Dransdorfer Karneval

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 16.01.2013, 22:16

Dransdorfer Karneval

Kurze T-Shirts im Februar Muskeln Sixpacks Schnaps
in Plastikbechern und im Berliner Eierlikör satt
holländischen Bläsern folgt armselig
ungeschmückt ein schwarzer Ami-Schlitten
nur einsam auf der Rückbank wummert
eine Riesenbox und immerhin wird
aus dem Fenster Schnaps gereicht
in essbarer Ökopappe nicht dieser GlasFeiglingsMüll
mit dem Eltern draußen ihre Kinder abfüllen
während hinterm halbhohen Zaun weiße
Halbmonde Piccolos strullern beklatscht
von Stelzenläufern Allgäuer Pfeifern
mit Beckenscheppern und die große Pauke
aushalten bis endlich, endlich
im Wagen der sprechenden nein
der plappernden schnatternden
vor Fröhlichkeit flügelschlagenden Hände
ja, auch sturzbetrunkenen, was soll’s,
die Gehörlosen kommen, das noch schaun
dann nichts wie weg.

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 27.01.2013, 21:27

Hallo, Räuber,

ein schöner bunter Text - da fragt man sich, wieso er noch gar nicht kommentiert wurde. Ich mag diese Dichte der Beschreibung - eben genau so, wie der Karnevalstrubel selbst, bei dem man gar nicht weiß, wo man zuerst hinsehen soll. Viele Bilder entstehen vor meinen Augen. Einzig die strullernden Halbmonde kann ich irgendwie nicht für mich deuten.

Mit so einem Text lässt sich sehr gut ein Moment festhalten, den man in Erinnerung behalten und mit anderen teilen möchte.

Gern gelesen
fenestra

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 27.01.2013, 23:32

Na Fenestra, da helfe ich doch gerne auf die Sprünge, Herren könnens nicht sein, die pinkeln im Stehen, aber bei den Piccolo-Affinen Damen müssen im Fall des Müssens die Winter-Bleichen Sitzhälften ans Licht.
Grüße
Franz

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 28.01.2013, 16:23

zwei winterbleiche sitzhälften ergeben doch aber keinen HALBmond ? eher einen vollen? :-) :-) :-)

lg
a, faschingsmuffel

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.01.2013, 17:24

Ich hab es (nach der Erklärung von Franz) so verstanden, dass es sich hier um eine Dame handelt. Und jede "winterbleiche Sitzhälfte" = ein Halbmond. *lach*

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 28.01.2013, 18:12

Genau, Gabriella, mein Poem verwendet ja auch den Plural :-)
Grüße
Franz

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 28.01.2013, 19:18

Ich habe bei dem Text eher der Eindruck, da will jemand einen Moment nicht Erinnerung behalten. Wenn überhaupt, dann in negativer Erinnerung.

So eine niederschmetternde und trostlose Beschreibung eines Karnevalzuges in einem Stadteil habe ich noch nie gelesen.
(und so einen Zug auch noch nie gesehen, na gut ich schaue seit Jahren nur noch den Karnevalszug bei meinen Eltern/Elternhaus, und das ist eine ganz andere emotionale Sache)

Die Dransdorfer (die haben doch sogar eine Prinzen, wenn ich richtig weiß) können einem fast leid tun, und die ZuschauerInnen am Zugrand auch.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.01.2013, 19:51

Ich lese den Text genau wie du, Sethe. LI will den Moment nicht in Erinnerung behalten. Inhaltlich ist die Beschreibung des Faschings so richtig abstoßend, negativ konnotiert formuliert. Worte wie "armselig", "immerhin" und der Schluss "dann nichts wie weg" sagen es doch aus. Dieser Text ist als Gesellschaftskritik geschrieben, deshalb steht er auch unter Lyrik & Kultur.

Saludos
Gabriella, auch Faschingsmuffel (nach über zehn Jahren in Mainz)

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 29.01.2013, 23:49

Es müssen doch nicht immer die schönen (im Sinne von ästhetisch, erhaben) Momente sein, die man festhält und teilt, oder? Auch das provinzhaft-skurrile, das piefige, peinliche, eben die nackten Vollmonde, das Gegröhle, auch das - und gerade das sollte die Lyrik festhalten. Wobei ich den bunten Trubel in diesem Gedicht gar nicht als sooo schrecklich empfunden habe - aber ich bin ja auch ein bekennender Fan von Verkleidung und Narrenpossen!

Mucki
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Beitragvon Mucki » 30.01.2013, 00:22

Hallo fenestra,

ich glaube, dass es bei diesem Text tatsächlich darauf ankommt (bei der Rezeption als Leser), ob man Fasching mag oder überhaupt nicht. ;-)

Saludos
Gabriella

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 30.01.2013, 09:22

Hallo,
der ganz große Karnevals-Fan bin ich ja nun nicht, aber so etwas zu beschreiben hat seinen Reiz - wobei es mir weniger auf die optischen Effekte als auf die akustischen ankam, eben auf den Wagen der Gehörlosen, die in dem ganzen Gewummere und Gescheppere auf ihre Art mitfeiern. Ich hätte die Reaktionen so interpretiert, Gabi, dass Faschingsfreunde anderen Bezug zum Inhalt aufnehmen als ich, der ich halb fasziniert und halb abgestossen am Rand stehe - es wäre schade, wenn die inhaltliche Beziehung für das Urteil über den Text als Text entscheidend wäre.
Danke für die Rückmeldungen,
Grüße
Franz

Mucki
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Beitragvon Mucki » 30.01.2013, 13:01

Hallo Franz,
RäuberKneißl hat geschrieben:Ich hätte die Reaktionen so interpretiert, Gabi, dass Faschingsfreunde anderen Bezug zum Inhalt aufnehmen als ich, der ich halb fasziniert und halb abgestossen am Rand stehe

ja, genauso lese ich auch die verschiedenen Reaktionen. Daher auch mein vorheriges posting.

Saludos
Gabriella

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 30.01.2013, 19:00

Vielleicht haben wir da einfach aneinander vorbeigeredet. Ich hatte ja oben geschrieben: Mit so einem Text lässt sich sehr gut ein Moment festhalten, den man in Erinnerung behalten und mit anderen teilen möchte.

Daraufhin kamen zwei Kommentare, dass jemand diese Szene wohl gerade nicht in Erinnerung behalten möchte. Aber warum schreibt man dann einen Text darüber? Den schreibt man doch gerade, um etwas festzuhalten, wie mit einer Skizze oder einem Foto. Erstmal unabhängig davon, wie man die Szene bewertet und wie der Leser sie dann bewerten wird.

Herby

Beitragvon Herby » 30.01.2013, 23:03

Beim Lesen deines Textes, Franz, stiegen Bilder, Erinnerungen an Karnevalszüge in meinem Heimatort in mir auf - mir scheint, Dransdorf ist überall... :neutral:

Der Ortsname Dransdorf ist übrigens für mich untrennbar mit einer Episode über einen anderen Umzug, nämlich die Fronleichnamsprozession verbunden, aber das ist wieder eine andere Geschichte... :mrgreen:

Lieben Gruß,
Herby


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