Prosa-Marathon bis zum 01. Mai 2014

Hier ist Raum für Fortsetzungsgeschichten, das Wort der Woche, interne Schreibwettbewerbe und alle anderen literarischen Projekte, bei denen mehrere Saloner zusammenarbeiten
Nifl
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Beitragvon Nifl » 01.05.2013, 18:48

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Peng! (Startschuss)
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 01.05.2013, 18:52

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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 01.05.2013, 21:41

Kumarischwarz und rabenrot I

Der Bus, der sie am nächsten Morgen zurück in die Stadt bringen sollte, war, völlig unerwartet, bereits am Abend eingetroffen und stand, ein einziger blecherner Vorwurf, direkt vorm Haus.

Ein dazugehöriger Fahrer putzte über Stunden die Windschutzschreibe, immer wieder hob er mit einer fast zärtlich zu nennenden Bewegung die Scheibenwischer an und entfernte imaginäre Staub- und Schlammpartikel. In der Hosentasche des Mannes steckte eine gelbe Zahnbürste. Korrekt und pflichtbewusst schien er zu sein. Immerhin. Ein beruhigendes Gefühl.

Ein vertrauter Anblick fesselte kurz darauf die Aufmerksamkeit aller Anwesenden: die untergehende Sonne suchte die gegenüberliegenden schneebedeckten Gipfel einmal mehr mit ihrer verlöschenden Glut zu wärmen. Man legte die Hände auf Schultern. Zog Tücher und Schals enger um Hälse. Staunte. Immer noch. Verlieh lautstark den eigenen Empfindungen Ausdruck. Teilte sich mit. Oder war: ganz still. Kameras klickten. Auf Displays erschienen malerische Impressionen. Gespeichert für die Ewigkeit.

Und dennoch fühlte es sich anders an, das allabendliche Schauspiel, was daran liegen mochte, dass sie es diesmal aus sicherer Entfernung - von einer geschützten Dachterrasse aus - verfolgten. Möglicherweise tat auch der Rum seine Wirkung. Vielleicht machte der nahende Abschied einfach nur alle sentimental.

Die Bergketten lagen längst im Schatten und Dunkelheit hielt Dorf, Häuser und Menschen wie eine Decke eng umfangen, als auch die Letzten in die klammen Schlafsäcke krochen. Ratten wanden sich aus ihren Löchern und der Mond ging hoch über dem Trisuli-Fluss auf. Die Dorfköter bellten ihn wütend an. Im fahlen Licht einer Straßenlaterne wartete ein Bus mit einer blankgeputzten Windschutzscheibe. Sein Fahrer musste sich inzwischen die Zähne mit einer gelben Zahnbürste gebürstet haben. Er schlief ganz sicher auch hier irgendwo. Ordentlich, wie er war.

Jeder schlaftrunkene Blick nach draußen fing sich am straßenlaternenbeleuchteten Vehikel. Nur noch wenige Stunden. Dann würde es sich in Bewegung setzen. Serpentinen hinabfahren. Geröll überwinden. Anderen Fahrzeugen die Vorfahrt gewähren. Laut hupen. Sie einem neuen Tag und einer wärmenden Sonne entgegenfahren. Der Busfahrer war zuverlässig. Er putzte mit gelben Bürsten Zähne. Schlief schnarchend und mit offenem Mund. Außerdem sorgte er für saubere Windschutzscheiben.

Am Morgen zog plötzlich Kuchenduft durchs Haus. Das Abschiedsfrühstück geriet zur fröhlichen Feier. Alle lachten, sangen und schüttelten dem Geburtstagskind die Hände. Es gab – natürlich -: Geschenke. Schokolade und kleine Messingleuchter, die man in den hiesigen buddhistischen Klöstern gesehen hatte. Die Mönche befüllten sie regelmäßig mit Ghee. Ein eigenartiger Duft entströmte ihnen. Es würde schwer sein, zuhause geeignetes Brennmaterial zu finden.

Feierlaune und Abschiedstraurigkeit vermischten und überlagerten sich. Fröhlich plaudernd trugen sie schließlich ihre Rucksäcke zum bereits wartenden Bus. Der Fahrer verstaute lächelnd das Gepäck und half ihnen beim Einsteigen.

Ein letzter Blick auf die himmelblaue Lodge. Noch ein letztes Mal das bunte Treiben links und rechts der Straße beobachten. Das Gesicht von Rüdiger, dem höhenkranken Malaien, den die Sherpas wie einen Toten in einem Korb an ihnen vorbeigetragen hatten, tauchte im Inneren eines anderen Fahrzeuges auf. Sie hatten seinen Genesungsprozess während des Abstieges verfolgen können. Er würde nie erfahren, dass sie ihn so getauft hatten. Rüdiger. Der ruhmvolle Speerkämpfer. Sie stießen sich gegenseitig in die Seiten, lächelten und waren froh.

Dann startete der Fahrer den Motor
Zuletzt geändert von allerleirauh am 23.05.2013, 09:27, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.05.2013, 07:51

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Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Eule
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Beitragvon Eule » 05.05.2013, 14:54

Es würde ein aufregender Tag, dieses Morgen, das konnte Dirk spühren. Tante Irmgard und Onkel Bronco waren zu Besuch gekommen, die Stimmung ziemlich aufgekratzt. Es gab Festessen, -kleidung für ihn und er stand eine Zeit lang im Mittelpunkt des Geschehens. Das kam ihm ein bißchen seltsam vor, was war denn eigentlich schon so Besonderes ? Er sollte neue Lehrer und Kinder kennenlernen, das hatten ihm Mutter und Geschwister gesagt und seinen Mut zusammennehmen und ihnen keine Schande machen, sein Vater.
Es war so ähnlich wie vor dem letzten Kindergeburtstag, nur dass dieses Mal die Vorbereitungen dazu gewichtiger und anstrengender ausfielen. Außerdem wollten ihn fast alle begleiten und keiner könnte ihm was tun, er würde schon sehen.

Er mußte noch unter die Dusche, es gab eine Geschichte aus seinem Lieblingsbuch und den Wetterbericht von morgen, wolkig aber regenfrei. Also konnte er seine coole Lieblingsjacke, -jeans und -schuhe anziehen.
Die ganze Festgesellschaft saß noch im Wohnzimmer, man schaute Fernsehen und amüsierte sich, seine Geschwister waren auch nicht müde, der großer Bruder ging später schlafen und das Wernerchen brabbelte mit seinen Stofftieren herum, heute besonders laut.

Er konnte nicht einschlafen, alles war, wie es wohl sein mußte, aber er fühlte sich sehr aufgereget und ange-
spannt. Viel lieber ins Internat gehen, als zusammen mit seinen Klassenfeinden aufs örtliche Gymnasium. Zu lange dauerten nun schon die Kämpfereien, nicht jeden Tag, aber doch meistens mehrmals in der Woche, gab es Ärger. Was war nur so schlimm daran, dass er andere Dinge mochte, andere Klamotten trug, andere Eltern hatte und andere Freunde. Und trotz aller Bemühungen seiner Familie war er wieder mit Helmut und Markus, den alle Stinki nannten, weil er sich so ekelhaft benahm, zusammen in einer Klasse. Die beiden waren aufdringlich, verwöhnt und angeberisch. Sie hatten reiche Eltern und immer die chicsten Sachen, trotzdem war keiner vor ihnen sicher. Und er war eines ihrer Lieblingsopfer, vielleicht weil sie fast Nachbarn waren und trotzdem so unterschiedlich, wie es mehr kaum ging.
Es waren nur wenige Häuser bis zu den beiden, die fast nebeneinander wohnten, und darüber war Dirk sehr froh. Es gab ihm irgendwie das Gefühl, dem größeren, besseren Ende anzugehören. Er träumte von Expeditionen am Amazonas, einer Flugreise in die Südsee mit seiner ganzen Verwandtschaft und von einem verlorenen Gerichtsprozeß, es ging dabei um Noten, Grundbesitz und ums Bezahlen, irgendwoher mußte das Geld dafür ja kommen.

Der Morgen kam schnell, seine Mutter stand in seinem Zimmer und holte ihn in die Küche zum Frühstücken. Alle waren schon wach und sie würden zu viert in der Schule auflaufen, ziemlich peinlich und ungewöhnlich eigentlich, aber vielleicht doch das richtige Zeichen and die beiden Grünschnabel, wie sein Vater sich ausdrückte. Dirk schaufelte eine große Portion Getreidepoppies mit Milch in sich hinein und machte sich Pausenbrot mit Rohkost, Rohkotz genannt. Es war zwar ungern gesehen, aber viele hatten in der letzten Schule trotzdem Süßigkeiten, Gebäck oder die neuesten Schokoriegel dabei. Naja, es war ihm auch egal, vielleicht hatten die Gymnasiasten ein bißchen mehr Verstand, auch wenn er sich besser nicht allzuviel Hoffnungen machen sollte.

Sie kamen rechtzeitig zum Auto, er durfte auf den Beifahrersitz, der Schulranzen wurde im Kofferraum verstaut. Dirk lachte in sich hinein, wenn er seine so Begleitgarde anschaute, beide Verwandten blitzblank herausgeputzt, was beim korpulenten Onkel ein wenig schwierig war. Sogar sein Papa sah in seinem Anzug irgendwie beeindruckend aus. Sie wollten sich als Gruppe ganz absichtlich in die Nähe der beiden Kontrahenten stellen, wenn sie die dann fanden. Hoffentlich sprach sein Vater in dieser Situation nicht allzu viel, sonst wäre der Eindruck der Geschlossenheit schnell dahin und die Drei würden sich mit einer ihrer häufigen und lächerlichen Zankereien blamieren, dachte er.
Zuletzt geändert von Eule am 10.05.2013, 22:25, insgesamt 11-mal geändert.
Ein Klang zum Sprachspiel.

pjesma

Beitragvon pjesma » 05.05.2013, 20:11

1.
An einem Maidienstag, stellte Tanja plötzlich fest, eine schlecht angebundene Seele zu besitzen. Die Offenbarung traf sie mit voller Wucht in die Bauchhöhle: ungewiss wie viele Strecken ihres Lebens, war sie unachtsam seelenlos herum gelaufen !
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Der kundenarme Nachmittag streckte sich vor ihr, ein langweiliges, nicht- Aufregung- versprechendes Meer ohne Wellen. Die Zeit plätscherte. Mit einer Hüfte angelehnt an den Bindetisch, in einer etwas labilen, Praxiteleswürdigen Haltung versuchte sie ein paar Freesien und Hyazinthen in Form zu bringen. Zügig entstand aus den einzelnen Blumen ein routiniert ausgearbeiteter kompakter Strauß in ihrer Hand, eine allseits symmetrische Halbkugel. Die duftenden, blauen Hyazinthen dominierten den Ehrenplatz in der Mitte und die seitlich entfalteten, gelben Freesienknospen glichen mit der Leuchtkraft ihre etwas untergeordnete Rolle am Rande des Gebindes aus. Es war nichts Ungewöhnliches zu entnehmen dem verspielten Grün der Pistazie und auch die marmorierten Efeuranken lagen ruhigkreiselnd und gezähmt um die Blumenköpfe. Dennoch just in dem Moment, in dem sie das Gebinde mit einem gekonnten Griff zuzubinden beabsichtigte, (sie hielt schon den abgeschnittenen Bast in der Hand), beschlich sie ein verstörendes Gefühl, dass da etwas nicht stimmte. Es fehlte etwas.
Tanja trug den noch unverbundenen Strauß in den Nebenraum, und betrachtete argwöhnisch seine Oberfläche im Spiegel. Mit Adlersauge prüfte sie die Aufteilung der Blumen, Farbmenge und Kontrast, Volumenverhältnisse. Alles was schief gehen könnte.

Aber nichts war schiefgelaufen. Es fehlte rein gar nichts. Ein hübsches kleines Werkstück hielt sie da in der Hand, der dem Anspruch eines jeden Fachmanns genügen würde und gar mit Leichtigkeit jede Prüfungskommission passieren würde. Davon abgesehen und nicht minder zu bewerten, werden die Kunden höchstwahrscheinlich entzückt sein, das sind sie ja immer. Wenn sie mal kommen.

„Es ist vertretbar“ nuschelte Tanja leise zu sich. „Ach was, es ist sogar sehr vertretbar, es ist gelungen!“ fuhr sie fort. „Schlicht aufgebaut auf starken, blickanziehenden Farbkontrast. Komplementäres ersten Grades. Eine gleichmäßige, dennoch nicht spannungslose Oberfläche, mit nötigen Höhen und Tiefen ist vorhanden.“ Sie drehte das Gebinde und betrachtete es konzentriert von allen Seiten. Keine Frage: auch von der Technik her, ist alles astrein gearbeitet worden. Es befanden sich keine Krümel und keine Blätterreste in der Bindestelle. Die Stiele bildeten eine vorzeighafte, breite Spirale. Selbst von Unten gesehen, protzte der Strauß mit einem lückenlosen, harmonisch und üppig angelegten Blattrand. „Schluss jetzt!“ seufzte Tanja. „Schluss. Aus. Ende.“

Sie hatte die Angewohnheit, bei allerlei Selbsturteilungen und Unsicherheiten bezüglich des eigenen Tuns dieses kleine, ihr selbst unbewusste Zischgeräusch, ein durch die fast geschlossene Lippen und durch die engen Zahnzwischenräume eingezogener und mir der Zunge abgeblockter Laut, ein kleines „Tszt“, von sich zu geben. So schnalzte sie auch diesmal und wartete, dass sich das fehlerhafte Gefühl vom fehlenden Etwas verflüchtigt und dass dieses merkwürdige Ungleichgewichtsbefinden abebbt. Rasch band sie die Stiele zusammen, stellte den Strauß in eine Vase und schob ihn zur Seite, fest entschlossen ihn nicht zu beachten, wollte er ihr immerzu dieses Empfinden von Unvollständigkeit bereiten. Aber sie konnte ihn nicht nicht beachten. Jedes Mal, als sie unvoreingenommen und objektiv den Strauß anschaute, schwang dieses Missbehagen mit. Dieses Fehlen. Sogar unter schnellen, überraschenden Seitenblicken mit zugekniffenen Augen, wollte sich das Fehlen nicht in Luft auflösen und blieb stur und unsichtbar anwesend.

„Der Strauß ist…“ grübelte sie, „er ist zu rund. Zu fertig. Zu…perfekt.“ Sie dachte dabei an die plastisch schönen Frauengesichter in Hochglanzmagazinen. Kein einziges Muttermal, das von der Symmetrie abweicht, keine kecke Haarsträhne die die gezupfte Augenbraue berühren würde. Keine Fesselung durch leichtes Schielen, keine süße Zahnlücke als Blickfang. Keine aufregende Disproportion zwischen untere und obere Lippe, und schon gar kein Grübchen am Kinn.
Es ist ein todernster, langweiliger, möchtegernfrühlingsversprühender retuschierter durch und durch konstruierter nullachtfünfzehn Strauß! Ein Biedermann!

Tanja verspürte wie sich das Ärgernis in ihr breit macht und Übermacht gewinnt, und um es zu bekämpfen, lief sie energisch in Verkaufsraum, riss ungehalten ein paar weiße Ginster aus der Vase, entschlossen dem Strauß das Gewisse Etwas zu verpassen. Weil so wie er war, konnte er nicht bleiben. So streng. So brav. So „orrrrrdentlich.“
„Scheißstrauß“, nörgelte sie leise, während sie die Ginsterzweige rund um die Blattmanschette ordnete und abermals das Entstandene betrachtete. Es befriedigte sie nicht. Ganz und gar nicht. „Wie n Arsch mit Ohren“ fluchte sie mit halber Stimme. Jeder, der ein bisschen Ahnung von der Zunft hatte, hätte es sehen können, nein, sehen MÜSSEN: da ist etwas nachträglich zugefügt worden. Wäre es ein Tisch, und die Tanja wäre eine Schreinerin, hätte ein geübtes Auge dem Werkstück sofort und mit Sicherheit entnommen, dass ihr beim letzen Tischbein das richtige Holz ausgegangen war und die Pressspäne herhalten mussten.

Ginster war es also nicht, das was sich vermissen ließ. Sie starrte auf das Abbild des jetzt blaugelbweiß gewordenes Gebinde in dem Spiegel und bereute den Ginster verschwendet zu haben. Der Strauß hatte zwar an Volumen gewonnen und dürfte ein bisschen teurer verkauft werden als vorher. Aber trotzdem ist es ein runder Strauß mit ein paar angepappten Seitenantennen. Eine fette Frau mit übermächtigen Haarextensions, ein etwas Ganzes aus zweien etwas Sichausschließenden. Tanja tobte innerlich. Entweder löst und zerfetzt sie das ganzes Ding jetzt und fängt alles von vorne an neu zu binden, oder sie findet sich damit ab es so wie es eben geworden ist zum Verkauf zu präsentieren und verzichtet auf weitere Verschlimmbesserungen. Sie entschloss sich für die zweite Variante, immerhin hat sie der Strauß schon mehr als genug Zeit gekostet.
„Was solls“ murrte sie während sie die Blumenstiele schräg mit dem Messer anschnitt, „jemandem werden sie schon ein paar Signale senden. Die Antennen, die verdammten!“

Sie stellte den verhassten Strauß in den Verkaufsraum und würdigte ihn keines Blickes mehr, nach dem sie einer letzten kitschdurchtränkten Versuchung widerstand, einen struppigen Weidenzweig schräg über die Straußwölbung schlängeln zu lassen, um die künstliche Harmonie zu naturalisieren und die Idee einen allaufbrechenden unaufhaltsamen wilden Frühlings zu betonen. Ein Muttermal aufzutragen, sozusagen, welches womöglich die unvollkommene Vollkommenheit erschüttert.
Obzwar sie ihre Aufmerksamkeit von dem Strauß ablenken konnte und sich anderen Tätigkeiten widmete, das Gefühl des Etwasfehlens ließ Tanja nicht mehr los. Irgendetwas stimmte irgendwie nicht.


Rala

Beitragvon Rala » 11.05.2013, 20:28

I
Schnitt&Bruch

Mein Blick fällt auf das Messer, wie es mitten in der frisch geputzten Küche liegt, noch feuchte Erdbeerspuren auf der blanken Edelstahlklinge mit Doppelwellenschliff, und ich muss an dich denken. An deine makellos polierte Oberfläche, noch blanker als die des Messers, auf der du solche Spuren niemals zulassen würdest. Es sei denn, du könntest ein Schild dazukleben mit der Bekanntmachung, dass du dir die Erdbeeren extra aus Wimbledon hast einfliegen lassen. Ansonsten erlaubst du nicht einmal Fingerabdrücke auf den Hochglanzfotos, aus denen du dir dein Leben zusammenbastelst, beinahe noch makelloser, glatter, unpersönlicher als Werbeplakate und Kataloge. Die ich am liebsten alle zerschnitten hätte, in winzig kleine, hässliche Stücke, die niemand mehr zusammenpuzzeln könnte. Aber das wäre kindisch gewesen und es hätte nichts geändert.

Und dann sie. Du hattest sie zu einem Teil davon machen wollen, hattest sie dir zurechtgebastelt nach deinen Idealvorstellungen, weil etwas Passendes in der Natur gar nicht existiert. Ihr Inneres zugeschnitten, das Äußere hübsch angemalt. Hattest mich vergessen über deiner Bastelarbeit, natürlich, ich war deinem edlen Gesamtbild von der äußeren Erscheinung her nicht dienlich. Ich wurde in den Untergrund versetzt, wo ich weiterarbeiten durfte. Denn das brauchtest du schon noch, meine Arbeit. Die du dann als ihre verkaufen konntest. Sie war dein Werk, und mein Werk war, nach einer Anpassung des Stils, ihres.

Deshalb musste ich es tun. Ich habe ihr mit den scharfen Bruchrändern unserer Kommunikation die Kehle durchgeschnitten, langsam, mit Genuss. Habe sie aus ihrer makellosen Haut geschält, sie in ihre perfekten Einzelteile zerlegt. Danach habe ich mir die Schreibadern aufgeschnitten.

Das Klingeln des Telefons bricht durch die Frühsommerstille. Ich will abheben und halte mitten in der Bewegung inne. Lieber nicht. Vielleicht ist es jemand, der mich nach ihr fragen will, und was soll ich dann sagen? Ich muss hier raus. Muss an die frische Luft, rennen, bis mir ein stechender Schmerz in die Lunge fährt. Bis ich mich selbst wieder spüren kann. Ich müsste darüber nachdenken, was ich mit der Leiche mache. Und wie ich mich verhalte, wenn ihr Verschwinden auffällt. Unbemerkt bleiben wird es mit Sicherheit nicht. Obwohl man mich möglicherweise gar nicht verdächtigen wird, mein Motiv wird wohl keiner so leicht nachvollziehen können. Oder doch? Zumindest meine Beziehung zu ihr ist bekannt, fragen wird man mich also auf jeden Fall. Und ich weiß nicht, wie gut ich mich dann verstellen kann. Ich laufe, stoße mir immer wieder schmerzhaft die Zehen an meinen Gedanken. Wäre man doch eine Schnecke und könnte unbeschadet sogar über Rasierklingen kriechen. Aber man ist keine Schnecke. Man bewegt sich nicht gleitend, sondern eher unbeholfen, in abgehackten Bewegungen, stolpernd, um sich selbst ringend.

Auf der Wiese im Park lasse ich mich ins Gras fallen. Spüre die weichen, festen Halme an meinen nackten Armen. Starre nach oben. Über mir eine sehr präzise, gerade Wolkenkante, wie mit dem Lineal gezogen, oder als hätte jemand mit dem Messer in die Wolkenhaut geschnitten, dahinter zartes blaues Fleisch, verletzlich. Dinge sind geschehen, die wohl geschehen mussten. Wunden wurden geöffnet, damit sie heilen können. Hoffentlich.

Jelena

Beitragvon Jelena » 18.05.2013, 21:03

Beitrag entfernt, mache doch nicht mehr mit.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 23.05.2013, 21:45

Es war trocken dieses Jahr, die Bohnen mickerten die Stangen hoch, die Tomaten ließen die Blätter hängen. Weiße Wolkentupfer zierten den klaren norddeutschen Julihimmel, die Schwalben flogen hoch und im Gebüsch zeterte eine Amsel. Gerd richtete sich auf, wischte den Schweiß von der Stirn und setzte dann seine fleckige Mütze wieder auf. Missmutig blickte er auf die Fläche jenseits des Zauns. Dort wuchs das Kraut, dort, wo man es nicht brauchte. Es war schon über einen Meter hoch. Er würde mit der Sense raus müssen, sein Glacis, wie er es spöttisch nannte, freimachen. In Richtung Knick nach Westen rüber konnte man schon fast nichts mehr sehen.
Als er das Klingeln hörte, drehte er sich automatisch, um nach dem Windrad zu sehen. Es rotierte langsam in der leichten Brise. Sehr langsam, aber stetig. Dann hatten auch die im Ort Strom, aber bestenfalls im Amt. Für mehr würde es wohl kaum reichen. „Gerd!“ Sonias Stimme war kaum lauter als die Klingel. „Gerd! Telefon! Kannst Du mal ran gehen, ich habe die Hände voll Teig.“ Er warf die Hacke ins Beet, streckte sich und massierte kurz sein Kreuz. stapfte zum Haus rüber. Der Apparat stand in der Halle, ein altes Gerät, das sein Vater noch auf dem Dachboden gehortet hatte. Es funktionierte bestens, brauchte keine Batterien. Ein kabelgebundenes Modell mit einem nervtötenden Klingelton. Sein Vater hatte erstaunliche Weitsicht besessen, hatte nicht nur den alten Holsteiner Hof mit etwas Land gekauft, damals in 2007, sondern auch dafür gesorgt, dass sie autark waren, mit eigenem Windgenerator und eigenem Brunnen. Sein alter Herr wäre glücklich, wenn er sehen könnte, wie dankbar sein aufmüpfiger Sohn dafür inzwischen war.
„Koopmann“, meldet er sich. „Hallo Gerd“, klang eine vertraute Stimme aus der Muschel, „hier ist Leon.“ „Hör ich“, knurrte Gerd, „was willst Du?“ Er wusste genau, was Leon wollte. Sie waren Schulkameraden gewesen damals, beinahe Freunde. Doch dann war Gerd in die Stadt gezogen und erst nach den Unruhen zurückgekommen. Jetzt lebte er mit Sonia auf dem alten Hof als Selbstversorger. Leon war geblieben und irgendwann Ortsvorsteher des 500-Seelen-Dorfes geworden. Er war immer schon ein Schlitzohr gewesen, sich zu helfen gewusst. Gerd hatte sich im Ort umgehört. Sie hatten gut gelebt hier, während in der Stadt das Essen ausging. Es hatte auch nicht an Geld gefehlt, jedenfalls solange die großen Produzenten gut gezahlt hatten. Doch jetzt war es anders, es war alles verkauft, das Land war weg. Gerd hatte nur kurz gezögert und dann den Zaun gebaut.
„Ich dachte ich ruf Dich mal an und hör mal, wie es bei Euch so läuft. Kein Grund, so unfreundlich zu sein!“ „Danke, bestens. Und bei Euch?“ „Ach ja, ganz gut. Wir haben letzte Woche mit den Bohrungen begonnen. Diesmal gehen wir tiefer.“ „Was ist mit dem letzten Brunnen?“ fragte Gerd, obwohl er die Antwort kannte, „Wieder zu viel?“ „Ja, leider“, gab Leon zu, „CKW und Nitrate.“ „Und was ist mit dem Pumpenhaus oben am Sandberg? Das hatte doch immer gutes Wasser?“, konnte sich Gerd nicht verkneifen. „Gerd, das weißt Du doch. Wir kommen aus dem Vertrag nicht raus, und die Jungs von Agreenergy, Du kennst sie ja. Aber mit dem neuen Brunnen ... Sag mal ..:“, Leon hatte einen einschmeichelnden Ton gewählt, „... bis der fertig ist, ich mein, Ihr habt doch ...“ „Vergiss es!“, fuhr Gerd ihn an, „Ich habe Dir das beim letzten Mal erklärt und es hat sich nichts geändert. Es reicht gerade so für uns. Wenn wir mehr rausholen, dann drückt Eure Giftbrühe hier rüber!“ Leon klang säuerlich: „Gerd, wir sind doch Freunde, sei doch nicht so ein …“ „Nein, Leon! Versteh es endlich. Ihr habt hier fett gelebt, während wir fast verhungert wären. Wir sind aufgestanden und zusammengeschossen worden, da habt Ihr aus dem Fernsehsessel zugeschaut und Chips in Euch hineingestopft! Die haben ihre Panzer mit Eurem Rapsöl fahren lassen, kapierst Du das nicht?! Bettel nicht um Solidarität, ich habe keine, nicht für Euch!“ Einen Moment lang herrschte Stille in der Leitung. „Irgendwann wirst Du das bereuen, Du Arschloch! Bald!“, zischte Leon dann und hängte auf.
Gerd warf den Hörer auf die Gabel und stieg die ausgelatschen Stufen in den Keller hinab. Dort, wo früher ein Öltank war und noch früher die Kohlen gelagert hatten, standen jetzt die Batterien. Der sicherste Platz im Haus, die Fundamente waren aus Natursteinen gemauert, Findlinge, Granit aus Skandinavien. Er hatte die Decke verstärkt und Stahltüren eingebaut. 14° C, das war in Ordnung. Er prüfte die Instrumente, alte Drehspulgeräte aus Brunsbüttel, nahezu unverwüstlich. Zu wenig Ladestrom, sie mussten aufpassen. Noch würde es reichen. Er ging wieder nach oben. „Sonia!“, rief er, „Sonia!“ Seine Frau kam aus der Küche. „Es geht wieder los, das war Leon. Er hat mir gedroht.“ „Wann meinst Du?“, wollte sie wissen. „Ich weiß nicht. Aber bald, sie werden es versuchen, bald.“ „Haben wir genug Strom?“, fragte sie. „Es ist knapp, aber es wird reichen“, antwortete er, „Das Problem ist das Glacis. Ich muss raus, mähen.“ Sonia verzog kaum merklich das Gesicht, „Ich bin soweit fertig, das Brot ist im Ofen. Ich geh auf Posten, Du hast anderthalb Stunden.“ „Danke“, sagte er, während er die Pistole aus der Kommode nahm und das Magazin prüfte, „Das muss reichen. Vergiss nicht: wenn sie kommen, leg den Schalter schon um, wenn ich noch am Zaun bin.“ „Aber...“ „Die Spannung braucht zwei Sekunden, um sich aufzubauen, vertrau mir. Wenn Du zögerst, kann es zu spät sein!“ Er wartete einen Moment, bis sie auf der Treppe zum Dachgeschoss verschwunden war.
Dann holte er die Sense aus dem Schuppen und ging zum Westtor. Niemand zu sehen, soweit er blicken konnte. Er wandte sich um zum Haus. Vom Ausguck auf dem Dach gab Sonia ihm ein Alles-Klar-Zeichen. Sie würden bis zum Abend warten, überlegte er, noch sollte er sicher sein. Er trat durch das Tor und nahm die Sense von der Schulter. Die regelmäßige Bewegung tat gut, die Spannung wich langsam. Vielleicht sollte er ihnen helfen, das Pumpenhaus zu befreien? Er würde dafür Leute brauchen aus der Stadt, und die würde er bezahlen müssen. Nein, soviel gab der Garten nicht her. Er verwarf den Gedanken wieder. Sie waren sicher hier, die aus dem Dorf waren zu feige, sich das Wasser vom Sandberg zurückzuholen, sie würden auch zu feige sein, hier her zu kommen.
Eine Dreiviertelstunde später schreckte ein Geräusch aus dem Knick ihn aus den Gedanken. Er ließ die Sense fallen, duckte sich und griff instinktiv nach der Waffe. Er horchte - Stille. Innerlich verfluchte er jetzt den Knick, weil er ihm die Sicht nahm. Aber er brauchte ihn halt auch, als Windschutz. Ohne den schützenden Wall und die Büsche wäre hier alles noch trockener. Aber es war eben auch eine ideale Deckung. Mit einem Blick über die Schulter versicherte er sich, das Sonia noch auf dem Posten war. Sie schaute in seine Richtung. Hatte sie etwas bemerkt, schaute sie über ihn hinweg zu den Büschen? Er spürte den Druck seines Herzschlags in seinen Halsschlagadern, merkte, wie ihm übel wurde. Also sprang er auf, rannte die zwanzig Schritte zum Tor, warf sich hindurch und riss es dabei hinter sich zu. Mit einem Satz war er in der Deckung, schon hörte er das Sirren des Zauns. Sonia hatte schnell reagiert, sehr schnell. Der Plan funktionierte. Er sah zu ihr hoch, sie starrte angestrengt in Richtung Knick. Plötzlich war da eindeutig ein Rascheln und Knacken. Gerd riss die Pistole hoch, drückte den Sicherungshebel runter, spähte durch die Bretterschlitze, versuchte, etwas zu erkennen, auf das er hätte zielen können. Da hörte er Sonias erleichtertes Lachen: „Ein Reh, Gerd, es ist nur ein Reh!“ Er ließ sich gegen die Bretter sinken, schluckte trocken und sicherte die Waffe. Also doch noch nicht, nicht jetzt. Noch nicht.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 24.05.2013, 00:01


Die Stahltür zum Parkdeck stand halb offen. Das Parkdeck war beinahe leer und glühte in der Mittagshitze.
Ein einziges Auto, ein kleiner Kangoo, prangte giftgrün in der Betonwüste.
Der Kommissar zeigte durch die Türöffnung. »Ist das sein Wagen da drüben?«
»Ja, ist er«, scholl es mehrstimmig von hinten aus dem Flur. Die beiden Kameramänner, die Assistentinnen, der Regisseur, ein Tonassistent und noch ein paar andere Leute hatten sich gute fünf Meter hinter dem Kommissar versammelt und reckten die Hälse. »Alle zurück, alle zurück, hier gibt’s nichts zu sehen«, trompetete jemand wider besseres Wissen. Der Fernsehkoch Uli Brosler, genannt »Brösel«, lag ausgestreckt auf dem Parkplatz, gleich hinter der Stahltür – halb auf dem Rücken, die Arme hinter den Kopf geworfen, als nähme er ein Sonnenbad.
Brösel war nicht älter als dreißig und so klein und drahtig wie ein Schuljunge. Sein blondiertes Haar stand stachlig vom Kopf ab. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Sonnenbrille war neben ihm zu Boden gekullert. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einem Totenschädelmotiv auf der Brust. Der Stoff war vielfach zerschnitten und blutdurchtränkt. Unterhalb des Rumpfs hatte sich eine riesige Blutlache angesammelt. »Der schwimmt ja in Blut«, bemerkte jemand hinter dem Kommissar. »Echt fernsehreif der Abgang!«


Die Spurensicherungsleute besetzten das Parkdeck, das in der Sonne vor sich hin backte wie ein Bratrost. Gespenster in weißen Plastikoveralls stapften umher, im eigenen Saft kochend. Von der Leiche führten ein paar verschmierte Fußspuren weg und verloren sich. Eine Tatwaffe wurde nicht gefunden. Die Stahltür war mit Abdrücken von tausend Händen verkleistert.
Der Kommissar war zum ersten Mal in seinem Leben in einem Fernsehstudio. Erstaunt betrachtete er die hochmoderne Küche, in der Uli Broslers Kochsendung gedreht wurde. Der Gasherd am Ende der freistehenden Küchenzeile war übersät mit Fettspritzern. Im Spülbecken türmte sich fleckiges Geschirr. Ein Geruch nach Kräutern und brauner Butter hing noch in der Luft. Hinter der Spüle klebte Folie, die eine Natursteinmauer darstellte.
Dem Kommissar kam alles sehr klein und synthetisch vor.
Neben der Küchenzeile war ein kleiner, an die Wand angebauter Esstisch für sechs Leute gedeckt. In den Weingläsern schwammen schon Fruchtfliegen.
»Was gab’s denn heute zu essen?«, fragte der Kommissar.
Pia, die Kamera-Assistentin, saß zusammengesackt auf einem Klappstuhl und tupfte sich tränenverschmiertes Mascara aus den Augenwinkeln. Ihre Kollegin Gabriele gab sachlich die Antwort: »Räuchertofu. Das ist so eine Art Quark aus Sojabohnen. Ehrlich gesagt schmeckte es bloß nach nasser Pampe. Uli hat sich alle Mühe gegeben mit Pfeffer und Kräutern, aber lecker war das nicht.«
Pia warf schniefend ein: »Uli hat es gut gemeint. Er wollte den Vegetariern unter den Zuschauern was bieten. Mir hat es sehr gut geschmeckt«, setzte sie trotzig hinzu.
»Von sich aus hätte er nie so etwas gekocht«, meinte Gabriele. »Uli war ein Fleischfresser, wie er im Buch steht. Aber die Veggielobby unter den Zuschauern wächst. Und es sollen ja alle was davon haben, nicht wahr.«
Der Kommissar zog einen zerfledderten Spiralblock aus der Jackentasche. »Schauen Sie doch bitte als Erstes mal nach, ob hier irgendwo ein Messer oder etwas Ähnliches fehlt. Es sieht aus, als wäre er erstochen worden.«
»Messer, Messer …« Gabriele sah sich suchend um. »Ach übrigens, sehen Sie den Messerblock da neben dem Herd?«
»Ja, aber da fehlt nichts.« Aus dem Block ragten sechs Griffe. Der Kommissar wickelte eine Serviette um die Hand und zog probeweise das größte Messer heraus. »Sieht wie neu aus.«
»Uli hat sie nicht gern benutzt. Er meinte immer, sie seien schlecht ausbalanciert. Einmal hat er sich geschnitten und in den Bohneneintopf geblutet. Aber was will man machen, der Hersteller sponsort unsere Sendung. Productplacement nennt man das. Gehört leider dazu. Meinen Sie, er ist damit umgebracht worden?«
»Dann hätte der Täter es jedenfalls sehr ordentlich wieder sauber gemacht. Aber man kann ja nie wissen. Ich werde sicherheitshalber alle Messer aus der Küche hier mitnehmen.«
Pia starrte den Messerblock an. »Menschenskind«, murmelte sie, »wenn er damit erstochen wurde, machen die bestimmt später Werbung damit. Ich darf gar nicht dran denken.« Sie schüttelte sich theatralisch. Der Kommissar räusperte sich. »Ist denn irgendwas Besonderes vorgefallen heute? Oder in den letzten paar Tagen? Streitigkeiten? Oder hat Herr Brosler etwas erwähnt, was ihm Sorgen machte?«
»Er hat Drohbriefe gekriegt«, sagte Pia sofort.
»Was?« Der Kommissar horchte auf. »Seit wann? Und wer schrieb die?«
Pia sah ihn erstaunt an. »Keine Ahnung. Die waren natürlich anonym. Das sind Drohbriefe doch immer, oder?«
Der Kommissar seufzte. »Hat er denn selbst irgendeinen Verdacht geäußert, von wem die Briefe gekommen sein könnten?«
»Es gab wohl eine Menge Leute, die ihn nicht ausstehen konnten«, begann Gabriele zögernd und faltete die Hände über den Knien, die nackt aus zerfransten Bermudas herausschauten. »Er hatte kein Gespür für die political correctness. Das macht sich ja ganz gut im Fernsehen, aber manchmal hat er eine Schippe zuviel aufgelegt. Zum Beispiel brachte er immer wieder den Spruch, dass Frauen eh nicht kochen können – höchstens Soßenpulver in Wasser, sagte er. Das gab böse Briefe, ja. Aber keine Drohbriefe, soweit ich weiß.«
Zögernd schrieb der Kommissar »Frauen« auf seinen Block. »Was sonst noch?«
»Letzte Woche hat er japanisch gekocht … da hat er sich total daneben benommen. Die japanischen Köche, sagte er, hätten in ihrer Küche nichts zu tun als im Wok zu rühren, Kognak zu saufen und die Kellnerinnen in den Arsch zu kneifen. Arsch sagte er, vor laufender Kamera.«
Pia kicherte, tupfte sich die Augen ab und verlieh sich mit dem Rest Mascara eine Gruftie-Attitüde. »Vielleicht hat ihn die Mafia umgebracht. An der sizilianischen Küche hat Uli kein gutes Haar gelassen. Es sei völlig egal, was man kocht, weil sowieso alles nach Olivenöl schmeckt … Und Schwulenwitze hat er auch erzählt.«
Gabriele war jetzt in Fahrt: »Einmal sind ihm die Tortillas angebrannt, da sagte er: Spezielle Zubereitung für unsere afrikanischen Mitbürger. Keine Ahnung, was er damit gemeint hat.«
Der Kommissar seufzte. »Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie beide diese Drohbriefe nicht gesehen? Hat er mal erzählt, was genau darin stand? Und seit wann bekam er die?«
Gabriele und Pia sahen einander an und zuckten die Achseln.
»Kann ich das Geschirr wegräumen?«, fragte Pia. »Oder brauchen Sie das noch? Müssen Sie da noch Spuren dran sichern oder so?«
Trübsinnig betrachtete der Kommissar seinen Block, auf dem »Frauen, Japaner, Mafia, Schwule, Afrikaner, Blödsinn« stand.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

aram
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Beitragvon aram » 31.05.2013, 04:54

wiari a gschropp woa

wiaris err roin gleant hob

es muas on an sundog nochmitog gwesn sein, wäu die bettn woan weggramt.
da papa is in fotö gsessn, nem da bettbaunk beim tisch, mit da lenan hoibat zum fensta. i hob mit iangtwos gschpüd, oda hob mi mit iangtwöche gedonkn beschäftigt. wos des woa was i nimma, oba i was no, wiari dabei gaunz zfriedn und leichtlebig woa.
do hoda mi zuwegruafn zua sein fotö. "peter, komm amal her. sag ma amal wie alt du bist!"
oiso hob i mi vua eam higschtöd. "dleieinhalb lale" hob i gsogt, wäu des hob i scho gwusst, wia oid i woa. oba so woa eam des goa ned recht, dem papa. "dRei, dRei, dReienhalb jahRe heißt des" hod a gmand. und hod ma vuagmocht, wia mas err roid.
hob is noamoi sogn miassn und noamoi, und häds a gean so gmocht wiaras woin häd.
oba i hobs hoid no ned roin kennan, des err. is imma nua "dleienhalb lale" außakumman, oda von miaraus don scho "dleienhalb jale". i was no, wiarin mund bewegt hob, de mundhöhn gfoamt, und di zungan zwischn de zehnt glegt, mit ana konzentrazion. oba daun, im entscheidendn moment, is do ka err außagroid, sondan jedsmoi wida a dl obagrutscht.
na jo, so tragisch hobi des jetz ned gfundn - iangtwi woama scho kloa, das ma ollas zu seina zeit leant; und womas eansthoft probiad und es ged hoid no ned, no don is hoid no ned drau. oba da papa, der hod des goa ned so gseng, wäu der hod ka rua mer gebn. der hod mi do ned auslossn.
imma wida von vuan hob is sogn miassn. und noamoi, dleienhalb jale. mit da zeit woa des hoffnungslos, und is ma scho gauns sinnlos vuakuman. i hob jo scho ollas probiat ghobt, er woa scho fost nimma sponnend, der augnblick nochn dee, waun de zunganspitzn leicht auffagroid hinta de oban schneidezehnt glegn is, und fost zgleich aun de untan, bevuas wida passiad is, des dl. oba noamoi hobis sogn miassn, und noamoi. gwant hob i scho dabei, wäu aufbaud hod mi des nimma, oba da papa hod weidagmocht und valongt, das i sog wia oid i bin. do bin i don gauns vazweiflt wuan, hinta meine dränan.
do hot don iangndwos nimma gschtimmt mit da wöd, wäu da papa hod ned vaschtondn, das is hoid no net kaun, des err roin, und i hobs eam ned kloamochn kennan, er hods ned eigseng. i hob gwant, und i hob nuamer gwant - na ned nuamer, wäu i hob oiwäu no "dleienhalb jale" dazwischn gsogt, des woa jo ned aus. i hob nix mer gseng, nua mer des vaschwummene hölle liacht duachn wossaschleia, des sich i no voa mir, de wöönfuaman in den schleia. des soiz hob i gschmeckt, und es is a moment kuman, do hots wos ausglescht - do woa kloa das aus is, mei groft is brochn, i hob mi aufgem. den moment hob i "dreienhalb jahre" aussegschtessn.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 01.06.2013, 10:36

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 01.06.2013, 16:44

Kumarischwarz und rabenrot II

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Der Himmel ist hier morgens tiefblau und wird von einem Gewirr aus Stromleitungen zerteilt. Als würde man sich einen transparenten Schnittmusterbogen über den Kopf halten. Ein Sari ließe sich vielleicht aus diesem Seidenmorgen schneidern. Er röche dann nach frischgebrühtem Tee und buttrigem Rührei. Und er würde nach Stimmengewirr klingen, nach dem Scheppern der sich öffnenden Fensterläden. Glatt und kühl wäre das Kleidungsstück auf der Haut.
IMG_4185 /unscharf/
Tief unten im Tal fließt der Fluss. Viele Rinnsale, die von den Bergrücken tröpfeln, speisen ihn. Ein Weg verläuft parallel zum Wasser. Man kann das Rauschen hier oben noch nicht hören.
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Blick zurück. Auf dem Dach des Buses sitzen Menschen, dicht gedrängt. Sie halten sich am Gepäckträger fest. Ihr Reden dringt herüber. Lachen. Schreien. Die Gesichter sind hell in der Sonne. Eine Staubfahne, die der Bus hinter sich herzieht, verleiht der Szene etwas Dramatisches.
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Ein Mann sitzt am Straßenrand. Er trägt eine blauweiß gemusterte Strickmütze, eine Kette und einen spinatgrünen Pullover. Den Badelatsch hat er ausgezogen. Er spreizt seine Zehen. Betrachtet sie; jede einzelne. Sorgfältig wäscht er den nackten Fuß in einem Wasser. Nur die linke Hand braucht er dafür, die rechte hängt untätig herab.
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Weiter unten im Tal wallen Nebel. Als müssten sie eine Leere füllen. Oder etwas bergen. Den Blick verstellen bis zum richtigen Augenblick.
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Halt. Die Betreiber des Restaurants wuseln geschäftig hin und her. Ein Feuer wird entfacht. Dicker Qualm reizt die Schleimhäute. Prüfend gleiten die Blicke des Badeschlappenmannes über Kisten, Säcke und Aluminiumtöpfe. Werden die Vorräte reichen?
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Wie soll man einen Geschmack, den Geschmack von Dhal-Bhaat erklären? Der Reis schmeckt nach Wolken, ganz ruhig, weiß und rein. Es ist der Linsenbrei, der die Wolken in der Mundhöhle zusammenschiebt. Ein Wirbel aus Kreuzkümmel, Ingwer, Chili, Knoblauch und Salz. Jeder Bissen Chapatibrot rasselt dazu wie der Schwanz der Klapperschlange. Saures Gemüse kühlt und beschwichtigt.
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Am Straßenrand weiden schwarze Wasserbüffel. Ihre Leiber glänzen wie Lakritz. Die Besitzer, braungesichtige Männer mit abenteuerlichen Kopfbedeckungen, sitzen im Schatten, schwatzen und dösen.
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Ein Büffel wird verkauft. Er brüllt, als sei er entrüstet ob des Geschäftes. Gehalten wird er von einem Jungen an einer dünnen hellroten Schnur. Niemals könnte dieser lächerliche Zwirn das Tier zähmen.
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Eine Büffelkuh hat hier, in der Hitze, ein Junges geboren. Geschwächt liegt es im Gras, zwischen Abfall, Steinen und Gras. Es hat den Kopf abgelegt und atmet schwer. Angstvoll wendet die Mutter ihren Blick den Betrachtern zu. „Lasst es bei mir“, scheinen ihre Augen zu sagen. Ein Tier ist ein Tier.
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Raben kreisen über den Dächern der Stadt.
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Der Mann vor der Wechselstube zieht seine khakifarbenen Hosen hoch. Ein Lieferwagen steht quer auf der Fahrbahn. Hoch über allem: ein Schilderdomino. Buddha-Garden-Laundry-Money-Sports-Exchange. Hellblaue Fenster, kunstvoll geschnitzt. Man hat Handtücher und frischgewaschene Klamotten zum Trocknen über die Brüstungen gehängt. Im Erdgeschoss des Hauses werden Lebensmittel aus kunstvoll gestapelten Kartons verkauft.
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Freundliche junge Frauen in Rot bieten Obst und Gemüse feil. Die Tomaten ließen sich zu farblich passenden Ketten fädeln. Zwiebeln haben sie gebündelt, den Rettich kunstvoll ausgelegt. Die Waage hängt gerade vor den Frauenköpfen und pendelt hin und her wie ein Lächeln.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.06.2013, 08:33

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