Henner

Der Anonymus bietet Mitgliedern die Möglichkeit, ein Werk sowohl anonym einzustellen, als auch anonym (auf die Rückmeldungen) zu antworten. Bitte lest euch die FAQs gut durch, bevor ihr etwas in diese Rubrik einstellt.)
Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 01.08.2013, 09:33

Seit Tagen, seit Wochen, kann Henner nicht mehr einschlafen.
Die letzten 25 Jahre ist er zwischen zwei Frauen gependelt. Keine von ihnen wollte von der jeweils anderen wissen. Mal hat er mit der Einen, mal mit der Anderen Urlaub gemacht, eigentlich kurze, ein paar Tage lange Ausflüge zu mehr oder weniger benachbarten Städten.
„Wie kommst du zurecht mit deinen zwei Frauen?“ – wollte er immer wieder von mir wissen. Ich erklärte ihm, geduldig und ohne anzugeben, mein System. Wobei seine und meine Situation, im Grunde, völlig verschieden sind. Denn eine meiner zwei Frauen hat selbst einen Freund, während seine nur für ihn da waren. Zwei Penelope, sozusagen.
Vorhin habe ich mit einer von ihnen telefoniert. Er war für drei Stunden da, sagte sie. Sie habe Essen kommen lassen, es habe ihm geschmeckt. Dann hat er, mit ihrer Hilfe, gebadet. Bei der anderen ist das nicht möglich, denn es ist ein mittelalterliches Schloss. Die meiste Zeit habe er nur gelegen.
Es ist eine Tortur für ihn, nicht schlafen zu können. Und die Schmerzen. Sie lassen ihm keine Ruhe. Er hat keine Lust mehr, keine Kraft zum Lesen. Fast alles schon hat er längst verinnerlicht. Mehr Bildung als die meisten seiner Landsleute. Ein Uferloser See. Auch DARÜBER praktisch alles gelesen. Und trotzdem, man muss diese Erfahrung selber machen. Eine Welle, die alle vorangegangen Wellen auslöscht.
Was kommt danach?
Das Essen hat ihm gemundet, wiederholte sie. Und beim Baden wäre er fast eingeschlafen.
Nach drei Stunden musste er wieder weg. Mit einem Taxi. Er fährt nicht mehr selbst.
Ich hatte das Gefühl, er hätte einschlafen können, bei mir einschlafen können, sagte sie. Aber irgendwie weigert er sich. Irgendwas in seinem Unterbewusstsein weigert sich. Er muss wach bleiben.
Wie lange wird das gut gehen? Wie lange kann man ohne Schlaf auskommen?
Er sieht furchtbar abgemagert aus, er hat schrecklich abgenommen, er ist nur noch Haut und Knochen, sagt sie.
Ja, Henner will nicht die Augen zu machen, nicht für einen Augenblick. Er bereitet sich für den großen Schlaf vor.
Zuletzt geändert von Anonymus am 02.08.2013, 13:37, insgesamt 2-mal geändert.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 06.08.2013, 10:27

Hallo Rosebud, hallo Renée,
ich sehe, ihr habt euch weiter mit dem kleinen Text befasst ...

Vielleicht kommt das skizzenhafte auch daher, dass er ursprünglich eine Eintragung in einem Tagebuch ist ...

Ich finde so hammerhart das Erlebte, dass ich nicht in der Stimmung bin, darüber schöne Literatur zu machen.

Andererseits, was kann man wirklich über einen Menschen sagen? Niemand ist imstande, jemand anderen wirklich kennen zu lernen.

Leider habe ich das Buch nicht parat, "Leaves of grass", von Walt Whitman. In einem Gedicht hält er die Biographie eines Mannes in der Hand, und stellt in Frage, ob überhaupt etwas von diesem Mann dort stehen kann, von seinem wahren Wesen. Whitman ist ein wunderbarer Dichter, wenn man von seinem Nationalismus, von seinem übertriebenen Patriotismus absieht, von seinem unberechtigten Optimismus. Sein Gedicht an eine Prostituierte, zum Beispiel, die er genau so wertschätzt wie die "Prominente".
Ich frage mich, ob es sich für mich die Mühe lohnt, etwas "anonym" einzustellen. Ich habe das Gefühl, ich werde sofort erkannt ... Eigentlich könnte ich das als ein Kompliment auffassen ...

Ich danke euch,

Carlos


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