ihre Chips-Tüte und sagt lakonisch:

„Geh mir aus dem Bild, Hans-Egon. Kannst du denn nicht, wie jeder andere Mann, eine Flasche Sekt ans Bett stellen, eine Platte mit Love-Songs auflegen und sagen, dass du mit mir in die Kiste willst? Vielleicht sage ich heute gar nicht nein, aber erst wenn die Fernseh-Show vorbei ist!“
Zuletzt geändert von Cicero am 13.06.2017, 14:34, insgesamt 3-mal geändert.
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5720
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 08.06.2017, 19:06

Herrlich. Nur ein bisschen übertrieben vielleicht?
Mein Mann hat nicht mal in den romantischsten Zeiten unserer Ehe so mit mir geredet ...

Am Rande, ich hab mal (in einer Fernsehsendung) folgenden Dialog gehört:
Mann liest Zeitung, Frau strickt ...
Mann: "Wie wärs und wir schieben heute abend eine Nummer?"
Frau: "Von mir aus, aber erst strick ich die Reihe fertig."
So geht's zu bei alten Ehekrüppels.

Gerne gelesen!
Zefira

ps. "Diabetes", nicht "Diabetis".
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Cicero
Beiträge: 352
Registriert: 10.12.2011
Geschlecht:

Beitragvon Cicero » 09.06.2017, 09:48

Hallo Zefi,

es sollen noch einige Szenen folgen, vielleicht mit einer strickenden Renate. Stricknadeln können auch zu Waffen werden, ich ahne schreckliches. Das wäre dann aber doch etwas übertrieben, oder?

;o)))

Dir und Deinem Mann ein schönes, "verbal-romantisches" Wochenende,

herzlich,

Cicero, der Franz
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5720
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 09.06.2017, 10:03

Lieber Franz, ich kenne zwei Krimis, in denen Stricken eine wichtige Rolle spielt. Der erste ist eine Kurzkrimi mit dem Titel "Eine Nadel für den Teufel" (wenn ich mich richtig erinnere) von Ruth Rendell und es wird tatsächlich ein Mord mit einer Stricknadel begangen. Die Geschichte ist herrlich perfide und ich habe bei den stricktechnischen Details keine Fehler finden können.

Der zweite, in dem zwar nicht mit Strickutensilien gemordet wird, die Mörderin aber alle Symptome einer Kampfstrickerin zeigt, stammt von S. Thiesler und und strotzt derart von albernen Schnitzern, dass ich nur annehmen kann, dass die Autorin vom Stricken keine Ahnung hat und auch nicht auf die Idee kam, mal eine Strickerin zu befragen. Ich habe das Buch auf meinem damals noch aktiven Blog nach Nadel und Faden verrissen!

Wer immer hier Geschichten im Blauen veröffentlicht, bei denen das Strickzeug Raum einnimmt, sollte sich bewusst sein, dass hier eine Fachfrau mitliest! :engele:

Verstrickte Grüße,
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Cicero
Beiträge: 352
Registriert: 10.12.2011
Geschlecht:

Beitragvon Cicero » 09.06.2017, 12:07

Liebe Zefi,

wir können auch gerne gemeinsam an den "Szenen einer Ehe" stricken. Eine bessere Co-Autorin könnte ich mir gar nicht vorstellen.

Zefira und Cicero im "Literarischen Duett", das wäre ja eine ganz neue "Masche" ...

;o)

Zweiglattzweiverkehrtgrüße,
Cicero, der Franz

P.S.: Vielleicht sollte ich jetzt stricken lernen, es muss ja nicht gleich ein Norweger-Pullover mit großem Muster werden.
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5720
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 09.06.2017, 14:32

Das wäre eine Superidee, lieber Franz, da würde ich glatt mitstricken, äh, mitschreiben. :blumen:
Du schreibst den Krimi (gerne blutig und brutal ;o) und ich schreibe die Strickszenen ...

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Cicero
Beiträge: 352
Registriert: 10.12.2011
Geschlecht:

Beitragvon Cicero » 09.06.2017, 15:52

Ich nehme Dich beim Wort, Zefi!

Kann es etwas schöneres geben, als mit Dir in einen Mord "verstrickt" zu sein?

;o)

Darf es außer stricken auch töpfern, malen oder Tarotkarten legen sein?

;o)

Liebe Grüße,
Cicero, der Franz
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5720
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 09.06.2017, 16:19

Ich will ja auf keinen Fall ähnlich dilettantische Fehler verantworten müssen wie Frau Thiesler beim Thema Stricken; deshalb könnte ich zu Töpfern und Malen nicht viel beisteuern.
Tarotkarten legen habe ich mal versucht und kenne daher noch die einfachsten Legeformen (wie Keltisches Kreuz zum Beispiel) und die Bezeichnungen der Karten, aber das reicht nicht.
Häkeln ginge noch :D: :D: :engele:
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste