Im Krieg

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
Sam

Beitragvon Sam » 16.09.2007, 07:14

Im Krieg

Theaterstück in einer Szene
Dauer: ca. 60 Minuten


Personen
Der Chor (singt zu Melodien bekannter Volkslieder)
Das Mädchen
1.Soldat
2.Soldat
1.Horde fremder Soldaten
2.Horde fremder Soldaten




Chor (steht am rechten Bühnenrand):

Das Volk hat keine Ohren und kein Mund
Hat nur Augen, sieht im Sehen seine Kunst
Ist vom Kriege überrascht
wie vom Novembermorgendunst

Ist vor Entsetzten unbeweglich
Möchte fliehen, aber ist gelähmt
Ist so stark und doch so schwächlich
Ist domestiziert, aber nicht gezähmt



Der Chor tritt ab. Das Mädchen betritt die Bühne von der linken Seite, sieht sich ein wenig um und bleibt dann in der Mitte stehen.

Mädchen: Es ist auf einmal so ruhig. So ruhig war es ja noch nie in meinem Leben. Man könnte das Zwitschern der Vögel hören. Oder sogar einen Schmetterlingsflügelschlag.

Ein Soldat kommt im Laufschritt auf die Bühne. Als er das Mädchen sieht, verlangsamt er
seinen Schritt und geht auf sie zu.


1. Soldat: Hallo Mädchen. Was machst du hier?

Mädchen: Ich bin auf der Suche.

1. Soldat: Und was suchst du?

Mädchen: Was man im Krieg halt so sucht.

Der Soldat streicht dem Mädchen übers Haar.

1. Soldat: Ein hübsches Mädchen bist du.

Er versucht sie küssen. Sie wehrt ihn ab. Er packt sie und küsst fest auf den Mund. Dann wirft er sie auf den Boden und vergewaltigt sie. Danach steht er wieder auf. Das Mädchen hockt auf dem Boden und weint.

1. Soldat: Weine nicht Mädchen. Es ist Krieg und als Soldat ist man sehr alleine. Da freut man sich, wenn ein Mädchen wie du so lieb zu einem ist.

Plötzlich ist Kampfgeräusch zu hören. Erschrocken sieht der Soldat sich um.

1. Soldat: Oh, sie kommen. Schnell, bring dich in Sicherheit. Ich geh jetzt kämpfen. Für dich und für mich.

Der Soldat rennt von der Bühne. Das Mädchen steht langsam auf, schleppt sich zum Rand der Bühne. Eine Horde fremde Soldaten stürmt auf die Bühne und umkreist das Mädchen und drängt sie zurück zur Bühnenmitte. In einer fremden Sprache treiben sie ihre Späße mit ihr. Schließlich fallen sie einer nach dem anderen über sie her. Danach gehen sie lachen und singend von der Bühne. Derweil betritt ein zweiter Soldat die Bühne von der anderen Seite. Das Mädchen liegt reglos am Boden. Der zweite Soldat stellt sich neben sie.

2.Soldat: Na, hast dich ja schön vergnügt mit dieser Bande. Schade nur, dass es der Feind war. In der Lage, in der wir uns befinden, ist die Zusammenarbeit mit dem Feind besonders strafbar. Und nicht nur besonders, sondern auch sofort.

Er zieht seine Pistole aus dem Halfter und zielt auf den Kopf des Mädchens. In diesem Moment kommt der 1. Soldat auf die Bühne.

1. Soldat: Halt! Was machst du da?

2. Soldat: Soll diese Hure weiterleben? Sich hat sich mit dem Feind eingelassen.

1.Soldat: Tu das nicht! Sie ist ein guter Mensch.

2. Soldat: Ein guter Mensch, was heißt das schon? Hast du vergessen, was wir gelernt haben? Bekämpfe das Böse und misstraue dem Guten.
Also, ich erschieße sie jetzt.

1. Soldat: Nein! Wir bringen sie in die Stadt. Die werden die Sache bestimmt regeln.
(Zum Mädchen) Das wird schon.

Es ist sind wieder Kampfgeräusche zu hören. Die beiden schauen sich ängstlich um.

1. Soldat: Wir sollten los.
(Nochmal zum Mädchen) Schnell, lauf in die Stadt. Sie kommen wieder. Beeil dich!

Die beiden Soldaten rennen von der Bühne. Das Mädchen erhebt sich langsam. Gerade als sie schwankend zum Stehen kommt, stürmt eine weitere Horde fremder Soldaten auf die Bühne. Sie fallen über sie her. Danach verlassen die fremden Soldaten laut singend die Bühne. Das Mädchen liegt auf dem Boden. Der Chor tritt auf.


Chor:

Auge, verweile doch, schau nicht weg
Es ist kein Blut, es ist nur Glas
Es ist kein Leid, nur Geschichtsbericht
Es ist nur Duft und kein Gas

Nur keine Angst, kommen sie ruhig näher
Es ist nichts dabei genau hinzuschaun´
Denn das ist eines jeden Krieges Geheimnis:
Das Gute bekämpfen
Und dem Bösen vertraun´


Der Chor geht ab, nur das Mädchen bleibt liegen. Einige Minuten ist Stille. Dann fällt der Vorhang. Jetzt können die Zuschauer applaudieren.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 16.09.2007, 09:18

Hallo Sam,

Ein Theaterstück, so etwas ist hier leider selten zu lesen. Brauchen wir vielleicht eine neue Rubrik Dramatik?

Krieg verroht Menschen lese ich als generelle Aussage. Im Großen und Ganzen ist es gut umgesetzt, denke ich. Mit einigen Stellen habe ich so meine Probleme.

Das Volk hat keine Ohren und kein Mund
Hat nur Augen, sieht im Sehen seine Kunst
Ist vom Kriege überrascht
wie vom Novembermorgendunst


Im Sehen eine Kunst??? Ich würde auch Volk durch Menschen ersetzen. Das ließ es etwas weniger definiert, oder hat wirklich jede Person in einem Krieg weder Mund noch Ohren? Aber das ist nur meine Leseart.
Was mich allerdings überrascht, ist dass das Volk von Novembermorgendunst so überrascht ist. Nebel im November ist doch nichts Außergewöhnliches. Meinst Du vielleicht, weil der Dunst so plötzlich auftritt? Kann ich mich auch nicht wirklich mit anfreunden. Die meisten Kriege entstehen auch nicht plötzlich, sondern schwelt vor dem Ausbruch an. Das nehmen, glaube ich, auch die betroffenen Menschen wahr.

Dann wundert es mich, dass der 1. Soldat das Mädchen vergewaltigt, sie dann aber verteidigt und als gut bezeichnet. Vielleicht sitze ich einem Irrtum auf, aber ich denke, dass Vergewaltiger auch im Krieg ein geringschätziges Bild von ihren Opfern haben. Ein Gegenstand, an dem man sich bedient. Hat er ein schlechtes Gewissen? Hat der Soldat sich in das Mädchen verliebt? Vielleicht könnte mir ein zusätzlicher Monolog des Soldaten helfen.

Das sind die ersten Eindrücke. Ich werde das Stück nochmal lesen und bin gespannt, was die anderen dazu schreiben.

Gerne gelesen

Jürgen
Zuletzt geändert von Jürgen am 16.09.2007, 11:33, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Elsa » 16.09.2007, 11:20

Lieber Sam,

Es mutet wie eine Parabel von B.B. an. Natürlich gefällt mir dein kleines Drama demgemäß.
Das Erschreckende ist, dass das System der Kriege sich ganz und gar nicht geändert hat, die Szene könnte vor tausenden Jahren spielen (Xerxes gegen Leonidas) oder heute (Bush gegen den Rest der Welt).

Ich verstehe Soldat 1, dass er das Mädchen, auch wenn er sie vergewaltigte, verteidigt. Sie scheint im Krieg für ihn ein tröstlicher Anker zu sein.

Nun lass ich Berufenere reflektieren.

Lieben Gruß
ELsa
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Beitragvon Pjotr » 16.09.2007, 12:56

Hallo Sam,

Deinen Text habe ich mit Spannung gelesen, zumal ich gerne "Drehbuch"-Texte lese.

Was die Zeitaufteilung betrifft, stelle ich fest, dass bei 60 Minuten Gesamtspielzeit wohl mindestens 50 Minuten für dialogfreie Vergewaltigungen verwendet werden(?)

Aus aktuellem Anlass (hiesige Grundsatzdiskussion um Authentizität bei fatalen Themen) möchte ich eine Nebenfrage stellen, die Du (ich schätze Dich sehr) hoffentlich nicht als persönlichen Angriff empfinden wirst, denn ich frage wirklich nur, weil ich Deine Literaturtheorie besser verstehen will. Frage: Hast Du so eine Kriegs- oder Vergewaltigungs-Szene selbst einmal erfahren?


Cheers

Pjotr

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.09.2007, 14:05

Hallo Sam,

ich gehe davon aus, dass du diese provozierende Parabel absichtlich so und nicht anders geschrieben hast, anlässlich der derzeitigen Diskussion (Über was darf man schreiben).
Auf Einzelheiten möchte ich gar nicht eingehen, da sich mir bei diesem "Theaterstück" die Haare sträuben, es mir persönlich sehr befremdlich aufstößt. Das habe ich nicht gerne gelesen.
Saludos
Mucki

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Beitragvon Pjotr » 16.09.2007, 14:44

P.S.: Nicht, dass ich missverstanden werde. Mucki erwähnt zwar auch das Stichwort "derzeitige Diskussion" (ich meinte übrigens nicht Nikos "Darf man"-Diskussion), aber anders als Mucki, finde ich persönlich dieses Stück nicht schlecht. Von mir aus "darf man" so ein Stück schreiben.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.09.2007, 14:57

Nicht, dass du mich missverstehst, Sam:
selbstverständlich kannst du so etwas hier schreiben, nur mir persönlich gefällt der Inhalt und vor allem der Stil, in dem du es schreibst, nicht.
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 17.09.2007, 07:08

Hallo und vielen Dank für eure Kommentare!

@Jürgen
Ich wusste tatsächlich nicht, wohin mit einem Theaterstück. Für eine eigene Rubrik, gibts vielleicht aber noch zu wenig "dramatisches" hier.

Du sprichst den Chor an. Der hat ein etwas eigenartige Funktion in dem Stück. In der Regel ist ein Chor ja ein aufklärendes/erklärendes Element in einem Drama. In diesem abstrusen Stück hat er aber eher eine vewirrende. Am Ende weiß er selber nicht, was wirklich vor sich geht, will verharmlosen, setzt aber dabei dem ganzen noch die Krone auf mit der Bemerkung:
"Das Gute bekämpfen, dem Bösen vertraun"
In diesem Zusammenhang ist auch der Novembermorgendunst zu sehen. Das heißt, dass Volk
ist nicht wirklich überrascht.

In einer zweiten Ebene geht es in dem Stück ja auch, um das Betrachten von Gewalt. Hier bekommt das, was der Chor sagt, eine etwas andere Bedeutung. Vor allem, was das Sehen, das Anschauen betrifft.

Ich sehe die Fürsorge des 1. Soldaten für das von ihm zuvor vergewaltigte Mädchen als Verharmlosung an. Ein Zeichen dafür, wie sehr schon das Recht/Unrechtdenken verschoben ist.

@Elsa
Das Erschreckende ist, dass das System der Kriege sich ganz und gar nicht geändert hat, die Szene könnte vor tausenden Jahren spielen (Xerxes gegen Leonidas) oder heute (Bush gegen den Rest der Welt).

Der gleichen Meinung bin ich auch. Wo und wann auch immer, mit Krieg geht immer ein ungeheuere Verrohung der Menschen einher. Das merkt man im Stück unter anderem daran, wie der 1. Soldat nicht mehr in der Lage ist, Fürsorge und Gewalt auseinander zu halten.

@pjotr
Schön, dass du das mit der Zeitaufteilung bemerkt hast. Es wäre tatsächlich so, wie du sagst. Da es in diesem Text (der ja irgendwie auch ein Text über ein Theaterstück ist) ja nicht nur Krieg geht, sondern auch darum, wie und in welchen Maße man ihn "betrachtet", war mir diese Zeitaufteilung sehr wichtig.

Deine Nachfrage bezüglich dem persönlichen Erfahrungshintergrund sehe ich natürlich nicht als Angriff! Aber ich denke, meine persönlichen Erfahrungen spielen keine Rolle. Der Leser soll nach der Lektüre nicht denken, dass der Autor etwas erlebt hat. Er soll nur merken, dass der Autor sich Gedanken über etwas gemacht. Wenn dann die literarischen Mittel einigermaßen gekonnt eingesetzt werden, ist es der Leser, der eine Erfahrung macht. (Was nicht heißen soll, dass mir das hier gelungen ist).

@mucki
Dank dir für deine offene Meinung. Mich stößt der Text selber auch ab. Es ist aber die Art und die Sprache, die ich für diese Thematik gefunden habe. Und die scheint mir passend. Gerade weil es so abstoßend ist.


Herzlichen Dank!


Liebe Grüße

Sam

Gast

Beitragvon Gast » 17.09.2007, 12:23

Lieber Sam,

ich komme erst heute dazu deinen Theatertext zu würdigen, gelesen habe ich ihn gestern schon.
Klar, dass diesem Text eine Menge Zündstoff innewohnt
Inhaltlich knüpsft du, wie schon besprochen sowohl an Vergangenes, als auch an immer noch gegenwärtige Realität an, der Chor weißt zusätzlich auf antikes Theater hin.
Bitter ist sie, diese Pille, die du uns zu fressen gibst.
Aber ich finde dass Theater das tun muss. Hat es in der Vergangenheit und Gegenwart, und wird es hoffentlich zukünftig tun: die Rolle einer mahnenden und aufdeckenden Kraft zu übernehmen .
Ich bin leider nicht auf dem Laufenden , was an Deutschen Bühnen derzeit außer den bewährten immer wieder gespielten Stücken dargeboten wird … Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ähnlich deiner Herangehensweise, sich an diesem Thema bereits bekannte Bühnenautoren und Regisseure versucht haben.

Es bleibt leider immer noch wichtig und richtig, gerade mit drastischen Mitteln Barbarei an den Pranger zu stellen. (Politische Aufgabe des Theaters, neben der künstlerischen) M. M. n. ist dir das gelungen, dass du als Autor mahnend, aber eben nicht wie ein Überich, auf die „Bösen“ mit dem Finger zeigst, sondern den Finger in Wunden legst.
Das ist unangenehme und das soll es auch.

Sam hat geschrieben:Deine Nachfrage bezüglich dem persönlichen Erfahrungshintergrund sehe ich natürlich nicht als Angriff! Aber ich denke, meine persönlichen Erfahrungen spielen keine Rolle. Der Leser soll nach der Lektüre nicht denken, dass der Autor etwas erlebt hat. Er soll nur merken, dass der Autor sich Gedanken über etwas gemacht. Wenn dann die literarischen Mittel einigermaßen gekonnt eingesetzt werden, ist es der Leser, der eine Erfahrung macht. (Was nicht heißen soll, dass mir das hier gelungen ist).


Ich finde es gelungen.

Letztendlich, muss und soll ein solches Stück provozieren, aufrütteln, ja es darf zu Eskalation kommen, wenn es aus der szenischen und des Wortes Kraft den Schrecken zeigt und extrahiert.
Hier geht es nicht darum sich mit sensiblen Menschen einfühlsam und politisch korrekt über Vergewaltigung im Krieg in ausgewählten Sätzen zu unterhalten, ja Unaussprechliches nicht beim Namen zu nennen, hier soll der Zuhörer und Zuseher auch mit der Nase mitten rein ...

Klar kann man nun sagen, die, die es hören und sehen müssten würden sich ein solches Stück aus ganz anderen Gründen ansehen, als jenen, sich Grauen und Unrecht bewusst unter die Haut gehen zu lassen.
Aber das trifft für so vieles zu was an literarischem veröffentlicht wird und ist kein Hinderungsgrund.

Ein bisschen Ambivalenz:
Es wäre die Frage zu stellen, ob ein Autor nicht den Skandal anstreben sollte, (Ist ja nicht neu), um in den Medien Beachtung zu finden und sich eine Breitenwirkung, über das Theaterpublikum hinaus entwickeln könnte.

An dieser Stelle
Sam hat geschrieben:1. Soldat: Nein! Wir bringen sie in die Stadt. Die werden die Sache bestimmt regeln.
(Zum Mädchen) Das wird schon.


wird die mangelnde Zivilcourage kaschiert und die Verantwortung abgewälzt.
Man hat ja überlegt, ob man selber …. aber es ist so einfach zu sagen … andere werdens richten

Auch dass der 1. Soldat das Mädchen schützen will ist typisch. Das Unrecht was er ihr angetan hat, sieht er nicht als ein solches. Der berühmte Balken im eigenen Auge …

Ob absichtlich oder nicht, diese Textzeile
Sam hat geschrieben:Auge, verweile doch, schau nicht weg


erinnert mich auf makabre Weise an:

Verweile doch, du bist so schön
aus Goethe Faust


Ich bin der Meinung, solltest du, Sam eigene Betroffenheit so literarisch verarbeitet haben, ist der Versuch gelungen, denn ich kann mich einfühlen werden heftig „Attackiert“ und aus meinem, gemütlichen Leben aufgeschreckt.

Falls du möchtest, könnte ich ggf. auf den Text selbst noch eingehen, da könnte man sicher noch ein wenig ausarbeiten.

Liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon Pjotr » 17.09.2007, 13:16

Hallo Sam,

danke für Deine, wie immer, ruhig klingende Rückmeldung.

Sam hat geschrieben:Der Leser soll nach der Lektüre nicht denken, dass der Autor etwas erlebt hat. Er soll nur merken, dass der Autor sich Gedanken über etwas gemacht.

Hm, worin liegt hier nun der Unterschied zu jenem von Dir kritisierten Fall, wo ein Autor sich Gedanken über eine KZ-Haft macht, die der Autor nicht selbst erlebt hat? Unterscheiden sich Dein und sein Fall darin, dass der eine eher einen rationalen, und der andere eher einen lyrisch-emotionalen Tonfall hat? (Wenn überhaupt so, ist in dem einen Fall das rationale Element nicht ebenso lyrisch-emotional garniert, und dieses wiederum im anderen Fall garniert mit einem rationalen Element?)

Kurz gefragt: Akzeptierst Du Texte über nicht selbst erlebte Gewalt nur dann, wenn die lyrisch-emotionale Komponente von der rationalen Komponente überwogen wird? Anders kann ich mir Deine Ansicht momentan nicht erklären.

Ich benutze hier Begriffe wie "rational" und "lyrisch-emotional". Man möge diese nicht zu eng sehen, mir sind keine besseren Metaphern eingefallen. Apropos, vielleicht haben diese eine Ähnlichkeit mit Klaras Begriffssuche in Sachen "nahe Distanz" und "distanzierte Nähe".

Meinen Beitrag gegebenenfalls bitte verschieben.


Cheers

Pjotr

Sam

Beitragvon Sam » 17.09.2007, 22:13

SCHEIßE!!!!

Jetzt habe ich über eine Stunde an einer Antwort für Gerda und Pjotr geschrieben und durch einen falschen Tastengriff ist alles weg.

SCHEIßE!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Ich melde mich morgen wieder.

Sorry!!

Habt herzlichen Dank!!

Lieben Gruß

Sam

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Beitragvon Pjotr » 18.09.2007, 10:03

Selbst beim Fluchen klingst Du freundlich, Sam. Erstaunlich. Bild

Sam

Beitragvon Sam » 18.09.2007, 21:41

So, auf ein Neues! :mrgreen:

Hallo Gerda,

zunächst lieben Dank, dass du dich so intensiv mit dem Text auseinandergesetzt hast.

Aber ich finde dass Theater das tun muss. Hat es in der Vergangenheit und Gegenwart, und wird es hoffentlich zukünftig tun: die Rolle einer mahnenden und aufdeckenden Kraft zu übernehmen .

Ich glaube, dass Theater die Kunstform ist, die Menschen am unmittelbarsten erreicht. Das Gefühl, etwas nicht nur gesehen oder gelesen, sondern wirklich erlebt zu haben, stellt sich im Theater am ehesten ein.

Letztendlich, muss und soll ein solches Stück provozieren, aufrütteln, ja es darf zu Eskalation kommen, wenn es aus der szenischen und des Wortes Kraft den Schrecken zeigt und extrahiert.

Das ist von dir hervorragend formuliert und die Rechtfertigung für eine solche Darstellungsweise und Sprache.

Klar kann man nun sagen, die, die es hören und sehen müssten würden sich ein solches Stück aus ganz anderen Gründen ansehen, als jenen, sich Grauen und Unrecht bewusst unter die Haut gehen zu lassen.
Aber das trifft für so vieles zu was an literarischem veröffentlicht wird und ist kein Hinderungsgrund.

Die, die es sehen sollten, würden es nicht sehen wollen. Aber ich glaube, für diese Leute schreibt man sowas nicht. Vielleicht schreibt man es in erster Linie für sich selber, um sich den Schrecken vom Leib zu halten. Man kann an diesen Dingen ja nichts ändern. es jst die pure Ohmacht. Die aber ist vielleichter zuertragen, wenn man sie ausdrücken kann, oder auch in Texten ausgedrückt findet.


Es wäre die Frage zu stellen, ob ein Autor nicht den Skandal anstreben sollte, (Ist ja nicht neu), um in den Medien Beachtung zu finden und sich eine Breitenwirkung, über das Theaterpublikum hinaus entwickeln könnte.

Es geht ja nicht nur um den Krieg in dem Text, sonder auch darum, wie er betrachtet wird. Das Theaterpublikum ist ja im Text selber eingebunden, wenn es in der letzen Regieanweisung zum Klatschen aufgefordert wird. Ich glaube, ein Skandal wäre nicht das Stück. Ein Skandal wäre, wenn nicht alle Zuschauer den Saal vor dem Ende verlassen würden (siehe Pjotrs Anmerkung zur Zeitangabe)

Ob absichtlich oder nicht, diese Textzeile

« Sam » hat folgendes geschrieben:
Auge, verweile doch, schau nicht weg


erinnert mich auf makabre Weise an:

Verweile doch, du bist so schön aus Goethe Faust

Ja, war Absicht. Auch hier auf der Ebene des Textes, in der es um die Wahrnehmung und Betrachtung von Krieg und Gewalt geht.

Nochmals Danke! Auch für dies:
Ich finde es gelungen.



Hallo Pjotr,

Selbst beim Fluchen klingst Du freundlich

:mrgreen:

Aber nun zu deiner Frage:
Hm, worin liegt hier nun der Unterschied zu jenem von Dir kritisierten Fall, wo ein Autor sich Gedanken über eine KZ-Haft macht, die der Autor nicht selbst erlebt hat? Unterscheiden sich Dein und sein Fall darin, dass der eine eher einen rationalen, und der andere eher einen lyrisch-emotionalen Tonfall hat? (Wenn überhaupt so, ist in dem einen Fall das rationale Element nicht ebenso lyrisch-emotional garniert, und dieses wiederum im anderen Fall garniert mit einem rationalen Element?)


Ich hoffe, du hast meinen Kommentar zu moshes Gedicht genau gelesen. Ich habe nicht behauptet, man könne nur über etwas schreiben, das man selbst erlebt hat. Meine Bedenken richten sich explizit gegen das Schreiben eines Gedichtes aus Sichtweise eines KZ Insassen. Weil zwischen heute und der Zeit damals lange 60 Jahre der Aufarbeitung dieses Themas stehen und ein Autor all dies ignorieren muss, will er authentisch sein. Er muß eine perfekte Illusion erzeugen, was bei diesem Thema besonders schwierig ist, da so ziemlich jeder Leser mehr oder weniger damit vertraut ist. (Zumindest muss ich als Autor das annehmen) Moshe ist das nicht gelungen, da er offensichtlich seine eigene Meinungen und seine Ansichten hat einfließen lassen. Anstatt dass er einem Opfer eine Stimme verliehen hat, hat er einem Opfer seine eigene Stimme untergeschoben.

Es geht also nicht um die Frage rational contra lyrisch, sondern darum, wie ich etwas darstelle.
Ich glaube viele denken, dass Literatur darin besteht Gesehenes, Erlebtes, Gedachtes und Gefühltes in Worte zu fassen. Aber es ist umgekehrt. Literatur sind Worte, die die etwas entstehen lassen, dass man erleben, sehen und fühlen kann. Was der Autor erlebt hat, ist zweitrangig. Wichtig ist, was der Leser erlebt, wenn er liest.
Natürlich hilft es dem Autor wenn er persönliche Erfahrungen mit dem Thema hat, über das er schreibt. Diese persönlichen Erfahrungen sind aber keine Qualitätsgarantie was den daraus entstehenden literarischen Text angeht.

Kurz gefragt: Akzeptierst Du Texte über nicht selbst erlebte Gewalt nur dann, wenn die lyrisch-emotionale Komponente von der rationalen Komponente überwogen wird?

Ich akzeptiere übrigens alle Texte. Nur manche gefallen mir und manche nicht. Und gerade bei den Texten, die mir nicht gefallen, versuche mir selbst auf die Schliche zu kommen, warum das so ist. Daraus entstehen dann Kommentare wie zu moshes Text. Kommentare, die nicht das Ergebnis einer Voreingenommenheit sind oder der Lust etwas zu "verreissen", sondern einer intensiven Beschäftigung mit dem Text und der Wirkung, die er auf mich ganz persönlich hat.


Auch dir herzlichen Dank!

Viele Grüße

Sam

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Beitragvon Pjotr » 18.09.2007, 22:16

Danke für Deine ausführliche Antwort, Sam. Ich muss noch eine Weile darüber nachdenken ...

Cheers

Pjotr


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