Nachtmale

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Gast

Beitragvon Gast » 26.07.2010, 21:35

nachtmale der raupen.
in den haarigen
samen schwarzer pappeln
wohnt das versprechen des sommers.
im hochsitz des jägers
siedeln die hornissen.

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.07.2010, 00:04

Hallo!

ich finde das in seiner prägnanz und in dieser leicht verwesenden Grundstimmung ganz schön - leider kenne ich die pappel-samen nicht - teile aber derzeit diese Lebensmuffligkeit :smile:

"wohnt das versprechen des sommers" fällt da ganz heraus für mich.

Ich würde mir wünschen, dass das auch etwas bildstärker wäre. Vielleicht auch einfach nur:

"wohnt noch der sommer"

oder

"zieht der sommer aus"

Was meinst du?

Schönen Abend,
l

scarlett

Beitragvon scarlett » 28.07.2010, 08:32

Das ist für mich ein sehr interessanter Text, der in seiner außergewöhnlichen Symbolik nicht leicht zu knacken ist.

Was meiner Meinung nach hier vresucht wurde (und ich betrachte es durchaus als gelungen!), ist, anhand der Bilder Raupe - Schwarzpappel - Hornisse das ewige "Stirb und Werde" zu beschreiben.

Das Neue, Zarte - im Text das Versprechen des Sommers - das in den haarigen Samen der Pappeln angelegt ist, kommt nicht durch, kann sich nicht entfalten.

Da sind zunächst mal die Raupen, die sich buchstäblich durchfressen und den Baum von innen aushöhlen (können). Und der Text spielt mit dieser Möglichkeit, in dem Wort "Nachtmal" - im Schriftbild zwar eindeutig als "Mal" = Kennzeichen" ausgewiesen - schwingt die Bedeutung "Mahl" einfach mit.

Andrerseits lauern die Hornissen, die zwar die Raupen fressen, das Zerstörerische also beseitigen könnten, fragt sich nur, ob das Zarte einen solchen Ansturm standhalten würde.

Hinzu kommt, dass die Pappel in der Mythologie in Verbindung mit Tod/Unterwelt steht, deshalb lese ich diesen Text als eher negativ/illusionslos, das Versprechen des Sommers ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Ich betrachte "Nachtmale" als Liebesgedicht und als solches hat es mich sehr berührt!

scarlett

Last

Beitragvon Last » 28.07.2010, 09:19

"Nachtmale" erinnert bezüglich der Symbolkraft und der Substantivlastigkeit an Naturlyrik von Günter Eich. Das Gedicht wird zum sprachlichen Zeichen, das nicht übersetzt werden kann.

So spricht dieses Gedicht vom Versuch, fehlende Bezüge zu ergänzen. Wie von einem Übersetzer werden dem Leser Andeutungen präsentiert und die ersten Gehversuche der Übersetzungsarbeit in aller Vorläufigkeit und Unsicherheit skizziert.
Die Raupen haben ein Signal gesetzt, Spuren hinterlassen, "nachtmale". Dass wir das als Hinweis verstehen sollen, zeigt der zweite Satz: "in den haarigen / samen schwarzer pappeln / wohnt das versprechen des sommers." Die Samen bringen eine Botschaft; die ihrer Zukunft, denn sie stehen für Geburt und Neubeginn, und die des Sommers, denn schon allein durch ihre Anwesenheit wissen wir: es muss Sommer werden.
Dann schwenkt der Blick hinauf in den "hochsitz des jägers", wo sich Hornissen angesiedelt haben. Mit dem Blickwinkel verändert sich auch die Stimmung, vorher wirkt sie eher sentimal und nachdenklich, jetzt aggressiver oder auch nervöser. Die Hornissen, dass sie sich gerade dort ihr Nest gebaut haben, - das markiert einen Bruch. Der Leser könnte es sein, der jetzt auf der Jagd ist und versucht, die Spuren zu deuten. Aber dort, wo er sich auf die Lauer legen möchte, "siedeln die hornissen." Sie symbolisieren die Unmöglichkeit seiner Übersetzungsarbeit.

Stimmig bleibt hier jedes Bild und jeder Satz für sich. Der Titel deutet den Versuch an, den Text als Ganzes zu lesen und somit auch die Bilder aneinander zu knüpfen und als einen Text der Natur zu verstehen. "Nachtmale[n]" haftet aber die Dunkelheit an in der sie geprägt wurden sowie das Geheimnis, das sie nicht preisgeben. Und so ergibt sich auch der Zusammenhang nur als Tendenz, die letztenendes auch ausschließlich im Gefühl des Betrachters liegen könnte.

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 28.07.2010, 17:10

Bin auch sehr angetan von dem Raupen/Hornissen/Pappelsamen. Das Versprechen des Sommers ist ein wenig rätselhaft, die Samen würde ich mehr dem Herbst zuordnen als dem Sommer, wo sie ruhen und ihr Versprechen in sich tragen.

Auf jeden Fall ein sehr anregendes Gedicht,

Viele Grüße
Fux


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