Katja

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
Quoth
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Beitragvon Quoth » 22.02.2016, 22:14

Branko: Ich finde sie himmlisch. Wie sie den toten Fasan im Arm hielt wie ein blutendes Baby, und weinend den Kopf schüttelte – den Lappen aus der Tasche zog und zerriss … Was für eine Frau!
Hannes: Ich kann deine Begeisterung nicht so ganz teilen. Ich bedaure es sehr, dass wir nun kein Wildpret mehr von ihr bekommen.
Branko: Dafür wird sich auch eine andere Quelle finden. Nanu? Machst du auf? O, du bist es! Wir sprachen gerade von dir!
Katja: Branko, hallo. Störe ich auch nicht?
Branko: Nicht im geringsten! Magst du ein Glas Rotspon?
Katja: Was ist das?
Branko: Sie kennt Lübecker Rotspon nicht … Das muss sich ändern!
Hannes: Ich hätte hier einen Ziegen-Brie dazu …
Katja: Danke. Mir ist der Appetit vergangen. Aber der Rote ist wirklich gut.
Branko: Kauen, schmecken, genießen … Nicht schütten!
Katja: Mir ist nach Schütten.
Hannes: Was ist los?
Katja: Ich las neulich ein Buch, in dem ein Mann seine Tochter, die er sehr liebt, plötzlich auf einer Pornoseite im Internet erkennt … So ist es mir heute ergangen. Ich schalte nichtsahnend das Fernsehen ein. Sehe eine Übertragung aus Bautzen, wo sie das Flüchtlingsheim angezündet und die Löscharbeiten behindert haben. Der Journalist fragt in die Dabeistehenden hinein, warum sie lachen und johlen. Da tritt eine junge Frau vor …
Branko: Ich ahne das Schlimmste.
Katja: Das Schlimmste!
Branko: Was hat sie gesagt?
Katja: Irgendwas von Islamisierung des christlichen Abendlands. Was habe ich bloß falsch gemacht?
Hannes: Jetzt beruhige dich erst einmal! Gar nichts hast du falsch gemacht. Wir haben alle unsere Eltern enttäuscht, und wenn wir es nicht haben, haben wir was falsch gemacht.
Katja: Aber wie kann sie zu diesen Nazis überlaufen?
Hannes: War ihr Groß- oder Urgroßvater nicht vielleicht auch einer?
Katja: Stimmt. Aber … Sie hat in vier Tagen Geburtstag. Das Päckchen steht fertig gepackt auf dem Tisch – mit Kuchen, Schokolade, Buch, DVD von „Z“ … Ich habe es alles herausgerissen und in der Wohnung herumgeschmissen … Ich will diese Tochter nicht haben. Aber ich liebe sie doch! Meine süße, kleine Juli!
Branko: Hat sich das denn nicht irgendwie angekündigt?
Katja: Mit nichts. Sie war wie immer. Hat ihre Zwischenprüfungen mit guten Noten bestanden. Hat einen Freund – Konstantin: Ein netter Junge, sagt sie. Aber ich kenne ihn nicht. Vielleicht hat er …
Hannes: Ist Wotan draußen? Wir holen ihn herein. Komm hierher, Wotan. Platz! Haben wir nicht noch einen Lammknochen für ihn?
Katja: Ist da noch was von diesem Lübecker Tropfen? Seit wa-, wa-, wann wächst übrigens Wein in Lübeck?
Branko: Das ist eine längere Geschichte!
Katja: Mir graut davor, nach Hause zu kommen.
Branko: Wenn du willst, bleibst du heute Nacht bei uns!
Katja: In echt?
Branko: Wir haben ein opulentes Dreierbett!
Katja: Ich habe schon immer davon geträumt, einmal mit zwei Männern im Bett zu liegen! Und dann noch mit zwei so netten!
Zuletzt geändert von Quoth am 03.03.2016, 17:15, insgesamt 2-mal geändert.
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birke
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Beitragvon birke » 06.03.2016, 07:28

natürlich, miteinander reden ist sowieso das wichtigste.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

Quoth
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Beitragvon Quoth » 08.03.2016, 17:38

Hallo Nera, Du schriebst
und das zeigt auch, wie weit wir dieser seltsamen vererbungstheorie oder genetischen veranlagung immer noch huldigen. (bischen überspitzt gesagt).

Etwas Derartiges hat Hannes in dem Dialog nicht unterstellt, was er sagen wollte, war einzig und allein: Warum sollte Juli weniger empfänglich für Fanatismen sein, als es ihre Altvorderen waren? Das hat nichts mit "Erbschäden" zu tun, die Fähigkeit, uns für Ziele zu engagieren, die viele moralische Bedenken und sogar den Überlebenswillen außer Kraft setzen, steckt in uns allen, wir müssen sie kennen und versuchen, sie zu kontrollieren. Eins der Kernprobleme der Diskussion über politische Familienvergangenheiten ist die Anmaßung, mit der viele Jüngere den Älteren begegnen: "Wie konntet ihr bloß!" Dabei wären doch die meisten dieser Selbstgerechten in die selbe Falle getappt und hätten mitgejubelt.
Ein Aspekt ist bisher nicht beachtet worden: Julis Freund ... Aber das ist wohl eine Extrageschichte.
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Beitragvon ZaunköniG » 08.03.2016, 18:55

Tja, Julis Freund.....

Wir wissen ja nicht viel über ihn. Eigentlich nur dass er laut Juli ein netter Typ ist. Katja ist er suspekt, denn irgendwer muss ja schuld sein an der Veränderung ihrer Tochter.
Wenn wir der Intuition einer Mutter mal vertrauen und annehmen, dass Konstantin rechts gesinnt ist, beantwortet das aber immer noch nichts. Was findet sie an diesem Typen, wenn sie nicht auch selbst empfänglich dafür ist?

Nun, es ist deine Geschichte, aber ich denke, dass du sie nicht umsonst Katja genannt hast. Es macht keinen Sinn, wenn sie nicht auch die Schlüsselfigur ist.

Also, was wissen wir über Katja:

Da ist eine Frau, die keine Tiere mehr töten kann, obwohl sie es offenbar zuvor recht regelmäßig getan hat. Es ist auch kein rein rationaler Entschluss sondern sehr emotional beschrieben. Der Anlass wird nicht beschrieben, aber vielleicht ist es typisch für sie, dass sie spontan ihre Haltung ändert um sie von nun an genauso missionarisch zu vertreten, wie sie zuvor das Gegenteil vertrat.
In den Schlusszeilen lesen wir weiter, dass sie auch in Liebesdingen so spontan wie liberal ist.

Ich würde vermuten, dass der Tochter dieses wankelmütige Anything-goes nicht bekommen ist, weil es ihr eben keine Orientierung im Leben gab und vielleicht deshalb empfänglich für einfache Losungen ist.


Seltsam finde ich auch die Haltung von Hannes (aber solche Typen gibt es), der die Szene als typische und wichtige Rebellion der Jugend begreift. Rebellion als Selbstzweck, als Vorrecht der Jugend um sich Gehör zu verschaffen und einen eigenen Platz in der Gesellschaft. Ein Althippie, der für die Freiheit schon immer nur dann eintrat, wenn es um seine eigene ging.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

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nera
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Beitragvon nera » 10.03.2016, 01:29

quoth, so einfach finde ich es nicht. natürlich sind alle oder sehr viele empfänglich für fanatismen. es scheint sehr beruhigend zu sein, sich diesen "auszuliefern". man muss weniger denken. oder weniger reflektieren. aber genau hier stört mich eben etwas im text. und auch nicht. okay. er hat etwas chabrol-haftes. oder könnte ein dialog von arthur miller sein. von diesem sichtpunkt aus ist er entlarvend.

(auch wenn ich hier etwas aus der familiegeschichte geplaudert habe, halte ich es für kontraproduktiv jeden meiner einwände daraufhin zu reduzieren. das scheint mir so ein boomerang, vor dem sich viele auch fürchten und es wäre in tat auch ein totschlagargument in jede richtung)

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nera
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Beitragvon nera » 10.03.2016, 02:12

und die frage von hannes: war ihr großvater nicht vielleicht auch einer....eigentlich müsste die mutter dann fragen, was meinste? was soll das "einer". hier gibts doch diesen nebelschwaden, (noch böser) den gott, der nicht beim namen genannt werden darf und sich deshalb aufbläht..und die mutter verstößt die tochter, will sie nicht haben..."das schlimmste!" ja, chabrol.

vielleicht sollte ich den text mal zerpflücken, also wort für wort auseinandernehmen. und dann wäre es nur meine meinung.

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nera
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Beitragvon nera » 10.03.2016, 02:30

wieso heißt dieser hund eigentlich wotan?

(ich bin schon am zerpflücken)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 10.03.2016, 08:40

Den Einstieg finde ich interessant - irgendwie skurril und blutrünstig, aber man stellt Fragen, die man beantwortet haben möchte. Und das gefällt mir.
Nur kommen die Antworten dann nicht. Man "klebt" (im positiven Sinne) am Bild der Jägerin, die irgendwie mit sich hadert und das fast als künstlerische Aktion zum Ausdruck bringt - und dann folgt auf völlig anderer Ebene, die Sache mit der Tochter. Im Gegenüber, im geschaffenen Kontext, wirds (für mich) dann zu schlicht, zu plakativ. Der sonderbare Beginn der Aussage: "Ich las neulich ein Buch ..." wirkt für mich sehr schwächend. Da ist jemand fertig mit den Nerven und sagt das so? Das kann ich mir nicht vorstellen.
Und bei "Irgendwas von Islamisierung des christlichen Abendlands" wirds für mich, sorry, komödiantisch.

Ich glaube, dass man eine solche Entwicklung bei seinen Kindern doch irgendwie ahnen kann. Nicht unbedingt das wirkliche Ausmaß, aber die Tendenz?
Wotan, den Hund, finde ich gut, mir ist allerdings nicht so ganz klar, was dieser Hinweis (durch den germanischen Götternamen) genau bedeutet, in welche Richtung soll er seine Wirkung entfalten? Germanenkram ist überall, prägt also (unmerklich) mit? Wem gehört er, Hannes oder Katja? Wenn Katja die Haltung ihrer Tochter irgendwie mit verursacht hätte, dann müsste da allerdings mehr kommen als das Mosaiksteinchen Wotan, dann müsste sie doch etwas in der Richtung loslassen, dass sie die Flüchtlingsströme ätzend findet, aber das - Anzünden einer Unterkunft, nee, das geht mir nun doch zu weit etc. etc.


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