Scarletts "Großväter" (von Klara)

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Klara
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Beitragvon Klara » 19.07.2007, 17:33

Hörversion

Großväter

Der eine trug sein Kreuz
rot aufgemalt (man sagte mir)
nicht nur bis Stalingrad

fern war dort Hippokrates
und längst gebrochen
der Stab des Äskulap

das Heil versickerte im Schnee –

(wie klang danach sein Saitenspiel?)

Der andere entkam
zunächst

zwischen Reißbrett und Maschinenträume
schob ein Fließband
Bombenflieger

nicht nur in Tusche –

ein vollbesetzter Irrtum
(der Geschichte wie man spät erfuhr)
trug ihn schließlich doch noch fort

für immer

hinter ausgediente Fronten
ins neue Bruderland
voll von schwarzem Schnee –

Väter
waren sie beide doch
groß
bleibt nur die Frage
was hätten sie mir wohl erzählt?

(zumindest an des einen Grabe
kann ich hin und wieder stehn)


scarlett, 2007

scarlett

Beitragvon scarlett » 19.07.2007, 21:35

Hallo Klara,

das hast du sehr gut hinbekommen, DANKE!

Details - morgen, ich bin heut einfach zu müde.

Ganz liebe Grüße,

s.

Herby

Beitragvon Herby » 19.07.2007, 22:55

Hallo Klara,

ich beginne die Hörbar zu entdecken und habe als drittes nun dieses von Dir gelesene Gedicht gehört, und es ist Dir hervorragend gelungen, die Stimmung des Textes widerzugeben.

Zu zwei Stellen möchte ich gerne noch etwas fragen:

zwischen Reißbrett und Maschinenträume
schob ein Fließband
Bombenflieger


Hier senkt sich Deine Stimme nach "Maschinenträume", so als ende hier der Satz, aber er wird doch fortgeführt. Ich hab's jetzt mehrmals gehört und hatte den Eindruck, als binde Deine Stimmsenkung an der Stelle den Satz an die vorherigen Verse an:

Der andere entkam zunächst
zwischen Reißbrett und Machinenträume

was ich aber so nicht lese. Verstehst Du, wie ich meine? Müsste sich nicht nach "Maschinenträume" die Stimme etwas heben oder gehalten werden, um den Übergang zu Fließband und Bombenleger zu erleichtern?

Ein letztes noch:

Väter
waren sie beide doch
groß
bleibt nur die Frage


Hier machst Du nach "beide" eine Pause, die nach meinem Lesen der Setzung im Text nicht ganz gerecht wird, wo ja erst nach "doch" der Umbruch erfolgt. Das passt nicht ganz zusammen, wenn ich beim Hören den Text vor Augen habe.

Aber lass Dich jetzt durch diese Meckerei nicht täuschen: dem Lob von scatlett schließe ich mich sehr gerne an!

Liebe Grüße
Herby

Klara
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Beitragvon Klara » 20.07.2007, 09:24

Hallo Scarlett,

da bin ich erstmal erleichtert .-) Der Text ist nicht leicht zu lesen, finde ich, weil man gleichzeitig distanziert und nah sein muss. Nah an Erinnerungen, die man kaum hat...

Hallo Herby,

es fällt mir schwer, das eigene Vorlesen zu analysieren, aber ich glaube, ich senke die Stimme nach "Maschinenträume", weil ich es als Aufzählung lese (auch wenn das Fließband mit den Maschinenträumen zu tun hat und sozusagen eine Präzisierung sein könnte - aber vielleicht eben auch nicht: )Reißbrett/Maschinenträume lese ich als Ingenieur/technischer Kopf - Fließband dagegen so, als wäre dieser Traum geplatzt. Der Mann ist kein Ingenieur geworden, zumindest nicht im Krieg, sondern hat kriegswichtig und monoton Waffen am Fließband hergestellt, entweder FÜR Bombenflieger, oder wurde dann selbst Bombenflieger. Ich kann mich da auch völlig irren, klar. Aber deshalb senke ich wohl die Stimme nach "Maschinenträume" - weil sie gepplatzt sind.

Und ich binde den Vers durchaus an den anderen an: Er entkam zunächst zwischen Reißbrett und Maschinenträume. Das ist ja ein Entkommen! Da - zwischen Reißbrett und Maschinenträumen - lauert der Tod/der Krieg nicht an jeder Ecke.

Vielleicht hast du aber recht, dass man hinter "beide" keine Pause machen sollte..., aber ich fühle da ein Komma (und grammatisch, wenn es ein Prosatext wäre, müsste dort auch eins stehen). Da wird das Lesen wohl der Setzung nicht gerecht, das mag stimmen. Leider setze ich das subjektive Verständnis meines Lesens über die Setzung. Hoffentlich nimmt Scarlett mir das nicht übel. Beim Vorlesen entsteht dann sozusagen eine neue Setzung als bei der optischen Gestaltung, weil es ein anderes Medium ist. Ich würde das angebundene "doch" (ohne Pause vor "beide") als Dopplung des INhalts verstehen. Wenn ich die Pause nach "beide" mache, impliziert das schon das verstärkende "doch" - und ich kann das "doch" für den Gegensatz benutzen. Beim Leise-Lesen - also bildlich Aufnehmen des Textes - kann das doch beide Bedeutungen behalten. Beim lauten Lesen ist das kaum zu gewährleisten (außer durch für mein Empfinden künstliche Betonungen, die mir vorkämen, als würde ich die Anführungszeichen mit den Fingern in die Luft schnipsen).

Habe ich mich verständlich ausgedrückt oder alle Unklarheiten beseitigt?

Lieber Gruß
Klara

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 20.07.2007, 21:16

Also Klara,

Du hast echt eine tolle Stimme und Du machst Dir Gedanken um die Texte, die Du vorliest, bzw. wie Du sie vorliest.

Es klingt professionell, aber bei dem "beide doch", stutzte ich auch, da es so an der Setzung des Textes vorbeiging. Ich kann Deine Erläuterungen nachvollziehen. Vielleicht wären zwei kleine Pausen eine Lösung, eine vor eine nach dem doch?

Schönen Abend

Jürgen

Klara
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Beitragvon Klara » 20.07.2007, 21:21

Hallo Jürgen,

vielleicht habt ihr recht - aber:

gelesen ist gelesen ist gelesen. Ich kann das eh nicht wiederholen. Ich würde es dann insgesamt anders lesen. Und ich habe Lichel und Lisa und mir selbst versprochen, jetzt erstmal meinen Mund zu halten ,-) (ehe ich jemandem auf die Nerven gehe :neutral:)

Grüße
Klara

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 20.07.2007, 21:24

"gelesen ist gelesen ist gelesen. Ich kann das eh nicht wiederholen. Ich würde es dann insgesamt anders lesen. Und ich habe Lichel und Lisa und mir selbst versprochen, jetzt erstmal meinen Mund zu halten ,-) (ehe ich jemandem auf die Nerven gehe ) "

Oh huch, also mir bist du nicht auf die Nerven gegangen.

Verwunderte Grüße

Jürgen

Klara
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Beitragvon Klara » 20.07.2007, 21:32

... ich schrieb ja auch bevor ich (undsoweiter). hab gerade so viele Audios gepostet. Keine Sorge .-)

Klara

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.07.2007, 22:19

LIebe Klara,

es gibt nur zwei Stellen, die ich mir ein klitzekleinwenig anders vorgestellt hätte, aber: ob das überhaupt zu bewerkstelligen wäre, ist die Frage.

Die eine betrifft die zweite Strophe: da hätte ich mir vorgestellt, hinter "und längst gebrochen" eine klitzekleine Pause einzulegen, die Stimme etwas runter, bevor es dann weitergeht. Somit entstünde der Eindruck, daß Hippokrates "gebrochen" ist, der Eid, bevor die "Auflösung" mit dem Stab kommt.

Die andere betrifft die "Väter// waren sie beide" Strophe. Ich denke, du hast es "richtig" gelesen, ich werde das "doch" in die nächste Zeile ziehen, das entspricht meiner eigentlichen Intention. Ansonsten müßte für meinen "Geschmack" die Stimme fast gleichbleibend für "waren sie beide - doch" gehalten werden, mit ner kleinen Pause vor dem "doch". Sehr schwierig.

Die Pause vor der Schlußklammer finde ich sehr gut - allerdings hätte ich sie dann nicht so schnell gelesen. Das "zumindest" hätte ich mir stärker betont vorstellen können.

Die diskutierte Stelle mit dem Reißbrett und den Maschinenträumen: die Intention war, den Großvater in seinem Dilemma darzustellen: als Maschinenbauingenieur hat er sicherlich von anderen Maschinen geträumt, die er in Tusche (sprich als Entwürfe in Tusche) hätte festhalten/entwickeln wollen - zwischen dieses Projektieren und seine Träume hat aber der Krieg die Realität der Bombenflieger (deshalb: nicht nur in tusche, sondern ganz real), die am Fließband gefertigt wurden, dazwischengeschoben. Es geht also um nicht realiserbare/realisierte Träume zu jener Zeit...
Deshalb finde ich ich die Stelle, wie du sie gelesen hast, gut. (vielleicht hätte man zweite und dritte Verszeile etwas mehr binden können, aber ok).

Deine Wahnsinnsstimme und deine Diktion haben mein Gedicht noch um ein Vielfaches erhöht. Ich danke dir dafür.

Herzlichst,

scarlett

Klara
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Beitragvon Klara » 21.07.2007, 08:47

Hallo Scarlett,

danke für dein ausführliches Feedback. Das kann ich alles nachvollziehen. Du erklärst sehr genau und sehr fein, was du meinst und wie der Text empfunden werden soll. Außerdem bist du die Dichterin, und die Dichterin hat immer Recht .-)

Was ich ja jetzt noch spannend fände: Wie du ihn lesen würdest!

Lieber Gruß
Klara

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.07.2007, 20:26

Liebe Klara,

ich ziere mich noch :-) - allerdings mehr wegen der Technik, die mir ein Graus ist und ein Buch mit sieben Sigeln (mindestens) obendrein!

Ich habe hier schon lange versprochen, mal was zu lesen ... *duckundrenn*

du ahnst ja gar nicht, wie sehr ich mich wirklich über deine Lesung gefreut habe!

Grüße von einer müden

scarlett

Herby

Beitragvon Herby » 22.07.2007, 10:56

Liebe Klara,

erst einmal herzlichen Dank für Deine aufschlussreiche Rückmeldung! Du sprichst einige grundsätzliche Probleme an, über die ich noch gar nicht nachgedacht habe, da mir bisher die Hörbar verschlossen war.

es fällt mir schwer, das eigene Vorlesen zu analysieren


Ja, es ist wohl wirklich leichter, einen geschriebenen Text zu analysieren als einen gesprochenen. Und auch das, was Du an Jürgen schreibst, ist für mich absolut nachvollziehbar: eine neue gelesene Version würde sicher anders ausfallen, einmal Gelesenes ist nicht wiederholbar.

Leider setze ich das subjektive Verständnis meines Lesens über die Setzung.


Hier frage ich mich, ob Du als Lesende dazu nicht sogar ein gewisses Recht hast bzw. wie ganz allgemein das Verhältnis zwischen Text / Setzung und der Subjektivität des (der) Lesenden geartet ist.


Sonntagsgrüße
Herby

scarlett

Beitragvon scarlett » 22.07.2007, 11:07

Hallo, Herby und Klara

ich finde auch, daß der Lesende ein gewisses Recht dazu hat, sein Verständnis des Textes über die Setzung zu stellen, bzw. so zu lesen, wie er den Text versteht, seine Prioritäten an Stellen zu setzen, die u U nicht diejenigen des Autors sind/waren.

Herzlichst,

scarlett

Max

Beitragvon Max » 22.07.2007, 13:36

Wow, das ist eine Superkombination, ein sehr guter Text mit einer meiner Lieblingsstimmen im Salon ...
danke, das ist schön.

Liebe Grüße
max


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