Poröse Räume

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 26.12.2008, 12:52

Vorher wollten sie sich tiefer ins Wir ziehen. Immer.
"Ich bin noch nicht geboren", sagt sie. Ihr flacher Busen hebt und senkt sich. Sie merkt, dass er ihn betrachtet und bedeckt ihn gleich.
"Und wenn du bliebest?" Er antwortet nicht, wartet, bis sie ihre Zigarette anzündet. Ihre Finger sind faltig, lang, die Haut wirkt, als sei sie zu groß ausgefallen. All ihre Bewegungen haben was Kontrolliertes, Adeliges, Distinguiertes, Unnahbares.
"Keine Panik". Das Feuerzeug klickt.
"Ich weiß". Das wird sie nicht besänftigen. Sie wird gleich mit einer Schere auf das Wir einschneiden. Bis es wieder in Schnipseln liegt. Sie sich nie mehr sehen wollen.
Ihre langen Haare sind zerzaust. Dunkelrot sind sie gefärbt. Sonst wären sie grau.
"Du kommst nur, um mich zu ficken! Stimmt’s? Stimmt’s? Gib´s ruhig zu." Er hasst es, wenn sie vulgär wird, das weiß sie. Ihr sehniger Hals spannt sich und sie bläst ihm Rauch ins Gesicht.
"Und was sagst du deiner Kleinen, warum du nach Rauch riechst? Hm?" Er bleibt stumm, bleibt im Schnipselregen stehen und flüchtet nicht in die Antwort. Heute nicht.
Nicht: "Und du deinem Dickerchen, warum du das Bett schon wieder frisch bezogen hast?"
"Was willst du eigentlich von mir?"
Nicht: "Du hast doch angerufen!"
"Was kann ich dafür, dass deine Frau nie will und wenn doch, ganz leise unter der Decke, weil ein Kind ins Schlafzimmer kommen könnte." Sie lacht, als hätte sie sich am Rauch verschluckt.
Nicht: "Was weißt du schon, wie es ist eine Mutter zu sein!"
Nur: "Warum bist du noch nicht geboren?" Und sie werden einen weißen Bogen holen.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.12.2008, 19:40

Spannendes Thema, das es verdient hat, ohne Klischee behandelt zu werden - das sehe ich hier aufblitzen, ganz durchgehalten ist es für mich allerdings nicht (rot gefärbte Haare = standardbaustein, zigarette danach, mann von älterer Frau dickerchen, grund für kein sex des mannes mit frau das kind, dass er es hasst, wenn sie vulgär wird etc., das sind natürlich alles existierende Fälle, aber der Altersunterschied könnte sich auch aus anderen gründen und mit anderen Requisiten begegnen)

Für einige Passagen bin ich zu dumm, besonders die etwas poetischer Eingangs- und Ausgangsstellen wie etwa


Und sie werden einen weißen Bogen holen.
(??)


einige sprachliche mischungen finde ich ungewöhnlich und kann nicht beurteilen, ob es Absicht ist, z.B. "in schnipseln (scherben) liegen" , andere finde ich übeflüssig, z.B. den nachsatz zur färbung: Sonst wären sie grau. - das versteht man auch so.

Könnte also sprachlich und inhaltlich schon noch etwas gewinnen...

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.12.2008, 19:49

Bei
Und sie werden einen weißen Bogen holen.

habe ich auch gerätselt. Doch inzwischen denke ich, dass damit ein weißes Blatt Papier gemeint ist, im Kontext zu den Schnipseln, sprich: das Erneuern des WIR (Es wurde ja vorher mit einer Schere "zerschnitten").
Interessant an diesem Text finde ich, wie die Sätze, die nicht ausgesprochen wurden, eingeflechtet sind.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.12.2008, 19:59

Ja, genau, Gabriella, du hast mit beidem Recht!

Ersteres hab ich jetzt verstanden und zweites stimmt, das wollte ich auch als gelungen anmerken!
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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