Prosalog

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 18.09.2007, 18:23

Manchmal glaube ich, dass ich mich nach einem Ort sehne, den es nicht mehr gibt. Latentes Heimweh, das niemals erlöschen kann, kartographierte Sinnestäuschung, wie eine Angst, für die es gar keinen Grund gibt, rational gesehen. Gestern habe ich mal wieder den Spruch: "Jede große Reise fängt mit einem ersten Schritt an" gehört. Vielleicht deshalb.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Rala

Beitragvon Rala » 19.09.2007, 12:51

Die Taube gestern mittag auf dem Bahnsteig, ihr Pistolenflügelschlag, der mich so erschreckte, als sie plötzlich aufflog, ohne dass ich sie vorher gesehen hatte. War völlig in Gedanken versunken gewesen, hatte darüber gegrübelt, warum ich schon wieder so scheiße drauf war die letzten Tage, ohne dass mir ein erkennbarer Grund eingefallen wäre. Nur diese Unruhe natürlich, dieses völlig unerklärliche Gefühl ungeduldigen Wartens auf etwas, ohne zu wissen, auf was. Das Gefühl, irgendetwas unternehmen zu müssen, irgendetwas, dringend und sofort - ohne zu wissen, was. Genau diese Unruhe verspürt A. zurzeit auch, hat sie gesagt. Ich weiß nicht, ob mich das beruhigen soll, ob es etwas an meinem Enpfinden ändern kann. Zumal sie, zumindest nach außen hin, ein so völlig anderer Mensch ist als ich. Ich stand also und grübelte, sah die Schatten der Bäume, die die Gleise säumen, auf den regenglänzenden Platten - der Bahnsteig sieht, seit er neu gemacht wurde, immer so aus, als könne man davon essen, auch, wenn es trocken ist. Macht denn keiner mehr Dreck? - und sehnte mich nur noch danach, nach Hause und endlich in mein Bett zu kommen, um den fehlenden Nachtschlaf nachzuholen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.09.2007, 23:27

Das Leben geht kuriose Wege. Da schreibe ich einen Text über alte Zeiten, so alt, so verdammt lange her. Der Kontakt seit 25 Jahren eingefroren. Jeder lebt sein Leben. Die Kinder von einst sind längst Eltern von studierenden Kindern. Und heute greife ich zum Telefon und spreche mit einer Kousine. Wir reden und lachen, so ungezwungen und leicht. Als hätten wir uns erst gestern gesehen. Kein Fremdeln wie damals, im Gegenteil, vertrauensvoll breiten wir unsere Leben voreinander aus, entdecken so viele Gemeinsamkeiten, Schnittstellen des Schmerzes, den wir beide ertragen mussten. Wie ging sie damit um, wie tat ich es. Wir überschlagen uns mit Fragen, so vielen Fragen, ehrlichen Fragen aus ernstem Interesse, weil wir uns ernstnehmen, endlich gelernt haben, zuzuhören, wirklich zuzuhören. Warum braucht man dafür 25 Jahre?
19.09.07

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 19.09.2007, 23:58

Es war Nacht. Da lag er, kaum zu sehen, schwarz, mickrig klein und gekrümmt. Sein Kopf war größer als sein Leib. Ich zog meinen Monokel auf und beugte mich fragend hinab: "Wer bist du, Winzling?" -- "Ich gehöre zum Stamm der Kommata." -- "Ah, davon habe ich gehört. Es ist also keine Legende." -- "Es soll eine heilige Mutter geben, die verlorene Kommata aufnimmt. Sag, Riese, weißt Du vielleicht den Weg?"

19.09.2007 23:56

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 20.09.2007, 00:24

Schema hin, Schema her. Das hier ist Schoschonen-Gebiet. Jetzt heißt es, wachsam sein. Denn die Schoschonen hassen Schemata.

20.09.2007 00:22

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 20.09.2007, 01:05

Nebensätze sind tückisch. "Die Bedienung brachte das Schinkenbrötchen, und Mareike sah fassungslos zu, mit welcher Schnelligkeit es Karsten verschlang."
Der reinste Horror. Abgesehen davon, dass es in dem Buch um verschwundene Kinder geht ... aber das ist nebensächlich angesichts menschenfressender (jedenfalls karstenfressender) Schinkenbrötchen.

ps. Kommata gebe ich kostenlos ab, Traumata sind etwas teurer. 20 Stunden Handkardieren pro Kilo verlangen ihren Preis.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Klara
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Beitragvon Klara » 20.09.2007, 09:20

Fastentagebuch

3. Tag

(Ich bin zu spät, ich erzähle von gestern, und später von heute, unter "4. Tag"). Das Schulbroteschmieren macht mir heute Morgen nichts aus. Ausnahmsweise bringe ich die Töchter zum Bus, der sie in die Schule fährt, und gehe danach noch ein Stündchen spazieren, am Lietzensee entlang, ein strahlender Herbsttag, so frisch, dass man beinahe Handschuhe bräuchte, um halb acht Uhr früh, wäre man mit dem Fahrrad unterwegs. Ich versenke meine Hände in den Hosentaschen und schaue den erwachenden Enten zu, wie sie sich putzen, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, strecke mich mit Blick über den See kräftig aus, fühle mich wohl.

Vormittags gehe ich zu einer Ayurveda-Massage, werde mit warmem Sesam-Öl begossen und von oben bis unten massiert, auch am Kopf. Sogar die Haare werden ganz ölig, und es ist wunderbar – besser als Essen. (Ich lächle.) Wenn es nicht so teuer wäre, hätte ich das gerne öfter.
Der Haferschleim mittags tut wieder gut, ich lege mich für ein halbes Stündchen hin, erwarte die Schulkinder, doch sie rufen an, kommen später, essen bei Freunden. Gut, dass ich noch nicht angefangen habe, etwas für sie zu kochen.

Dass der Hunger beim Fasten nach zwei, drei Tagen vergeht, ist, glaub ich, nicht wirklich wahr. Man erträgt ihn nur von Tag zu Tag etwas leichter, aber dieses Mal fällt mir das Fasten eher schwer. Ich nehme auch kaum ab und fühle mich seelisch schlapp, dafür körperlich recht fit. Ohnehin geht es mir besser, wenn ich mich bewege, aber in den Nachmittagsstunden leide ich besonders.
Es gibt Momente, das ist es wunderschön, so bei sich zu sein. Aber ich fürchte mich ein wenig vor heute Abend, Gesangsunterrichtsstunde hungrig absolvieren, danach Elternabend - was das wohl wird. Ich habe ja einen ziemlich eisernen Willen, wenn es drauf ankommt, aber der Körper ist eben auch stark. Kaffee-Entzug halbwegs überstanden, jetzt fehlt mir nur noch der Geschmack. Ich mag Kaffee. Ich mag die nervöse Ruhe, die im Kaffee liegt, sie entspricht mir.

Wieder so ein Wahnsinnsherbsttag! Wie von Gott persönlich gemacht.
Das Angenehme am Fasten: Ich denke nicht so viel an Sex. Also daran, dass er nicht passiert. Nicht genug. Nicht richtig. Nicht wirklich. Wasauchimmer. Undsoweiter. Sex ist etwas Schwieriges, auch wenn ich gerne mal das Gegenteil behaupte. Insbesondere wird es schwierig, wenn man ihn gerne leicht hätte. Einfach und selbstverständlich. Darüber spricht man nicht gerne.
Fasten vergeistigt in gewisser Weise. Es kann aber auch sein, dass Fasten nur insofern vergeistigt, als man halt statt an Sex ans Essen denkt. (Smiley) Weil Essen natürlicherweise noch mehr fehlt als Sex. Selbsterhaltung ist ein stärkerer Trieb als Fortpflanzung. Andererseits: Ohne Sex ist man ja auch kein Selbst mehr…Küchenphilosophie à la Klara. Ich bin wahrscheinlich nicht besonders gut geeignet für die allgemeine Vergeistigung. Nicht langfristig jedenfalls. Dies wieder lächelnd geschrieben, aber dabei mit den Zähnen knirschend.

Ich gehe mit meiner großen Tochter wegen Verdacht auf Skoliose zur Krankengymnastik. Erster Termin, ein ganz junger, etwas übergewichtiger Therapeut, aber sehr freundlich und bemüht. Ihr gefällt es, im Mittelpunkt zu stehen, das merke ich. Und sie kann gut mit Männern (Lehrer in der Schule liegen ihr mehr als Lehrerinnen, Klavierlehrer, auch wenn sie schwul sind - Hauptsache Mann). Sie steht so krumm. Ich möchte, dass sie sichzeigt Sie ist so eine tolle Person, soll sich nicht in der Brust zurückziehen, einkrümmen müssen/wollen. Sich wegkrümmen. (Es bricht mir das Herz, und ich erinnere mich, wie ich mich eingekrümmt habe, mich körperlich wegnehmen wollte, genau in dem Alter, und dann jahrelang, und vielleicht immer noch, weiß es nicht, faste ich auch deshalb? Immer die Angst, zu viel zu sein, zu doll, zu schwer, zu dick, zu raumgreifend. Man muss ja bescheiden sein, und alles berücksichtigen, und immer alles in Zweifel ziehen, und darf sich auf keinen Fall gut finden, weil Selbstlob stinkt und Unglück bringt, das reimt sich, aber warum ist das denn so, Himmelnochmal? Ich hoffe, ich bin ein bisschen größer geworden... wenn auch mit Falten im Gesicht...)
Und wenn es angeborene Schieflage ist, kann man auch etwas tun. Danach holen wir Emma von ihrer Freundin ab, kaufen noch ein Käsebrötchen auf dem Weg (nicht für mich! riecht gut!). Ich trinke eine Gemüsebrühe. Heiß und köstlich. Aber die Erleichterung währt nur kurz.
Warum faste ich?
Vor Hunger hab ich’s vergessen, aber es geht mir gut. Ich komme etwas zu spät zum Gesangsunterricht (sehr untypisch), entschuldige mich, sage "ich bin heute etwas schlapp, weil ich faste. Dritter Tag." Das findet sie gut. Fragt, warum ich das mache. Ich sage, dass es mir beim letzten Mal bei der chronischen Sehnenscheidenentzündung oder Handgelenksentzündung oder was immer diese Schmerzen verursacht geholfen hat: Entgiftung. Wir machen auf meine Bitte Gehörbildung, und es macht Spaß, sich auf die Töne zu konzentrieren, die ich mit etwas flacherer Stimme als sonst versuche zu singen, oder die ich erkennen lernen will. Akkorde. Ohne aufs Klavier zu gucken.
Der Elternabend der Großen (7. Klasse) ist anregend, angenehm gemischte Leute, die den Mund aufmachen. Die Leute sehen aus, als hätte das Leben sie angedetscht, und wahrscheinlich sehe ich auch so alt aus, merke es nur nicht, weil ich mich ja meistens nur von innen sehe; manchmal sehe ich auch die anderen so ähnlich wie von innen, wenn ich mich konzentriere, wenn ich es will.
Diesmal muss ich nicht Elternpsrecherin werden: es stehen sogar drei zur Wahl! Hurra!
Mit dem Rad nachhause, noch einen Abendtee, eine Mail an die Partner-Elternsprecherin aus der fünften, und schlafen. Ich schlafe unruhiger als sonst, wache öfter auf, liege im Bett und grüble. Über schnarchende Ehemänner, gute Schulbildung, verpasste Chancen, den Sinn des Lebens und das Glück im Allgemeinen.
Warum faste ich?

Klara
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Beitragvon Klara » 21.09.2007, 00:18

Fastentagebuch

4. Tag

Morgens ist es am schönsten. Wieder ganz früh Spazierengehen, die Sonne schräg über den See blendend, und die Blätter beim Buntwerden erwischen. Da fühle ich mich auch bunt, obwohl ich körperlich schlapper bin als gestern. Die Schwäne rütteln mit den Schnäbeln im Gefieder, als müssten sie sich wachschütteln. Sie sind so schön!
Jogger im Park, aber noch nicht so viele.
Vormittags diverse Arbeiten am Computer.

Merkwürdige Einbildung von Riesenkäfern nach der Mittagsruhe, Wabbelgefühl im Kopf. Unangenehm, fast wie Halluzinatione, die sich bewegen, dann plötzlich weg sind.

Der Hunger am Nachmittag ist wieder so groß, dass ich erwäge, das Fasten diesmal einen Tag früher als geplant zu brechen: nämlich morgen. Ich mag mich nicht mehr quälen. Danke für diese Einsicht, Herr Fasten (oder Frau Fasten?), ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Im Frühjahr möchte ich Sie wieder treffen, und wieder auf Du mit Ihnen sein, wenn Sie erlauben, oder wenn das Schicksal, mein Körper, die Zeit, die Umstände, das Leben im Allgemeinen es erlauben.
Heute halte ich noch durch. Ich möchte mir nicht übel nehmen, dass ich früher aufhöre.
Man weiß es vorher nicht, und es fing ganz gut an, ging aber nicht gut genug weiter. Es ist mir natürlich peinlich, weil ich ja schon so „öffentlich“ darüber schrieb, aber wer sollte mein Richter sein? Und warum? Mal sehen, wie es mir morgen geht, ich muss ohnehin morgen früh einkaufen für das Wochenende der Familie, und für die Aufbautage. Dann kann ich immer noch entscheiden, ob ich früher aufhöre (man bricht das Fasten mit einem Apfel am Vormittag).

Die Sonne strahlt weiter, aber ich strahle nicht mehr mit. Heute Abend gehe ich singen, und auch das beunruhigt mich, weil ich wahrscheinlich flach singen werde, und noch leiser als sonst. Ich fahre mit dem Rad zur Probe fahren, eine halbe Stunde, komme ich auf andere Gedanken.

Die Probe geht gut, und ich bin aus vollem Herzen glücklich, wie immer, wenn ich singe (und manchmal unglücklich, wenn die Satzgesänge nicht so klappen, wie wir wollen, das Einfache ist manchmal am Schwersten, auch in der Musik).
Mein Entschluss fällt: Ich muss essen. Ich faste nicht mehr weiter. Vier Tage reichen dieses Mal. An jeder Ecke lauert die Sehnsucht. Jedes Café, jede Parkbank, jedes Gesicht scheinen mich erinnern zu wollen, dass etwas fehlt. An das Fehlen. Nicht das Fehlen von Essen, aber dieses Fehlen verstärkt das andere Fehlen so sehr. Deshalb werde ich morgen das Fasten brechen und versuchen, lieb zu mir zu sein.

Ich wollte fasten, um lieb zu mir zu sein. Jetzt muss ich damit aus demselben Grund früher als geplant aufhören. Und weiter lernen.

Auf dem Rückweg von der Probe habe ich dann doch noch eine Fastenidee, als hätte die Idee, bevor sie zu mir kam, sich gesagt „die Frau hört morgen auf zu fasten, ich muss mich beeilen“ (Smiley). Mir fällt etwas ein. Vielleicht ist es dumm, aber vielleicht auch nicht:

Musik ist wie das Leben: fließend. Bildende Kunst dagegen hält das Leben fest (Fotografie, Malerei, Bildhauerkunst), fixiert. Musik läuft. Musik ist immer schon Vergangenheit, immer schon Geschichte, bei der unglaublich wichtig ist, was vorher und nachher kommt. Wie im Leben. Derselbe Akkord zum Beispiel klingt (ein Kaffee oder ein Kuss schmeckt) an der einen Stelle gut, an der anderen nicht. Je nachdem. Die Umgebung ist so wichtig, die musikalische Umgebung. Ob etwas klingt. Und es müssen ja alle in derselben Zeit SEIN. Wie im Leben. Sonst bricht es auseinander, (die Beziehung, die musikalische Darbietung) gerät aus dem Takt. Literatur indes liegt irgendwie dazwischen: Sie fixiert zwar, aber fließt dabei, als wäre sie in der Lage, zugleich linear und statisch zu funktionieren UND Bilder dabei zu schaffen. In der Wahrnehmung ist Literatur linear, aber mit einer anderen Richtung als Musik: werdend. Literatur wirft Gewesenes in die Zukunft. Musik setzt lebendige Zeichen ins Vergangene, wie Anker.

Literatur WIRD.
Bildkunst IST.
Musik WAR.


Deshalb ist vielleicht das Ohr das konservativste Sinnesorgan (falls das denn stimmt). Das ist natürlich sehr vorläufig. Man kann das immer auch anders sehen. Aber eins scheint mir klar: Musik ist lebensnotwendig.

Gast

Beitragvon Gast » 22.09.2007, 11:11

Obwohl ich acht Stunden geschlafen habe fühle ich mich zerschlagen und die zwei Glas Tee machen mich auch nicht munter. Ich habe weder schlecht geträumt (oder weiß es nicht mehr), noch regnet es. Es fällt mir auch keine andere wetterfühlige Erklärung ein. Im Gegenteil die Sonne scheint vom „lichtblauen Septemberhimmel“.
Aber mir ist heute nicht „wunschlos“, sondern ein wenig so, als ob ich mir eine Erkältung eingefangen hätte. Die Lust auf viel Flüssigkeit und zwar heiße, habe ich seit drei Tagen bereits an mir beobachtet. Auch, dass die Stimme wieder schlapp macht, wenn ich lange und viel spreche. Es sollte mir eine Warnung sein. Aber kommt dieses kraftlose, brüchige wirklich von einem Infekt? Das habe ich mich beim letzten Mal auch gefragt. Sind nicht Begebenheiten, die mich im Alltag berühren, die mir tief unter die Haut gehen, teilverantwortlich dafür, dass sich mir erst Watte um die Stimmbänder legt, die sich zu grober Putzwolle auswächst um dann die Laute zu ersticken und Sprechen auf Flüstern reduzieren?
Ich klinge angespannt beim Sprechen und bin noch verspannter im Nacken als es ohnehin die Regel ist. Es kostet Anstrengung mich zu konzentrieren, zu artikulieren, mich dabei nicht völlig zu verausgaben. Besser dann ganz still sein. Rückzug nach Innen. Ich bin nicht deshalb traurig sondern glaube, dass mir Traurigkeit ein guter Gefährte dabei ist, ganz bei mir zu bleiben.
Diesmal will ich die Warnsignale nicht überhören, sondern die Innenschau rechtzeitig beginnen. Ich habe mich in der letzten Zeit viel gekümmert, nicht körperlich, aber seelisch, zu viel von mir gegeben womöglich, an Energie dabei verbraucht. Denke ich an meine Schwester, so kann ich immer noch zulegen, aber bekommt mir das auf Dauer?
Dann sind da Freunde, denen gerade widerfährt, wie es sich anfühlt, wenn der eingeschlagene Lebensweg plötzlich Knicke bekommt, die Lebensplanung ins Wanken, vielleicht sogar aus den Fugen gerät.
Jetzt fällt mir auch ein, dass ich etwas ich geträumt habe … also doch. Mein Unterbewusstsein arbeitet ab, was mein Bewusstsein verdrängt. Manchmal sehne ich mir im Traum auch etwas herbei.
Ich muss besser für mich sorgen denke ich. Mir etwas gönnen, nicht ständig geben, geben, geben … Kann denn etwas auch körperlich schwächen, was einen mental aussaugt? So fühle ich mich nämlich und ich glaube wirklich, dass meine zunehmend brüchigere Stimme ein Schutzmechanismus ist. Nicht Reden. Lass dir was Gutes tun oder erzählen. Sei du mal Empfänger.
Einen großen Spaziergang plane ich, bei dem ich meine Gedanken ordnen kann. Meine Erwartungen an andere, wie sehen sie aus? Bei all den Menschen von denen ich mich ausgesaugt fühle, ist es doch wohl eher so, dass ich die anbietende, freiwillig gebende Seite bin, die Starke. Wie sollen sie darauf kommen, dass gerade ich auf ihren Anruf oder eine Mail warte?
M. würde erstaunt sagen :“Das hat doch nichts mit dir zu tun, du weißt doch, das ich 14 Stunden täglich arbeite und dann mein Haushalt …“
Oder P., die seit Jahren schwer krank ist und sich von sich aus überhaupt nicht mehr meldet, sich freut und auch fit genug ist fürs Plauderstündchen, wenn ich mich melde, sie besuche. Das ist ziemlich einseitig …
Bevor ich mich zum Spaziergang aufmachen kann, steht Tim. auf der Matte, er kommt weil er Rat braucht. In seiner Ehe und im Job läuft einiges schief. Er scheint nach einer „Therapiestunde“ einzusehen, dass er seine Einstellung zu Reaktionen Anderer überprüfen muss und auch jene zu seinen Leistungen, letztlich verlangt er sich Dinge ab, die er nicht schaffen kann.
Er wird wiederkommen, ich weiß. Was mir nicht klar ist, weshalb ich nicht einfach sage: „Schön Tim, dass du kommst, aber ich hatte vor Spazieren zu gehen, du kannst ja mitkommen“ … Aber mit ihm bin ich ja noch nie gelaufen. Mit M. oder B. wäre das etwas anderes, stimmt.

Beim Laufen, also schnellen Gehen dann draußen in den Feldern bin ich allein mit mir und der Zeit. Die Sonne ist noch warm, sie macht mich faul im Herbst.

Ich überlege, ob ich wohl doch ein Helfersyndrom habe. Aber ich dränge mich doch niemandem auf, sage ich mir. Ist das so? Oder überliste ich mich auf psychologisch (un)kluge Weise. Darüber werde ich nachdenken bei einem der nächsten Alleingänge durch die Landschaft, an der mein Herz hängt, das spüre ich bei jedem Schritt, auch körperlich. Wie friedlich die Schafe sind und grasen. Wieso haben sie eigentlich um diese Jahreszeit Lämmer? Kann da auch das Netz Auskunft geben?
Aber so wichtig ist das nicht. Auf einer Bank am Feldrand bleibe ich eine Weile sitzen, schaue und versuche an nichts zu denken.
Was ist wenn die Stimme wieder wegbleibt? Noch nie habe ich Angst davor gehabt, aber jetzt schon, wegen der Lesung in ein paar Tagen.
Ich lasse meine Traurigkeit zu.
Zuletzt geändert von Gast am 22.09.2007, 21:36, insgesamt 3-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 22.09.2007, 11:24

Ich habe Durst. Wenn Angst da ist, steigt das Adrenalin, das macht Durst. Immer begrenzter wird meine Zeit. Ich soll meinen ersten Roman endlich losschicken. Nur das Exposee fehlt mir. Wieso kann ich die Geschichte nicht auf 1 Seite komprimieren? Bin ich zu blöd dazu? Und was, wenn die Kurzfassung nicht zeigt, dass ich den Roman "im Griff" habe? Literweise schütte ich Leitungswasser in mich rein, aber die Angst bleibt.

Soll ich es nicht besser ganz bleiben lassen? Wozu soll ich mir das antun in meinem Alter. Für wen ist es schon wichtig, dass ich einen Roman verlegt haben werde? Ja, für meine Mutter vielleicht, ihre Zeit ist noch kürzer.

Ich trinke und trinke ....
Schreiben ist atmen

Gast

Beitragvon Gast » 22.09.2007, 13:46

Nur für mich selbst kann ich etwas tun. Das weiß ich doch eigentlich genau. So wie damals der Marathon. Man läuft ihn für sich. Nicht für den Mann und nicht für die Söhne. Auch wenn sie hinterher alle stolz auf einen sind.
Und man läuft ihn in erster Linie mit dem Kopf, so hirnrissig sich das anhören mag: Man muss es wollen, dieses "Beißen", dann kommen die Befehle an die Beine fast von selbst.

Oder wie damals als ich merkte, ich kann nur Saufen oder Nichttrinken. Für wen bin ich abstinent geworden? Für mich ganz allein und zufrieden und glücklich darüber. Mein Verhältnis ist nach Jahren endlich entspannt gegenüber dem guten Glas Wein, was ich meinen Freunden herzlich gönne.

Oder Texte absenden für einen Wettbewerb. Wie viele Abgabetermine habe ich schon vergessen. Aber weshalb? Weil ich kein Zeitgefühl für Fristen habe? Nein, weil ich es eben nicht genug will.
Erst wenn ich es wahrhaftig für mich allein will, werde ich auch den nächsten Termin im Hinterkopf behalten.
Zuletzt geändert von Gast am 22.09.2007, 21:38, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 22.09.2007, 14:36

Kennst du das? Du stehst auf und weißt, dass dieser Tag ein Abhaktag wird. Nicht nur so ein innere Ahnung. Du weißt es einfach. "Ja", werden jetzt viele denken, "klar, wenn sie schon mit diesem Gedanken den Tag startet, kann er nur schiefgehen." Nein, ich programmiere mich nicht selbst. Es ist einfach so. Hab ich schon oft genug erlebt. Es wird ein Kampftag. Ein Kampf mit mir selbst.

Im Spiegel sehen meine Augenränder schwärzer aus als sonst. Ich möchte mir am Liebsten die Haut vom Gesicht reißen. Wie jeden Samstag der Weg zur Waage. Nur 100 Gramm abgenommen. Scheiße! Wozu strampele ich mir jeden Tag sieben km auf dem Crosstrainer die Lunge aus dem Leib und reduziere das Essen auf ein Minimum? Mit einem echten Fahrrad kann ich nicht fahren. Hört sich total bescheuert an, ich weiß, ist aber so. Mein Gleichgewichtssinn ist gestört. Schon drei Mal hatte ich fast einen schweren Unfall, weil ich das Rad nicht gerade halten konnte und es direkt auf die Straße lenkte. Und joggen? Auf der Straße? Nee, darf ich nicht. Es muss ein weicher Untergrund sein, wie im Wald. Aber hier ist nunmal kein Wald in der Nähe. Müsste ich erst hinfahren, mit dem Fahrrad, das ich nicht fahren kann. Und Auto hab ich nicht mehr. Seit über zehn Jahren bin ich meinen geliebten Mini los. Selber schuld, damals. Deshalb der Crosstrainer. Komme mir dabei vor wie ein Hamster, der sinnlos vor sich hinstrampelt. Da hilft auch keine fetzige Musik.

Mein Mann schüttelt nur den Kopf. "Weiber!" und verdreht dabei die Augen. Ich wäre zu dünn, behauptet er, könnte ruhig ein bisschen zunehmen. So ein Quatsch. Ich bin nur 1.64 groß und wiege zur Zeit 53,2 kg. Das ist für mich NICHT akzeptabel. 50 Kg sind richtig, jedes Gramm darüber ist zuviel. Ich weiß, ich bin schlank, aber ich fühl mich nicht wohl mit diesen 3,2 kg zuviel. Basta. Und darauf kommt es ja wohl an. Dass ICH mich wohl fühle in meiner Haut, die ich mir am Liebsten abreißen möchte.

Seit einigen Wochen fühle ich ein starkes Bedürfnis, mich von allem zu befreien, was mich einengt und dadurch belastet. Zuerst war mein Zimmer dran. Hab es komplett neu eingerichtet. Besser, viel besser. Vor drei Tagen habe ich das lästige Moskitonetz entfernt. Ich hasse diese Dinger, vor allem wenn sie meine Haut berühren. Ätzend, dieses Gefühl! Wie lauter Spinnen, die ganz langsam über meine Haut krabbeln, die ich am Liebsten abreißen möchte. Seit einer Woche trage ich ein Taping am Hals, eine neue, japanische Methode, um die Muskeln zu lockern. Der Physiotherapeut hat dies vor einigen Wochen auch mit meiner kaputten Schulter gemacht. Da hat es ganz gut gewirkt, aber nur für eine Woche. Ach, die Schulter. Ob sie jemals ganz heilen wird?
Ich habe ja, seit der chronischen Gelenkkapselentzündung, eine Putzfrau, die Steffi. Die ist wirklich klasse. Sie kommt alle zwei Wochen und macht hier Tabularasa. Steffi ist so alt wie ich. Wenn sie da ist, haben wir soviel Spaß. Sie braucht über vier Stunden jedes Mal, weil wir soviel schwätzen und ich sie ständig ablenke. Eigentlich ist sie gar keine richtige Putzfrau, sondern inzwischen zu einer Art Freundin geworden. Wir vertrauen uns - so ganz von Frau zu Frau - unsere Geheimnisse an. Meine Schwiegermutter, bei der sie auch sauber macht, ist ganz eifersüchtig. "Steffi geht viel lieber zu Gabi. Es wäre immer so lustig bei ihr." Das stimmt. Wir lachen uns schibbelig jedes Mal.

Wie kam ich jetzt auf Steffi? Ach ja, die Schulter, das Taping um den Hals. Heute hab ich mir das Zeug vom Hals gerissen. Ein war ein gutes Gefühl, es mit einem schmerzhaften Ruck von der Haut zu reißen. Es hat, wie ja zu erwarten war, keine Wirkung gezeigt, mein Schlucken nicht erleichtert. Na ja, ich glaube eh nicht mehr an Wunder. Es war mein letzter Versuch, irgendetwas in der Richtung zu unternehmen. Ich muss damit leben oder ich lasse es eben sein.

Den Crosstrainer könnte ich in den Keller befördern, wieder ein Zwang weniger, mehr Freiheit, aber dann würde ich wohl zunehmen. Nee, geht also nicht. Verdammt noch mal. Warum kann ich nicht einfach sagen: Ich bin ok, so wie ich bin? Ich kann es einfach nicht. Hab ich noch nie gekonnt. Ich glaube, es gab noch keine Phase in meinem Leben, in der ich mit mir rundrum zufrieden war. Arrrrrgh, es ist zum aus der Haut fahren.
Vielleicht sollte ich mich lieber wieder ins Bett legen? Nein, dann hab ich ein schlechtes Gewissen. So viele Projekte warten auf mich. Ich muss mich noch in so viele verschiedene Programme einarbeiten.

Ist das nicht eigentlich völlig egal, wann ich das mache? Was spielt denn überhaupt eine Rolle? Mir ist alles so verdammt egal. Und es ärgert mich, dass mir alles so verdammt egal ist, obwohl: es stimmt ja gar nicht, dass mir alles so verdammt egal ist. Würde ich mich sonst über die Augenränder und die 3,2 kg Übergewicht derart ärgern, dass ich mir am Liebsten die Haut vom Leib reißen würde?
22.09.07

Klara
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Beitragvon Klara » 22.09.2007, 16:10

Am gemeinsten ist das Wetter immer dann, wenn es so tut, als wäre es schön und in Wirklichkeit auf den Kopf drückt, alles verrückt, und die Leute durcheinander bringt. Wie heute. Strahlender Sonnenschein, warm und leicht – und doch tragen die Leute ihre gerunzelte Stirn und ihren gekniffenen Mund wie einen Spiegel meiner eigenen Kopfschmerzen durch die Gegend. Wenn es regnet, ist mein Kopf frei.

Regen kommt noch früh genug.

Wie auch das Wissen (wird es grausam sein? erleichternd? geduldig?), möglicherweise, früh genug kommt. Endlich mal wieder ein Wissen. Was zu tun, was zu lassen ist. Wie es weiter geht. Und wohin. Entschlusskraft und Tatendrang. Sicherheit für ein nächstes Stück des Weges. Gemeinsam, allein, kompromissbereit, zerschlagene Knoten - whatever. Mir wäre alles recht, das ein Nachlassen der Traurigkeit bewirkt, denn vorweggenommene Trauer ist das dümmste, was man nicht unterlassen kann, weil sie möglicherweise unnötig ist. Möglicherweise.

Doch der gestandene Melancholiker weiß genau, dass es immer einen guten Grund gibt, um traurig zu sein, um zu trauern gar, und vermengt gekonnt und aus alter Gewohnheit Trauer und Traurigkeit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem bekömmlich herben Brei, dessen Geschmack bei jeder Gelegenheit die Tränen in die Augen treiben kann - allzeit bereit - insbesondere, wenn das Wetter so tut, als wäre es schön.

Klara
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Beitragvon Klara » 22.09.2007, 21:03

filmkritik

hochfliegende vögel als das pferd flieht wie der filmtitel verspricht oder pläne der film handelt aber nicht von pferden sondern hauptsächlich vom vögeln wie man es am elegantesten vermeidet sozusagen und sich den kopf drüber zerbricht warum oder wann wieder mir wird schlecht und das pferd darf auch gar nicht fliehen wird wieder eingefangen von dem macker mit der albernen sonnenbrille so leid es mir tut ich glaube der film ist auch schlecht kann aber auch an der novelle liegen mittelalte männerphantasien aus betten und bädern und ein paar nichtsnutzige zeitgeistprobleme verquirlt zu einem pseudohumanen einheitsbrei ohne botschaft ohne leidenschaft nur hämisch zeigend seht so affig sind wir alle kann sich nicht entscheiden wo liebe not täte lauert das nächste klischee dialoge auf effekt nur scheinbar wie im wirklichen leben enttäuschung ohne einsicht ist die gröbste entschuldigung die keine ist nicht

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