Briefe an die Gräfin (I-IV)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.05.2006, 21:38

Dereinst ich liebt' ein Fräulein gar, doch sie ward schon genommen von einem Anderen. Schrieb ich ihr, so las es womöglich auch der Herr Gemahl. Und so lauteten die Zeilen in unbefleckter Poesie:

Briefe an die Gräfin (I)

Werthe Marie Luise.

Es ist ein wahres Pläsier in meinem bisher so freud- und trostlos vor sich hindümpelnden Leben, Ihnen nun endlich über den Weg der elektronischen Depesche einige Zeilen übermitteln zu können.
Jedoch: Nicht ungetrübt ist diese Freude. Wie gerne schriebe ich Ihnen unter dem Mantel der Intimität, und das Wissen, dass auch fremde Augen diese Zeilen sichten, vermag den sonst so schwungvollen Fluss meiner Feder arg zu bremsen. Wenn Gnädigste hier um Abhilfe bemüht wäre, so könnte mein Dank nicht größer sein.

Ansonsten geht es so leidlich.
Hier in der Besserungsanstalt Heilbronn ist man rührend um mein Wohlergehen bemüht, obschon ich das Verhalten mancher Pfleger als ein wenig schroff empfinde, seit ich ihnen mitgeteilt habe, dass ich über keinerlei homoerotische Neigungen verfüge. Ich werde diesen Umstand wohl der Klinikdirektion mitteilen müssen, so dass man dieses ruchlose Personal entlasse.
Mein Gesundheitszustand stabilisiert sich zusehens, jedoch wird der furchtbare Husten immer schlimmer. Das schöne Taschentuch, welches mir Ihr werther Gatte bei unserer gemeinsamen Sommerfrische auf Norderney geschenkt hat, ist schon ganz blutig.

Werthe Marie Luise, ich muss nun schließen.
Der Oberarzt kommt gerade mit dem Opiumbesteck in mein Zimmer. Ich habe ihn zwar im Verdacht, meine Goldbarrensammlung aus den besetzten Ostgebieten veruntreut zu haben, jedoch möchte ich seine überaus großzügigen Gaben an Narkotika nicht mehr missen.

In der Hoffnung auf Ihre baldige Nachricht verbleibe ich in Hochachtung und Ergebenheit,

Ihr Thomas Prinz von Nöthen.


Briefe an die Gräfin (II)

Holde Marie-Luise.

Sind Gnädigste verstimmt?

Seit Wochen warte ich nun auf Ihre werthe Antwort auf meine Depesche vom ersten Hornung, doch kein Bote nähert sich meinem bescheidenen Gehöfte.
So lebe ich die Tage in tristem Grau, harrend Ihrer lieben Worte,
und erwarte sehnsüchtig jenen fünften Märzen, an dem sich unsere Wege beim quartärlichen Rittertreffen im Gasthof zu Untermeiderich kreuzen werden.

Aufs Höchste unerfüllt in tiefster Depression,
Ihr Thomas Prinz von Nöthen.

p.s.
Die Pfleger hier im Heim werden immer unerträglicher. Neulich haben sie gar meine schöne Muschelsammlung ganz durcheinandergebracht.
Da war ich innerlich sehr aufgewühlt.


Briefe an die Gräfin (III)

Werthe Marie-Luise.

Unbeantwortet blieben mein Depeschen,
und wie ich nun bei leidlichem Rittertreffen zu Untermeiderich zu meinem tiefsten Bedauern habe feststellen müssen, ist Ihr Interesse an meiner bescheidenen Person wohl vollends versiegt.
Es sind ebenjene Zeichen, die ich zu lesen vermag, und der Anstand gebietet es mir, mich auf leisen Sohlen in mein Kämmerchen zurückzuziehen.
So bleibt mir nur, Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg die besten und herzlichsten Wünsche mit auf die Reise zu geben, einer Reise, von der ich hoffe, dass sie zur rechten Zeit meine eigenen Wege zu kreuzen sich anschickt.

In diesem Sinne verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung und - trotz Genesung und Entlassung aus dem Heim - in stiller Trauer,

Ihr Thomas Prinz von Nöthen.



Briefe an die Gräfin (IV)

Werthe Marie-Luise, holde Gräfin.

Was tat mein geschundenes Herz nur für einen Freudensprung, als es Ihre makellose Gestalt wieder durch den Festsaal schweben sah. Sei ein Kompliment an Ihre vorzüglichste Robe gestattet?
Wo lassen Sie bloß schneidern? Gnädigste wirkten in edlem Schwarze noch entrückter, ja gar den Engeln der Nacht ebenbürtig, ein Leuchten und Strahlen erhellte die düstere Schankwirtschaft.
Lag´s gar am neuen Geschmeide, welches Ihr zartes Dekolletee so sanft umspielte? Ich gehe wohl recht, der Vermutung Ausdruck zu verleihen, dass die Feldzüge des verehrten Herrn Grafen reiche Früchte tragen?
In baldiger Zeit mag ich Ihn wohl treffen, auf dass er mir einen Ballen der indischen Seide veräußere, welche, so fein gewirkt, Ihre schlanken Fesseln schmückte. Darf ich mit Ihrer werthen Unterstützung rechnen, ihm dieses Kleinod abzusprechen?

Hier auf dem Hofe geht alles seiner Wege. Meine Schergen muckten ein wenig, als ich ihre tägliche Fron um zwei Stunden verlängerte, aber es nützt ja nichts: Der Graben will vorm ersten Froste ausgehoben sein. Und außerdem ist es ja abends noch lange hell.
Ich habe mir die Fensterritzen des Ostflügels mit Elchflaum ausstopfen lassen, um das Gejammere dieser faulen Blase nicht mehr ständig mit anhören zu müssen. Eins von den Maultieren musste ich eigenhändig erschlagen, da es sich beim Sturz in den Graben einen Zacken aus der Krone gebrochen hatte und ohne diesen keinen einzigen Schritt mehr zu tun bereit war. Das törichte Tier.
Dürfte ich Ihnen einen Ring der Eselsalami, die meine Metzger gestern frisch zubereitet haben, zu Ihrer werthen Stärkung zukommen lassen?

Ich hoffe doch sehr, dass Sie sich wieder bester Gesundheit erfreuen und dass sich die kurzzeitige Leibesschwäche, die Sie bei unserem Parkrundgang zu meinem größten Bedauern ereilte, inzwischen verflüchtigt hat.

In diesem Sinne verbleibe ich mit vorzüglichster Hochachtung,

Ihr Thomas Prinz von Nöthen.

p.s.
Untertänigste Grüße auch an Ihren werthen Herrn Gemahl. Das Brombeervergorene mit bengalischem Zimte, welches bei Ihrer letzten Geselligkeit zu Hofe gereicht wurde, ist mir immer noch in lieber Erinnerung.


Doch weh, das tete-a-tete, das kam ans Licht, und das gefiel dem Gatten nicht. So blieb mir halt nur noch die Magd, doch das, das ist ein' ander' Geschicht'

aram
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Beitragvon aram » 24.06.2006, 02:51

hallo tom,
hast du casanova gelesen?

gruß, aram

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 24.06.2006, 04:28

nein, ich habe kaum was von Weltruf gelesen....guckst du mein Profil...unter 'Inspiration'
Der Rest ist Macke.

aram
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Beitragvon aram » 25.06.2006, 13:37

hi tom,
solltest du vielleicht doch mal reinlesen - lohnt auch. der gute giacomo legt einfach einen standard vor, den "nicht zu kennen" sich wohl die wenigsten autoren leisten können, die in diesem genre erfolgreich tätig sein möchten ;-)
aram

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 25.06.2006, 17:18

Hey there,
Casanova hatte auch kein Literatur-Vorbild, wenn man von den Römern absieht, und wurde ein Erfolg.
Ansonsten halte ich es mit carl: Zu wenig Frau.

moshe.c

P.S. : Aram, schreibst du was in dem Genre?

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.06.2006, 23:53

Zu wenig Frau?

Naja, es sind Briefe an eine Frau, wie soll da mehr Frau reinkommen? Es sind sogar echte Briefe! Will sagen: Die habe ich wirklich geschrieben!

Demnach müsste man jetzt die (Antwort-)Briefe der Frau dazuerfinden, da wäre dann vermutlich mehr Frau drin.

Oder verstehe ich Euer 'zu wenig Frau' falsch?

Ich muss Moshe Recht geben, was 'Vorbilder' angeht: Ich glaube, ich könnte am besten schreiben, wenn ich nie zuvor ein Buch gelesen hätte. Oder Alle.

aram
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Beitragvon aram » 26.06.2006, 02:59

hallo tom,
jetzt schmeiß' doch nicht gleich die nerven weg! ;-)

schade, dass dir die antwortbriefe der verehrten dame offenbar nicht zur verfügung stehen, um sie hier zu posten -

ein bisschen neckerei musst du dir nunmehr halt gefallen lassen, aus dem simplen grunde da du vordem und hiesigenorts in eleganter repetition wie vollendet gesetzter beiläufigkeit überaus gefällig zu bemerken verstanden hattest, wie bedauerlich unschön, ja deiner feinen gemütsstimmung geradezu unvorteilhaft abträglich es dir unglücklicherweise scheinen müsse, auf dieses dein mehrteiliges werk bislang keinerlei huldigend eingehenden kommentare verzückt stammelnder rezensenten verzeichnen zu können, insbesondere es dir eigenselbst ausnehmend gelungen erscheinen wolle.

nundenn, zurück zum text:
ich fand einige wendungen darin ziemlich amüsant, z.b.

Ich habe mir die Fensterritzen des Ostflügels mit Elchflaum ausstopfen lassen
oder
Dürfte ich Ihnen einen Ring der Eselsalami
(...)
zukommen lassen?

diesen stehen jedoch auch (un)ziemliche fehltritte gegenüber, wie:

Sei ein Kompliment an Ihre vorzüglichste Robe gestattet?
Wo lassen Sie bloß schneidern?

erst lobst du das kleid, dann den schneider - statt etwa die geschmacksicherheit der verehrten dame zu loben, etc.

mit anderen worten, der text gibt sich nur galant, ist es aber nicht.

wie mir deucht scheint dir der unterschied nicht immer völlig transparent, und nur aus dieser meiner unerheblichen randwahrnehmung heraus war ich so vermessen deiner geringfügigen unpässlichkeit abhilfe schaffen und dirselbst zu hilfe eilen zu wollen, indem ich mir erlaubte dir als kleine aufwärmübung die skizzenhaften memoiren des seligen chevalier de seingalt resp. giacomo girolamo casanova anzuempfehlen, wie gesagt nur als geringfügige aufwärmübung in nur allzu verständlichem moment leiser schwäche in so äußerst diffiziler materie, nichts weiter.

Ich glaube, ich könnte am besten schreiben, wenn ich nie zuvor ein Buch gelesen hätte. Oder Alle.

...in diesem fall vielleicht zum anfang - wolfgang schmidbauer, "alles oder nichts. über die destruktivität von idealen", rowohlt tb? ;-)

tom, machst du mir auch ein bier auf? - pils! - ich lese dann gleich anschließend "hilflose helfer" von selbigem autor, versprochen!
aram

@moshe: bedaure, kann leider nicht dienen

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 26.06.2006, 09:21

Briefe an einen Verblendeten (I)

Werthester pflegen wie's scheint ein spitzes Zünglein, welches sich wohl gern ein wenig über die Maßen um die Kettlein der Goldwaage zu schlingen anschickt? Es mag ihm wohl bekommen, dass ich ihn einst schickte ins düstere Britannien zur Education, jedoch die Folgschaft des von Ihm betitelten Schwerenöthers gerät ihm schlecht. Sündenpfuhl und Höllenfeuer dem, der seine Liebesworte nur dem Ziele der Begattung anhin lenkt, mit Täuschung und Arglist im Coupee. Bedenke er: Ein solch gewonnen' Weib wird Unheil und Zerrüttung bringen, doch weh!, er ahnt's noch nicht. Denn nur das redlich Umworb'ne wird Heil der Seel'!
Der wahrhaft Tapf're legt ergo all sein Unvermag der Schönen zu Füßen, auf dass sie darauf trampele oder nicht. Tut sie's nicht, so ist ihr Sehnen rein, und holla! kommt die Kinderschar.

Gleichwohl will ich wohl gleich meine Lakaien aussenden, mir dieses ruchlos' Werk zu besorgen, denn, um es mit den Worten der Heil'gen Schrift zu sagen:
Nur wer seinen Feind erkennet, wird davontragen 3 Punkte (Lothar Matthäus, Buch 4, V.I-III)

Wenn er derweil mit dem Brombeer-Vergorenen Vorlieb nehmen thäte?
Pils is alle.

Ihr Thomas Prinz von Nöthen

aram
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Beitragvon aram » 26.06.2006, 12:16

einwandfrei, tom,
wenn auch möglicherweise nur begrenzt ausbaufähig, ohne langweilig zu werden: kommt eben ganz auf den inhalt an! (wie deutest du's, das sich bislang kein weibliches wesen zu einem kommentar herabgelassen hat? erging's dir bei deiner angebeteten vielleicht ähnlich damit?)

Nur wer seinen Feind erkennet, wird davontragen 3 Punkte (Lothar Matthäus, Buch 4, V.I-III)

eben :-) -klassiker!
aram

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 26.06.2006, 12:36

hi aram,

die Kommentare der betreffenden Dame waren nicht verbal-sprachlicher Art...

bei den Anderen weiß ich's nicht... will denn keine meine neue Gräfin sein?

:-s

aram
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Beitragvon aram » 26.06.2006, 15:14

tom,
die Kommentare der betreffenden Dame waren nicht verbal-sprachlicher Art...

- denkst du jetzt, das lag an deinem text???
:-)

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Beitragvon Thomas Milser » 26.06.2006, 15:22

Aram, das weiß ich!

Sie wusste aber stets, was zwischen den Zeilen zu lesen war. Geheime Absprache wegen Treffen, Anspielungen auf Zärtlichkeiten usw.

Ihr Typ konnte ja alles Lesen, was ich schrob (siehe Einleitungssatz), und deshalb getraute sie sich auch wohl nicht, zu antworten.

Meine Briefe sind also - bildlich gesprochen - mit verklausulierender Geheimtinte geschrieben.

Aber wenn es dich beruhigt: Ich hab's am Ende verschissen. Ich glaube kaum, dass das an den Texten lag. Dazu folgt bald das Gedicht 'Schmutzige Füße'. Alles authentisch. Guckst Du!

aram
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Beitragvon aram » 26.06.2006, 15:40

oh, nicht dass du glaubst ich gönn dir was nicht :-)
...wenn deine lakaien unterwegs sind war mein kommentar auch nicht vergeblich- hoffe es gibt dann auch wieder pils, und wende mich wieder anderen dingen zu!
aram

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Beitragvon Thomas Milser » 13.08.2006, 00:58

Huch, eine unbeantwortete Antwort... in alten Archiven..welche Schmach... casanova hatte ich immer noch nicht vor der Brust... Ist aber wahrscheinlich ne Lusche. Wellemacher, Vielf.cker, irgend sowas...triebhaft halt... nich' so meine Schiene...aber lesen werd' ich's trotzdem...wenn ich die Russen durchhab....*röchel*

Aram, wie immer gefallen mir deine Anregungen - spätestens im Nachhinein - alle...
Es wird Zeit für mich, mir mal eindringlicher deine Sachen anzuschauen... 'Heu wenden' fand ich schon bärenstark. Hab ich was dazu geschrieben? Weiß ich gar nicht mehr...

thnx, Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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