Die Leuchtturmwärter-Ballade (Vorsicht: sehr lang!)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Uwe Beuer

Beitragvon Uwe Beuer » 23.02.2006, 16:30

(M. und ihren Enkeln gewidmet)


Ein Leuchtturmwärter hat viel Zeit,
was gut ist, wenn der gute Mann
gelassen und voll Heiterkeit
damit so halbwegs umgehn kann.

Wenn nicht, wird Dasein leicht zur Qual
und Einsamkeit wird leicht zu viel.
Dann lauern Schatten überall
und der Verstand steht auf dem Spiel.

Für Jan jedoch war's kein Problem,
der war sein eig'ner kleiner Stern.
Er fand die Arbeit angenehm
und las vor allem liebend gern.

Jan lag nicht mit sich selbst im Streite
und mied doch die Gedanken nie.
Er träumte oftmals in die Weite
und hatte Mut und Fantasie.

Und freitags kam im ersten Licht,
mit Post und strahlendem Gesicht,
die Heike, Haare flammend rot,
in ihrem kleinen Ruderboot.

So floss das Leben friedlich hin
und schön, für den, der Stille will;
ein jeder Tag sich selbst ein Sinn -
bis zu der Sturmnacht im April ...

Drei Schiffe gleich war'n in Gefahr
und eins davon schon fast verloren,
wenn nicht der Jan, der draußen war,
mit Salz und Gischt in seinem Haar
und Sturmwind tosend in den Ohren,
gespenstisch sah's im Lichtschein aus,
gerettet hätte Mann und Maus!

Die Ruhe nach dem Sturm war tief,
so tief wie auch der Schlaf von Jan,
der fünfundzwanzig Stunden schlief,
wie's nur ein sehr Erschöpfter kann.

Als Jan am Ende doch erwachte,
verlangte es ihn nur zu essen.
Er schlang die Speisen, die man brachte,
und trank und reckte sich und lachte:
Die Sturmnacht hatte er vergessen.

Die Welt jedoch sucht Ruhmgeschichten
T.V. und Presse brauchten Stars
und wollten nicht auf Jan verzichten,
mit Interviews und Bild-Berichten
und Background - eine Plage war's.

Ein Staatsminister kam zuletzt,
behängte ihn mit einem Orden,
hat ihn befördert und versetzt:
Der Jan ist Hafen-Chef geworden!


___________



Ex-Leuchtturmwärter Jan verbrachte,
indem er steil Karriere machte,
die nächsten Jahre wie im Traum
und merkte die Belastung kaum.

Er hätte vorher nie gedacht,
dass Schifffahrt so viel Schreibkram macht.
Dazu die personellen Fragen -
Was sollt's, er hatte ja das Sagen.

Nicht, dass er viel zum Einsatz kam
als Hafenchef von Rotterdam.
Und nicht einmal, dass Einspruch käme,
wenn er noch etwas Urlaub nähme.

Er lernte, sogar mit Geschick,
interne Ämterpolitik
und delegierte und vertagte
und dementierte und verklagte ...

Nur ein Mal zuckte er zusammen,
als Briefe von zu Hause kamen,
es würd bald Heike's Hochzeit sein.
Man lud auch Jan auf diese ein.

Er fuhr nicht hin und dacht: "Na und,
hier bin ich glücklich, hier geht's rund!"
Mit Blick auf seinen Swimmingpool
sank er noch tiefer in den Stuhl.

Kein Mangel war an Sex und Geld,
er war jetzt selbst ein Mann von Welt
und konnt sich wirklich nicht beschweren:
Konzerte, Bühne, Premieren ...

Den Lesern wird es angst und bange,
die Schlauen wissen es schon lange:
Der Jan im Karriere-Rausch,
das war ein völlig blöder Tausch.

Sie sind so schlau - und sehn doch nicht
den Haken an der Leser-Sicht,
dass nichts noch leichter ist im Leben,
als andern tolle Tipps zu geben.

Bequem im Wasserbett versunken,
zwei Gläser edlen Wein getrunken:
Erklärst du diesen Stil für schlecht,
stehst auf und gehst? - Das tust du, echt?!

Bewundernd steh ich dir zur Seite
- und bleibe hier. Du suchst das Weite.
Es braucht schon einen großen Held,
der hier nicht gern zum Opfer fällt.
Auch Jan blieb, trank, hat viel geraucht
und lange Zeit zur Flucht gebraucht.

Der Licht-Blick kam mit einem Schlag
an einem ganz normalen Tag.
Da war es plötzlich an der Zeit:
Er sah sich selbst. Es war so weit.

Zehn Jahre war'n im Flug vergangen,
ganz ohne Änderungsverlangen,
dann fiel's ihm auf und war die Wende:
Er kriegte nie ein Buch zu Ende!

Die Zeit hätt er sich nehmen können,
Lektüre sich en masse zu gönnen,
doch, wie er nun ganz deutlich sah:
Die Lese-Ruhe war nicht da.

Bei allem Luxus und Getue
entfernte sich die Inn're Ruhe.
Er hatte sie perfekt gekonnt,
jetzt schwand sie hinterm Horizont.

Da packte ihn ein Riesen-Schreck ...
Er packte ein und war schon weg
und reiste los, im Zug und schlicht,
wohin, das wusste er noch nicht.


______________




Man kann im Leben nicht zurück,
beziehungsweise: Wenn man's tut,
dann wird das Resultat nicht gut.
Das wusste Jan zu seinem Glück

und suchte, lange noch vergebens,
wobei er wilde Haken schlug,
die Fortsetzung des eig'nen Lebens,
doch kriegte keine recht zu fassen,
denn nichts wollt zur Geschichte passen.
- So lebte Jan von Zug zu Zug

und merkte nach zwei Reisejahren,
dass Reisen ohne Reiseziel
und hin und her durch Länder fahren
tatsächlich jetzt sein Leben waren.
Er sah und las und lernte viel.

... und lachte leis und summte Lieder
und hatte längst sich selber wieder.

Nun eines Jahres stieg in Bern
Gerlinde zu und wollt nach Wien.
Sie mochten sich auf Anhieb gern:
Jetzt will auch Linde nirgends hin.

Vielleicht ja doch, nach einer Weile,
vielleicht allein, vielleicht zu zweit ...
Wir schreiben die zweitletzte Zeile
und gönnen ihnen Zweisamkeit.
Zuletzt geändert von Uwe Beuer am 16.03.2006, 12:02, insgesamt 5-mal geändert.

moana

Beitragvon moana » 23.02.2006, 21:44

Hallo Herr Beuer!

Ay, ich weiß gar nich wirklcih, was ich dazu sagen soll. Also, was vernünftiges oder konstruktives fällt mir bestimmt nich ein. Aber ich las diese Ballade eben und dachte mir: Hm, hat noch keiner was zu gesagt, gibste mal dein Senf dazu. Also, erst mal muss ich sagen, richtig professionell. Damit kannst DU Wettbewerbe gewinnen. Veröffentlichen. Was auch immer! Aber ich könnte mir vorstellen, dass ich diese Ballade auch meinen Enkeln, falls ich jemals welche haben sollte, genüsslich vorlesen könnte! Respekt, Lob und Kompliment, schön zu lesen, werd ich wohl noch einige damit nerven, wenn ich darf!

grüßerl, moana

PS: Krieg ich n Autogramm ;-) ?

Herby

Beitragvon Herby » 23.02.2006, 22:59

Ich such nach Worten. Einfach gut!!
Drum schweig ich jetzt und zieh den Hut!

Uwe Beuer

Beitragvon Uwe Beuer » 24.02.2006, 18:43

Hallo Ihr!
Ich WOLLTE diese Ballade ja gar nicht hier reinstellen, aber gerade Herby hat den "Geist der Ballade" ins Forum getragen - und dann hab ich's eben doch getan, bevor das wieder vorbei ist.
Ich hatte dieses Gedicht gar nicht als SO lang in Erinnerung. Und ich glaube, ich überarbeite es noch ein bisschen, ein paar Stellen haben mir jetzt selbst nicht mehr so gefallen.
Eure Kommentare freuen mich sehr - und klar, Moana, darfst du sie vorlesen, wenn du willst: Da fühle ich mich äußerst geehrt! (Aber meinst du, so was will irgendwer HÖREN?)
Habt einen schönen Tag!
Uwe

Maija

Beitragvon Maija » 24.02.2006, 19:34

Hallo Uwe Beuer,

Und ich glaube, ich überarbeite es noch ein bisschen, ein paar Stellen haben mir jetzt selbst nicht mehr so gefallen.


Ja, dies dachte ich mir auch gleich. Der Rythmus hinkt oft und manchmal erscheint mir das Reimen auch als holprig oder schwerfällig.

Ich bin erstaunt über die Länge und deine Ideen :thumbleft: Auch deine Bildersprache so dicht und vielseitig. Danke §blumen§ !

Gruß Maija

Gast

Beitragvon Gast » 24.02.2006, 19:57

ja, für wahr ein schöne lange Ballade...
Voller Ideereichtum, denSchwächen im allgemeinen und im besonderen über die Schulter geschaut, die Erfolg und Karriere so mit sich bringen können...
Eine Frage hierzu:
Zitat:
Ex-Leuchtturmwärter Jan verbrachte,
indem er still Karriere machte,...

Meinst du nicht "steil"?

Ansonsten würde ich bei manchen Reimen spontan durch winzige Änderungen, den Fluss der Verse beschleunigen.
Beispiel:
der fünfundzwanzig Stunden schlief,
wie's nur ein sehr Erschöpfter kann.
Vorschlag
wie es nur ein Erschöpfter kann.

Es sind Kleinigkeiten mal statt des "und" ein "doch"
Beispiel:
die nächsten Jahre wie im Traum,
und müde machte ihn das kaum.
Vorschlag:
doch müde machte ihn das kaum.

Da du es selbst überarbeiten willst, denke ich die Tipps könnten hilfreich sein.

Liebe Grüße
Gerda

PS: Ein Lesetipp für dich, allerdings Prosa: Im Rausch der Stille, von Albert Sanchez Pinol
...da spielt ein Leuchtturmwärter ein nicht unbedeutende Rolle.
;-)

Uwe Beuer

Beitragvon Uwe Beuer » 25.02.2006, 18:07

Hallo Maija!
Hallo Gerda Jäger!
Irgendwann die nächsten Tage nehme ich mir die Sache richtig vor, bzw. überfliege sie sehr oft und versuche sie immer wieder neu anzusehen.
Habt jedenfalls vielen Dank für eure Anregungen; die betreffenden Stellen gucke ich mir extra-oft an.
Die Korrektur: "steil" statt "still" stimmt schon mal (Danke, und gut gesehen!): In meiner Vorlage steht auch tatsächlich "steil".
Beim "doch" statt "und" hatte ich schon mal das vorgeschlagene "doch", aber es hat mir nicht so gefallen - vielleicht kann ich's ganz anders lösen, mal sehen.
- Während ich die Stelle mit dem "Erschöpften" wahrscheinlich so lasse, wie sie ist ...
Hinken und Holpern merke ich nicht so, aber einiges ist trotzdem noch nicht so, wie's soll.
Es ist eben immer so ein Problem, dass das Resultat dann auch noch im eigenen Stil sein soll, und wenn man's allen recht machen will, geht das als allererstes verloren!
Aber ich "höre hin". Seid nochmals bedankt!
Uwe
P.S. Vielen Dank auch für den netten Literaturtipp! An sich habe ich mit Leuchttürmen noch nie was zu tun gehabt; ich habe mal 8 Jahre in Irland gelebt und nahe am Meer - aber ganz ohne Leuchtturm. Die Daseins-Weise (= viel Zeit haben) finde ich jedoch faszinierend. Und Zeit haben ist in meinem Leben auch immer oberste Priotität!

Gast

Beitragvon Gast » 26.02.2006, 10:47

also wenn ich was zu Gedichten sage, dann mache ich das nicht, weil ich denke der Autor solle sich dran machen und gleich nach meinem Gusto ändern ;-)
Kritik, jedenfalls meine, ist immer als Anregung gemeint, den eigenen Text mit Abstand zu betrachten und vielleicht doch noch eine andere Idee umzusetzen.
Wenn ich die Anregungen für meine Gedichte lese, geschieht es nur bei "abgehangenen" Texten,(Damit meine Ich zig Mal überarbeitete, eigentlich fertige) dass ich sofort weiß, ob durch eine Änderung dennoch das erhalten bleibt, was ich fühlte und sagen wollte.
Bei neueren Texten lasse ich Text und die Krtitkpunkte zusammen ruhen, manchmal Monate... um dann erneut an die Arbeit zu gehen.
Im übrigen empfinde ich Kritik an und für sich positiv, zeigt sie doch , dass der betreffende Text es wert ist, sich näher damit zu beschäftigen.

Liebe Sonntagsgrüße
Gerda

PS... und solltest du das von mir empfohlene Buch wirklich einmal in die finger bekommen... also, dann ist deine Ruhe dahin... denn in diesem Roman geht es nämlich absolut nicht gemütlich zu.

Uwe Beuer

Beitragvon Uwe Beuer » 26.02.2006, 16:37

Moana,
Halt! Stopp! Du musst mit den Enkeln noch warten,
bis ich mit diesem Gedicht richtig fertig bin.
Danke,
Uwe

Uwe Beuer

Beitragvon Uwe Beuer » 26.02.2006, 16:46

Guten Sonntag, Gerda Jäger!
Das mit der Kritik ist schon in Ordnung, kein Problem. Letzten Endes muss man als Autor doch sowieso selbst ein Gefühl für den eigenen Text haben und sich darauf verlassen; da führt kein Weg dran vorbei.
Entschuldigung übrigens, dass ich nicht auch deine Texte kommentiere, vielleicht später mal; im Moment sind sie mir recht "fremd" und bevor ich etwas sage, das ganz daneben ist, sage ich lieber nichts.
In dieses Leuchtturm-Gedicht gebe ich gleich eine Menge Änderungen ein (von gestern Abend und heute Morgen); bald muss ich ihm allerdings eine Pause geben: Ich bin so nah dran, dass ich nichts mehr sehe.
Eine Frage (an alle Interessierten): In der 2 Strophe könnte ich statt "Verstand" auch "Gemüt" einsetzen ... Da bin ich völlig unentschieden - Möchte jemand eine Stimme für das eine oder andere abgeben?
Ansonsten bin ich ganz überwältigt von dem vielen Interesse für dieses Gedicht; ich dachte, das ist so lang, die Mühe macht sich bestimmt niemand ...
Tschüs und Gruß
Uwe

Adam

Beitragvon Adam » 26.02.2006, 20:13

Hallo Uwe,
ein tolles Werk! Humorvoll und doch sehr ernst.
Liebe Grüße
Robert Adam

moana

Beitragvon moana » 26.02.2006, 23:00

Hey!

Also, das mit den Enkeln wird auch mindestens noch...hm...über 30 Jahre dauern? Bis dahin bist du hoffentlich fertig :mrgreen: ! Also, ich finde, du solltest das Wort Verstand lassen. Das passt besser, weil Gemüt ist ja positiv und negativ und eigentlich völlig allgemein. Verstand passt besser. Ansonsten is jetzt glaub ich einiges nooooch besser geworden. Hab nur eine kleine Anmerkung, über die ich immer wieder stolpere...Also, ich stolpere nich über die Anmerkung, aber...jaaa. Und zwar das mit dem Karriere-Rausch. Das passt mir beim Lesen irgendwie nich. Betonungstipp? Vielleicht komm ich auch einfach nich drauf :schaem: .

grüßerl, moana

Uwe Beuer

Beitragvon Uwe Beuer » 02.03.2006, 18:53

Hallo Adam + Moana!
Vielen Dank für eure Kommentare - und dann lassen wir's eben beim "Verstand" - und als Nächstes kriegt dieses Gedicht von mir eine lange, lange Pause, glaube ich.
Holpern bei der Karriere-Stelle ... ist seltsam: Ich merke nichts davon, MEINEM Eindruck nach klappt's, wenn man jede zweite Silbe betont. Meinem Eindruck nach klappt dies das gesamte Gedicht hindurch ... Aber vielleicht bin ich wirklich zu nahe dran und merke eben nichts mehr.
Warum mache ich nicht überhaupt mal was anderes als Gedichte schreiben: Was weiß ich, Dackel züchten oder Stabhochsprung. Oder was essen?!
Tschüs, macht's gut!
Uwe
Zuletzt geändert von Uwe Beuer am 05.03.2006, 17:53, insgesamt 1-mal geändert.

moana

Beitragvon moana » 03.03.2006, 14:22

Hey, Dackel züchten?? Nein, bitte nicht!!!

Aber um zu meinem Problem zu kommen: Meine Karriere hatte bisher immer nur drei Silben: Karr-ie-re :cool: . Wenn man vier Silben draus macht, passt's natürlich. Dangeschöööön! Will das ja meinen Enkeln schließlich auch mal richtig vorlesen ;-).

grüßerl moana


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