Mensch mit Hund

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 19.05.2012, 11:52

Mensch mit Hund

Herr und Hund gehen
über die Frühlingswiese
voll Hahnenfuß, Schaumkraut
Hornklee und Bienen.

Der Hund im stolzen Kanter
- erhobener Kopf und Schweif -
präsentiert den Stock, den er
aus dem Bach gefischt hat.

Im Gang des Hundes wird sichtbar
die schwere Hüft-Dysplasie
und im kommenden Winter
die Einschläferung.

Über dem Rauschen und Summen
Die Stimme des Herrn –
der Hund wendet
den massigen Kopf und lauscht:

Komm, wir wollen laufen
einmal über die Wiese
für immer!“

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 20.05.2012, 00:29

Ein schönes Gedicht (Kanter musste ich erstmal nachschlagen ...). Ich weiß nicht, ob es in dem Gedicht selbst liegt oder daran, dass ich gerade ein ganz ähnliches Thema vor hatte ... ich habe sofort einen mühsam am Stock humpelnden Hundebesitzer vor mir gesehen.

Nachtgruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.05.2012, 14:23

Mich lässt dieses Gedicht zwiegespalten zurück. Vor allem die dritte Strophe ist für mein Empfinden viel zu direkt und sprachlich misslungen (Substantive, Genitive). Ich würde etwas in dieser Richtung bevorzugen, das die Problematik stärker metaphorisiert:

Im Hundegang vorgezeichnet
das Urteil eines nahenden,
tödlichen Winters.

Schön würde ich den Text nicht nennen. Er lebt von der Diskrepanz des fröhlichen Hundes und des wissenden Herrchens und der sich daraus ergebenden Scheinidylle.
Die Schlussfolgerung lese ich als eine Art "carpe diem". Die Ewigkeit im Augenblick, anders gibt es sie nicht.
Das "wir" irritiert mich, es vereinnahmt den Hund etwas und vermenschlicht ihn dadurch.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 20.05.2012, 16:21

Sehr bildhaft finde ich dieses Gedicht, das mich traurig zurücklässt.

Diese zwei Sätze hätte ich vermutlich weggelassen:
Anonymus hat geschrieben:und im kommenden Winter
die Einschläferung.

da sie durch den Schluss angedeutet werden.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 21.05.2012, 09:58

Ja, das mit der Einschläferung ist sprachlich auch nicht besonders gelungen. Allerdings finde ich auch Leonies Version (sorry Leonie) nicht so ganz passend für das Gedicht; sie klingt zwar schön, passt aber nicht zu dem sonst so nüchternen Ton.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Gerda

Beitragvon Gerda » 21.05.2012, 10:13

Mit hüftkranken Hunden, die ihren Schmerz im Spiel vergessen kenne ich mich aus.
Auch mit humpelnden Herren/Frauen, wenn ab einem gewissen Alter die Artrose im Knie sich alljährlich meldet.

Für mich ist diese Art Bericht in Strophenform ehrlich gesagt ziemlich misslungen.
ich weiß überhaupt, warum die Strophenform hier gewählt wurde. Einen Rhythmus erkenne ich auch nach mehrmaligem Lesen nicht.
Da wird "trocken" von einem Spaziergang berichtet. Weder das Wesen des Hundes, der Begleitung oder gerade dieses Spaziergangs tritt hervor.
Selbst die Naturbeschreibung der Wiese lässt mich unberührt zurück.

Einzig im letzten Satz, der aber in dieser Form recht hölzern auf mich wirkt, kann man ein wenig von der Mensch-Hundebeziehung erspüren.

Das Ganze Bemühen wirkt hölzern auf mich und lässt mich völlig kalt.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 21.05.2012, 10:25

Hallo Gerda, da gebe ich Dir recht: Das Hölzerne, wie Du schreibst, liegt für mich an dem etwas misslichen Zusammenklang aus einfacher, fast naiver Sprache (vor allem zu Beginn) und dem inhaltlichen Pathos gegen Schluss.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 22.05.2012, 00:37

Ihr sprecht das Hölzerne an. Ich vermute mal, dass der Autor emotionale Adjektive weggelassen hat, um diese traurige Szene eben ziemlich nüchtern/trocken zu beschreiben, um Larmoyanz zu vermeiden.

Gerda

Beitragvon Gerda » 22.05.2012, 09:38

... das geht auch ohne hölzern sein zu müssen ...
Es ist meiner Meinung nach - und nicht nur aus diesem einen Grund - wie ich w. o. schrieb misslungen.

Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 31.05.2012, 11:34

Hallo,

um es vorweg zu sagen: ich bin ein anderer :mrgreen: und (auch) nicht der Meinung, es handele sich bei diesem Gedicht um den Gipfel der Poesie.
Trotzdem finde ich es bemerkenswert, was der Autor nicht ausdrücklich erwähnt und ich trotzdem zwischen den Zeilen zu lesen glaube:
Er entwirft das Bild einer Blumenwiese an einem Bachlauf. Der Hund hat den Stock aus dem Bach gefischt.
Für mich hört sich das nach gutem Wetter an. Die lautesten Geräusche, die mit der Stimme des Herrn übertönt werden müssen, sind das Bachrauschen oder das Rauschen des Windes in den Bäumen und das Summen der Insekten.
D.h. für meine Assoziationen herrscht die Stunde des Pan:
Mittag, Licht, Stille, Einsamkeit.
Die Betrachtungsweise ist fast klinisch distanziert. Es könnte ein Beobachter aus der Ferne sein, der hier spricht (der Erzählton ist für ein Gedicht unüblich, eben prosaisch. Absicht?). Das kann man als "hölzern" oder als "trocken" erleben, jedenfalls ist es emotionslos. Einzig das Adjektiv "stolz" wertet, wird aber gleich im nächsten Satz erklärt, das "massig" weist auf eine große Hunderasse hin: Der Hund ist eine eindrucksvolle Erscheinung.
Der Hund präsentiert stolz: er ist mit sich und seiner (Lebens-) Leistung zufrieden, für diesen Augenblick. Aber im Leben des Hundes gibt es nur diesen Augenblick: mit seinem Herrchen unterwegs zu sein.
Meinen bescheidenen Kenntnissen in Hundepsychologie zufolge ist er keine Vermenschlichung, wenn der Hund auf seinen Herrn hört und mit ihm über die Wiese läuft!
Im Gegenteil, das ist ein neues Spiel, wie das Stöckchen-Fangen. Der Herr bestimmt die Richtung und der Hund läuft voraus und erkundet.
Die ganze emotionale Dimension schnurrt auf die letzte Strophe zusammen und dort wird sie vom Leser eingebracht:
allein das Herrchen weiß, es ist der (im übertragenen Sinne) letzte Lauf.

Der kursiv gedruckte Satz könnte ein Zitat sein, das einiges erklärt, was der Autor hier nicht aussprechen will.
Das carpe diem gelingt ja nur dem Hund.
Ich schätze mal, es hat etwas damit zu tun, dass man nicht schützen kann, was oder wen man liebt.

LG, A

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 31.05.2012, 12:25

Hallo Anonymous B (denn Anonymous A hat ja eine Antwort geschrieben ...


Obwohl ich wenig in der Anonymspalte schreibe oder kommentiere, war das doch jedes Mal ein besonderes Erlebnis und ich bin dem Blauen Salon dankbar, diese Rubrik aufrecht zu erhalten, trotz einer offensichtlichen Scheu, alle Möglichkeiten einer solchen Rubrik zu nutzen.

Die Scheu ist auch bei mir vorhanden. Deshalb zuerst ein ermutigender Zuruf an den Autor, an die Autorin, die den Text eingestellt hat.

Wie die meisten hier bin ich nicht vollständig überzeugt von diesem Gedicht. Dennoch will ich einige Punkte verteidigen, denn mir scheint nach wie vor, dass das Konzept "Lyrik" / "Dichtung" zu allermeist in Schönschreiberei ausartet. Diese Schönschreiberei ist der Anteil an der Lyrik, der mir am wenigsten gefällt, der allerdings in allen Foren ganz besonders geschätzt und belohnt wird. Die Harmonie der Welt mit Wohllauten wieder herzustellen, ist zwar nicht immer nur solchem Verfahren zuzuordnen, aber es scheint mit der Liebesklage ein Hauptanliegen der Schreibwerkstattlyriker zu sein.

1. Deshalb schätze ich hier das Thema, das von dem UNabwendbaren gemeinsamen Altern von Hund und Herr spricht.
2. Ich schätze auch die Trockenheit der Sprache.

Aber ich bin damit einverstanden, dass sich sprachlich unausgegorene Elemente mit dem trockenen Grundton so verbinden, dass insgesamt der hölzerne Ton, den Gerda zu Recht bemängelt, hier in Richtung Unbeholfenheit geht, und die Transformation zum trockenen, nüchternen, unsentimentalen on nicht ganz gelingt.

Folgende Änderungen würde ich vorschlagen:

Über die Frühlingswiese,
Hornklee imd Hahnenfuß,
Schaumkraut und Bienen,
gehen sie, Herr und
Hund.

Vom Bach her kommend,
erhobener Kopf und Schweif, im
stolzen Kanter, präsentiert das Tier
den Stock



Die schwere Hüft-Dysplasie
des Hundes wird sichtbar
Im Gang .


Über dem Rauschen und Summen
Die Stimme des Herrn –
er wendet sein mächtiges Haupt
und lauscht:

Komm, wir wollen laufen
einmal über die Wiese
für immer!“



so, ich hoffe, niemanden vergrämt zu haben,

wie gesagt, solche Diskussionen scheinen mir wichtig, und recht authentisch.

liebe Grüße allerseits
Renée

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leonie
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Beitragvon leonie » 31.05.2012, 14:36

Lieber kommentierender Anonymus,

ich bleibe an dem, was Du für ein Zitat hältst, hängen. Es würde doch nur Sinn machen, wenn es ein für den Leser "erkennbares" Zitat wäre, das noch einmal eine andere Dimension (wie Du ja auch vermutest) aufreißt. Ich kenne es nicht. Hast Du oder jemand eine Idee, um was genau es sich handeln könnte?

Liebende Grüße

leonie

Gerda

Beitragvon Gerda » 31.05.2012, 15:21

Ich vermute, dass hier auf "Herr und Hund" von Thomas Mann angespielt wird, bzw. einen Art gegenstück zum "Idyll" geschaffen werden soll.
Allerdings ändert dieses nichts an der meiner vorgebrachten Kritik der Sprache und der Melodie.

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leonie
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Beitragvon leonie » 31.05.2012, 15:27

Oh, da tut sich wieder eine Bildungslücke bei mir auf. Meinst Du denn, Gerda, dass das Kursive ein Zitat daraus sein könnte? Und eröffnet sich dadurch evtl. eine neue Interpretationsdimension?

Das wäre interessant...


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