der berg

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Estragon

Beitragvon Estragon » 24.07.2017, 12:57

als Nâzım Hikmet erkannte dass er nicht mehr sah
was er überquerte
nur noch die idee vorhanden war
zu gehen
zu gehen und zu verstummen
ging er wie eine landschaft zu sich selber

zu verstummen war leidenschaft
er grüßte sie am morgen
zwischen den ästen
in den bewegungen der liebenden
er zeigte größe in dem er sich
ihrer annahm
er schrieb keine gedichte mehr
das war wahre größe
gedichte von unfassbarer schönheit
schreiben zu können und es zu lassen

er entfernte sich von den worten
er zeigte auf landschaften deren
blutiges ende er sah
mehr als er wollte zeigte er auch
auf den diktator
der umherrannte und den mund aufblies und Nâzım Hikmet wusste
wenn dieser herrenmensch wollte
würde er auch die toten dichter einsperren und er lachte
in jedem lachen lag eine träne die hinabfiel
auf die landschaften und die bewegungen
die lebendigkeit derer die auf die nächste zeile des dichters hofften

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.07.2017, 07:27

► Text zeigen

Ich musste Nâzım Hikmet erst ergoogeln, aber auch ohne Hintergrundwissen funktioniert das Gedicht für mich, weil es selbst erzählt. Gefällt mir wieder sehr gut.

Nur zwei Kleinigkeiten:
ging er wie eine landschaft zu sich selber
Ich würde "selbst" schreiben statt "selber" schon allein aus klanglichen und rhythmischen Gründen.
er schrieb keine gedichte mehr
das war wahre größe
"Das war wahre" würde ich klanglich versuchen zu vermeiden und das "war" durch eine anderes Wort ersetzen.
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Eule
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Beitragvon Eule » 07.08.2017, 06:49

Finde den Text ganz gelungen. Für den Leserhythmus und Lautmalereien gibt es keine Kritik von mir.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Niko

Beitragvon Niko » 07.08.2017, 21:39

ein sehr bewegender text, estragon!
er strahlt für mich große intensität aus, leidenschaft und melancholie. es sind ein paar stellen, wo man was kritteln könnte....aber in anbetracht der schönheit des textes tut es wahrlich nichts mehr zur gro0ßen und ganzen sache.

danke für diese perle!

herzlichst - Niko


da ylvi die gleichen textstellen ansprach, die ich vermeiden wollte extra anzusprechen, gehe ich nun doch kurz drauf ein.

in deinem text heißt es:

ging er wie eine landschaft zu sich selber

zu verstummen war leidenschaft


dieses "zu sich selber / zu verstummen" ist eine unglückliche aufeinanderfolge und "er ging zu sich selber" ist völlig richtig, aber in kombination mit der landschaft: er ging wie eine landschaft zu sich selber" wird es dann verdammt bockig. eine landschaft findet vielleicht zu sich selber (selbst!!!) aber sie geht nicht. es sei denn, es wäre ein meer oder eine wanderdüne. langschaften bewegen. aber nicht sich. man kann das lyrisch suggerieren, als stilmittel verwenden, aber dann eben anders ausformulieren damit es in sich stimmig bleibt. es ist zu schade, wenn solch ein text zentral in solch einer stelle verwirrung stiftet und den leser ins stocken bringt.

also........vielleicht in der art?als kompromiss für dich an den leser:

ging er wie eine landschaft
zu sich selbst

das verstummen war leidenschaft

(also ich finde es eine gute lösung)

__________

zweite stelle:

er schrieb keine gedichte mehr
das war wahre größe


man kann die wahre größe herausstellen, finde ich. das macht sie noch wahrer und nimmt dem ausformulieren etwas diese beliebigkeit....

er schrieb keine gedichte mehr
eine echte größe


vielleicht kannst du ja etwas für dich verwenden.

herzlichst: niko


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