Epiklord hat geschrieben:ADHS ist eine Erfindung der Moderne. Dienlich ist in der Schule und für die Gesellschaft, wenn ein Kind sich auf eine Sache konzentrieren kann. In der freien Natur war es eher gefährlich.
Hierzu möchte ich Widerspruch anmelden!
ADHS unterliegt in volkstümlicher Betrachtung häufig diesem Klischee. Selbst in der modernen Medizin wird eher von einer Normvariante gesprochen.
ADHS-Betroffene haben im Leerlauf Konzentrationsprobleme bzw. wenn sie sich mit Dingen beschäftigen sollen, die keinen ausreichenden Reiz bieten. Als Grund wird ein Transmittermangel (Dopamin) angeführt. Dieser relative Dopaminmangel sorgt für diese oft beobachtete motorische Unruhe (das betrifft aber nicht alle Betroffene), um den Dopaminmangel durch Dopaminausschüttung zu beseitigen. Man kann das als Suche nach einem "Kick" betrachten.
Dieser "Kick" kann durch riskanteres Verhalten (u.a. auch Drogenkonsum), Beschäftigung mit wirklich interessanten Dingen (tatsächliche Interessensbefriedigung intellektuell oder motorisch) erreicht werden. ADHS-Betroffene können sich nämlich auch stundenlang mit einer Sache konzentriert beschäftigen, sofern ein besonderer Anreiz dafür vorliegt.
ADHS kann eigentlich nicht anders therapiert werden, außer durch die bekannten Medikamente. Als Wirkstoff kommt dabei hauptsächlich Methyphenidat (Arzneistoff aus der Gruppe der Phenylethylamine) zum Einsatz (welches unter verschiedenen Handelsnamen erhältlich ist). Es handelt sich dabei um ein indirektes Sympathomimetikum, d.h. es blockiert keine Rezeptoren, sondern hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin). Dadurch hat es eine konzentrationsfördernden sowie eine beruhigende Wirkung. Im Gegensatz zur häufig hörbaren Volksmeinung ist Methylphenidat ein stimulierendes Medikament, da es sich um ein Amphetaminderivat handelt.
Die pharmakodynamischen sowie -kinetischen Eigenschaften sind sogar recht günstig, da die mittlere Halbwertzeit bei 2-3 Stunden liegt und die volle Wirkung bei ca. 4 Stunden. Dadurch kann es gezielt für eine Situation (z.B. Schule / Hausaufgaben) eingesetzt werden. Es bedarf keines gleichbleibenden Spiegels. So bleibt auch genug Tageszeit ohne Medikamenteneinfluss.
Als selbst Betroffener kenne ich die andere Seite der Theke und wäre froh gewesen, so ein Angebot gehabt zu haben, obwohl ich ansonsten gern um die pharmakologischen Produkte einen Riesenbogen mache.
Problem bei Methylphenidat ist das Abhängigkeitspotential. Daher ist eine sorgfältige und kompetente Diagnostik sehr wichtig, da dieses Präparat für Nichtbetroffene nur gesundheitliche Risiken mit sich bringt.
ADHSler haben unbehandelt (bzw. zumindest kein Erhalten einer fundierten Psychoedukation) ein hohes Risiko, gesellschaftliche Anforderungen nicht erfüllen zu können. (darüber lässt sich diskutieren, da auch ich der gesellschaftlichen Haltung bei vielen Themen sehr skeptisch generell gegenüberstehe)
Ebenso haben ADHSler ein hohes Risiko in Drogenabusus abzugleiten (Alkohol, andere harte Drogen), da diese Mittel ebenso eine höhere Dopaminausschüttung induzieren und so zur symptomatischen Linderung beitragen können.
Ihrer Schlussfolgerung
Epiklord hat geschrieben:(...) wenn ein Kind sich auf eine Sache konzentrieren kann. In der freien Natur war es eher gefährlich.
verstehe ich so, dass die Fähigkeit, sich hoch auf abstrakte Dinge (wie in der Schule) konzentrieren zu können, eher in der Natur zur Gefährdung des Individuums führt. Diese Ableitung halte ich für richtig, insbesondere wenn man ADHS als Normvariante begreift. Menschen mit ADHS neigen durchaus dazu, in stressigen / "aufregenden" Situationen einen kühlen Kopf behalten zu können, während andere eher zu Panikreaktionen neigen. Sie haben also ein Normalniveau in außergewöhnlichen Situationen. Dort haben sie tatsächlich ihre Stärken.
Dies kann bei unglücklicher Biographie nicht selten eine erfolgreiche Karriere auf der schiefen Bahn ermöglichen, weil das Nervenkostüm unter Druck belastbarer ist.