Brasserie del Sol

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 08.05.2017, 13:50

.


Brasserie del Sol


War das ein Lächeln? Das gefällt ihr wohl.
Die beiden kennen sich seit vielen Jahren,
seit sie in einen Plausch geraten waren
bei Wein und überbacknem Blumenkohl.

Sie haben ihre Freundschaft eingehegt
in einvernehmlich seichte Höflichkeit.
Unmerklich ändert sie sich mit der Zeit;
das Mienenspiel, der Worte Klang:

--------------------------------------------------- Er legt
den Arm um sie als er sich näher schiebt.
Er ist, sie sieht's ihm an, etwas verlegen.
"Du hast dich jetzt doch nicht in mich verliebt?"

"Ach Liebe," sagt er, "ist ein großes Wort."
Kaum ausgesprochen ist der Zauber fort.
Nun schaut sie ihm mit festem Blick entgegen.


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jondoy
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Beitragvon jondoy » 17.05.2017, 21:26

ZaunköniG hat geschrieben:.


Brasserie del Sol


.



Hallo Zaunkönig,

hatte lange im Sinn, etwas dazu zu schreiben,
nachdem es so lange unkommentiert geblieben ist,
tue ichs eben doch

ich will den Text mal auf eine etwas andere Weise kommentieren....

Zeig her, was hast du denn da für ein "Foto" mit deiner Wortkamera einfangen...
Kennst du die? :P:
Lächelt die auf dem Bild oder nicht?
Das kann man so schlecht erkennen :P:

Hast du es bewusst etwas unscharf aufgenommen?

Und dieser unbelichtete Streifen da mitten im Bild...

....eine ungewöhnliche Zeilensetzung

der Worte Klang;

Schade, dass man Fotos nicht hören kann.
Wird ihre Stimme belegter?
Kann ich mir ´bildlich´vorstellen :P:


....dann kommt lange nichts.
Eine Kunstpause..

Vielleicht soll damit die Zeit ausgedrückt sein, die er braucht, um....

wieder zu ´Bewusstsein´ zu kommen und
sich zu entscheiden, was er tun wird...

nein, das ist eine ganz falsche Leseweise....
ich les oft Sachen ganz anders, wie sie dastehen,

Sie ändert sich während es Essens unmerklich....

weil das Foto so unscharf ist, kann man das nicht so leicht erkennen :P:

Sie (er)wartet auf was, so liest es sich wohl politisch korrekter,

Die wirkliche Frage, die sich für mich stellt, ist, welcher Zeitraum ist mit "[i]mit der Zeit[/i]" gemeint.

Der Zeitraum zwischen "seit vielen Jahren" oder der Zeitraum zwischen dem Beginn des Plausches und dem Moment der Kunstpause, also bevor ein paar Augenblicke später dieses Foto aufgenommen wurde...

In dem Moment der Kunstpause muss er doch ziemlich hingerissen von ihr sein...

da geht es schließlich um Ungesagtes...so was überhaupt in Worte zu ...übersetzen..., die es irgendwie überhaupt einigermaßen einfangen können...

in dem Text wird es ja selbst beschrieben
"Kaum ausgesprochen ist der Zauber fort."

Da sich - wohl während des Plausches - ihr Mienenspiel, ihrer Worte Klang, verändert hat....
also sie bewusst oder unbewusst Signale ausgesandt hat.....
überrascht es mich als Leser nicht ganz, dass sie ihm...nach dem Annäherungsversuch....
mit festem Blick entgegen sieht...

Ich glaub, sie hat schon (insgeheim) gelächelt....weil,...das gefällt ihr wohl....

Das find ich auch wieder eine interessante Zeilensetzung.
Der letzte Satz steht ganz oben. Am Anfang.

Nach dem Foto nach würde ich sagen, sie könnten sich mögen...

Die in einem uralten Lagesong besungene Zeile, und dann hat es Zoom gemacht,
würde bei dem hier Beschriebenen allerdings etwas deplaziert wirken...

Zudem versichern sich beide zum Ende hin in Worten, das gerade eben nicht passiert ist...

das war so meine spielerische Kommentierung dazu.

Bleibt zu hoffen, das er dich nicht verärgert.

Der Salon lebt.

Namaste, Jondoy




j

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 18.05.2017, 01:17

Hallo Jondoy,

warum sollte ich verärgert sein? Du hast doch eine sehr ausführliche und auch plausible Interpretation geschrieben. Allein, dass sich jemand so viel Gedanken macht um einen Text ist doch ein Grund zur Freude!

Aber nun konkret:

Kenne ich die?
- Zunächst mal: Es ist ein fiktiver Text. Sowohl der Ort als auch die Personen sind frei erfunden - wobei mir im Nachhinein Kästners "Sachliche Romanze" in den Sinn kam. Ein anderer Plot aber eine ähnliche Stimmung.
Kennt der "Erzähler" die beiden? Nun die beiden sind Namenlos, er kennt sie also eher aus der Ferne,, vielleicht weil er selbst Stammgast ist, in diesem Lokal. Hat er schon mitbekommen wie sich kennengelernt haben? oder hat er das nebenbei aus erlauschten Gesprächen mitbekommen? Den Blumenkohl essen sie vielleicht jedes Mal, weil er günstig und gut ist.

Lächelt die auf dem Bild oder nicht?
War das ein Lächeln?" Das gefällt ihr wohl. War eher gemeint dass Sie ein Lächeln bei ihm vermutet, aber ok, wenn es ihr gefällt wird sie vermutlich auch Lächeln. Das Lächeln ist grammatisch nicht eindeutig zugeordnet. in dem Fall keine Absicht, aber eine gewisse Unschärfe ergibt sich aus der distanzierten Erzählperspektive. Der Erzähler hört was die beiden sagen und interpretiert ihr Minenspiel aber er ist nicht wirklich mit ihnen vertraut.

Die "Kunstpause" ist zunächst meiner Vorliebe für Enjambements geschuldet. Dem Sonett-Schema nach gehört "Er legt" ja eigentlich noch zur 8. Zeile. Grammatisch aber zur 9. - Ich mag Enjambements weil sie das Sonett etwas dynamischer machen. Wenn die Satzstruktur genau dem Vers- und Reimschema entspricht kommt man sonst leicht ins Leiern. - Aber du hast Recht. An dieser Stelle ist auch eine Sprech- bzw. Lesepause angezeigt.

Die wirkliche Frage, die sich für mich stellt, ist, welcher Zeitraum ist mit "mit der Zeit" gemeint.
- Ich dachte da schon an die Jahre. Wenn es zu schnell geht merkt man es ja leicht, aber eigentlich wollte sie es nicht merken, für sie ist es als Freundschaft ok. und naja, etwas Galanterie lässt sie sich gerne gefallen aber Beziehung ist eigentlich kein Thema. Er weiß das auch oder vermutet es, aber weiß es sicher als sie fragt: "Du hast dich jetzt doch nicht in mich verliebt?" Er rudert ja mit seiner Antwort schon wieder zurück. Aber zu spät: Einmal ausgesprochen wird die Freundschaft nie wieder die selbe sein. Wie es weitergeht? Das wüssten die beiden jetzt auch gerne.


Der letzte Satz steht ganz oben. Am Anfang.
Äh, nee, nicht ganz. Die erste Zeile ist natürlich Gegenwart, dann wird etwas Vorgeschichte erzählt, aber spätestens ab Zeile 9 (7 und 8 bilden den Übergang) sind wir wieder in der Gegenwart.

Lange Rede, kurzer Sinn: Bis auf kleinere, eigentlich unwesentliche Details, ist der Text angekommen, wie er gemeint war, inklusive aller Unschärfe, was mich doch einigermaßen beruhigt, da hier einige Struktur-Überlegungen eingeflossen sind, die weit über dieses Sonett hinausreichen, so waren Anfangs- und Schlusszeile im Grunde schon gesetzt, bevor irgendwas anderes war.



Liebe Grüße
ZaunköniG
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 01.11.2017, 11:48

Als ich dieses Gedicht vorhin las, spürte ich das Gleiche, was ich beim Lesen von "Die Beiden", von Hugo von Hofmannsthal, empfinde, immer noch empfinde.
Brasserie del Sol ist, für mich, ein großartiges Gedicht.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 01.11.2017, 19:43

Hallo Klimperer,

"Die Beiden" kannte ich gar nicht. Danke für den Hinweis. nun, ich spüre da etwas ganz anderes. Für mich ist die Stimmung eher bei Kästners sachlicher Romanze, obwohl die beschriebene Situation eine andere ist. Aber das zumindest hat mein Text mit Hoffmanthals gemeinsam, dass eine Situation beschrieben wird ohne eine Vorgeschichte zu erzählen, was dann wohl größere Interpretationsspielräume lässt, aber wegen dieser Unschärfe können sich wohl auch ganz verschiedene Menschen darin wiederfinden. Aber wie offen darf die Erzählung sein ehe sie beliebig wird? Warum rührt uns das eine Bild an und tausend ähnliche nicht? Aber auch wenn ich das Rezept noch nicht kenne, freut es mich wenn es hier anscheinend mal wieder gelungen ist.

Gruß
ZaunköniG
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 04.11.2017, 15:06

01


Nun schaut sie ihm mit festem Blick entgegen.
Er weicht ihr aus, zunächst wohl irritiert.
Ich frage mich, was ist zuvor passiert,
doch ist mir nicht nach langem Überlegen.

Ich sehe gerne den Verliebten zu.
That's all. Das erste zögerliche Werben,
das große Glück, scheint etwas abzufärben,
Ich bin mit diesem Glück bald selbst per Du.

Es grüßt mich, denn wir kennen uns vom Sehen,
doch hat es grad woanders viel zu tun.
Und mancher scheint auch für sein Glück immun.

Die beiden hier beginnen zu verstehen.
Ein guter Ort, die Brasserie del Sol.
War das ein Lächeln? Das gefällt ihr wohl.


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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 19.11.2017, 17:25

02

War das ein Lächeln? Das gefällt ihr wohl.
Sie schielt nach etwas Glück vom Nachbartisch,
wo zwei sich in die Augen sehn... Wie frisch
verliebt. Frisch widerscheint auch die petrol-
türkise Bluse aus entspanntem Blick:
Nein. - nicht entspannt, - viel eher hoffnungsvoll!
Er weiß bald nicht, wohin er schauen soll ...
Er schaut, - verspannt greift er sich ins Genick

und fahndet nach Entspannung hinterm Tresen:
"Könn' wir nochmal?" - "Für Dich nochmal das Gleiche?"
"Jaa... - War doch schön, als wir zusammen waren!"

Und er: "Es ist nicht alles schlecht gewesen,
doch wird es wohl auch dieses Mal nicht reichen...
Die beiden kennen sich seit vielen Jahren.


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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 21.11.2017, 20:28

Es könnte auch von Rilke sein.
Ein lyrisches Triptychon.
Vielleicht, der dritte Teil, etwas zu prosaisch.


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