Baemu Suti

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 23.09.2012, 13:05

Liebe Salonler,
kürzlich stieß ich auf das Buch "Baemu Suti", in dem verschiedene namhafte deutsche Schriftsteller der 60 Jahre einen in einer fiktiven Sprache verfassten Vierzeiler aus der fiktiven Steinzeitkultur der Ibolithen "übersetzt" haben, jede Übersetzung kompetent literaturkritisch kommentiert. Das Buch trägt den Untertitel "Ein literarisches Gesellschaftsspiel".
Genau richtig für den Salon, denke ich. Die Herausforderung besteht also darin, den Vers zu übersetzen, die Übersetzung ggf. zu kommentieren (Haben einige Wörter eine Nuance, die eine alternative Deutung zulässt? Was bedeuten gewisse Bilder im Rahmen der ibolithischen Kultur? Gibt es evtl. religiös oder mythologisch bedeutsame Eigennamen? Etc....) und andererseits zu bereits geposteten Übersetzungen Analysen zu liefern. (Wer auf keinen Fall möchte, dass seine Übersetzung analysiert wird, kann das ja im Posting vermerken.)
Bin mal gespannt, was daraus wird. :-)

Und hier kommt der Vers:

baemu suti falla kur

mostin arasiban taegna.

kiu ténde vossagur:

flagedarad assa

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 25.09.2012, 11:09

Hallo Merlin,

gefällt mir die Idee, auch weil es wieder mal ein wenig am Sprach- und Kommentiersockel und -verständnis rüttelt, .-) den Blick ein wenig freimacht. Als ich eine Übersetzung versucht habe, fand ich vor allem spannend, dass man gar nicht so frei ist, wie man eigentlich erwarten sollte. Wenn baemu erst mal ein Bär ist, und was sollte es anderes sein?!, dann zieht er sein eigenes Ding durch. :o)
Ich bin gespannt auf deinen Beitrag, gibt es ihn schon?
Waren sich die Übersetzungen denn stellenweise ähnlich?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.09.2012, 11:55

Liebe Flora,
man kann sich ein paar der Übersetzungen in einem alten Spiegel-Artikel ergoogeln. (Bin jetzt zu faul, wieder danach suchen zu gehen, aber wenn Du eine Gedichtzeile in die Googlemaske eingibst, kommt ein Link auf den Artikel.)
Soweit ich mich erinnere, waren sie sehr unterschiedlich.
Und ich bin jedenfalls überzeugt, dass falla ein Hase ist, der seinerseits sein Ding durchzieht ;o)
Über den Rest muss ich noch nachdenken ...
Grüße von Zefira
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 25.09.2012, 13:08

Hallo ihr Lieben!
Natürlich habe ich eine Übersetzung :-) , wollte sie aber erst später einbringen. Das Spektrum der damals um eine Übersetzung Gebetenenen reichte damals übrigens von Erich Kästner bis Ernst Jünger, entsprechend weit gingen die Antworten auseinander (auch wenn gerade diese beiden sich leider nicht beteiligen wollten). Das folgende war mein persönlicher Favorit, der mir sofort im Kopf hängen geblieben ist:

Wipfelrauschen, Quellenweinen,
Reden, Singen, Lachen, Raunen,
alles kreist, ein lallend Staunen
vor dem Einen.

Gefolgt von einem Kommentar, der erläutert, wie besonders die letzte Zeile die bisherige Annahme von der Areligiosität der Ibolithen widerlegt und zeigt, dass sie vielmehr Pantheisten waren.
Eine andere Übersetzung ging davon aus, dass es "im Tierreich kein Babel gibt", Tierlaute also überall die gleichen sind und "Baemu" sich also offenbar auf eine inzwischen ausgestorbene und bereits von den Ibolithen als Kuriosität betrachtete Kreuzung aus Schaf und Stier beziehen muss. :D
Weitere Beispiele finden sich in dem Spiegelartikel, den Zefira erwähnt hat:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43065937.html

Mein klarer Favorit von diesen:

Traurig bin ich morgens,
vormittags schon härter.
Mittags werd' Ich keck,
nachmittags ganz unausstehlich.


Wenn niemand anders eröffnen will, poste ich meine Übersetzung im Laufe des Abends.
Liebe Grüße
Merlin
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 25.09.2012, 14:45, insgesamt 1-mal geändert.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.09.2012, 13:26

Der Bür trifft den Hasen
am Rande der Steppe.
und teilt ihm amtlich mit:
Zieh Leine, Arsch.

Meiner Meinung nach muss "taegna" etwas wie Taiga sein, ich wollte es erst mit Steppe übersetzen, aber da gibt es keine Bären - ich stelle mir jedenfalls ein flaches Gelände mit vereinzeltem Baumbestand vor. "vossagur" würde ich übersetzen mit "verlautbaren", es ist jedenfalls m.E. keine einfache Mitteilung, sondern etwas, was notfalls mit Brief und Siegel belegt werden könnte. "flagedared", die Befehlsform von flagerade, evoziert eine geschwinde Hinwegbewegung mit flatternden Ohren. "assa" bedarf keiner Erklärung.

Gruß von Zefira
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 25.09.2012, 16:37

baemu suti falla kur
mostin arasiban taegna.
kiu ténde vossagur:
flagedarad assa

Meine Übersetzung verläuft in zwei Schritten. Zuerst werde ich nah am Wortlaut übersetzen, danach eine lyrische Übertragung versuchen.
"Baemu", sprich "Ba-Emu" (häufig falsch "Bämu" gelesen), etwa "der das Emu fängt" bezieht sich auf den traditionellen Kopfschmuck der ibolithischen Stammesführer, die Emufeder. Als pars pro toto bedeutet "Baemu" also einfach "Häuptling". Die Suti-Legende ist Kennern der ibolitischen Überlieferung natürlich ein Begriff. Der mythische König, der voller Weisheit und Gerechtigkeit, aber ohne List und Argsinn war und daher - wohl wissend um sein Schicksal - von seinen Feinden gefangen genommen wurde, bildet die stoffliche Grundlage für viele spätere Gestalten, unter ihnen Gilgamesch, Salomon und Arthus. "fallakur" ist die das Passiv der ersten Vergangenheitsform von "fallaka" - "lügen, täuschen, verraten, betrügen". "Taegna" bezieht sich auf die Göttin der Tücke, die später in der nordischen Mythologie als Loge auftritt. "vossagur" ist wiederum eine passive Vergangenheitsform, und zwar von "vossaga", weissagen. Die restlichen Vokablen dürften geläufig sein. Wörtlich übersetzt lautet der Text also:

Häuptling Suti ward getäuscht
hilflos ist die Weisheit vor der Tücke
schon früh wurde es geweissagt:
ihn fesselte der Feind.

Dadurch wird die Sprachmelodie dieses tragischen Verses nur unzureichend eingefangen. Ich schlage die folgende Variante vor, um der Poesie dieses frühen Kunstwerkes gerecht zu werden:

Verrat! war Häuptling Sutis Ende
Weisheit kann vor Lug' nicht retten
noch Voraussicht: Feindeshände
schlugen ihn in Ketten

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.09.2012, 18:22

Ja, meine Übersetzung in eine angemessene literarische Form zu bringen, habe ich noch verabsäumt. Ich werde das bei Gelegenheit nachholen.
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Beitragvon ferdi » 26.09.2012, 00:04

Hallo Merlin,

wo nimmt denn eine Steinzeitkultur "Ketten" her?

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Beitragvon Zefira » 26.09.2012, 00:28

Wahrscheinlich sind Blumenketten gemeint, so wie auf Hawaii.
Nachtgruß!
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Beitragvon Ylvi » 26.09.2012, 07:57

Die Ibolithische Sprache ist deutlich geprägt von ihren Vokalen. In baemu ebenso wie in taegna hören wir ein langgezogenes ä. Das a wird gehaucht und als Windvokal bezeichnet. Das u wird von einer ausgeprägten Mimik begleitet. Man findet es daher vor allem in Texten, die im Zusammenhang mit dem von den Ibolithen verehrten Spitzlippenbär (Baemu suti), einer ausgestorbenen Unterart der kleinen Beutelbären, stehen.
Die Schlafposition und die ausgewählte Schlafstätte der Bären waren für die Ibolithen ein tägliches Orakel, das schon die kleinen Kinder zu interpretieren verstanden. Abendlich versammelten sich kleine Gruppen der Ibolithen und beteten für eine gute Weissagung. Um den Bär nicht zu stören, erklangen die Gebete als leises Summen, das sich im Wind auflösen sollte.
Eine der Überlieferungen dieser Zeit ist die Redewendung: Lass dir keinen Bären aufbinden. Der Zusatz sonst kannst du ihn nicht lesen wurde mit der Zeit fallengelassen.
Daher auch der Titel einer Wanderausstellung, sowie eines Artikels des berühmten Ibolithenforschers Prof. Dr. Bulusi zu diesem Thema: Von der Weissagung zum Verdacht der Lüge

In der vorliegenden Übersetzung wurde versucht, die Verbindung zwischen Klang, Spitzlippenmimik, die im deutschen auch durch "Sp" und "ü" erreicht werden kann, und Inhalt aufzugreifen. Der beschwörende Klang konnte allerdings nicht vollständig in die deutsche Sprache übertragen werden. Schwierig waren auch die Worte "süß" und "zärtlich", die leider die ganz eigene und weniger süßliche Konnotation von "kur" und "ténde" in der ibolithischen Kultur nur ansatzweise aufgreifen können. Aus klanglichen und mimischen Gründen scheint diese Wahl aber dennoch gerechtfertigt.

Spitzlippenbär falle süß
in deinen weissagenden Schlaf
wir summen zärtlich:
Windgebete
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

pjesma

Beitragvon pjesma » 26.09.2012, 09:02

hm. es handelt sich hier dem allen anscheind nahe, eben nicht um poesie. die schwierigkeit beim übersetzung geht hier nicht, wie üblich, aus grammatikkomplizität der ibolitische sprache heraus, sondern viel mehr aus der untypische art, wie das typisches ibolitisches alfabet verwendet wurde und in die steinplatte gemeiselt ...schnell,selbstbewusst, könnend--- dennoch etwas fahrig und ja, ich würde mich trauen zu sagen: ein bisschen überheblich. dem zu folge, liefere ich folgende übersetzung:

lila beeren

von lila beeren eine
vor dem weizenbrei
drei mal täglich hilft
gegen impotenz

anmerkung: man beachte das kühnes doppeldeutiges wortspiel mit "helfen" ( ibolytisch: ": " ) , in der dritte zeile, was auch das grund dafür ist dass dieser rezept fälschlicherweiße einem dichter und nicht einem medicus bissher zugeschrieben worden war. es stellt sich dem leser die berechtigte frage: sollen die beeren dreimal täglich eingenommen werden, oder soll das beischlaf dreimal täglich durchgeführt werden? welche eine beere von der lilabeeren ist die richtige? und: bestand der nahrungspensum der frühen ibolyten ausschließlich aus weizenbrei, morgensmittagsabends? hilft es nun mal drei mal täglich, (und vor allem, hilft es alle drei male ?) oder hilft es auf dauer, für immer und alle fälle?
tja, so leicht machen uns die ibolyten ihren geheimnissen hinterherzukommen- nicht. hier gilt es: empyrische nachweiße vorzubringen .

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 26.09.2012, 11:33

Hallo Ferdi,
natürlich hast du recht: "flagedarad" muss, will man im historischen Rahmen bleiben, mit "fesseln" übersetzt werden, und in der textnahen Fassung ist das ja auch geschehen. In der dichterischen Nachbildung scheint es mir aber erlaubt, die Fesseln, die ja als Metaphern gemeint sind, auch um des Reims willen Ketten zu nennen.
Wenn dir eine der ibolithischen Lebensweise nähere literarische Form einfällt, ist sie natürlich herzlich willkommen. :-)
Liebe Grüße
Merlin


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