wir sind es doch, die zu bedauern sind!

Der Anonymus bietet Mitgliedern die Möglichkeit, ein Werk sowohl anonym einzustellen, als auch anonym (auf die Rückmeldungen) zu antworten. Bitte lest euch die FAQs gut durch, bevor ihr etwas in diese Rubrik einstellt.)
Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 17.11.2009, 09:54

wir sind es doch, die zu bedauern sind!

müssen wir nicht ernsthaft damit rechnen
dass unsere rente gekürzt wird
die häuser an wert verlieren
dieses jahr ein urlaub ausfällt und
unser montagabend beim italiener?

wir müssen doch sterben im hohen alter!
in altersheimen, die wir bauten für
andere, von kindern fremder gepflegt
an krankheiten, die nachfolgende sich nicht
werden leisten können!

waren wir es nicht, die anklagten?
den finger erhoben gegen unsere eltern
die weltkriege angeführt und ganze
kontinente ausgebeutet hatten und von deren
geld wir heute noch leben?

hatten wir nicht immer frieden
gefordert? und müssen jetzt unsre memoiren
selber würdigen, die demontage jeder autorität
denn unsere kinder, denen wir die zukunft
durch nicht-zeugung ersparen wollten -

achten uns nicht.
aber das schlimmste: wir
die wir oberfläche als letzte wahrheit und sonst
nichts geliebt, nichts ersehnt, nichts erlitten
was über Solidarität mit Nicaragua! hinausgeht

und erregte debatten am kamin - wir
müssen jetzt sterben wie Hiob, lebenssatt
von belanglosigkeiten
nicht wert einer fußnote im umschwung
der zeitalter.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 17.11.2009, 22:01

Hallo Herr oder Frau Anonym,

vorab ein Rechtschreibfehler:

den finger ehoben


Und zum Gedicht. Ehrlich gesagt, mir fehlt der Pfiff zur entlarvenden Satire. Vor allem die belehrende, mir neunmalklug daherkommende Abschlußstrophe ließen bei mir, trotz des netten Starts des Textes, das Interesse schwinden. Halt immer die böses 68er heutzutage. So ist es mir zu platt und kratzt an der Oberfläche.

Hätt nicht besser Vietnam als Nicaragua gepasst?

Nichts für ungut und Gruß

Jürgen

Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 19.11.2009, 14:56

Hallo Jürgen,

vielen Dank für deine Rückmeldung. Leider kann ich den Text nicht mehr bearbeiten (es gibt keinen Menu-Punkt dazu. Oder ich bin zu blöd ihn zu finden ;-)).
Ich möchte dich aber bitten, etwas ausführlicher zu begründen.
Wieso sind die 68er immer die Bösen? Wobei denn? Sagt wer?
Wenn's nur Oberfläche gibt: an welcher habe ich denn nur gekratzt und welche tiefere Dimension vermisst du?
Und glaubst du nicht, dass die heute geborenen vor Problemen ganz anderer Dimension stehen als "wir" sie jemals hatten (du darfst dich also bei den 68ern eingeschlossen fühlen, auch wenn du wahrscheinlich jünger bist. nichts für ungut ;-))
Und was haben "wir" zu ihrer Lösung beigetragen (außer sie zu verschärfen & weiter zu vererben)?

Liebe Grüße, Anonymus

aram
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Beitragvon aram » 19.11.2009, 15:07

liebe/r anonyma/us, lies bitte mal die 'regeln' zu rückmeldungen. - sehr schöner text. besprechung ist mir aus kapazitätsgründen dieser tage nicht möglich, folgt irgendwann.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.11.2009, 15:32


An Autor und Rezipient:
beide halten sich nicht an die Spielregeln des Anonymus:
Bitte lest euch diese Passagen noch einmal durch:


Kann ich als Autor auf die Kritiken reagieren?
Nein. Das ist der Reiz dieser Rubrik. Du bist dir deines Textes sicher. Und nun beobachtest du, was der Leser/Kritiker mit deinem Kunstwerk anzufangen weiß. Natürlich ist hier die Versuchung groß, etwas zum eigenen Text zu sagen, oder ihn gar selber positiv zu bewerten. Wenn du das zur eigenen Egopflege brauchst, dann nur zu. Aber denke daran, dass du in deinen Stellungnahmen und anonym geposteten Texten schnell wiedererkannt werden könntest -was dann schon in Peinlichkeiten münden könnte.


Welche Erwartungen werden an die Kritiken gestellt?
Deine Kritik sollte auf keinen Fall aus Textarbeit bestehen. Also keine Verbesserungsvorschläge, keine Lektorierung, kein “Ich würde das aber so und so machen“. Sie sollte sich auch nicht darauf beschränken herauszufinden, welcher User hinter dem anonym geposteten Text steckt.
Der Text wird als nicht mehr veränderbares, fertiges Kunstprodukt gelesen, analysiert und bewertet.
Die Kritik sollte deinen Leseeindruck widerspiegeln. Sie darf zu einhundert Prozent subjektiv sein. Vehementes Lob oder überschwengliche Ablehnung. Du kannst Streicheleinheiten verteilen oder verreißen, solange du deine Meinung begründest. Dabei sollte deine persönliche Leseerfahrung und deine Lesevorlieben die Grundlage sein. Von daher sind Vergleiche hier nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht.

Da der Autor nicht antworten darf, ist es nicht nötig, ihn persönlich anzusprechen. Schöner wäre es, wenn du deine Kritik, anstelle mit einer Anrede, mit einem Titel versehen würdest. Das wird andere Leser zu anregen, nicht nur den eingestellten Text, sondern auch deine Kritik zu lesen.



Ich habe den Tippfehler oben korrigiert.

Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 19.11.2009, 18:17

Liebe Gabriella,

dank dir für die Korrektur!
Ich habe meinen Text nicht erklärt.
Ich habe Jürgen gebeten, seinen zu erklären.
Gemäß der Vorgabe aus den FAQ ist die Rubrik für "Autoren gedacht ... denen an einem Leseeindruck liegt, der jenseits von ... einem knappen ‚gerne gelesen’ oder ‚nicht gerne gelesen’ liegt."
Ich hätte ihm wohl besser eine PN geschickt mit der Bitte, sich zu erklären...
Sorry, werde mich in Zukunft bessern ;-)

LG, Anonymus

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.11.2009, 18:28

Anonymus hat geschrieben:Ich habe meinen Text nicht erklärt.

Hier soll sich der Autor überhaupt nicht äußern. Das Gleiche gilt für den Publicus.
Anonymus hat geschrieben:Ich hätte ihm wohl besser eine PN geschickt mit der Bitte, sich zu erklären...

Auch das macht wenig Sinn, auch wenn du ihm die PN als Anonymus gesandt hättest. Wenn du den Austausch mit den Kommentatoren suchst, solltest du deine Texte in die normalen Rubriken einstellen, jedoch nicht hier.

Den Tippfehler habe ich nur korrigiert, um dir diese "Unbehaglichkeit" zu nehmen.
Ich kenne das: man ärgert sich über so einen dummen Fehler und erstrecht, wenn man ihn nicht entfernen kann. ;-)

Saludos
Gabriella

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.11.2009, 12:31

Ja, was denn nun?

Der Text beginnt überzeichnend. Selbstmitleid auf dem Präsentierteller, dem man ein lautes OOOOOOHHH entgegenrufen möchte.
Würde er in diesem Stil weitergehen und vielleicht noch eins draufsetzen, käme er bei mir vermutlich durchaus als gekonnte Satire an.

Der Autor wechselt aber dann ins Ernste:
Krankheiten, die Nachfolgende sich nicht werden leisten können, die Kritisierten, von deren Geld wir heute noch leben und am extremsten eben in den letzten beiden Strophen.

Ja, was denn nun, was will er ("nicht-zeugung" deutet auf einen Mann), frage ich mich.

Dieser Eindruck verstärkt sich durch die seltsame implizite Definition von "Belanglosigkeit". Zunächst scheint ja für Solidarität mit Nicaragua und die Gespräche am Kamin stehen zu sollen.
Dann aber wird es auf Hiob umgemünzt, der völlig andere Probleme (Verlust der Familie und seiner Habe, Erkrankungen, Ringen mit Gott) hatte, die für ihn vermutlich alles andere als belanglos waren.

So stelle ich mir die Frage: Was mag für den Autor denn das sein, was jenseits der Oberfläche in der Tiefe ist, was in seinen Augen "ersehnt, erlitten geliebt" werden müsste, damit man lebenssatt von anderem als Belanglosigkeit sterben könnte.

Was Jürgen angemerkt hat, sehe ich ähnlich. Nicaragua ist ein Thema, das eine Generation beschäftigte, die in den 68-Zeiten vielleicht 5-10 Jahre alt war.
So stellt sich neben den oben erwähnten Fragen auch noch die, wer denn mit "wir" eigentlich gemeint sein könnte.

Für mich ein Text, der unausgegoren bleibt, weder satirisch noch ernsthaft gelesen werden kann und der sowohl in seiner Kritik zu unbestimmt als auch in einem Gegenentwurf zu vage (und damit tatsächlich oberflächlich) bleibt.

(Ist das begründet genug?)

Yorick

Beitragvon Yorick » 21.11.2009, 18:25

Nanu, Hans Magnus auch hier?

oder

Jammern auf hohem Niveau

Herrliche lamoryante Selbstbeweihräucherung, (selbst)ironisch, bissig durch ehrlich bigottes Entsetzen. Es zieht sich so ein grobleinener Politikleherton durch die Zeilen, der Geruck vergilbter konkret-Ausgaben und die Sparkflecken der Kursbuchsammlung vom Dachboden. Dazu ein kinderäugiges "wir sind doch die Guten"-Gefühl im Angesicht des zu erwartenenden Endes. Dahinter ist eine echte Betroffenheit (wenn auch naive) zu spüren, die den Text von einer Abrechnung distanziert.
Der Text bleibt in diesem Ton, hält ihn durch, kommentiert nicht drittäugig, vertraut seiner Ironie - ich finde zu recht.

Noch etwas schneidig-geschmeidiger in den Sätzen und ich schwörte, er wäre von Enzensberger.

Schön gemacht, gefällt mir sehr gut.
Y.

ps: solidarität mit Nicaragua kenne ich gut aus jungen Jahren - bin aber 68 erst gezeugt worden. ich glaube, diese soli hatte - ähnlich wie die raf - mehrere Generationen.

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Beitragvon leonie » 21.11.2009, 20:02

Lieber Yorick,

ich würde mit Dir jede Wette eingehen, dass der Text nicht von einem Alt-68er geschrieben ist, sondern von jemandem, der 10-20 Jahre jünger ist.
Es mag sein, dass auch der ein oder andere Alt-68er Solidarität mit Nicaragua vertreten hat. Aber es war mit Sicherheit nicht das vordringliche Thema. Vietnam-Krieg, im Osten Prager Frühling, Auflehnung gegen Autoritäten, Umgang mit der deutschen Geschichte, sexuelle Freiheit, ja.

Geburtsjahrgänge 1940-1950 zählen zur Alt-68-er-Generation, in Rente gehen die also tatsächlich gerade.
In der Nicaragua-Zeit, da hatten viele von ihnen ihre Schäfchen schon im Trockenen und waren so gesettled wie sie vermutlich ein paar Jährchen vorher nie hätten werden wollen (um jetzt mal ein wenig ironisch zu werden).

Für mich wird der Text genau durch solche Un-Exaktheiten unausgegoren und auch unglaubwürdig.

meint leonie
Zuletzt geändert von leonie am 21.11.2009, 21:08, insgesamt 1-mal geändert.

Yorick

Beitragvon Yorick » 21.11.2009, 20:36

Hallo Leonie,

da würde ich gar nicht dagegen halten. Wäre doch klasse, wenn eine Neu-86erin den Text geschrieben hätte!

Warum nennt man die Generation eigentlich *Alt*68er?

Offensichtlich ist dann Nicaragua nicht so passend für den 68-Kontext. Dann könnte man den Austauschen gegen den Prager Frühling, finde ich eine sehr gute Idee.

Möglicherweise ist auch das 68-bashing etwas abgetragen, viel gelesen (erinnert mich auch etwas an Rainald Grebe, der z.B. mit "reich mir mal den Rettich rüber" eine andere "Generation" beschreibt, aber eine ähnliche "ach-ist-es-doch-so-gekommen"-Stimmung transportiert. Hat Grebe nicht tastächlich auch so ein 68 Song gesungen?). Aber ich finde es gut gemacht und nicht wichtig, ob "authentisch" oder nicht (nein, jetzt kommt nicht das Karl May Beispiel. Oh verdammt, jetzt ist es doch da :).

Grüße,
Y.

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Beitragvon leonie » 21.11.2009, 21:13

Lieber Yorick,

authentisch muss es vielleicht nicht sein, aber doch glaubwürdig, denke ich.
Das fehlt mir nicht nur an der Nicaragua-Stelle.
Auch der Hiob-Vergleich hinkt für mein Empfinden ziemlich.
Ich will gar nicht bestreiten, dass es Potential hat, aber für mich stimmt die Durchführung so (noch) nicht.
Eigentlich schade, dass es im Anonymus steht, hier hätte ich doch gerne mal den Autor selbst gehört und ggf. eine überarbeitete Version gesehen...

leonie


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