Manifest des Dichters

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 05.06.2006, 17:47

Manifest des Dichters

Der feinste Stoff fängt sich in feinsten Netzen.
Sei klar: Sortier dich, statt dich bunt zu mischen.
Laß dir kein Regelwerk als Zwang auftischen
doch scheu dich nicht vor strengeren Gesetzen.

Klappts nicht? Man darf halt nicht im Trüben fischen.
Zu grober Stoff reißt dir das Netz in Fetzen.
An scharfen Kanten läßt sich's leicht verletzen.
Es heißt erst faule Worte aufzufrischen.

Wenn dir der glatte Zug auch einmal stockt,
wenn sich der Blick im Nebelgrau verliert
reicht oft ein Hauch, daß deine Trübnis flockt.

Bleib ruhig, laß den Staub und Dunst sich legen.
Halt dann dein Netz der klaren Luft entgegen
und warte – bis dein Verschen kondensiert.
Zuletzt geändert von ZaunköniG am 11.06.2006, 19:56, insgesamt 1-mal geändert.

Last

Beitragvon Last » 06.06.2006, 11:26

Hallo Zaunkönig,

inhaltlich sagt mir dein Manifest, in seiner gleichzeitig abmahnenden, wie aufmunternden Art, sehr zu. Das ist ja fast schon eine Anleitung zum Gedichte schreiben.

Allerdings entdecke ich auch einige irritierende bis störende Momente.
Die Verse 3 und 4 empfinde ich als gegensätzlich, weshalb ich eine Vereknüpfung über "und" nicht für angebracht halte, warum benutzt du nicht einfach "doch"?
Im zweiten Quartett fällt es mi schwer die scharfen Kanten zuzuordnen, wozu gehören die? Zum groben Stoff? Das passt irgendwie nicht zusammen. Oder zum zerfetzten Netz? Da ist es dann sinnvoller, aber hat ein Netz Kanten? (Vielleicht Ränder, Schnitte, oder Risse verwenden).
Vielleicht ist aber auch Vers 7 überhaupt nicht so gut in der zweiten Strophe aufgehoben, "im Trüben", "grob" und "faul" geht gefühlsmäßig in eine ganz andere Richtung als "scharf."

Die beiden Terzette fließen klanglich und inhaltlich nicht. Das Reimschema finde ich sehr komisch. Inhaltlich verknüpfe ich kondensieren und flocken, aber das Gedicht drängt mich auf kondensieren-verlieren. Diese eher chemischen Begriffe passen irgendwie auch nicht zu den Quartetten (Dort entsteht bei mir das Bild eines Schneiders, der wie ein Fischer arbeitet {Ein tolles Bild übrigens!}).

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 06.06.2006, 12:47

Vielen Dank, Last,
für deine überraschende aber schlüssige Interpretation.
Deinen Vorschlag die dritte und vierte Zeile durch "doch" zu verknüpfen, greife ich gerne auf, es trifft meine Absicht besser.

Deine weiteren Einwände beruhen aber auf der (tatsächlich naheliegenden) Auffassung von Stoff als Gewebe. Gemeint hatte ich ihn aber viel allgémeiner als Materie, als Erzählstoff.

Viele schlechte Texte kranken daran, daß sie bei Allgemeinplätzen bleiben, also nur das Offensichtliche zeigen, (groben Stoff eben). Ich muß mich als Dichter also erstmal für die Feinheiten sensibilisieren, (mir klar werden) Dazu paßt das chemische Bild des Ausfällens, wo trübe Stoffe ausflocken und sich auf den Grund legen.
Beabsichtigt war auch eine stetige Verfeinerung des Netz-Bildes, bis schließlich nicht mehr nach dicken Fischen gejagt wird, sondern ganz behutsam die Luft geseiht wird.

Wenn ich also alle Grobheiten ausschließe, ja alles Materielle ausgefällt wird, und es bleibt noch etwas Spürbares übrig, dann habe ich die Essenz, die Seele meines Themas eingefangen.

Ich erinnere mich auch an eine Doku, wo in der Wüste Namibias Wasser gewonnen wird, indem man Stoffbahnen aufspannt, an denen am Morgen der Tau kondensiert
Das vergleichsweise strenge Regelwerk des Sonetts erfüllt für mich die Funktion eines feinen Netzes. Leicht läßt es sich verletzten, aber meine besseren Texte entstehen genau so, wie es diesers Sonett beschreiben sollte. Ich versetze mich in eine bestimmte Stimmung (oder werde versetzt) und den Rest übernimmt die Form fast von selbst. An den engen Maschen von Reim und Metrik kondensiert mein Stoff.

Schade, so ein Mißverständnis; Ich denke noch mal drüber nach, wie ich es deutlicher formulieren kann.

Gast

Beitragvon Gast » 06.06.2006, 13:02

Hallo Zaunkönig,
hallo Last,

ich freue mich über ein Sonett von dir, Zaunkönig.

Mit den scharfen Kanten sehe ich kein Problem, wenn ich es als Bild für scharfgeschliffene Worte betrachte, an denen sich ein Netz reibt (Soziales Netz verletzt).
Ich finde eher, dass die Wortwiederholungen stören.
Auch fehlt es dem Sonett an Geschmeidigkeit, es holpert in der Tat. Zum Beispiel in Zeile zwei:
warum nicht: Sortiere dich, statt bunt zu mischen.
Die "Funktion" von sei klar ist mir unklar ;-)
Anderes Beispiel.
Bleib ruhig, laß den Staub und Dunst sich legen.
Entweder das "den" weglassen, oder umformulieren, (Bleib ruhig, und laß den Staub und Dunst sich legen).Ich kann zwar nicht mit den Fachtermini Trochäus, Jambus bestehend aus weiblichen - unbetonten und männlichen- betonten Silben argumentieren, das überlasse ich gern denen, die die Theorie beherrschen.
Mein Sprach- und Klanggefühl sagt mir, dass du an diesem Sonett noch einges verbessern kannst damit es fließt und tanzt.

Vielleicht sagt Carl uns noch etwas dazu?

Liebe Grüße
Gerda
PS, sorry, Zaunkönig, dein letztes Posting seh ich gerade erst.

Last

Beitragvon Last » 06.06.2006, 13:59

Hallo nochmal,

wenn man die Assoziation zu baumwolligen oder seidigen Stoff wegfällen lässt machen die Kanten wirklich weniger Probleme. Da habe ich wohl einfach überinterpretiert (Es war so naheliegend in der ersten Zeile feinste Stoffe und dann auch noch bunt in der zweiten Zeile, später noch: grob. Ich könnte mir aber vorstellen, das sprachtheoretisch der Ursprung vom Gewebestoff dem Inhaltsstoff vorrausging und dann eine Bedeutungsübertragung stattgefunden hat {Bsp.: Der Stoff aus dem die Helden sind}).

Gerdas metrischen Einwand muss ich mal überprüfen, nach 5hebigen Jambus hat es eigentlich ausgehsehen. Mir schien eher das Problem, dass vielleicht ein oder zwei mal zu oft die Zeilen in dieses Schema gepresst wurden.

Der feinste Stoff fängt sich in feinsten Netzen.
xXxXxXxXxXx
Sei klar: Sortier dich, statt dich bunt zu mischen.
xXxXxXxXxXx
Laß dir kein Regelwerk als Zwang auftischen
xXxXxXxXxXx ginge aber auch: XxxXxXxXxXx
und scheu dich nicht vor strengeren Gesetzen.
xXxXxXxxxXx beim Lesen den roten mitbetonen, dann klappt's

Klappts nicht? Man darf halt nicht im Trüben fischen.
XxxXxXxXxXx kann man auch jambisch lesen, die Tendenz geht aber zum betonten Verb
Zu grober Stoff, reißt dir das Netz in Fetzen.
xXxXxXxXxXx
An scharfen Kanten läßt’s sich leicht verletzen.
xXxXxXxXxXx
Es heißt erst faule Worte aufzufrischen.
xXxXxXxXxXx

Wenn dir der glatte Zug auch einmal stockt,
xXxXxXxXxX
wenn sich der Blick im Nebelgrau verliert
xXxXxXxXxX
reicht oft ein Hauch, daß deine Trübnis flockt.
xX(?)xXxXxXxX

Bleib ruhig, laß den Staub und Dunst sich legen.
xXxXxXxXxXx
Halt dann dein Netz der klaren Luft entgegen
xX(?)xXxXxXxXx
und warte – bis dein Verschen kondensiert.
xXxXxXxXxX

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 07.06.2006, 20:21

Hallo Gerda, hallo Last,

Es ist doch interessant wie unterschiedlich ein Text betont werden kann, schließlich beginnt dort die Interpretation des Textes, wil Gewichte verschoben werden.

Du, Last, hast es mit dem 5-hebigen Jambus richtig, d.h. im Sinne des Dichters betont.
Bei den ersten beiden Versen gibt es ja noch keine Probleme. Da habe ich mich wohl zu sehr darauf verlassen, daß der Lesefluß automatisch so weiterläuft. Bei einsilbigen Worten ist es in der Tat schwierig eine eindeutige Betonungsvorgabe zu machen. Insbesondere das "Klappt's nicht" ist wohl kein glücklicher Zeilenbeginn.

Gerda:
Zur Funktion von klar: klar ist natürlich das Gegenteil von trübe. Und nicht nur die literarische Verarbeitung eines Stoffes, schon die Wahrnehmung ist Reflektion. So wie ein Maler auf (meist) weißem Grund seine Arbeit beginnt, muß ich mich auch als Dichter zunächst von allem freimachen, was nicht zum Thema gehört.
Deinen Einwand in Zeile 12 verstehe ich nicht; Betonst du "ruhig" einsilbig?

Viligraneu,
ZaunköniG

Gast

Beitragvon Gast » 07.06.2006, 23:50

Hallo Zaunkönig,

ruhig hat 2 Silben, ja. Betont ist die erste. (ig wird fast verschluckt)
Es widerstrebt m. E. dem natürlichen Betonungsverlauf der Sprache, wenn Zeile 12 gelesen werden soll, dass die
Betonung auf ig verlagert werden muss, damit der Vers halbwegs klingt.

Natürlich weiß ich was Sei klar inhaltlich meint.
Es steht an dieser Stelle sehr unglücklich und wirkt auf mich, als diene es, um der Silbenzahl gerecht zu werden

In den letzten 3 Jahren habe ich vieleSonette gelesen, sehr gute, (Manfred Drewitz) weniger gute und schlechte...
Dabei habe ich gelernt, dass Jamben und Silben zählen, sowie Reime "reinhalten" ;-) nicht reicht.
Da kann ein ein Vers noch so gut durchgezählt sein und der Theorie entsprechen, wenn sich aber keine Sprachmedlodie entwickeln kann, dann fleißt ein Sonett nicht.
Ein Sonett sollte leichten Fußes daherkommen.
Ein richtig gutes Sonett schreibt man wahrscheinlich erst dann, wenn man nicht mehr zählen muss.

Liebe abendgrüße und weiterhin so nett :smile:
Gerda

aram
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Beitragvon aram » 08.06.2006, 04:14

hallo zaunkönig,

ein paar assoziationen:

eine wohltuende aura geht für mich von diesem gedicht aus - gedämpft, doch konzentriert, empfänglich.
verströmt etwas von gutem, hergebrachtem handwerk, innerer sammlung, ist gleichzeitig blank, unverstaubt.
hält maß, reduziert sich aber nicht - verbindung von tradition und gegenwart, ohne bruch oder ablenkung.

ich bin mir nicht ganz klar wie es zu dieser (für mich) sehr positiven wirkung kommt, ich glaube es hat damit zu tun, dass du in einen teppich von bildern, die gar nicht erst versuchen, originell zu sein (im trüben fischen, nebelgrau, sich verlierender blick) und subtantiv - adjektivkombinationen, die man schon ganz oft gesehen hat (grober stoff, scharfe kanten, strengere gesetzte, klare luft) sparsam und gezielt neue, ziemlich einmalige bilder einwebst, die dann aber sehr genau treffen und tief gehen:
flockende trübnis (nicht in/ aus/ etc.der trübnis geschieht etwas, sondern die trübnis selbst "flockt", ein herrliches -und naturwissenschaflich korrektes- bild, aus dem chemischen vorgang "ausflocken" wird etwas sehr poetisches),
und parallel, durch den unmittelbaren literarischen bezug noch gesteigert: "bis dein Verschen kondensiert" -

was ich als höchst kunstfertig (und genau darum gehts ja inhaltlich) empfinde: 'verschen' ist der erste literarische begriff nach der ankündigung im titel, sein auftreten ist sorgfältig vorbereitet, das bild des kondensierenden v. stellt die quintessenz des beschriebenen prozesses dar - zugleich ist es diminutiv und relativiert damit schlagartig die beteutung des so mühsam gewonnenen produkts (+ dichter-egos), ohne dabei zu entwerten - all das geschieht in einem schnellen, humorvollen 'augenzwinkern' - und ist auch schon das letzte wort.

ich weiß nicht, ob ich das jetzt nachvollziehbar interpretieren konnte - doch die unauffällige, präzise dramaturgie in diesem ruhigen text, und die kulmination, die in nur vier worten durchführung, relativierung, verdoppelung (inhaltsspiegelung) und schluss in einem ist - das finde ich wirklich überzeugend.

@gerda - auch ich kann in zeile 12 kein problem erkennen - wie zaunkönig mit seiner frage schon andeutete: liest man ruhig zweisilbig (mit langem u und spätem, aber gebundenem i), geht der vers glatt, genau wie von last aufgezeichnet. die betonung bleibt dabei auf ruh, verlagert sich nicht auf ig, und das h bleibt weiterhin stumm.

ein gruß bei morgendlichem vogelgezwitscher,
aram

carl
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Beitragvon carl » 10.06.2006, 12:43

Hallo Zaunkönig,

ich gehe schon seit einigen Tagen mit Deinem Sonett "schwanger"...
Als Erstes: Form, Inhalt und den Sprachfluss finde ich gelungen!
Mein Kompliment: §blumen§
Das "doch" von Last in der letzten Zeile (1. Strophe) ist wirklich überlegenswert.
Eine Akzentverschiebung, die inhaltlich motieviert ist, sollte bleiben!
"Klappt's nicht? Man darf halt nicht im Trüben fischen"
mit 1. Betonung auf "klappt" und nächster Hebung bei "darf" ist völlig ok, ja, es betont die Schwierigkeit mit den vorhergehenden "strengeren Gesetzen" und steht in Parallelität zu der Aufforderung "Laß dir kein Regelwerk als Zwang auftischen", in der tendenziell auch eher das "Laß" betont wird. Ebenso sind Steile Fügungen in einem Vers erlaubt (wenn sie inhaltlich motiviert sind).
Dass bei "strengeren Gesetzen" keine Betonung auf der Endsilbe "ren" liegt, ist auch kein Mangel, sondern allgemeine Praxis, da man sonst ausschließlich auf zweisilbige Worte und -kombinationen angewiesen ist. Das machen Goethe, Shakespeare und Gryphius nicht, warum sollen wir`s dann machen?
Das bringt mich zu einem Thema:
Als ich zum 1. Mal Hölderlin (laut) las, war ich besoffen von der Sprachmelodie! Später habe ich dann erst gelernt, was ein Distychon bzw. Distichon ist, und als ich Hölderlin daraufhin nochmal las, ging mir das "Klappern", das ich nicht mehr abstellen konnte, so auf den Sack, dass ich ihn entnervt in die Ecke gefeuert hatte, weil ich den am Anfang intuitiv erfassten Sprachfluss nicht mehr fand.
Beides ist nicht richtig.
Es geht darum, über die Form hinaus zu einer neuen Freiheit in ihr zu gelangen.
Wenn Trochäen flüssig fließen: habe ich schon was davon? Nö.
Man muss einen Metarhythmus finden, der die Grundform inhaltlich kontrapunktiert.
Das bringt mich zu einer Frage:
Zum Inhalt hat ja Mara schon viel Stimmiges gesagt.
Wenn Du faule Worte auffrischen willst (statt sie z.B. auszuwischen), dann legst Du Dir Dein Handwerkszeug zurecht, "sortierst dich" mit verschiedenen Netzen, Zutaten, Regeln etc.
Später wird das Bild verfeinert zu, ja, was?
Zum Chemiker, der Störendes ausfällt und zur klaren Essenz kommt?
Geht es um einen objektiven Prozess?
Kondensiert der Inhalt an der Form, meinst Du es so?
Ist Dichtung passend zum Wort "Manifest" ein "Hand-Werk", wie die Lyriker der 70er behaupteten und sich nicht Dichter wollten schimpfen lassen, sondern Schrift-Steller?
Das beschäftigt mich, weil mir Dein Gedicht da noch kein klares Build liefert.

Liebe Grüße, Carl

P.S.: Komma? Alternatves 's:
Zu grober Stoff reißt dir das Netz in Fetzen.
An scharfen Kanten läßt sich’s leicht verletzen.

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Beitragvon ZaunköniG » 11.06.2006, 19:55

Hallo ihr drei, und vielen Dank für eure ausführlichen und gehaltvollen Kommis.

"Sei klar" steht da nicht um der Form zu genügen, sondern ist die zentrale Botschaft mindestens dieser Zeile. Gesucht, war eher das "mischen" als vierter Reim. "Klar" in Verbindung mit geistigen Prozessen, wird gerne mit Stringenz, mit Konzentration in Verbindung gebracht, aber wie im folgenden Beschrieben wird, geht es um das Gegenteil: Um Aufklaren, Durchlässigkeit, Transzendenz. Im dann erweiterten Blickfeld stellen sich die richtigen Bilder von selbst ein. Die müssen nicht originell sein, wenn sie wahrhaftig sind und genau. Wobei "genau" nicht das selbe ist wie "konkret"
wenn die Ungenauigkeit der Sprache, der Ungenauigkeit der Erkenntnis genau entspricht, dann ist es genau richtig, ungenau zu sein.
Erich Fried

Um so mehr freut mich, wie positiv mein Sonett von euch, aram und carl, angenommen wurde.

"Klappt's nicht" war von mir eigentlich mit der Betonung auf der Verneinung gedacht, aber je mehr Abstand ich von meinem Text gewinne, desto mehr tendiere ich zu eurer Auffaßung, das "Klappt's" zu betonen. Im Vortrag läßt sich auch das "nicht" glaubhaft ungekünstelt betonen, aber der Normalleser, der meine Absicht nicht kennt, wird mir da wohl nicht folgen. Gerne schließe ich mich Carls Auffassung an, daß die Akzentverschiebung an dieser Stelle nicht stört, sogar mit dem inhalt korrespondiert, aber geplant war es nicht. Intuitiv richtig gemacht? Oder nur Glück, daß es keine andere Stelle getroffen hat? Positiv denken :cool:


Wenn Du faule Worte auffrischen willst (statt sie z.B. auszuwischen), dann legst Du Dir Dein Handwerkszeug zurecht, "sortierst dich" mit verschiedenen Netzen, Zutaten, Regeln etc.
Später wird das Bild verfeinert zu, ja, was?
Zum Chemiker, der Störendes ausfällt und zur klaren Essenz kommt?
Geht es um einen objektiven Prozess?
Kondensiert der Inhalt an der Form, meinst Du es so?
Ist Dichtung passend zum Wort "Manifest" ein "Hand-Werk", wie die Lyriker der 70er behaupteten und sich nicht Dichter wollten schimpfen lassen, sondern Schrift-Steller?
Das beschäftigt mich, weil mir Dein Gedicht da noch kein klares Build liefert.


Schriftsteller ist ein Unwort wie Liedermacher, diese Worte haben keinen Klang. Und: ist jemand der Schriften herstellt weniger Handwerker als der Dichter? Man gibt dem Kind einen neuen Namen und läßt es laufen. Das Gegenteil ist der Fall: Der Dichter verdichtet seinen Stoff, arbeitet also am Inhalt, statt nur die Form (Schrift ist nicht Inhalt, sondern ihr Medium) hinzustellen. Aber das nur am Rande.

Ja, es geht auch um "Handwerk". um das Formgerüst, was durch mein möglichst feinmaschiges Netz dargestellt wird, aber auch um eine Art Bewußtseins- oder wenn man so will Meditations-technik." Im Ergebnis baue ich aber kein Gedicht, sondern werde empfänglich für die Inspiration. Die Form ist natürlich künstlich, hoffentlich künstlerisch, der Inhalt sollte es nicht sein.

Das Komma in Zeile 6 ist natürlich falsch, und auch das Alternativ 's übernehme ich gerne. Da es sich um geringfügige Änderungen handelt bearbeite ich es gleich oben. Vielen Dank auch für diesen Hinweis.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 04.04.2016, 15:11

Fasziniert habe ich das Sonett und die Kommentare gelesen und aufmerksam verfolgt, im Bewusstsein, viel dabei zu lernen bzw. mich dem Kern der deutschen Dichtung zu nähern.

Mucki
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Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 04.04.2016, 18:18

Ich lese deine Sonette so gern, Zaunkönig.
Sie haben eben diesen gewissen, gefälligen Schwung, der durch die Sonett-Form entsteht. Immer wieder fein.

Liebe Grüße
Mucki

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 05.04.2016, 10:14

Ich lese im Moment die Gedichte von Anette von Droste-Hülshoff.
Dieser Name -für mich klingt es wie ein Gedicht- hat mich immer fasziniert.
Gedichte wie: "An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich" mögen mich, fast zwei Hundert Jahre später, nicht überzeugen.
Ich mag lieber von ihr die Gedichte in denen sie sich mit der Natur und menschlichen Ereignissen beschäftigt, mit einem Teich, zum Beispiel.
Ich suche den Menschen hinter der Lyrik, und dort finde ich sie.
Bestimmt wird einer schmunzeln und sagen: In einem Teich?
Der Teich erinnert mich an ein Gedicht von Hölderlin mit dem Titel "Mitte des Lebens".
In den gängigen Anthologien erscheint es fast immer. Wer würde eine seiner Hymne lesen?
Ja, du, oder du, jemand, der eine Dissertation über Hölderlin schreibt.
Aber jemand, der den Menschen sucht, möchte nicht auf "Mitte des Lebens" verzichten.
Dein Gedicht, Zaunkönig, ist bis zum ersten Vers der zweiten Strophe sehr gut. Für mich könnte es da aufhören. Aber du schreibst weiter... Warum?
Weil du dein Manifest unbedingt in die Form eines Sonetts einzwängen wolltest.

Quoth
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Registriert: 15.04.2010
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Beitragvon Quoth » 06.04.2016, 18:45

Klimperer hat geschrieben: Dein Gedicht, Zaunkönig, ist bis zum ersten Vers der zweiten Strophe sehr gut. Für mich könnte es da aufhören. Aber du schreibst weiter... Warum?
Weil du dein Manifest unbedingt in die Form eines Sonetts einzwängen wolltest.


Hallo ZaunköniG, Du schriebst dieses stolze "Manifest" vor bereits 9 Jahren, Klimperer hat es aus den Tiefen des Salons wieder heraufgeholt - vielleicht stehst Du heute gar nicht mehr dahinter oder würdest ganz anders formulieren! Aber Klimperer hat ein Kernproblem aller Formerfüllungspoesie angesprochen: Der Gedanke reicht für 5 Zeilen, aber weil der Autor unbedingt ein Sonett fabrizieren will (oder vielleicht auch anderes nicht kann), muss er ihn auf 14 Zeilen auswalzen! Dieser Gefahr bist Du Dir bewusst gewesen - nicht umsonst warnst Du: "Lass dir kein Regelwerk als Zwang auftischen!" - aber auch für mein Gefühl bist Du hier eben dieser Gefahr erlegen.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.


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