Lyrischer Dialog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.08.2006, 17:59

Liebe Schreibfanatiker,

ich möchte hier in diesem vitalen Forum einen "lyrischen Dialog" beginnen. Lyrische Dialoge sind kooperatives Schreiben, Gedichte, die (auf-)einander aufbauen. Das können inhaltliche Bezüge sein, oder es werden Worte des "Vorschreibers" aufgegriffen, oder man übernimmt einfach nur die Stimmung.
Hierdurch entstehen unkommentierte Gedichtfolgen. Die Form bleibt dem Autoren überlassen (zB. ob gereimt oder ungereimt ...)
Würde mich über rege Beteiligung freuen!

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Zuletzt geändert von Nifl am 30.08.2006, 19:10, insgesamt 2-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.01.2017, 17:35

in 200 jahren
muss die träne nicht mehr geweint werden
die eichenlianen reißen die zimmer nieder
in denen die träne möglich war
ganz sanft tun sie das und
die zeit streichelt die, die dabei sterben
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Niko

Beitragvon Niko » 29.01.2017, 22:50

von der zeit sich streicheln lassen
hinter den lahmen flügeln
und am gebrochenen herzen
vor allem
aber ist es die zeit
die nach zärtlichkeit sucht
denn ihr streicheln
Ist unruhig fordernd
und zerreißend

doch im schein dieser kerze
goldig - rot mit blauer flamme
rußt sie dahin
die zeit wird
ein fluss in die quelle
wo ich begann

Mucki
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Beitragvon Mucki » 30.01.2017, 18:13

wie sich streicheln lassen
von der unruhigen zeit
vielleicht mitgehen mit
jeder kurve jedem sog jeder welle
zeitsurfer

Niko

Beitragvon Niko » 02.02.2017, 18:56

und dann
ist wieder jemand da
und freundlich bestimmt
nimmt er dir die luft
zu atmen
traust du dich nicht
denn du würdest
tief einatmen
das gewesene
das nie gewesen sein wird
und du würdest ausatmen
kurz und hektisch
wie damals nur noch schlimmer

und dann wünschst du dir
wie schon immer
dass das atmen aufhört
das atmen über neben und in dir
und dass endlich vorbei ist
was niemals aufhört

doch das atmen geht weiter

.

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nera
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Beitragvon nera » 03.02.2017, 02:54

in 200 jahren weinen wir nicht mehr.

warum auch. wir leben jetzt. wir sind.
und wir sterben. und weinen und lachen und lieben.
jetzt. und sagen ja und nein.
wir sind jetzt. eine liane und freitag und asche
und der golem geht um
geschaffen aus tränen, die nie geweint wurden.
aus ungesagtem "nein". aus "endlich vorbei"

oder hilflosem wüten...

" die musik in allen dingen"

die zeit ist die rose die zeit die rose die rose
und wir können uns reinhängen in die zeithängematte
während die spielmannzüge aufspielen
und es ein kreischen gibt
dass ohren bluten lässt
und wir wiegen uns in erinnerung
eine sanfte melodie
einschlaflied
beischlaflied
und der herr wird es richten
maria hilf

Nifl
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Beitragvon Nifl » 04.02.2017, 11:43

Ch nist mn (Ich niste mich ein)

schräge Decken und hohe Wände
überwintern ist ein großes Wort
oben glimmt ein bloßes Licht
wenn ich atme geht es mit
das gedeckte Dach trägt Stille
ist blickdicht im Innern
kleiden wir uns aus
beziehen das Alte mit frischem
Mut liegen wir da
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 05.02.2017, 09:10



in geschichten einen zipfel finden
an dem man schnüffeln kann

schreiben als könnte man nicht auflegen
beim telefonieren

unter schrägen dächern lieügen wir
suchen wurmlöcher



da wollte jemand die liebe erklären
mutig
das erste schneeglöckchen ansehen
nicht weinen wenn ich atme
atmest du

einausreden
in der heruntergelassenen hose
fände man auch nur zerknüllte zettel
das ist ein trost, dass man
es nicht kann

es ist einfach
wie gott
nur so viel
wenn ich atme
atmest du

es liegt nur mehr oder weniger
dazwischen



Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 05.02.2017, 10:05

Ich habe meine Kindheit zerstört
als ich nach Bullerbü zog

Die Fehler frieren ein
sind der Grund meiner Stapfen

Ich frage die Kälte: Freunde?

Und wir bringen die Folgen durcheinander

Stellen uns vor
keine festen Hände zu haben
(und schneller zu atmen)

Als würde Schmelzwasser dampfen
Als gäbe es noch Eisblumen auf Isolierverglasung

Im nächsten Augenblick lächelte ich auf dem Bild
wenn ich dich oben sähe
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Niko

Beitragvon Niko » 05.02.2017, 12:14

Ich bin saltkrokan
und immer ein kopf
in irgendeiner suppenschüssel
partner von hotzenplotz
und dem Teufel
mit drei goldenen Haaren
sitze ich im däumlingland

und schreibe

mein märchen:
auf blauen wiesen
vergrabe ich das erste haar
glaube
und singe dazu
von den wasserfällen der untergänge

dann fliege ich
in roten flüssen
und versenke das zweite haar
liebe
und schweige dazu
über die gebirgskämme versunkener zeiten

und dann gehe ich
über zerborstene grüne wolken
und lege das dritte haar
hoffnung
in den wind der verlassenheit
und singe dazu
das lied von der guten aussaat

und zu mir schwamm ein rot
und ein blau wuchs mir zu
und es tanzte ein grün
um meine welt

Mucki
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Beitragvon Mucki » 05.02.2017, 13:12

und dann wage ich mich
ins land der hoffnung
in dem es keinen winter gibt
und kann die zerfetzten wolken
blutrot drohend wie sie doch sind
nicht wegsehen
die dunklen worte
aus denen sie geboren
tiefschwarz gedruckt
stehlen mir das land

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.02.2017, 22:58



dieses land stiehlt mir keiner

im schmelzwasser der blicke
wellt sich mein haar
trage ich offen
den rest verschließe ich
wie einen brief
/die faszination des siegels
der daumenabdruck im heißen wachs
der süße kleine schmerz/
und der große
jo
manchmal wünschte ich mir die kargheit
der norddeutschen sprache
zu sein

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Klara
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Beitragvon Klara » 08.02.2017, 14:44

Den Panzer aus Schmerz
putze ich, dahinter bleib‘ ich
unsichtbar, verlerne mich
Gelernt ist:
Eine Frau wird verletzt Eine Frau lügt Eine Frau lächelt kein echtes Lächeln Eine Frau ist dem Übergriff ausgesetzt dem Spott der Verkleinerung

Ich klemme,
die bittere Lektion im Leib,
beim Öffnen mir die Seele ein
breche nach innen
AUS schreit es, da draußen BUSEN, den sie OBERWEITE nennen,
wenn er groß ist, wenn sie geil sein wollen und zugleich verächtlich
(meiner ist kleiner als jedes Lächeln)

Gelernt ist:
NEIN zu sagen
mit dem ganzen Körper
noch vor MAMA, TROTZDEM, DOCH
richtet mich
das Wort
Wer biegt mich
gerade
Zieht mir an
die Rüstung aus Liebe

(Ich lebe ohne Kopftuch und Migrationshintergrund in einem Land mit "zivilisierten" "westlichen" "Werten")

Nifl
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Beitragvon Nifl » 11.02.2017, 10:37

Dieses Land ist es nicht (Ton Steine Scherben)

Abdruck
vom Wanken
vom Anfang
vom Wahnsinn

Nackenfell
und versteinern

zu Boden gefallen
die geschwitzte Hand

Größengeflecht

das Flirrende wird herausgezogen

die letzten Meter Meer
mein Kleinod
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.02.2017, 13:47

ist es nicht das land
der spuren des wahns
der häute die sich versteinern
in dem wir wanken
und doch voll bei sinnen
(mit hoffnung versehen)
uns auf abdrücke verlassen?


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