Branko (vorher: Radek)

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
Quoth
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Beitragvon Quoth » 23.12.2015, 16:50

Branko: Stell dir vor, die IAU hat den von mir entdeckten Planetoiden nach mir benannt!
Hannes: Das hättest du einfacher und schneller haben können! Es gibt Webseiten, da kannst du einen beliebigen Stern nach dir taufen lassen!
Branko: Willst du mich beleidigen? Sowas haben doch nur Amateure nötig! Nein, eine echte Benennung! Da oben saust jetzt Branko als mein alter Ego durch die Gegend! Komisches Gefühl!
Hannes: Du hast mal gesagt, das sei eigentlich nur ein winziges Trümmerstück.
Branko: Egal! Es heißt nach mir!
Hannes: Man sollte eine Drohne hinschicken, die ein Etikett draufklebt.
Branko: Ich sehe schon, du kannst meinen Stolz nicht teilen.
Hannes: Stimmt, lieber Freund. Ich finde ihn sogar ausgesprochen kindisch. Warum müssen wir Menschen immer auf alles ein Namensetikett kleben? Als ob die Dinge, die Tiere, die Pflanzen, die Menschen das nötig hätten! Sie existieren auch unbenannt! Der größte Entzauberer der Natur war Linné. Ich wünschte mir, in einer Welt namenloser Naturwunder zu leben!
Branko: Das ist vielleicht romantisch, aber zutiefst wissenschaftsfeindlich. Benennung schafft Ordnung, Ordnung macht vergleichbar, das Vergleichen eröffnet Perspektiven … Was machst du da eigentlich? Warum kratzt du die Farbe ab?
Hannes: Siehst du nicht, was hier zum Vorschein kommt?
Branko: Eine Hand … Ja – mit einem ausgestreckten Finger. Der Finger … Also, ist das was Obszönes?
Hannes: Ich glaube – ich weiß es noch nicht – es ist die Hand des ungläubigen Thomas, der erst glaubt, als er den Finger in die Wunde legt … Schau, hier habe ich auch schon einige seiner Locken freigelegt! Und einen Teil seines Nimbus!
Branko: Ich dachte, hier hat ein Arzt gewohnt!
Hannes: Ja, aber einer, der auch malte! Er hat in Düsseldorf an der Akademie studiert – und ist dann erst Mediziner geworden.
Branko: Und du willst das alles wieder sichtbar machen? Das ist unser gemeinsames Wohnzimmer – und ich soll dann ständig auf den ungläubigen Thomas starren?
Hannes: Nun warte mal ab. Vielleicht missfällt es ja auch mir.
Branko: Aber letztlich bist du religiös angekränkelt. Du sympathisierst mit diesen Verrückten, die Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen gebracht haben.
Hannes: Hatten sie denn nur Unrecht? Hat die Naturwissenschaft unser Leben auf dem Planeten nur verbessert?
Branko: Man sollte der Naturwissenschaft nicht die Verbrechen der Techniker in die Schuhe schieben.
Hannes: Christus ist für mich eine zutiefst menschliche, erschütternde und in ihrer Radikalität bewunderungswürdige Gestalt.
Branko: Mein Vater hat immer gesagt, typisch für heidnische Religionen sei es, dass Götter auf die Erde herniedersteigen, Menschfrauen lieben und mit ihnen Halbgötter zeugen. In diesem Sinne ist das Christentum eine durch und durch heidnische Religion. Ich könnte eher Muslim werden als Christ – denn im Koran steht wörtlich: „Nicht steht es Allah an, einen Sohn zu zeugen.“
Hannes: Tatsächlich, du hast Recht – es sieht obszön aus, wie der Finger in die Wunde eindringt … Eine Penetration subtilster Art!
Branko: Ich habe einen Rehrücken im Ofen. Meinst du, den könnten wir in einer Viertelstunde mal anschneiden?
Hannes: Klar! Ich habe einen Riesenhunger! Darf ich eine Flasche Lübecker Rotspon dazu aufmachen?
Branko: Das ist doch der Wein, den du nur an höheren Feiertagen auf den Tisch bringst!
Hannes: Wir haben ja auch was zu feiern!
Branko: Tut mir leid – aber unser Kennenlerntag ist doch erst nächste Woche, oder?
Hannes: Wir feiern das Trümmerstück, das seit heute unter deinem Namen durchs Weltall taumelt!
Branko: Entschuldige, Hannes. Vielen Dank für das Tempo. Es war doch richtig, dass wir zusammengezogen sind in dieser Hütte im Westerwald. Und lege ruhig den ungläubigen Thomas weiter frei. In ihm kann ich mich wiederfinden! Wir haben übrigens einen Gast!
Hannes: Ach! Und wer wäre das?
Branko: Die Jägerin, die das Reh geschossen hat!

[Habe Radek in Branko umbenannt, siehe Diskussion]
Zuletzt geändert von Quoth am 02.01.2016, 10:56, insgesamt 2-mal geändert.
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nera
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Beitragvon nera » 28.12.2015, 23:14

erstmal eine frage quoth,

hast du den einen protagonisten mit absicht "radek" genannt?

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birke
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Beitragvon birke » 28.12.2015, 23:33

hey, quoth, ein vielschichtiger dialog, der diese vielschichtigen themen anreißt: philosophie, religion. auch ohne hintergrundwissen (diesen arzt und maler gab es ja offenbar wirklich – hier in meiner nähe im westerwald!) verstehbar.
den dingen einen namen geben, nein, das muss nicht sein – oder doch? offenbar hat man das bedürfnis danach, um die dinge zu unterscheiden, einordnen zu können und um sie einzigartig zu machen.
die jägerin zum schluss – vielleicht ist auch sie eine göttin?
vieles zum nachdenken hinterlässt dieser dialog.
zwei verbundene männer im westerwald, im kontext interessant. (und ja, das fragte ich mich auch, der name radek, zufall?)
(und noch eine frage, die sich mir hier stellt, woher weiß hannes sofort, dass es sich um den „ungläubigen thomas“ handelt bei dem gemälde?)
auf jeden fall gern gelesen!
lg
birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.12.2015, 09:36

Hamlet: Mein Freund, schaue Er hinauf! Hieroben, am ew'gen Lichterzelt, dort wohnt ab heut ein Himmelskörper namens -- Hamlet! -- Hamlet! -- Den Planetoiden, allein ich entdeckte, benennt die Internationale Astronomie Union nach mir!

Dittsche: Däs hettessu åbä äuch åinfåchä und schnellä håmn könn. Das gipp Websåiten, då kännsu åinen beliebichen Stäan nåch diä täufn lässn.

Hamlet: Will Er mich beleidigen? So etwas haben Amateure nötig! Nicht ich! Nein! Eine echte Benennung! Da oben saust nun Hamlet, mein seelisches Ebenbild, durchs endlos All! Ein wahrlich erhebendes Gefühl.

Dittsche: Du hässmå gesåcht, däs såi åigentlich nuä åin winziches Trümmästück.

Hamlet: Seis drum. -- Es heißt nach mir.

Dittsche: Män solltee åinee Drooune hinschicken, die åin Etikett dräufklept.

Hamlet: Ich sehe schon. Er kann meinen Stolz nicht teilen.

Dittsche: Stimpp, åltä Kämeråd. Ich finne ihn sogåä äusgesprochn kinnisch. Wårum müssen wiä Menschen immä äuf älles åin Nåmensetikett klemn? Äls opp die Dingee, die Tieree, die Pflänzen, die Loitee, däs nötich hettn. ...

...

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 29.12.2015, 12:11

Hallo Nera, ja, ich habe ihn mit Absicht Radek genannt, freilich ohne damit auf den Revolutionär Karl Radek anspielen zu wollen. Mir ging es um einen Namen, der sowohl Vor- wie Nachname sein kann und der zu einem aus dem Osten stammenden und hier bei uns lebenden Menschen passt.
Hallo Birke, freut mich, wenn Dir der Text gefällt. Ich glaube, die die Seitenwunde prüfende Hand ist ein eindeutiges Signal für einen ungläubigen Thomas. Trotzdem hat Hannes ja aber noch Zweifel. Ja, die Jägerin könnte durchaus den Namen einer heidnischen Göttin tragen, das wäre doch hübsch.
Hallo Pjotr, ich lese Deine Verulkung des Textes als Wiederaufnahme Deines Versuchs, mich auf eine Sprachebene festzulegen. Aber das Dialogpaar Hamlet-Dittsche gefällt mir gut - es erinnert an Don Quichotte und Sancho Pansa. Freue mich, Dich inspiriert zu haben! :-)
Gruß
Quoth
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.12.2015, 12:52

Hallo Quoth,

es ist keine Verulkung Deines Texts, sondern eine zweck-ernstgemeinte Destillation dessen, was schon da ist, nämlich des Kontrasts zwischen den beiden Persönlichkeiten, und des Entertainments im Dialog-Genre allgemein.

Inspiriert hat mich der erste Satz: "Stell dir vor, die IAU hat den von mir entdeckten Planetoiden nach mir benannt!" -- Ich weiß, Du siehst das anders, deshalb kritisiere ich das jetzt nur noch ein zweites und letztes Mal: Ich meine, kein Mensch würde ein spontanes "Stell dir vor" herausstoßen und sofort darauf eine konstruierte Phrase wie "den von mir entdeckten" aussprechen. Das wirkt auf mich unnatürlich. Wenn schon geschwollen, dann konsequent. Da dachte ich an Shakespeare. Und das passt ja auch zu dem stolzen Typen. Und zur guten Unterhaltung das Gegenteil dazu: einen Dittsche.


Ahoy

P.

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nera
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Beitragvon nera » 29.12.2015, 15:31

bevor ich jetzt gleich wieder arbeiten muss. ich dachte nun mal gleich an den karl radek. das hat mirs nicht leichter gemacht.später mehr.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 29.12.2015, 16:31

Hallo Nera, Karl Radek war viel - Journalist, Agitator, Politiker, Häftling, Stalinopfer - aber Astronom war er mit Sicherheit nicht! :-)
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nera
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Beitragvon nera » 30.12.2015, 00:19

:pfeifen: jaja, aber es wäre ja nicht neu, dass ein protagonist einen namen erhält, der dann noch andere assoziationen zulässt? so wie bei pjotrs entwurf?
ich lese hier von zwei antagonisten, die eine gemeinsame heimat haben. einer beschäftigt sich mit unendecktem, der andere mit verschüttetetem. radek will neue welten erobern, mit seinem namen besetzen (besitzen). hannes kratzt an oberflächen, bringt vergangenes zum vorschein. und das vergangene scheint eine botschaft zu sein, ein bischen doppeldeutig. den finger in die wunde legen, um die wahrheit wahrzunehmen? legte der hl. thomas den finger in die wunde, um den schmerz sinnlich zu spüren und machte dieser gefühlte schmerz, jesus für ihn wahrhaft lebendig? oder wollte er mit dem finger in der wunde schmerz zufügen, um die wahrheit zu provozieren? weil nur lebende schmerz fühlen?
ein spiegel für radek? dann wirds mir ein bischen zu wuschig. hannes bewundert die radikale menschlichkeit jesus und das ganze wird dann auch durch radek reflektiert. die vermischung des göttlichen mit dem menschlichen in heidnischen und der christlichen religion/en und der trennung zwischen mensch und gott im islam. (ist das so? keine ahnung) das letztere wäre radek, dem fortschrittsgläubigen lieber? und hannes sieht plötzlich diesen menschlichen finger in der göttlichen wunde als penetration?
aber dieser (innere) dialog schweift ab, weil die jungs hunger haben. und sehr versöhnlich miteinander umgehen. hannes feiert seinen partner, trotz seiner anfänglichen skepsis. und die jägergöttin darf auch mitessen. sie hat das wild erlegt?

ok, etwas wirr, meine überlegung. und deine nachträgliche erklärung des namens "radek" machts auch nicht leichter. warum sollte der aus osten kommen? (sozialistische ideen? ) und warum muss er einen vornamen haben, der auch nachname ist? das ist das seltsamste? :cool:
Zuletzt geändert von nera am 03.01.2016, 14:24, insgesamt 1-mal geändert.

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 30.12.2015, 14:57

Quoth, viel Neues habe ich den Ausführungen meiner Vorredner nicht hinzuzufügen, aber auch dieses Exemplar der neuen Textsorte, die du gerade zu entwickeln scheinst - ich stelle ihm deinen Text über das Veröffentlichen zur Seite - finde ich in seiner thematischen Fülle und den angedeuteten Gedanken anregend, würde mir aber auch hier wieder mehr wünschen.

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Beitragvon Quoth » 02.01.2016, 10:04

Hallo Pjotr,
vielen Dank für den Hinweis auf Dittsche, habe mir zwei seiner Sendungen angesehen, kannte ihn gar nicht. Von einer merkwürdig zähen und bezaubernden Komik! Deine Bedenken, was die Sprachebenen betrifft, sind legitim - aber ich teile sie nicht, wie Du gemerkt haben wirst! :sad:

Hallo Nera, habe Radek in Branko umbenannt - ich hoffe, der hat nicht auch wieder einen berühmten Vorläufer, an den Du nun denken musst! Habe in der Tat nicht damit gerechnet, hier auf jemanden (jefrauden) zu treffen, der (die) den guten alten Karl Radek auf der Pfanne hat! Mit "wuschig" kenne ich mich nicht aus. Heißt das verworren? Ja, für den Islam ist die Vorstellung, sein Gott könnte einen Sohn haben, Gotteslästerung. Die Gegenüberstellung von Rationalist und Mystiker hat mich gereizt, es sind gleichsam zwei Seiten eines Charakters. Ja, die Jagdgöttin wird eingeladen. Kam darauf, weil wir hier so ein prächtiges Flintenweib haben, das uns mit Wildbret versorgt.

Hallo Mnemosyne/Merlin,
könnte sein, dass mir zu diesen beiden noch mehr einfällt! Vielen Dank für Dein Interesse!
Gruß
Quoth
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nera
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Beitragvon nera » 03.01.2016, 14:25

huhu quoth. mir gehts wie merlin. ich würde auch gern mehr lesen.

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Beitragvon Quoth » 21.09.2017, 17:15

Lieber Merlin, liebe Nera,
ich habe Branko wieder entdeckt! Er treibt sich in irgendeiner Art von Klinik herum und scheint sich gerade einen Kurschatten zuzulegen! Gruß in die Runde, Quoth
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