Postmoderne Philosophie – Wie bitte? (zusammen mit Raul Heim
Verfasst: 23.01.2015, 22:42
Postmoderne Philosophie – Wie bitte?
(Raul Heimann, Merlin Carl)
Folgendes Gespräch zwischen der Postmodernen Philosophie (P) und der Wissenschaft (W) ist im Wesentlichen eine Zusammenstellung von Originalzitaten aus verschiedenen Aufsätzen der Postmoderne, gesammelt in A. Sokals „Eleganter Unsinn – Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen, 1999).
P: Dort ist ja meine Wissenschaft. Wie geht es dir, mein alter Freund?
W: Guten Tag! Mit wem habe ich das Vergnügen?
P: Ich bin die postmoderne Philosophie!
W: Was ist denn das?
P: Das weißt du nicht? Ich bin die Vollenderin der abendländischen Philosophie, die Überwinderin althergebrachter Standards von Rationalität und Wahrheit! Als solche ist es mir möglich, weit über die Befunde der Wissenschaft hinaus zu gehen, ja, überhaupt erst den wahren Status und die tiefere Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erfassen – Grenzen zu überschreiten und Verbindungen zwischen vordergründig weit entfernten Gebieten herzustellen!
W: Faszinierend! Geben Sie uns doch eine Kostprobe Ihrer Einsichten! Was können die Wissenschaften von der postmodernen Philosophie lernen?
P: „Seit Gödel gezeigt hat, dass es keinen Beweis für die Widerspruchsfreiheit der Peanoschen Arithmetik gibt, die innerhalb dieser Theorie formalisierbar ist (1931), konnten Politologen verstehen, warum es notwendig war, Lenin zu mumifizieren und vor den ‚zufälligen’ Kameraden in einem Mausoleum auszustellen, im Herzstück der nationalen Gemeinschaft“ (R. Debray, Le Scribe, 1980, S. 70).
W: Das sind ja nun tatsächlich sensationelle Einsichten in die Bedeutung der mathematischen Logik! Wie steht es denn um andere Gebiete der Mathematik, etwa die Analysis? Haben Sie auch da eine „tiefere Bedeutung“ aufdecken können?
P: Natürlich! „In den syntaktischen Operationen, die auf das Spiegelstadium folgen, ist das Subjekt seiner Einzigartigkeit bereits gewiss: Sein Streben zum „Punkt ∞“ im Signifikanten wird gestoppt. Man denke beispielsweise an eine Menge Cₒ auf dem gewöhnlichen Raum R³, wo für jede stetige Funktion F auf R³ und jede ganze Zahl n > 0 die Menge der Punkte X, für die F(X) die Zahl n übersteigt, beschränkt ist, wobei die Funktionen von Cₒ gegen 0 streben, wenn sich die Variable X zur „anderen Szene“ zurückzieht. In diesem Topos erreicht das in Cₒ gesetzte Subjekt dieses „Zentrum außerhalb der Sprache“ nicht, von dem Lacan spricht und wo er sich als Subjekt verliert, eine Situation, die die Bezugsgruppe verschieben würde, die in der Topologie als Ring bezeichnet wird“ (J. Kristeva, Polylogue, 1977, S. 313).
W: Ihr Tiefsinn ist erstaunlich. Aber sagen Sie, sorgen Sie sich nicht ein wenig, von den Wissenschaften missverstanden zu werden?
P: „Selbst auf die Gefahr hin, dass wir uns bei einigen unbeliebt machen, (haben wir) genau angegeben, bis zu welchem Punkt wir die Umbiegung des mathematischen Algorithmus zu unseren Zwecken treiben wollen: das Symbol √-1, in der Theorie der komplexen Zahlen auch als i geschrieben, lässt sich selbstverständlich nur dann rechtfertigen, wenn es keinem Atomismus in seiner folgenden Verwendung Vorschub leistet. … So also symbolisiert das erektionsfähige Organ den Platz des Genießens, nicht als es selbst, nicht mal als Bild, sondern als der dem begehrten Bild fehlende Teil: darum auch ist es dem √-1 der weiter oben produzierten Bedeutung gleichzusetzen, des Genießens, den es durch den Koeffizienten seiner Aussage der Mangelfunktion des Signifikanten wiedererstattet: (-1)“ (J.Lacan, „Die Stellung des Unbewussten“ in: Schriften OII, 1975, S.197ff.).
W: „Wir gestehen, dass es uns bedrückt, wenn unser erektionsfähiges Organ mit √-1 gleichgesetzt wird. Dies erinnert uns an Woody Allen, der sich in ‚Der Schläfer’ gegen die Umprogrammierung seines Gehirns wehrt: ‚Sie dürfen mein Gehirn nicht anrühren, das ist mein zweitliebstes Organ’“ (A. Sokal, Eleganter Unsinn, 1999, S.45). Vermutlich kann die postmoderne Philosophie nicht nur die Mathematik, sondern auch die Physik ganz neu interpretieren?!
P: Selbstverständlich. So etwas hat z.B. Luce Irigaray geleistet: „Die Bevorzugung der Festkörpermechanik gegenüber der Hydromechanik wie auch die Unfähigkeit der Wissenschaft, mit turbulenter Strömung umzugehen, schreibt sie der Assoziation von Flüssigkeit mit Weiblichkeit zu. Während Männer Geschlechtsorgane haben, die vorstehen und hart werden, haben Frauen Öffnungen, die Menstruationsblut und Vaginalflüssigkeiten absondern. Obwohl es gelegentlich auch aus Männern fließt – beispielsweise, wenn Samen ausgestoßen wird –, wird dieser Aspekt der Sexualität nicht betont. Es ist die Härte des männlichen Organs, die zählt, nicht sein Beitrag zum Fluss der Flüssigkeit. Diese Idealisierungen werden in der Mathematik weiter verfestigt, wenn Flüssigkeiten als geschichtete Ebenen und andere Abwandlungen fester Formen betrachtet werden. In gleicher Weise, wie Frauen innerhalb männlicher Theorien und Sprache eliminiert wurden und nur als Nicht-Männer existieren, wurden Flüssigkeiten aus der Wissenschaft eliminiert und existieren nur als Nicht-Festkörper. Aus dieser Perspektive ist es nicht verwunderlich, dass die Wissenschaft nicht in der Lage war, geeignete Modelle der Turbulenz zu entwickeln. Das Problem turbulenter Strömung ist nicht zu lösen, weil die Vorstellung von Flüssigkeit (und von Frauen) so formuliert wurden, dass zwangsläufig Inartikuliertes bestehen blieb (K. Hayles, „Gender encoding in fluid mechanics: Masculine channels and feminine flows“ in: Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 4, 1992, S. 17).
W: Halten Sie diese Anwendung des Feminismus auf die Physik nicht für etwas fragwürdig? Wollen Sie am Ende behaupten, auch E = mc² sei eine geschlechtsspezifische Gleichung?
P: „Vielleicht. Stellen wir die Hypothese auf, dass sie es insofern ist, als sie die Lichtgeschwindigkeit gegenüber anderen Geschwindigkeiten, die für uns elementar notwendig sind, vorzieht. Was in meinen Augen den möglicherweise geschlechtsspezifischen Charakter der Gleichung anzuzeigen scheint, ist nicht unmittelbar ihre Verwendung in Kernwaffen, sondern vielmehr die Bevorzugung dessen, was am schnellsten ist ...“ (L. Irigaray, „Sujet de la science, sujet sexué?“ in: Sens et place des connaissances dans la société, 1987, S. 110).
W: Soso. Dazu sage ich mal lieber nichts. Aber sagen Sie, liebe postmoderne Philosophie: Wohin wollen Sie eigentlich mit ihren kühnen Behauptungen?
P: „Was hier auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die Verschmelzung der Algebra (die geordnete Folge der Kardinalzahlen) mit der Topologie (der Überschuss des Teilenden gegenüber dem Elementaren). Die Wahrheit der Kontinuumshypothese würde die Tatsache zum Gesetz machen [ferait loi], dass der Überschuss im Mehrfachen keine andere Aufgabe hat als das Besetzen des leeren Platzes, als die Existenz des Nichtexistenten, die dem ursprünglichen Mehrfachen gemäß ist. Es gäbe diese behauptete Verzweigung der Geschlossenheit, dass das, das im Inneren über das Ganze hinausgeht, nur den Grenzpunkt dieses Ganzen benennt. Doch die Kontinuumshypothese ist nicht beweisbar. Mathematischer Triumph der Politik über den Realismus der Gewerkschaften“ (A. Badiou, Théorie du sujet, 1982, S. 282f).
W: Diese Verknüpfung von Mathematik und Politik ist aber außergewöhnlich – seltsam. Geht sie nicht etwas zu weit?
P: Sie geht sogar noch weiter! „Es ist höchst außergewöhnlich, dass die zwei Hypothesen, die Apokalypse der Echtzeit und des reinen Krieges sowie der Triumph des Virtuellen über das Reale, zur selben Zeit realisiert werden, in der selben Raum-Zeit, beide in unerbitterlicher Verfolgung des jeweils anderen. Es ist ein Zeichen dafür, dass der Raum des Ereignisses zu einem Hyperraum mit mehrfacher Refraktion und der Raum des Krieges eindeutig nichteuklidisch geworden ist (J. Baudrillard, The Gulf War Did Not Take Place, 1995, S.50).
W: Ich habe den Eindruck, dass Sie Begriffe aus der Wissenschaft verwenden, die Sie gar nicht verstehen. Oder haben Sie sich jemals mit dem Begriff des Raumes auseinander gesetzt?
P: Das ist meine Spezialität! „Wenn die Tiefe der Zeit Tiefen des vernünftigen Raums ersetzt; wenn die Kommutation des Interface die Entgrenzung von Oberflächen verdrängt; wenn die Transparenz Erscheinungen wiederherstellt, dann stellen wir uns die Frage, ob das, was wir beharrlich RAUM nennen, in Wirklichkeit nicht LICHT ist, ein unterbewusstes, para-optisches Licht, von dem Sonnenlicht nur eine Phase oder Reflexion ist. Dieses Licht tritt in einem Zeitraum auf, der eher in der augenblicklichen Zeitbelichtung als im historischen und chronologischen Vergehen der Zeit gemessen wird. Die Zeit dieses Augenblicks ohne Dauer ist „Belichtungszeit“, sei es Über- oder Unterbelichtung. Ihre photografischen und kinematographischen Technologien sagten bereits die Existenz und die Zeit eines aller physikalischen Dimensionen entkleideten KONTINUUMS voraus, in dem das QUANTUM energetischer Handlung und das PUNCTUM kinematischer Beobachtung plötzlich die letzten Überreste einer verschwundenen morphologischen Realität geworden sind. Übertragen auf das ewige Geschenk einer Relativität, deren topologische und teleologische Stärke und Tiefe zu diesem letzten Messinstrument gehören, besitzt diese Lichtgeschwindigkeit eine Richtung, die zugleich ihre Größe und Dimension ist und die sich mit derselben Geschwindigkeit in alle Radialrichtungen fortpflanzt, die das Universum durchmessen“ (P. Virilio, L’Espace critique, 1984, S.77).
W: „Dieser Absatz – im französischen Original ein einziger Satz mit 193 Wörtern, dessen ‚Poesie’ von der Übersetzung leider nicht ganz eingefangen wird – ist das vollkommenste Beispiel für literarische Diarrhöe, auf das wir je gestoßen sind. Und soweit wir erkennen können, hat er rein gar keine Bedeutung“ (A. Sokal, Eleganter Unsinn, 1999, S.199). Wenn Sie schon über die Wissenschaften nichts Bedeutsames sagen können, wie steht es mit der der postmodernen Philosophie selbst? Worauf läuft sie eigentlich hinaus, was ist ihre Bestimmung?
P: „Selbst wenn es sich um das Jüngste Gericht handelt, werden wir unsere Bestimmung nicht erreichen. Wir sind heute von unserer Bestimmung durch einen Hyperraum mit variabler Brechung abgeschnitten. Man könnte die Rückwendung der Geschichte durchaus als eine Turbulenz dieser Art interpretieren, die sich aus einer Beschleunigung von Ereignissen ergibt, welche ihren Lauf umkehrt und ihre Bahn auslöscht. Das ist eine Version der Chaostheorie, die Version der exponentiellen Instabilität und ihrer unkontrollierbaren Wirkungen. Sie berücksichtigt besonders das „Ende“ der Geschichte, die in ihrer linearen und dialektischen Bewegung jene katastrophische Singularität unterbrochen wird…“ (J. Baudrillard, Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse, 1994, 172-177).
W: Nimmt dieses Gerede also nie ein Ende?
P: „Es gibt somit kein Ende, weil wir uns bereits in einer Übersteigerung des Endes befinden: überbeendet – in einer Überbietung aller Endlichkeiten: Transfinalität…“ (J. Baudrillard, ebd.)
(Raul Heimann, Merlin Carl)
Folgendes Gespräch zwischen der Postmodernen Philosophie (P) und der Wissenschaft (W) ist im Wesentlichen eine Zusammenstellung von Originalzitaten aus verschiedenen Aufsätzen der Postmoderne, gesammelt in A. Sokals „Eleganter Unsinn – Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen, 1999).
P: Dort ist ja meine Wissenschaft. Wie geht es dir, mein alter Freund?
W: Guten Tag! Mit wem habe ich das Vergnügen?
P: Ich bin die postmoderne Philosophie!
W: Was ist denn das?
P: Das weißt du nicht? Ich bin die Vollenderin der abendländischen Philosophie, die Überwinderin althergebrachter Standards von Rationalität und Wahrheit! Als solche ist es mir möglich, weit über die Befunde der Wissenschaft hinaus zu gehen, ja, überhaupt erst den wahren Status und die tiefere Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erfassen – Grenzen zu überschreiten und Verbindungen zwischen vordergründig weit entfernten Gebieten herzustellen!
W: Faszinierend! Geben Sie uns doch eine Kostprobe Ihrer Einsichten! Was können die Wissenschaften von der postmodernen Philosophie lernen?
P: „Seit Gödel gezeigt hat, dass es keinen Beweis für die Widerspruchsfreiheit der Peanoschen Arithmetik gibt, die innerhalb dieser Theorie formalisierbar ist (1931), konnten Politologen verstehen, warum es notwendig war, Lenin zu mumifizieren und vor den ‚zufälligen’ Kameraden in einem Mausoleum auszustellen, im Herzstück der nationalen Gemeinschaft“ (R. Debray, Le Scribe, 1980, S. 70).
W: Das sind ja nun tatsächlich sensationelle Einsichten in die Bedeutung der mathematischen Logik! Wie steht es denn um andere Gebiete der Mathematik, etwa die Analysis? Haben Sie auch da eine „tiefere Bedeutung“ aufdecken können?
P: Natürlich! „In den syntaktischen Operationen, die auf das Spiegelstadium folgen, ist das Subjekt seiner Einzigartigkeit bereits gewiss: Sein Streben zum „Punkt ∞“ im Signifikanten wird gestoppt. Man denke beispielsweise an eine Menge Cₒ auf dem gewöhnlichen Raum R³, wo für jede stetige Funktion F auf R³ und jede ganze Zahl n > 0 die Menge der Punkte X, für die F(X) die Zahl n übersteigt, beschränkt ist, wobei die Funktionen von Cₒ gegen 0 streben, wenn sich die Variable X zur „anderen Szene“ zurückzieht. In diesem Topos erreicht das in Cₒ gesetzte Subjekt dieses „Zentrum außerhalb der Sprache“ nicht, von dem Lacan spricht und wo er sich als Subjekt verliert, eine Situation, die die Bezugsgruppe verschieben würde, die in der Topologie als Ring bezeichnet wird“ (J. Kristeva, Polylogue, 1977, S. 313).
W: Ihr Tiefsinn ist erstaunlich. Aber sagen Sie, sorgen Sie sich nicht ein wenig, von den Wissenschaften missverstanden zu werden?
P: „Selbst auf die Gefahr hin, dass wir uns bei einigen unbeliebt machen, (haben wir) genau angegeben, bis zu welchem Punkt wir die Umbiegung des mathematischen Algorithmus zu unseren Zwecken treiben wollen: das Symbol √-1, in der Theorie der komplexen Zahlen auch als i geschrieben, lässt sich selbstverständlich nur dann rechtfertigen, wenn es keinem Atomismus in seiner folgenden Verwendung Vorschub leistet. … So also symbolisiert das erektionsfähige Organ den Platz des Genießens, nicht als es selbst, nicht mal als Bild, sondern als der dem begehrten Bild fehlende Teil: darum auch ist es dem √-1 der weiter oben produzierten Bedeutung gleichzusetzen, des Genießens, den es durch den Koeffizienten seiner Aussage der Mangelfunktion des Signifikanten wiedererstattet: (-1)“ (J.Lacan, „Die Stellung des Unbewussten“ in: Schriften OII, 1975, S.197ff.).
W: „Wir gestehen, dass es uns bedrückt, wenn unser erektionsfähiges Organ mit √-1 gleichgesetzt wird. Dies erinnert uns an Woody Allen, der sich in ‚Der Schläfer’ gegen die Umprogrammierung seines Gehirns wehrt: ‚Sie dürfen mein Gehirn nicht anrühren, das ist mein zweitliebstes Organ’“ (A. Sokal, Eleganter Unsinn, 1999, S.45). Vermutlich kann die postmoderne Philosophie nicht nur die Mathematik, sondern auch die Physik ganz neu interpretieren?!
P: Selbstverständlich. So etwas hat z.B. Luce Irigaray geleistet: „Die Bevorzugung der Festkörpermechanik gegenüber der Hydromechanik wie auch die Unfähigkeit der Wissenschaft, mit turbulenter Strömung umzugehen, schreibt sie der Assoziation von Flüssigkeit mit Weiblichkeit zu. Während Männer Geschlechtsorgane haben, die vorstehen und hart werden, haben Frauen Öffnungen, die Menstruationsblut und Vaginalflüssigkeiten absondern. Obwohl es gelegentlich auch aus Männern fließt – beispielsweise, wenn Samen ausgestoßen wird –, wird dieser Aspekt der Sexualität nicht betont. Es ist die Härte des männlichen Organs, die zählt, nicht sein Beitrag zum Fluss der Flüssigkeit. Diese Idealisierungen werden in der Mathematik weiter verfestigt, wenn Flüssigkeiten als geschichtete Ebenen und andere Abwandlungen fester Formen betrachtet werden. In gleicher Weise, wie Frauen innerhalb männlicher Theorien und Sprache eliminiert wurden und nur als Nicht-Männer existieren, wurden Flüssigkeiten aus der Wissenschaft eliminiert und existieren nur als Nicht-Festkörper. Aus dieser Perspektive ist es nicht verwunderlich, dass die Wissenschaft nicht in der Lage war, geeignete Modelle der Turbulenz zu entwickeln. Das Problem turbulenter Strömung ist nicht zu lösen, weil die Vorstellung von Flüssigkeit (und von Frauen) so formuliert wurden, dass zwangsläufig Inartikuliertes bestehen blieb (K. Hayles, „Gender encoding in fluid mechanics: Masculine channels and feminine flows“ in: Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 4, 1992, S. 17).
W: Halten Sie diese Anwendung des Feminismus auf die Physik nicht für etwas fragwürdig? Wollen Sie am Ende behaupten, auch E = mc² sei eine geschlechtsspezifische Gleichung?
P: „Vielleicht. Stellen wir die Hypothese auf, dass sie es insofern ist, als sie die Lichtgeschwindigkeit gegenüber anderen Geschwindigkeiten, die für uns elementar notwendig sind, vorzieht. Was in meinen Augen den möglicherweise geschlechtsspezifischen Charakter der Gleichung anzuzeigen scheint, ist nicht unmittelbar ihre Verwendung in Kernwaffen, sondern vielmehr die Bevorzugung dessen, was am schnellsten ist ...“ (L. Irigaray, „Sujet de la science, sujet sexué?“ in: Sens et place des connaissances dans la société, 1987, S. 110).
W: Soso. Dazu sage ich mal lieber nichts. Aber sagen Sie, liebe postmoderne Philosophie: Wohin wollen Sie eigentlich mit ihren kühnen Behauptungen?
P: „Was hier auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die Verschmelzung der Algebra (die geordnete Folge der Kardinalzahlen) mit der Topologie (der Überschuss des Teilenden gegenüber dem Elementaren). Die Wahrheit der Kontinuumshypothese würde die Tatsache zum Gesetz machen [ferait loi], dass der Überschuss im Mehrfachen keine andere Aufgabe hat als das Besetzen des leeren Platzes, als die Existenz des Nichtexistenten, die dem ursprünglichen Mehrfachen gemäß ist. Es gäbe diese behauptete Verzweigung der Geschlossenheit, dass das, das im Inneren über das Ganze hinausgeht, nur den Grenzpunkt dieses Ganzen benennt. Doch die Kontinuumshypothese ist nicht beweisbar. Mathematischer Triumph der Politik über den Realismus der Gewerkschaften“ (A. Badiou, Théorie du sujet, 1982, S. 282f).
W: Diese Verknüpfung von Mathematik und Politik ist aber außergewöhnlich – seltsam. Geht sie nicht etwas zu weit?
P: Sie geht sogar noch weiter! „Es ist höchst außergewöhnlich, dass die zwei Hypothesen, die Apokalypse der Echtzeit und des reinen Krieges sowie der Triumph des Virtuellen über das Reale, zur selben Zeit realisiert werden, in der selben Raum-Zeit, beide in unerbitterlicher Verfolgung des jeweils anderen. Es ist ein Zeichen dafür, dass der Raum des Ereignisses zu einem Hyperraum mit mehrfacher Refraktion und der Raum des Krieges eindeutig nichteuklidisch geworden ist (J. Baudrillard, The Gulf War Did Not Take Place, 1995, S.50).
W: Ich habe den Eindruck, dass Sie Begriffe aus der Wissenschaft verwenden, die Sie gar nicht verstehen. Oder haben Sie sich jemals mit dem Begriff des Raumes auseinander gesetzt?
P: Das ist meine Spezialität! „Wenn die Tiefe der Zeit Tiefen des vernünftigen Raums ersetzt; wenn die Kommutation des Interface die Entgrenzung von Oberflächen verdrängt; wenn die Transparenz Erscheinungen wiederherstellt, dann stellen wir uns die Frage, ob das, was wir beharrlich RAUM nennen, in Wirklichkeit nicht LICHT ist, ein unterbewusstes, para-optisches Licht, von dem Sonnenlicht nur eine Phase oder Reflexion ist. Dieses Licht tritt in einem Zeitraum auf, der eher in der augenblicklichen Zeitbelichtung als im historischen und chronologischen Vergehen der Zeit gemessen wird. Die Zeit dieses Augenblicks ohne Dauer ist „Belichtungszeit“, sei es Über- oder Unterbelichtung. Ihre photografischen und kinematographischen Technologien sagten bereits die Existenz und die Zeit eines aller physikalischen Dimensionen entkleideten KONTINUUMS voraus, in dem das QUANTUM energetischer Handlung und das PUNCTUM kinematischer Beobachtung plötzlich die letzten Überreste einer verschwundenen morphologischen Realität geworden sind. Übertragen auf das ewige Geschenk einer Relativität, deren topologische und teleologische Stärke und Tiefe zu diesem letzten Messinstrument gehören, besitzt diese Lichtgeschwindigkeit eine Richtung, die zugleich ihre Größe und Dimension ist und die sich mit derselben Geschwindigkeit in alle Radialrichtungen fortpflanzt, die das Universum durchmessen“ (P. Virilio, L’Espace critique, 1984, S.77).
W: „Dieser Absatz – im französischen Original ein einziger Satz mit 193 Wörtern, dessen ‚Poesie’ von der Übersetzung leider nicht ganz eingefangen wird – ist das vollkommenste Beispiel für literarische Diarrhöe, auf das wir je gestoßen sind. Und soweit wir erkennen können, hat er rein gar keine Bedeutung“ (A. Sokal, Eleganter Unsinn, 1999, S.199). Wenn Sie schon über die Wissenschaften nichts Bedeutsames sagen können, wie steht es mit der der postmodernen Philosophie selbst? Worauf läuft sie eigentlich hinaus, was ist ihre Bestimmung?
P: „Selbst wenn es sich um das Jüngste Gericht handelt, werden wir unsere Bestimmung nicht erreichen. Wir sind heute von unserer Bestimmung durch einen Hyperraum mit variabler Brechung abgeschnitten. Man könnte die Rückwendung der Geschichte durchaus als eine Turbulenz dieser Art interpretieren, die sich aus einer Beschleunigung von Ereignissen ergibt, welche ihren Lauf umkehrt und ihre Bahn auslöscht. Das ist eine Version der Chaostheorie, die Version der exponentiellen Instabilität und ihrer unkontrollierbaren Wirkungen. Sie berücksichtigt besonders das „Ende“ der Geschichte, die in ihrer linearen und dialektischen Bewegung jene katastrophische Singularität unterbrochen wird…“ (J. Baudrillard, Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse, 1994, 172-177).
W: Nimmt dieses Gerede also nie ein Ende?
P: „Es gibt somit kein Ende, weil wir uns bereits in einer Übersteigerung des Endes befinden: überbeendet – in einer Überbietung aller Endlichkeiten: Transfinalität…“ (J. Baudrillard, ebd.)