Erwachen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 19.06.2006, 19:00

Traum.

Endlose Grashügel. Nirgendwo Bäume.
Grün leuchtet grell an den Kuppen, dort wo die untergehende
Sonne noch hinscheint. Täler versinken in Grau und Schwarz.
In den Nerven zerrt die Angst: Ich werde gejagt.

Zäune, Zäune überall.
Ringsum Stacheldraht, angeschlagen an gespaltenen und
eingegrabenen Baumstücken, klafterlang.
Spüre den Jäger, wie er sich nähert: Schnell verstecken, schnell.
Unter dem Draht durch, rasch hinter den Pfahl.
Die Pfähle sind immer zu schmal.
Er kommt schon über die Kuppe, groß als Silhouette, als
Scherenschnittfigur im Lichtschein ganz schwarz, und geht
vorbei.
Er hat mich nicht gesehen.
Trotzdem, es gilt mir, immer, soweit ich denken kann, und
solange der Jäger nicht findet geht die Jagt weiter, auch
wenn es dunkel wird. Er schläft nie.

Es gibt noch andere, kleine Figuren in dünnen Hemdchen, die
ich noch nie gesehen habe, noch nie richtig.
Am Tag regiert die Angst und das Verstecken. Dann kann ich
ihre dünnen, piepsigen Stimmen hören, und ich höre sie oft.
Sie halten zu mir.
Manchmal fühle ich sie, nachts, wenn wir im Versteck liegen.
Ihre Haut an meiner, warm und nackt.

Der Jäger kommt wieder! Diesmal durch das Tal.
Ich spüre seine Schritte auf mich zu, höre die Hunde kläffen,
und renne weiter, endlos, immer am Zaun entlang,
jede Deckung ausnutzend.












Erwachen

Durch die halbgeöffneten Lider sickert Licht, mattgrau.
Licht!
Er will nichts sehen: Nein-nein!
Überall Schweiß.
Sein Herz schlägt.

Das Grau wird heller, färbt ins Braune. Wird es graubraun, oder braungrau?
Egal, grau bleibt grau, ist wie immer.
Geräusche dringen ins Ohr, unablässig. Jemand hat einen elektrischen Schalter in die andere Position gedrückt, der Strom fließt: Autos, der Baß der Musik, Fliegen, fortwährend.
Der Kühlschrank aus der Küche. Sonst nichts.
Selbst ein Geräusch erzeugen, Rascheln, oder Hüsteln?
Wozu?
Man entsteht aus dem Schlaf, gleich wie gestern, in dem selben Zimmer, aber mit der Attitüde 'Neu'. Es heißt: Ein Tag ist da.
Und jedes Mal die gleiche Platte ohne Text, die selben Töne, Töne wie gestern.
Ein Stöhnen entwickelt sich.

Die Melodie sitzt fest, an irgendeinem Ort im Hirn.
Im eigenen!
Aufpassen, aufpassen, daß die Stimmbänder sie nicht nachsummen.
Am liebsten: Aufstehen, nach oben gehen, in die Wohnung dringen, die Platte zerbrechen, zerschmettern.
Keine Lust.
Keine Kraft. Sinnlos ist es auch. Es wird eine neue, gleiche Platte gekauft, man muß sie bezahlen.

Das Zimmer. Es drückt still.

Er merkt, er denkt.
Denken heißt wach werden. Er will nicht wach werden, wirklich nicht!
Schlafen-schlafen, endloser Schlaf, angenehme Träume, in einem Traum bleiben. In einem angenehmen, für immer. Oder eine andere Realität.
Mit Druck: Augenlider schließen, in sich dringen.
Suchen.

Nichts. Leere, uniform-grauer Nebel.
Fliegen brummen über ihm, kreisen.
Fliegen sind ahnungslos.
Auf den Rücken, dem Geräusch zu: Bssss, Bsssss. Zwei, eindeutig zwei Fliegen. Sie brummen um die Lampe!
Was interessieren Fliegen?

Er drückt die Augen weiter zu, versucht geschlossene Augen weiter zu schließen: Wieder Nebel.
Eine Lampe kristalliert sich, eiserner Haken im Gips einer Zimmerdecke. Es ist sie, ja, ja, die eigene: Der große Glasschirm blaßgrün leicht nach oben gewölbt, drei Kerzenbirnen dahinter, und der Messingstab, der alles zusammenhält.
Die Fliegen kreisen um den Stab.
Warum?
Den Blick im Messingstab postiert, die Pupillen auf die Fliegen fokussiert: Glänzendes schwarzes Chitin im Flug, Insektenaugen schillern, Flügel surren. Mechanik bewegt sich klar im Kreis.
Kein Sinn ersichtlich.
Kreisen, kreisen, seit Generationen um irgendwas. Das Geräusch entsteht automatisch. Es ist so.
Und dann: Verstehst du?

Gedanken jagen-jagen, Furcht entsteht.
Augen öffnen sich, sehen die Lampe, sehen die Fliegen nicht. Sie fliegen über den Schirm.
Er möchte keine Fliege sein.
Unwohl dreht der Körper sich zurück.
Bettfedern quietschen, das Blut zirkuliert.

Da liegt er: In seinem Ehebett zwischen weißen Laken.
Das Bett ist kein Ehebett, es gibt keine Ehe, keine Frau, nicht mehr.
Und wach ist er, unabänderlich wach. Augen können nicht geschlosen werden, Ohren auch nicht. Gleichmäßig fallen Schläge von oben, von der Baßtrommel. Schmalzig und schmachtend die Stimme, dünn, aus einem anderen Zusammenhang.
Sein Mund ist trocken, der Hinterkopf pocht, Glieder sind steif und schwer. Zuviel Alkohol, gestern, nicht nur gestern.
Man greift danach, man füllt das Glas, man trinkt die Flasche aus.
Er schwimmt darin. Er hat Mut, Pläne. Immer wieder. Er fühlt sich gut.
Irgendwann versinkt man, schläft.

Autos fahren über Kopfsteinpflaster am Haus vorbei.
Das Haus ist alt, ca. 80 Jahre. Steine, Holz, Mörtel.

Wer hat das Haus gebaut?

Unsichtbar eingearbeitet: Muskeln, Schweiß, der Zahltag der Bauarbeiter.
Heute: Der Besitzer, Mietverträge, die Stimmen der Bewohner, manchmal, meistens Streit.
Niemand singt. Man schaltet ein, spielt ab, beschallt den Raum.

Seine Wohnung Teil einer ehemals größeren Wohnung, dünn abgetrennt durch Holz und Rigips, das Schlafzimmer zur Straße zu. Das stört immer schon, seit über einem Jahr besonders.

Wer hier früher gewohnt hat?

Er hat viel Zeit, viel Zeit zum Schlafen. Er ist arbeitslos.

Es ist Vormittag, vielleicht schon Mittag.
Er sieht zum Fenster: Graubraun wird zu Diolenstores. Plastik mit Dreck an den Fäden, von der Decke bis zum Boden.
Er sieht zum Boden. Dort ist auch Plastik, preiswerte Auslegware, hellmelliert.
Tage kommen, Stück für Stück, ziehen durch den Kopf, lückenlos vierundzwanzig Stunden, quadratisch.
Manche liegen in der Erinnerung.
Er denkt an Elvira.
Eingerichtet haben sie die Wohnung gemeinsam.
Er wischt die Gedanken weg.

Elvira bleibt; klein, schwarzhaarig.
Ihr Hinter, ihre Hüften! Breit sind sie, nicht dick.
Er liebt sie.
Seine Hände an ihren Hüften, von der Seite nach hinten. Sie ist nicht dick, im Profil sogar schmal.
Die Haut, die Form, die samtene Spannung.
Das ist Frau.
Dieser Hintern! Er liebt ihn, ja, liebt ihn, und wie! Streicheln, küssen, oh, und dann fahren die Hände fest, daran entlang, kneten sie, die Haut, diese Haut, Elvira, und die Zähne knabbern daran.
Manchmal, aber nur manchmal, drückt er ihre Pobacken zusammen und öffnet sie wieder, ganz langsam.
Das ist schön, ist Offenbarung!
Sie will es, daß er sie so sieht.
Das ist ohne Worte, heimlich, nur zwischen ihnen.
Wirklich nur zwischen ihnen?
Der Atem seufzt bis in den Bauch, einmal, zweimal.
Gefühle treiben Gedanken.

Der Körper dreht sich um hundertachzig Grad zur Wand. Sein Blick streift Schrank, Schminkkomode, Hocker: Alles Esche natur, Erbstücke von seinen Großeltern, Nachkriegsanschaffung weitergegeben an das junge Paar.
Elvira's Gesicht ist mißmutig, ihr Mund schmal:
'Alte-Leute-Möbel', und: 'Zu hell.', manchmal: 'Rentner - Schlafzimmer.'
Niemals läßt sie locker. Sie kennt die Großeltern garnicht, nichtmal das Grab.
Mit ihr zum Grab, nienals! Sie haßt Vergänglichkeit.
Er auch.

Wo das Grab ist? Er weiß es nicht. Er war niemals dort.

Sie liebt das Gegenwärtige: Die Moderne, die Jugend, usw. Er auch.
Sie möchte alles festhalten, konservieren.
Er möchte es leben. mehr leben, auskosten, austrinken bis auf den Grund.
Sie will Sicherheit.
Er lacht.

Dabei: Er erzählt viel.
Der Großvater: Rektor, pensioniert, immer mit Krawatte, auch im Wald. Möglichst jeden Tag Vögel hören, Pflanzensamen finden, dazu das Kurkonzert vom Ort im Tal. Und er der Bub, dem er Natur erklärt.
Klar, logisch, benannt, erkannt.
Ordnung überall.
Wir erkennen sie!

Die Großmutter: Weiße Schürze, Kostüme, Blusen, stöhnt über die Hüfte und die Hitze, und über Frau Kutzer, die mit dem Terrier.
Außerdem: Kochen, backen, wischen. Zweimal in der Woche kommt die Bedienerin, dann wird viel geredet.

Das Radio am Abend: Holz, glänzend lackiert, aus schwarzem Glas die Skala, hellbrauner Stoff verdeckt den Lautsprecher, und da das magische grüne Auge.
Der Großvater sitzt nach vorn gebeugt davor, in Weste, die wenigen Haare verrutscht, ein Ohr mit der Hand dem Lautsprecher zugeschoben, hört überlaut Weltnachrichten: Studenten demonstrieren, Politiker wollen Notstandsgesetze, und immer wieder Israel. Der Bundespräsident sagt in Afrika: "Meine Damen und Herren, liebe Neger."

Die Großmutter in der Küche, die Hände im Schoß auf der weißen Schürze, wartet geduldig und seufzt.
Später serviert sie das Nachtmahl. Es wird über das Wetter für morgen geredet.
Seine Mutter irgenwann einmal: Der Opa kauft Pillen in der Apotheke, für die Liebe. Kann von der Oma nicht lassen, bis heute.
Er ruiniert beide.
Wochen der Überlegung: Ruiniert lange Liebe?
Er mag die Großeltern, danach sogar stärker.
Sie sind lange tot.
Er möchte nicht nachdenken, wirklich nicht.

Die Frau in der Wohnung über ihm spricht, telephoniert. Worte versteht er nicht, das kennt er schon. Sie lebt allein.
Jetzt lacht sie, keck juchzend, dann brabbelt sie, schreit spitz auf, lacht wieder.
Ein Mann ist nie zu Besuch. Jedenfalls, er hört keinen.
Ihre Stimme ist gut, aber die Figur: Richtig dick, fett. Im Treppenhaus kommt er kaum vorbei, und wenn sie Einkaufstüten dabei hat, garnicht. Dann muß er zurück, auf der Zwischenplattform warten.
Sie legt den Hörer auf, er hört das Klacken, ihre Stille.
Sofort: Elviraaa, dicht vor ihm. Sein Gesicht in ihren schwarzen halblangen Haaren. Er atmet ihren Geruch, ihren leichten Duft.
Keine andere hat so einen leichten Duft.
Seine Hände fassen in ihre Haare, zausen gegen den Strich.
Elvira ist warm, Elvira ist fest.
Sie fordert ihn, bietet ihm Widerstand, und sie lacht.

Dann ist sie nicht mehr da.
Nur noch Autos, Fliegen, Musik.
Elvira ist nur Erinnerung.
Trauer in den Gliedern, bis in die letzte Zelle nur Trauer.
Er sieht Rauhfasertapete, matt, öde-weißes Papier. Sinnlos klebt es an der Wand, ja, lächerlich.

Er tapeziert, Elvira hilft. An blanken Drähten die Glühbirne von der Decke, der Raum hell und unfertig. Er erklärt: Zuschneiden, kleistern, und wie man Tapeten anbringt. Bahn für Bahn bekleben sie die Wand.
Sie lachen viel.
Und wenn sie ihm eine Tapetenbahn reicht, spreizt sie die kleinen Finger ab, wie andere, wenn sie eine Tasse Kaffee zum Mund führen. Er nimmt ihre winzigen Finger, küßt sie, bestaunt sie. Er kann nicht anders.
So klein sind sie, daß er sich nicht vorstellen kann, wie sie funktionieren. Von einem Finger machen sie Gipsabdrücke.
Später hält er das Ergebnis in der Hand: Es ist ein Schatz, Abdruck dessen, was für ihn Frau ist, Inbegriff des Weiblichen, Liebe zum anderen und doch gleichen.

Ein Gipsfinger liegt in einem Schuhkarton im Schrank.
Und wo ist sie?
Und Michael, sein Sohn?
Ihr Kind, wie sie meint.

Der Baß von oben schlägt in seine Nerven. Tränen kommen nicht. Schritte sind zu hören, das Knarren der Dielen über ihm. Autos fahren weiter, die da oben geht weiter.
Ignorant ist es, Schritt für Schritt. Die Welt übergeht ihn vollständig.

Er sieht nah und klar: Viel Bett, viel leeres Bett, Kopfkissen, Zudecke, schön ordentlich gefaltet, bereit für jemanden.

Er holt sie wieder: Elvira, hier, neben ihm, er fühlt sie, er liebt sie, konkret. Elvira, warm und knochig, immer wieder, immer wieder sie.
Er stupst sie mit der Nase, wie er sie immer mit der Nase stupst, fällt in einen Kuß mit ihr. Das ist langvermißte Nahrung.
'Du.', flüstert sein Mund, 'Du.'

Vor sich hat er nur Tapete.
Nein, das kann nicht sein.
Elvira ist da, er sieht sie doch, er riecht sie doch. Seine Hände greifen nach ihr. Er fühlt sie an seiner Brust, ihre Rippen, wie sie atmen, und wie sie lacht. Sie lacht und schreit: 'Ja, komm.', vor Lust. Sie will ihn, sie nimmt ihn.
Elvira, Elvira.

Niemals traf man sich.
Man will sich, man liebt sich, man sucht sich. Man dringt ineinander.
Man bleibt allein.

Vielleicht, vielleicht eine andere Frau, ein anderes Land?

Es ist Illusion.
Man sieht sich allenfalls, man spürt sich, mehr oder weniger.
Vielleicht sind Kinder die Verbindung ?

Die Dielen über ihm knarren und knacken. Dort oben, da geht sie gleichmäßig auf und ab, nein, nicht sie, nicht Elvira, sondern die, die dort oben wohnt, erzeugt das Geknarre und Geknacke.
Bedrohlich die Schritte, diese nackten Füße.
Sie müssen nackt sein, wie sich das anhört, schwielig-breite Frauenfüße auf Holz, über seinem Schlafzimmer.
Es ist ihm trocken im Hals. Er hustet.
Es knackt laut dort oben. Schweißige Frauenfüße auf den Rippen eines Brustkorbs, und er sieht ihre Waden.
Je weiter er hinaufschaut, desto massiger wird es: Dicke Schenkel, Hänge-Bauch, riesiger Busen.
Vom Busen wird er schier erdrückt, dann sieht er gerade noch ein fettes Kinn, Nasen-Höhlen, eine schweißbeperlte Stirn, Pickel, und darüber Locken, steif, durch Haarspray in Draht verwandelt.

Sie geht auf und ab. Dielen biegen sich, knarren und knacken, Dann bricht sie durch, bricht durch den Plafond seines Schlafzimmers. Gips bröckelt, Bretter brechen, und sie fällt neben ihn, in sein Bett. Die gefaltete Bettdecke, tief eingedrückt. Zipfel streben in die Gegenrichtung, und sie rückt näher, grient ihn an.

Mein Gott, das ist auch eine Frau, denkt er.
Still kommen ihre Hände auf ihn zu, fassen nach seinem Gesicht.
"Nein!", schreit er, "Nein, nicht!"
Mit einem Ruck sitzt er aufrecht und schlägt nach den Händen:
"Nein, ich will keine Frau, keine von oben, und keine Elvira."


Uff, es sieht so aus, als hätte es wirklich geklappt.
Für mich ein neuer Anfang hier einen Prosatext mal vorzustellen

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 28.06.2006, 21:09

Lieber Moshe,

und lange genug musstest Du auf eine Antwort warten (ich denk emanchmal, dass sich das Forum in einer Zeit, in der jeder mal gerade fünf Minuten am PC zwischendurch einrichten kann, nicht ganz so gut für Prosa eignet, nicht einmal für kürzere - selbst Bill Gates ließt auch Sachen über eine Seite nicht am Bildschirm).

Ich finde es sehr interessant, dass Du Dich sowohl in der knappen, aphoristischen als auch in der längeren Form auszudrücken verstehst und dort vor allem auch Deine Inhalte hast. Dabei kommt mir dieser längere Text beinahe schon etwas reifer und ausgearbeiteter vor als manche Erstfassungen von Gedichten (die ich aber sehr schätze). Ich weiß, dass Du das "Arbeiten" an einem Text schon mal kritisch kommentiert hast, aber der vorhergehende Satz sollte ein Kompliment sein ;-). Ich war gespannt, wie Du gleichzeitig ein rein physisches Erwachen und ein erwachen im metaphorischen Sinne realisieren würdest, aber das ist Dir überzeugend gelungen. Dabei finde ich Deinen Erzählstil interessant retardierend (jedenfalls wache ich für gewöhnlich nicht so lnagsam auf), die Liebe zum Detail hat mich an M. Walser erinnert (das ist vielleicht politisch eine Beleidgung, aber nicht sprachlich ;-) ) - mehr jedenfalls als an Thomasn Mann, den ich bei seiner Art Details zu berichten zum Einschlafen finde.
Bei einigen Formulierungen würde ich vielleicht nochmal nachdenken, z.B. ob Du wirklich "nichtmal" oder "nicht einmal" schreiben möchtest. Daneben gibt es ein paar Tippfehlerchen und ich habe mich gefragt, ob man wirklich Schwielen an den Füßen und die FußBREITE hören kann ...

Ansonsten: ein wirklich gelungener Prosaeinstand hier - ich habe es gerne gelesen.

Liebe Grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 00:11

Max, du überascht mich mal wieder. Ich habe schon garnicht mehr damit gerechnet, daß jemand diesen Text überhaupt wahrnimmt. Insofern gilt dir schon mal mein Dank.
Nur ganz kurz ersteinmal, wegen der Uhrzeit: Prosa ist für mich primär Arbeit und dann Spiel, Lyrik das Gegenteil.

Alles weitere Morgen

moshe.c

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 10:02

Lieber Max!

Natürlich hast du recht: Schwielig-breite Frauenfüße kann man nicht hören. Es ist die Stelle, ab der ihm die Phantasie vollends davongallopiert.

Der Text ist der Anfang eines Romans, der sich mit der Frage der Identität beschäftigt, genauer, wie es ist, wenn man mit einer falschen Identität aufwächst, so seine Schwierigkeiten hat, und dann eines Tages, im Alter von rund dreißig Jahren, durch einen Zufall seine wahre Identität entdeckt.
Noch genauer: Wie es ist wenn man als katholischer, deutscher Junge aufwächst, katholischer als die Katholiken und deutscher als die Deutschen sein muß, nahezu daran scheitert, dann seine jüdische Identität entdeckt, was natürlich prompt zur nächsten Krise führt.
Neben dem Inhalt habe ich mir noch eine zweite Herausforderung gestellt. Nicht nur im Alltag, wie du sehr richtig bemerktest, sondern auch in der Prosa hat sich da etwas eingeschlichen, was mir den Lesespaß erheblich mindert: War, war, war und wieder war, da war dieses und da war jenes und das wars dann auch. Ich versuche fast vollständig im Präsens zu bleiben.
Inzwischen ist mein Text auf ca. 250 Seiten angewachsen und mir fehlen noch rund 50, um an das Ende zu kommen. Dem hier vorliegenden Teil fehlt noch der allerletze Durchgang bei dem ich mit den kleinen Feilen arbeite. Das werde ich erst ganz am Schluß und dann über die ganze Länge machen.
Seit Mitte April ruht die Arbeit daran erstmal, weil Dies und Das dazwischen gekommen ist und jetzt auch noch mehr, und so wird es in drei, vier, fünf Monaten damit weitergehen.
Das macht mir nichts, weil im Moment Prosa bei mir reifen muß, und dieser Text besonders wegen der doppelten Aufgabe.

Ich habe mit dem Lesen am Bildschirm auch meine Probleme, aber benutze den Drucker um diesem Umstand abzuhelfen.

Nochmals dank für deine Aufmerksamkeit

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 30.06.2006, 15:21

Lieber Moshe,

das finde ich eine sehr beachtliche Geschihcte: 250 Seiten Prosa. Seit einer Jugendsünde von etlichen Seiten habe ich mich nie mehr an so etwas Lnages gewagt - d.h. es ist immer im Skizzen- und Planungsstadium steckengeblieben. Dein Projekt klingt aber spannend, vielleicht stellst Du ja noch mehr vor.
Übrigens habe ich bei mir beinahe das gegenteilige Gefühl: ich erzähle leichter als dass ich Gedichte schreibe.
Liebe Grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 01.07.2006, 10:10

Lieber Max,

die Texte, die ich von dir fand, gefallen mir sehr gut und sprechen tatsächlich eine Sprache der Leichtigkeit auch bei schwierigem Inhalt. Mir ist unbekannt wie du an einen langen Text herangehen würdest. Mein Trick besteht darin, mir ein simples dramaturgisches Konzept zu erstellen. Dann formuliere ich, auch nur in Stichworten, Unterkapitel.
Als nächsten Schritt fülle ich diese dann mit Text durch erzählen. Dabei gehe ich nicht ungedingt chronologisch vor und es kann auch vorkommen, daß ich einen Baustein an eine andere Stelle setze. An diesem Punkt habe ich dann die Rohform und die eigentliche Arbeit fängt an: Arbeit innerhalb der Bausteine, glätten des Ganzen zu einer Form, logische Struktur herstellen, usw..
Als nächstes arbeite ich an der Sprache vom gröberen zum feineren. Wenn das fertig ist, kommt das Ganze ins Regal um da zu reifen und ich denke garnicht mehr darüber nach. Nach einiger Zeit lese ich den Text nochmal ganz durch und was mich dann überzeugt bleibt oder wird verändert.
Vielleicht gehst du ja mal bis zum dritten Schritt, denn bei diesem Aufbau hat man nicht sosehr das Gefühl an etwas Riesigem zu arbeiten.

Bei Gelegenheit stelle ich gern noch etwas aus meinem Roman vor, aber erst wenn ich bei den letzten Schritten angekommen bin.

so long

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 01.07.2006, 13:46

Lieber Moshe,

danke dass Du einen kleinen Einblick in deine schreibwerkstatt gegeben hast.
Ich denke, dass mir für längere Texte oftmals das systematische fehlt. Bei allem, was unter 20 Seiten ist, beginne ich oft erst mit dem Schreiben, wenn man mir das Gesamt"werk" klar vor Augen steht. Bei 200 Seiten ist so etwas schwierig.

Wie gesagt, ich bin auf weitere Abschnitte gespannt.

A bientot
Max

Gast

Beitragvon Gast » 03.07.2006, 13:58

Hallo moshe,

ich bin sprachlos :!: :!: :!:

Da also liegt deine große Begabung, wenn ich das mal so sagen darf.

Das ist wunderbare Prosa. Ich bin nach dem ersten Lesen begeistert.
(Habe auf deinen Rat, den Traum nicht gelesen sondern nur "Erwachen").
Mir ist weder eine Schwäche noch Unstimmigkweit aufgefallen.
Gute Formulierungen gewürzt mit Selbstironie.
Das ist gut, sehr gut!

:smile:

LGG

Trixie

Beitragvon Trixie » 10.07.2006, 22:07

Servus moshe!

Überraschung!! Ich wage mein Debut im Kommentieren von Prosa. Da ich momentan selbst nicht so im Prosabereich tätig bin und davon nach einem halben Jahr intensiver Arbeit einfach Pause brauchte, tauche ich nun langsam wieder ein. Und dein Text überzeugt mich restlos. Ich wil mich hier nicht selbst loben, sondern dich, aber ich muss sagen, dass ich anfangs meine eigene Erzählweise erkannt habe. Das kam selten an, leider. Und lange Texte mag ich eigentlich nicht gerne am Bildschirm lesen, aber mein Drucker ist zum hundersten Mal kaputt und ich konnte nicht von diesem Text lassen. Er ist grandios. Wirklich gut. Fesselnd, spannend und nie langweilig. Immer, wenn ich dachte, dass es langweilig werden könnte, wenn du jetzt noch weiter davon erzählst, kam eine Wendung. Genau im richtigen Moment. Habe auch keine Rechtschreib-und Grammatikfehler entdeckt, die mich beim Lesen gestört hätten. Bin also voll des Lobes! Danke für diesen Text, der mich völlig ins Moor der Prosa hinabgezogen hab!

glg Trixie

PS:Vielleicht trau ich mich ja jetzt auch mal, einen Text einzustellen...sind aber alle so lang :shock:

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.07.2006, 16:34

Hey Trixie,

auch hier meinen Dank für dein Lob.
Oh Ja, stelle mal etwas von deiner Prosa in den Salon!
Vor allem wenn du schreibst, daß du deine eigene Erzählweise wieder erkennst. Darüber würde ich nur zu gern mit dir diskutieren.

Ganz lieben Gruß

moshe.c


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