Angriff von der Unterschicht

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 10.07.2008, 15:26

Angriff von der Unterschicht [überarbeitet]

Kurz vor Mitternacht, S-Bahnhof Warschauer Straße. Die Punker hängen mit ihren Hunden direkt am Durchgang zur Treppe, die zum Bahnsteig runterführt, sieben oder acht Jugendliche, neben ihnen liegen leere Bierdosen, stehen halbvolle Flaschen. Ich kann nicht durch, ein schwarzer Hund mit einem bunten Halstuch liegt quer auf dem Weg. Ich schlucke ein mulmiges Gefühl weg, ich muss da mit meinem Fahrrad vorbei, um nach Hause zu kommen, und mehrere Überlegungen gleichzeitig verketten sich ratternd mit meinem Zögern: Lassen sie mich durch? Ich darf keine Angst zeigen. Wenn ich sie ignoriere, passiert vielleicht nichts. Ich trau mich nicht, sie anzusprechen, damit sie Platz machen. Sie sehen ja, dass ich durch will…

Ich schiebe mein Rad langsam auf den Hund zu, bleibe wieder stehen, warte. Eine grünblonde Punkerin beginnt träge, ihren Hund wegzuziehen, immerhin. Ihre Gleichgültigkeit wirkt provozierend, aber ich schöpfe Hoffnung, schiebe weiter, mein Vorderrad berührt leicht den schwarzen Hund, der sich jetzt erhoben hat, aber immer noch im Weg steht. Plötzlich springt sie auf und tritt mich. „Votze! Du hast meinen Hund angegriffen, du Votze!“ Zuerst weiß ich nicht, was sie meint, das muss ein Missverständnis sein. „Schlampe, kannst du nicht fragen, wenn du durch willst! Ich war sogar so freundlich, meinen Hund wegzunehmen!“

Trotz meiner Angst muss ich versuchen, nicht loszulachen: Offenbar erwartet sie, dass ich auf Knien rutsche vor Dankbarkeit! Der Hund lag mitten im Weg, und sie war so gütig, ihn wegzunehmen! Königin des Drecks, ich huldige dir nicht, du Miststück. Fick dich ins Knie. „Ich habe ihm nichts getan“, entgegne ich sachlich (als ginge es hier um Argumente), „und das weißt du auch ganz genau.“ „Votze! Ich schmeiß dich gleich mit dem Fahrrad da runter“, droht sie.
Die Treppe ist ziemlich steil. Ihre Augen sind blassblauharte Punkte. Ich weiß nicht, ob sie unter Drogen steht. Habe den merkwürdigen Impuls, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, das überrascht mich. Ich mag ihre Aggression nicht so ergeben schlucken, aber ich trau mich nichts, und vielleicht ist es auch die Vernunft.
Ich stehe am Treppenrand, den Lenker in beiden Händen. Wenn sie mich jetzt schubst, werde ich mir sehr wehtun. Bin ich feige? Ja, ich bin feige. Ich weiche einen Schritt zurück, achte instinktiv darauf, sie nicht aus den Augen zu lassen, ihr die ganze Zeit ins Gesicht zu schauen. Die S-Bahn fährt ein. Die würde ich gern noch erwischen, verdammt, ich bin müde, es ist spät, und dieses Mädchen geht mir auf die Nerven. Sie schimpft weiter auf mich ein, doch ich traue mich endlich, mein Rad hochzuheben, um es die Treppe hinunter zu tragen, hoffend, dass sie mich nicht zu Fall bringt.
Als ich mich abwende, tritt sie mich ein zweites Mal, fluchend. "Votze! Schlampe! Verpiss dich!" Ich spüre den Tritt am Oberschenkel, bemühe mich, nicht zu stolpern mit dem Rad. Als ich unten auf dem Bahnsteig bin, haste ich an all den zugeschütteten Menschen vorbei, ein paar Penner, Touristen, zwei Skins. Aber die S-Bahn hält gar nicht an. Ich muss auf die nächste warten. Ich zittere. Vor Wut wahrscheinlich.

Aber hätte ich eine Chance gehabt? Oder hätte sie ein Messer gezückt? Außerdem lagen da ihre Freunde und mindestens drei Hunde bereit, ihr zu Hilfe zu kommen. Es wäre dumm von mir gewesen, instinktiv zu reagieren. Mir kommen plötzlich die Tränen, und dann kommt zum Glück die nächste S-Bahn, ich sende stumm ein atheistisches Dankgebet auf die S-Bahnen dieser Stadt, steige ein, klappe den Fahrradständer auf. Einen irren Moment lang überlege ich, ob sie Recht im Recht war: Ich hätte vielleicht tatsächlich fragen sollen, ob ich durchkomme? Dann werde ich wieder wütend, weil ich so gottverdammt naiv bin, und so spät begreife, dass die Leute am Rande keine besseren Menschen sind, sie haben einfach nur weniger Macht. Sie sollen sich verpissen, für wen soll ich tolerant sein, Dreck.Sehne mich nach der anderen Welt, in der mich niemand treten kann, in der ich nicht so schutzlos bin. Gedemütigt. Mit ist schlecht. Wie verletzlich man plötzlich ist, mitten in der Nacht, an einem Ort der Stadt, den man liebt.
Der Straßenzeitungsverkäufer mit den schwarzen Zähnen, der stinkend durch den Zug schlurft, kann nichts dafür, aber diesmal bekommt er von mir keinen Cent, ich schaue ihn nicht mal an, schüttle nur genervt den Kopf. Mit der neuen Angst, dass der mir etwas antut, mir ins Gesicht spuckt, mir den Arm verdreht, mir den Zehner aus der Tasche reißt oder das Rad klaut, was weiß ich, spüre ich den neuen Abwehr-Impuls. Lasst mich in Ruhe, Dreckleute. Kümmert euch um euch selbst. Scheiße, ich sollte die Sache nicht so verdammt persönlich nehmen. Ich bin ungerecht. Ich bin ungerecht. Ich bin ungerecht. Ich hätte gern zurückgetreten.



Votze in Sicht [erster Entwurf]

Langweilig, hier abzuhängen und zu schnorren. Die andern fragen ja nicht mal mehr. Wir sind so abgefuckt, dass uns keiner was gibt. „Gib doch mal die Pulle rüber, Miko.“ Ich trinke, aber dieses Billigzeug schmeckt nur, wenn man ganz viel davon säuft. Ich trinke noch mehr. Bis man den Geschmack nicht mehr merkt, muss man trinken. Scheiße, jetzt muss ich pinkeln, das ist das Einzige, worum ich die Typen beneide: Ums Pinkelnkönnen. Frauenpinkeln ist uncool.

Wie spät isses eigentlich? Ich kann die Bahnhofsuhr gar nicht sehen. Monty liegt da und schnarcht, der Süße, zum Glück hab ich den gefunden. Mann, wenn meine Mutter wüsste, dass ich jetzt’n Hund hab. Weiß sie aber nicht, die blöde Kuh. Hätte mir ja einen schenken können. Aber die ist ja nur mit ihrem eigenen Mist beschäftigt. Ein Hund in der Stadt, Kind, das geht doch nicht. Wieso denn nicht, Mama, ich gehe immer mit ihm raus, versprochen. Weißt du, wie viele Versprechen, du schon gebrochen hast, Sanna? Ungefähr hundert. Die spinnt doch. Ich halte meine Versprechen, und ich lass mich von niemandem anpinkeln, Scheiße. Ich kümmer mich um meinen Hund.

Mir ist so verdammt langweilig. Ich verrenke meinen Hals, um die Uhr zu sehen. Aua. Noch ein Schluck. Wenn wir Kohle hätten, könnten wir uns was besorgen, oder wenigstens was Leckeres zu Essen, ej, Miko schläft schon fast, dabei ist es nicht mal zwölf. Das macht doch keinen Spaß hier.

Ach schau an, da kommt ne Tante und will hier durch. Ich hab keine Lust, ihr Platz zu machen. Aber ich will auch nicht, dass sie Monty weh tut. Sie ist mit dem Fahrrad, die blöde Kuh, sieht aus wie meine Mutter. So blöde rote Schuhe hat sie an, Blenderin. Und genauso blöde rote Haare, bestimmt so ne Möchte-Gern-Ökozicke. Oder so ne Werbetante, die hier die Spree platt machen wollen, diese Scheißkapitalisten wollen das ganze Ufer zubauen. Es gibt irgendson Volksentscheid, Kumpels von uns machen da mit, aber das ist mir zu anstrengend.

Jetzt kommt sie näher und wundert sich, dass sie nicht durchkommt, haha! Meine Mutter hat auch immer so lässig getan, und dadrunter die dicke Matsche Angst. Die dicke Matsche. Ich muss lachen. Ich ziehe an der Leine, damit Monty Platz macht, aber beeilen tu ich mich nicht. Eine S-Bahn hör ich. Sie wird nervös, das ist gut, sie will die S-Bahn kriegen, ach Gottchen. Wohin muss sie denn so eilig, nach Hause in ihr Bettchen? Da wartet doch eh keiner auf die, die ist so hässlich. So alt. Sie weiß nicht, was sie machen soll, das ist noch besser. Monty ist jetzt aufgestanden, aber er steht noch gut im Weg. Und die schiebt ihr Fahrrad gegen meinen Hund, hat die ne Macke? Ich springe auf und trete ihr in den Arsch. Das ist das Einzige, was bei solchen Leuten hilft. Außerdem bringt es Bock. Sie tritt ja nicht zurück, die treten ja nie zurück, diese Billigschlampen. Die würden ja nicht mal zurücktreten, wenn ich keinen Hund dabei hätte, feige Sau. Komisch, dass Monty gar nicht knurrt, er steht da einfach und träumt, der Köter. Und ich reiß mir den Arsch auf für den.

Die Ökozicke bleibt stehen. Mann, ist die alt. Ich schau ihr ins Gesicht, und da sehe ich Angst, und das macht mir Spaß. Aber sie hört nicht auf zu glotzen, das nervt mich. Ej, die nervt!
„Schlampe, du hast meinen Hund getreten, entschuldige dich“, brülle ich. „Ich habe deinen Hund nicht getreten“, sagt sie, es klingt ganz ruhig, und sie spricht so verdammt ordentlich und so verdammt freundlich, dass ich kotzen könnte. Am liebsten würde ich mein Messer rausholen und ihr richtig Angst machen, so richtig richtig. Aber hier sind so viele Leute. Die guckt so... Am besten sagt sie mir gleich noch, dass ich doch lieber nach Hause gehen soll! „Votze! Ich hab ihn sogar weggenommen, und du hast ihm wehgetan!“, schreie ich. „Ich habe nichts dergleichen getan, und das weißt du auch ganz genau“, meint sie. Sie will ihr Fahrrad die Treppe runter tragen, aber sie traut sich nicht. Zurück kann sie nicht, da sind meine Leute, die Penner. Und vor ihr ist der Abgrund. „Ich schmeiß dich gleich da runter, Votze!“ Ich ärgere mich, dass mir kein schlimmeres Wort einfällt, Mann, es gibt doch genug Scheißworte für Scheißvotzen, warum fällt mir nix ein. Sie nimmt trotzdem ihr Rad hoch. Ich hab keine Lust mehr. Aber ich gebe ihr noch einen Tritt mit auf den Weg, damit sie sich erinnert. Sie sagt nichts. Mir hat keiner was zu sagen. Scheiße, jetzt ist mir wieder langweilig. Passiert hier noch was oder wie oder was? Ich nehme die Flasche und mache sie alle. Scheißvotze. Kann mich mal.


Angriff von der Unterschicht

Kurz vor Mitternacht, S-Bahnhof Warschauer Straße. Die Punker hängen mit ihren Hunden direkt am Durchgang zur Treppe, die zum Bahnsteig runterführt, sieben oder acht mehr oder weniger Betrunkene. Es ist kein Platz. Ein schwarzer Hund mit einem bunten Halstuch liegt quer auf dem Weg. Ich schlucke ein mulmiges Gefühl weg, ich muss da mit meinem Fahrrad vorbei, um nach Hause zu kommen, und mehrere Überlegungen gleichzeitig verschränken sich ratternd mit meinem Zögern: Lassen sie mich durch? Bloß keine Angst zeigen. Ignorieren, ich trau mich nicht, sie anzusprechen, sie zu bitten, weil sie dann aggressiv werden, darauf warten sie ja nur …
Ich schiebe mein Rad langsam auf den Hund zu. Eine grünblonde Punkerin beginnt träge, ihren Hund wegzuziehen, immerhin. Ich schiebe weiter, mein Vorderrad berührt leicht den schwarzen Hund, der sich jetzt erhoben hat, aber immer noch quer steht. Bis dahin alles easy, aber plötzlich springt sie auf und tritt mich gegens Schienbein. „Votze! Du hast meinen Hund angegriffen, Votze!“ Zuerst weiß ich nicht, was sie meint, das muss ein Missverständnis sein. „Schlampe, ich hab ihn doch gerade weggenommen, kannst du nicht fragen, wenn du durch willst, Votze! Ich war sogar so freundlich, meinen Hund wegzunehmen!“
Ich habe Angst, aber ich muss mich gleichzeitig bemühen, nicht loszulachen: Der Hund lag mitten im Weg, und sie war so gütig, ihn wegzunehmen! Ich sollte wohl auf Knien rutschen vor Dankbarkeit. Königin des Drecks, ich huldige dir nicht, du Miststück. „Ich habe ihm nichts getan“, entgegne ich sachlich (und schwächlich - als ginge es hier um Argumente), „und das weißt du ganz genau.“ „Votze! Ich schmeiß dich gleich mit dem Fahrrad da runter“, droht sie.
Die Treppe ist ziemlich steil. Ihre Augen sind blassblauharte Punkte. Ich weiß nicht, ob sie unter Drogen steht. Habe den merkwürdigen Impuls, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, das überrascht mich. Ich mag all diesen Mist nicht so ergeben schlucken, aber ich habe zu viel Angst, und vielleicht ist es auch die Vernunft.
Ich stehe am Treppenrand, den Lenker in beiden Händen. Wenn sie mich jetzt schubst, werde ich mir sehr wehtun, und davor fürchte ich mich. Bin ich feige? Ja, ich bin feige. Ich weiche einen Schritt zurück, achte instinktiv darauf, sie nicht aus den Augen zu lassen, ihr die ganze Zeit ins Gesicht zu schauen. Die S-Bahn fährt ein. Die würde ich gern noch erwischen, verdammt, ich bin müde, es ist spät, und diese Frau geht mir auf die Nerven. Sie schimpft weiter auf mich ein, doch ich traue mich endlich, mein Rad hochzuheben, um es die Treppe hinunter zu tragen, hoffend, dass sie mich nicht zu Fall bringt.
Als ich mich abwende, tritt sie mich ein zweites Mal, fluchend. "Votze! Schlampe! Verpiss dich!" Ich spüre den Tritt am Oberschenkel. Als ich unten bin, haste ich an all den mit Alkohol zugeschütteten Menschen vorbei, ein paar Penner, Touristen, zwei Skins. Aber die S-Bahn, die ich gehört habe, hält nicht an. Ich muss auf die nächste warten. Ich zittere. Vor Wut wahrscheinlich.
Aber hätte ich eine Chance gehabt? Oder hätte sie ihr Messer gezückt? Außerdem lagen da ihre Freunde und mindestens drei Hunde bereit, ihr zu Hilfe zu kommen. Es wäre dumm von mir gewesen, mich drauf einzulassen. Mir kommen plötzlich die Tränen, und dann kommt zum Glück die S-Bahn, ich sende stumm ein atheistisches Stoßgebet auf die S-Bahnen dieser Stadt: Danke, dass es euch gibt, meine Freundinnen! Ich steige ein, klappe den Fahrradständer auf. Einen irren Moment lang überlege ich, ob sie Recht hat: Ich hätte vielleicht tatsächlich fragen sollen, ob ich durchkomme? Ah, dann werde ich wieder wütend, weil das ja wohl das Allerletzte wäre, dass die provozierend im Weg liegt, sich daneben benimmt, anmaßend ist, mich beschimpft, mich tritt, und ich am besten jetzt auch noch die Schuld dafür auf mich nehme! Ich Idiot! Bin doch eigentlich „für die Schwächeren in der Gesellschaft“, und werde nun grob bestraft für meine Naivität, weil ich erst so spät begreife: Die Schwächeren sind keine besseren Menschen, sie haben nur weniger Macht als die Mächtigen. Hätten diese „Schwachen“, die da jetzt mit ihren Bierdosen und ihren Hunden und ihren billigen Vorurteilen im Abseits liegen und willkürlich Leute quälen, mehr Macht, wäre diese Welt nicht besser, sondern vermutlich noch unangenehmer. Im Übrigen war eindeutig ich die Schwächere in dieser Situation - und das war ja auch der Zweck des Ganzen.
Ich merke, wie ich mir gar nicht menschenfreundlich und gar nicht politisch korrekt wünsche, dass diese Asozialen verschwinden, verpissen sollen sie sich; warum sollte ich tolerant sein; ich will, dass sie woanders herum hängen, wo ich sie nicht sehen kann, jedenfalls nicht da, wo ich durch muss. Sie sollen meine Welt nicht verschmutzen!. Sehne mich nach der anderen Welt, ohne Penner und Gewalt von unten. In der anderen Welt gibt es versteckte Gewalt, von oben und von allen Seiten, aber zumindest tritt mich in der anderen Welt niemand in den Arsch, da kann ich mich besser schützen, bin nicht so. Hilflos. Gedemütigt. Ich könnte kotzen. Ich bin sehr wütend. Wie verletzlich man plötzlich ist, mitten in der Nacht, an einem Ort der Stadt, den man liebt.
Der Straßenzeitungsverkäufer mit den schwarzen Zähnen, der stinkend durch den Zug schlurft, kann nichts dafür, aber diesmal bekommt er von mir keinen Cent, ich schaue ihn nicht mal an, schüttle nur genervt den Kopf, spüre verärgert einen weiteren Anflug von Angst, dass auch dieser Verlierer mir jetzt etwas antut, mir ins Gesicht spuckt, mir den Arm verdreht, mir den Zehner aus der Tasche reißt oder das Rad klaut, was weiß ich.
Und hätte nicht übel Lust, das nächste Mal zurückzutreten, mitten in ihren selbstgerechten Hochmut hinein, bewaffnet mit meiner Wut auf einen unangenehmen, ekelhaften, ungerechten Menschen am Rande der Gesellschaft. Scheiße, ich sollte die Sache nicht so verdammt persönlich nehmen. Ich bin ungerecht. Ich bin ungerecht. Ich bin ungerecht.
Zuletzt geändert von Klara am 15.07.2008, 21:02, insgesamt 5-mal geändert.

Nifl
Beiträge: 3884
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 12.07.2008, 14:18

Hallo Klara,

da hast du einen sehr wütenden Text "herausgebrüllt". Die Wut kommt glaubhaft bei mir an und ich schaffe es kaum, nicht zu nicken und zu murmeln :"RECHT hat sie! Das Gesocks! Da gehört aufgeräumt!". Das finde ich widerlich.

Dieses Reißerische, Polarisierende, Plakative, Moralisierende, Polemische, Wertende ist mir in dem Text zu dominant und erinnert an eine große Tageszeitung.

Für eine "einfache Wut" hätte ich mit der Simplifizierung keine Probleme, aber du weitest sie zu undifferenzierten Pauschalurteilen aus und- das Schlimmste- du versuchst die Protagonistin so erscheinen zu lassen, als wolle sie, trotz der Wut differenzieren:

Bin doch eigentlich „für die Schwächeren in der Gesellschaft“, und werde nun grob bestraft für meine Naivität, weil ich erst so spät begreife: Die Schwächeren sind keine besseren Menschen, sie haben nur weniger Macht als die Mächtigen. Hätten diese „Schwachen“, die da jetzt mit ihren Bierdosen und ihren Hunden und ihren billigen Vorurteilen im Abseits liegen und willkürlich Leute quälen, mehr Macht, wäre diese Welt nicht besser, sondern vermutlich noch unangenehmer.


Ich habe ja eigentlich nichts gegen Ausländer, aaaaaber … und das wertet für mich diesen Text zu einem populistischen, demagogischen Pamphlet ab.

Die schwachen Töne des inneren Widerspruchs klingen unglaubwürdig und scheinen nur dialektisch (was sie umso gefährlicher Macht äh macht):


sieben oder acht mehr oder weniger Betrunkene

Stimmungsmachende Mutmaßungen.

und mehrere Überlegungen gleichzeitig verschränken sich ratternd

Überlegungen verschränken sich ratternd?

Königin des Drecks, ich huldige dir nicht, du Miststück.

Vielleicht wolltest du "berlinerisch" schreiben, sonst "dich"

mein Rad hochzuheben, um es die Treppe hinunter zu tragen,

…darauf wundert mich:
Als ich mich abwende, tritt sie mich ein zweites Mal, fluchend.

…weil sie bei mir schon halb die Treppe runter gelaufen ist…

Ich bin sehr wütend.

Erklärungen der Gefühlszustände im Allgemeinen und hier im Speziellen fünd isch doof.

Ich würde diesen Text richtig gut finden, wenn nun als zweiter Teil die gleiche Szene aus der Perspektive der Punkerin geschrieben stünde.

So finde ich ihn nicht so geglückt.

LG
Nifl

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 12.07.2008, 16:27

Hallo Nifl,
danke für deine Rezension!
Ich verstehe deine Kritik noch nicht ganz, fürchte ich.
Thema des Textes ist der Moment, in dem man wütend und ungerecht verallgemeinert. Was das mit einem macht, wenn man sich gedemütigt fühlt - wie ungerecht man wird. Und wie lächerlich mancherlei Gutmenschentum in bestimmten Situationen sein kann, das auch.
ich schaffe es kaum, nicht zu nicken und zu murmeln :"RECHT hat sie! Das Gesocks! Da gehört aufgeräumt!". Das finde ich widerlich.

Dann hat der Text erreicht, was er erreichen wollte: Den Ekel vor sich selbst, und die Überraschung darüber, wie leicht es ist, zum Mob zu werden (zumindest innerlich), wenn man gezwungen ist, mit Mob umzugehen.


Dieses Reißerische, Polarisierende, Plakative, Moralisierende, Polemische, Wertende ist mir in dem Text zu dominant und erinnert an eine große Tageszeitung.

Das verstehe ich nicht. Ich schau noch mal in die Zeitung, die du vermutlich meinst (beginnend mit B), aber ich schätze, da tust du dieser Zeitung ein wenig zu viel der Ehre an, denn in dieser Zeitung gibt es kaum Text.

Für eine "einfache Wut" hätte ich mit der Simplifizierung keine Probleme, aber du weitest sie zu undifferenzierten Pauschalurteilen aus

Die Protagonistin ist versucht, dies zu tun, ja - warum nicht?

und- das Schlimmste- du versuchst die Protagonistin so erscheinen zu lassen, als wolle sie, trotz der Wut differenzieren:

und warum sollte ich das nicht dürfen? Es handelt sich um die Momentaufnahme einer Wut.

Ich habe ja eigentlich nichts gegen Ausländer, aaaaaber … und das wertet für mich diesen Text zu einem populistischen, demagogischen Pamphlet ab.

Das habe ich nicht gesagt. Wenn es so rüber kommt, muss ich diese Stelle noch genauer formulieren. (Ist der Text in deinen Augen nun populistisch oder demagogisch? Ich finde, dass beides nicht zutrifft, aber vielleicht solltest du dich für eins entscheiden, damit ich mich wehren kann?)


Die schwachen Töne des inneren Widerspruchs klingen unglaubwürdig und scheinen nur dialektisch (was sie umso gefährlicher Macht äh macht):

Widersprüchen ist die Dialektik immanent. Ohne Widersprüche gäbe es keine Dialektik.


Zitat:
sieben oder acht mehr oder weniger Betrunkene


Stimmungsmachende Mutmaßungen.

Dann guckst du mal um Mitternacht auf diverse Berliner S-Bahnhöfe - dann siehst du 100er mehr oder weniger Betrunkener. Mit Stimmungsmache oder gar "Mutmaßungen" (das ist süß...) hat das nichts zu tun, sondern mit Beschreibung.

Zitat:

und mehrere Überlegungen gleichzeitig verschränken sich ratternd


Überlegungen verschränken sich ratternd?

Ja, ratternd. Wie ein Zug. Und einrastend. Und ohne, dass man sie verhindern kann.

Zitat:
Königin des Drecks, ich huldige dir nicht, du Miststück.


Vielleicht wolltest du "berlinerisch" schreiben, sonst "dich"

Sorry, Nifl, aber sowohl in Berlin als auch im Rest der Republik huldigt man jemandem im Dativ, und niemanden im Akkusativ.

Zitat:

mein Rad hochzuheben, um es die Treppe hinunter zu tragen,

…darauf wundert mich:
Zitat:

Als ich mich abwende, tritt sie mich ein zweites Mal, fluchend.

…weil sie bei mir schon halb die Treppe runter gelaufen ist…

Ertappt bei einem TChronologie-Fehler - merci.

Zitat:

Ich bin sehr wütend.


Erklärungen der Gefühlszustände im Allgemeinen und hier im Speziellen fünd isch doof.

Warum? Zu allgemein?

Ich würde diesen Text richtig gut finden, wenn nun als zweiter Teil die gleiche Szene aus der Perspektive der Punkerin geschrieben stünde.

Das ist eine super-Idee, das mach ich doch glatt noch!

Grüß dich
klara

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 12.07.2008, 16:29

Liebe Klara,

ich glaub, der Text entstammt einem richtigen Gefühl: beides sagen zu können: wies einem ist und wies einem zu Unrecht ist, es gibt ja keine Aussage im Text, die für sich voll behaupten werden will ,oder jede will es und so schafft es keine / das nebeneinander soll es eher schildern, was abläuft -ganz wichtig dabei: der Text schafft es schon mal ehrlich dabei zu bleiben. Trotzdem fehlt es mir an dem Text an innerer Kraft (oder stilistischer), wirklich etwas zu erzeugen, dass alles in der Schwebe hält, ohne Distanz zu schaffen - hm, nein, das ist noch nicht gut herausgearbeitet - ich weiß nicht, es ist so: Ich lese den Text und denke: ja, ich weiß, was er schaffen könnte, aber er schafft es nicht und so bleibt es unangenehm - und das für mich aber nicht auf eine beabsichtigte und nutzbare Art.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 12.07.2008, 16:31

Hi Lisa,
du hast dich dazwischengemogelt ,-)

(Gibt es ein falsches Gefühl?)

ich glaub, der Text entstammt einem richtigen Gefühl: beides sagen zu können: wies einem ist und wies einem zu Unrecht ist,es gibt ja keine Aussage im Text, die für sich voll behaupten werden will ,oder jede will es und so schafft es keine / das nebeneinander soll es eher schildern, was abläuft -ganz wichtig dabei: der Text schafft es schon mal ehrlich dabei zu bleiben.

Immerhin. Seltsam wieder, wie völlig verschieden zwei Leute lesen - du und Nifl in diesem Fall.
Trotzdem fehlt es mir an dem Text an innerer Kraft (oder stilistischer), wirklich etwas zu erzeugen, dass alles in der Schwebe hält, ohne Distanz zu schaffen

Darüber muss ich nachdenken. Dies ist definitiv ein Text, der noch nicht wirklich fertig (oder: gut genug) ist, weil ich noch nicht den Abstand habe und so auch nicht die Schwebe herstellen kann, die du wahrscheinlich meinst.

Danke für deine Gefühlskritik ,-)
klara

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 12.07.2008, 16:51

Habe jetzt eine zweite Perspektive drunter gestellt. (Dir wird es wohl nicht gefallen, Nifl.) Das ist erstmal auf die Schnelle ein erster Entwurf. Für Feedback bin ich dankbar.

klara

Nifl
Beiträge: 3884
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 12.07.2008, 18:26

nur kurz: "Votze in Sicht " ist genial geworden!

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 12.07.2008, 19:14

Hey Nifl,
ehrlich gesagt: Ich find den zweiten Text auch besser. Ein paar Ausdrücke und Wendungen müsste ich vielleicht noch mal ablauschen, damit es authentischer wird, aber dazu müsste ich mich ja in die Nähe trauen, vielleicht trau ich mich mal, undercover oder so. Vielleicht macht "Votze in Sicht" den ersten Text sogar überflüssig. (Danke für die Anregung!)

Trotzdem hab ich noch ein bisschen an "Angriff aus der Unterschicht" geschnitten und gerieben, 2. Version steht oben.

Grüße
Klara

Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 12.07.2008, 22:50

Hallo Klara,

eigentlich bräuchte Dein Text längere Zeit zum Sacken, und vermutlich bin ich auch schon etwas zu müde, um wirklich konstruktiv zu sein, andererseits ist so eine Bauchkommentar nach dem ersten Lesen ja auch manchmal ganz hilfreich. Ich finde die Idee außerordentlich spannend, sowohl Deine Ursprungsidee zu zeigen, wie schnell man selbst aus Ohnmacht zum "Mob" wird und auch die während der Diskussion entstandene Idee die zwei Perspektiven gegenüber zu stellen. Und ich stimme Dir und Nifl zu, dass die zweite Perspektive, die der Punkerin schon sehr gut ist, seltsamerweise authentischer und lebendiger als die der "Betroffenen". Ob das daran liegt, dass es schwieriger ist, sich in ihre Lage einzufühlen, weil das eigentlich näher ist? Also daran, Ohnmacht hinzunehmen, dem nichts außer dem Bewußtsein der Ohnmacht entgegensetzen zu können?
Aber ob "Votze in Sicht" den ersten Teil überflüssig macht? Ich finde ja eigentlich gerade den viel schwierigeren anderen, ersten Teil spannend und herausfordernd. Vielleicht könnte man die Perspektiven auch noch mehr miteinander mischen, also in einen gemeinsamen Text fliessen lassen?
Soweit meine nächtlichen Gedanken.
:a025:
xanthippe

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 13.07.2008, 01:31

Hallo Klara,

deine Story rückt mir so richtig auf die Pelle, kommt für mich so authentisch rüber, dass ich denke, du hast es genau so erlebt. Klar ist sie krass und wertend, soll sie ja auch sein. LI hat Vorurteile, Angst, fühlt sich ohnmächtig, ärgert sich selbst über seine Vorurteile. Ich kann mich jedenfalls saugut da hineinversetzen, wenn ich an nächtliche Fahrten mit der U-Bahn in Frankfurt denke.

Die Idee, aus der Perspektive der Punkerin zu schreiben, ist echt klasse und vor allem, wie dir das so schnell gelungen ist! :daumen:
Und nein, der erste Teil wird auf keinen Fall überflüssig durch den zweiten!

Die Anregung von Elke, beide Perspektiven noch mehr zu mischen, finde ich gut, ich gehe sogar noch weiter:
Zwei Geschichten in einer zu schreiben:
Ich-Perspektive in Normalschrift
Punkerin-Perspektive in Kursiv oder so. DAS fände ich wirklich eine spannende Sache!
Saludos
Mucki

jondoy
Beiträge: 1582
Registriert: 28.02.2008

Beitragvon jondoy » 13.07.2008, 10:05

Hallo Klara,

dein Text beschäftigt mich. Vor allem die Wut, die aus dem Text spricht, gefällt mir.
Mir gefällt auch diese Dialektik, die allein schon im "ersten Teil" enthalten und mit
Normal- und Kursivschrift gekennzeichnet ist.
Die wertende Weise, die aus dem "Gesamtpaket" des ersten Teils sprechen soll, seh ich im Moment weniger, dass hängt m.E. entscheidend davon ab, wo die die Geschichte "zeitlich" angesiedelt sein soll.
(authentisch, also zeitlich nah dran am Geschehen oder aus der rekapitulierten "Retro"-persektive
(...sie steigt vom Fahrrad ab, die beiden setzen sich hin, bilden einen Gesprächskreis und beschließen, alles wertende, moralisierende aus der Geschichte zu tilgen und ihre Zeigefinger zu verbrennen).

Ich denke, du hast die Form der Sprache gewählt, die das unmittelbare Erleben wiedergibt, also den Moment, in dem jedes Sprichwort, jeder "größere" Zusammenhang, jeder Lehrsatz, Makulatur ist,
....um mit Klischeebildern zu jonglieren, den Moment, in dem die Familientherapeutin ihrer Ausbildung zum Trotz ihre zweite Partnerschaft an die Wand fährt, den Moment, in dem der studierte, mit sämtlichen Staatsexamen dekorierte Jurist seinen Klienten in unsachlicher Wut aus der Kanzlei rausschmeisst, oder wie hier den Moment, wo der Übergriff ( du nennst das "Angriff aus der Unterschicht") auf das LI erfolgt.

(Anmerkung: In der Überschrift "Angriff aus der Unterschicht" steckt m.E. ein Überlegen, ich frag mich, ordnet das das LI in diesem Moment wirklich das Gegenüber bereits gedanklich in die Kategorie "Unterschicht" ein?). Die andere Überschrift "Votze in Sicht" klingt in meinen Augen unmittelbarer.

Ich denke, in diesen Momenten muss die Sprache anders lauten. Das gefällt mir an diesem Text.

Du versuchst offenbar, diesen Moment festzuhalten, die Gedankenblitze, die in diesem Moment unausgesprochen kursiv durch durch das Geschehen jagen, zu fotografieren, ihrem emotionalen Schattenriss ein Gesicht zu geben, ihre Buchstaben artikulieren zu lassen.

Ich finde die erste Version (damit meine ich die Ich-Perspektive) erfrischend unverlogen, noch nicht taktisch.

Die zweite Version (die Beschreibung des Moments aus der Sicht des Gegenübers) ist naturgegeben schriftstelerich, wenn es glaubwürdig rüberkommt, in meinen Augen auch eine spannende Sache, die Frage offen, ob vor allem die vorbeschriebenen Gedankenblitze auch hier authentisch "sind".

In der ersten Version dieser "Gegenperspektive" steht bisher nur ein einziger solcher "Gedankensatz" drin:

Ein Hund in der Stadt, Kind, das geht doch nicht. Wieso denn nicht, Mama, ich gehe immer mit ihm raus, versprochen. Weißt du, wie viele Versprechen, du schon gebrochen hast, Sanna? Ungefähr hundert.


Diesen Satz beäuge ich sehr misstrauisch. Vielleicht. Möglich. Es wäre spannend, wenn das "grünblonde" Mädchen selbst schreiben würde. Das lässt sich aber nicht machen.

Ansonsten find ich diese Gegenüber-Perspektive schon sehr gut getroffen!
Als Stilmittel nimmt es die Einsichtigkeit und verleiht dem dem Ganzen sein "Gleichgewicht".

Zwei Geschichten in einer zu schreiben. Dazu würde ich spontan sagen, da kommts auf das Timing drauf an. Auf den richtigen Schnitt.

Gruß,
Stefan

Nifl
Beiträge: 3884
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 13.07.2008, 10:55

Huhu Klara.

Vielleicht macht "Votze in Sicht" den ersten Text sogar überflüssig.

Finde ich nicht. Die beiden Texte brauchen sich gegenseitig, verstärken sich. Auch
wenn "Votze in Sicht" (übrigens grandioser Titel) sehr empathisch und dadurch glaubhaft ist. Isoliert stünde er mE. ebenfalls wackelig, weil er "sozialarbeitermäßig" verständnisheischend klänge. Ein Vermengen wie Mucki es vorschlägt, kann ich mir nicht so recht vorstellen, vielleicht gelänge es, aber es bestünde imho das Risiko, dass Spannung/Konflikt immer umgehend wieder ausgeglichen/flachgekloppt wird und der Text dadurch insgesamt weniger intensiv ist.

Noch ein paar Worte zum Kommentar vom Kommentar, wobei sich das in kombinierter Form für mich erledigt hat.

(Ist der Text in deinen Augen nun populistisch oder demagogisch? Ich finde, dass beides nicht zutrifft, aber vielleicht solltest du dich für eins entscheiden, damit ich mich wehren kann?)


Hm. Warum schließt sich das deiner Meinung nach gegeneinander aus?
Def. Populismus: opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht
Def. Demagogie: (abwertend) Volksaufwieglung, Volksverführung, politische Hetze.

Okay, im Zusammenhang deines Textes sind beide Ausdrücke natürlich maßlos überzogen… aber sie bedienen sich der gleichen Mittel …

Die schwachen Töne des inneren Widerspruchs klingen unglaubwürdig und scheinen nur dialektisch (was sie umso gefährlicher Macht äh macht):

Widersprüchen ist die Dialektik immanent. Ohne Widersprüche gäbe es keine Dialektik.

deshalb schrieb ich "scheinbar" dialektisch


und mehrere Überlegungen gleichzeitig verschränken sich ratternd

Überlegungen verschränken sich ratternd?

Ja, ratternd. Wie ein Zug. Und einrastend. Und ohne, dass man sie verhindern kann.

…ich finde das Bild trotzdem ungelenk. Vielleicht auch, weil manche "ratter ratter" sagen, wenn jemand lange (zu lange) nachdenkt (sprich: mechanischer, ergo langsamer Denkapparat) und das passt hier nicht.

Sorry, Nifl, aber sowohl in Berlin als auch im Rest der Republik huldigt man jemandem im Dativ, und niemanden im Akkusativ.

Da staune ich aber. Tatsächlich (schäm). Für mich war "ehren" immer ein Synonym. Und Ehre gebührt den ä dem Akkusativ, das sag ich dich!

Erklärungen der Gefühlszustände im Allgemeinen und hier im Speziellen fünd isch doof.

Warum? Zu allgemein?

Nein, SDT

zur neuen Fassung:
neben ihnen liegen leere Bierdosen, stehen halbvolle Flaschen.

super gelöst!

Der Straßenzeitungsverkäufer mit den schwarzen Zähnen, der stinkend durch den Zug schlurft, kann nichts dafür, aber diesmal bekommt er von mir keinen Cent, ich schaue ihn nicht mal an, schüttle nur genervt den Kopf. Mit der neuen Angst, dass der mir etwas antut, mir ins Gesicht spuckt, mir den Arm verdreht, mir den Zehner aus der Tasche reißt oder das Rad klaut, was weiß ich, spüre ich den neuen Abwehr-Impuls. Lasst mich in Ruhe, Dreckleute. Kümmert euch um euch selbst. Scheiße, ich sollte die Sache nicht so verdammt persönlich nehmen.

Würde ich ersatzlos streichen…

Noch ein paar Korinthen zu "Votze in Sicht":

wenn man ganz viel davon trinkt.

säuft ?

sie hört nicht auf, mich anzugucken, das nervt mich.

glotzen?

Ich hab gewonnen.

würde ich streichen.

LG
Nifl, der immer noch begeistert ist…
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9468
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 13.07.2008, 11:05

Hallo Klara,

(keine Komms gelesen)

mich überzeugt weder die eine noch die andere Geschichte. Ich vermute aber, das liegt auch daran, dass ich von Punkern ein anderes Bild habe, oder eine andere Erwartung, andere Erfahrungen, so dass es mir letztlich einfach nicht glaubhaft erscheint, obwohl sich der erste Teil „erlebt“ anhört.

Für mich ist der zweite Text kein Gegenstück, Ausgleich, Widerspruch, sondern das Bild, das die Prot. aus dem ersten Teil in sich trägt ausformuliert. Dass der Leser im ersten Teil die Bedenken der Prot. mitgeteilt bekommt, erscheint mir hier im Text eher als Trick, Sympathiewerbung, denn als innerer Monolog (obwohl, oder gerade, weil er so nachfühlbar ist, jeder sich darin ein Stück weit wiederfinden kann). Und erst dadurch entsteht ja die eigentlich demagogische Kraft des Textes. Beide schüren unbewusst die Vorurteile, Ängste, ohne wirklich eine Angriffsfläche zu bieten, weil die Prot. ja politisch korrekt sich bereits selbst hinterfragt und die Punkerin ihrem Bild letztlich gerecht wird. Das ist für deine Texte ungewohnt angepasst. Weißt du, wie ich das meine?

liebe Grüße smile

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 13.07.2008, 12:19

Hallo,

dank euch fürs Weiterlesen .)

Das ist für deine Texte ungewohnt angepasst. Weißt du, wie ich das meine?

Leider nein. Nach wie vor erkenne ich keine Demagogie, in keinem der beiden (der drei) Texte. Schon allein deshalb, weil der Text sich nicht (rhetorisch) an ein Volk wendet, sondern eine subjektive, realistische Situationsbeschreibung ist und auch nichts anderes vorgibt zu sein. Nirgendwo heißt es: Alle Punker sind doof. Säubert die Stadt von Punkern, sonst wird es euch schlecht gehen. Im Gegenteil: Die Ich-Person in Text 1 hinterfragt ihre eigene Naivität, die Ich-Person ist ja offenbar relativ ahnungslos hinsichtlich der Realität von Punkern - sowohl, was "alle Punker" als auch die konkreten, erlebten Punker betrifft.

Nifl, danke für deine Korinthen! Demagogie ist ein schärferer Begriff als Populismus. Populismus ist zwar verpönt in der politischen oder publizistischen Rede, aber nicht verboten. Populismus arbeitet stark vereinfachend, überschreitet aber nicht die Grenze zur Illegalität. (Beispiele für Populismus: der Österreicher Heyder - falsch geschrieben? -, der Hamburger Politiker, der jetzt in der Versenkung verschwunden ist, die Linkspartei). Demagogie hingegen verstehe ich als in der Demokratie nicht mehr erlaubtes Mittel. Demagogie ist Volksverhetzung und wird innerhalb einer bestraft. Beispiele: Hitler, Bin Laden, Stalin. Beide Begriffe sind, finde ich, fehl am Platz bei der Besprechung der obigen Texte.

Xanthippe und Mucki, ich hab nachgedacht über euren Vorschlag, meine aber, dass die Aneinanderreihung der Perspektiven, die Zusammenfassung zu einem Text, keine Stärkung wäre, sondern eine Schwächung. Das Ganze ist ja ohnehin eher eine Art Schreibstudie: Wie bilde ich Realität ab, die ja immer Wahrnehmung ist? Kommt das Fremde authentisch rüber? Kann ich die Ambivalenz der Protagonistin in Text 1 präzise ausdrücken (offenbar noch nicht gelungen)? Kann ich die Punkerin sprechen lassen, ohne ihr Unrecht zu tun durch Projektionen?

Schaun wir mal :)
Danke fürs Lesen und Nochmallesen und Äußern.
klara


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Google [Bot] und 31 Gäste