Enzenbergers Tod

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Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 17.10.2008, 11:34

Enzenbergers Tod

Eilends hoben die beiden Totengräber am Morgen des grauen Februartages das Grab aus, denn es wurde wieder Frost gemeldet. Den verstorbenen Enzenberger hatte man hergerichtet und im repräsentativen Eichensarg im Leichenhäuschen auf dem Friedhof aufgebahrt. Hier konnte Abschied genommen und die mitgebrachten Kränze abgelegt werden. In den Halterungen an den Wänden verströmten Kerzen den Duft von Wachs.  Eine stille feierliche Atmosphäre füllte den kleinen Raum und ließ die Besucher bescheiden werden. Nebenan im Gemeindehaus probte der Posaunenchor.
Am Abend drängten Freunde und Nachbarn in das Trauerhaus. Die kleine Wohnstube war dicht gefüllt. Sie waren gekommen um den Hinterbliebenen ihr Beileid auszusprechen. Die Witwe schenke Schnaps aus um ein letztes Mal auf ihren verstorbenen Mann anzustoßen. Draußen war es bereits dunkel und dichter Schnee fiel, als ein hartes Klopfen am Wohnzimmerfenster die Aufmerksamkeit der Trauernden auf sich zog.
Erschrocken sahen sie das bleiche Gesicht Enzenbergers vor dem Fenster. Wirr standen ihm die Haare vom Kopf und seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen.  Wild fuchtelte er mit seinen dürren Händen.
Schnell schloss einer die Haustüre und Hintertüre ab, denn den Tod konnte man nicht in die Stube lassen. Ein Mutiger stürmte in das erste Stockwerk, riss ein Fenster auf und rief dem wild gestikulierenden Enzenberger zu: „Ludwig, jetzt sag scho, steh’n ma wiedder auf, wenn ma gstorbn sin?“ „Ja, widder aufgstanden“ hörte er von unten wimmern, „lasst mi nei“.
Mittlerweile hatte sich die Meinung durchgesetzt, dass sich der Teufel den Leib vom Ludwig Enzenberger genommen hat um sich in die Häuser einzuschleichen.
Man tat deshalb das einzige Vernünftige, man zog die Vorhänge zu, löschte das Licht, betete und trank reichlich vom Schnaps.
Das Klopfen und Wimmern hörte dann auch bald darauf auf.

Der nächste Tag brachte neues Unheil. Enzenbergers Leichnam war verschwunden, das Leichenhäuschen verwüstet. Umgekippt lag der teuere Sarg zwischen Blumen und Kränzen und das kleine Holzkreuz war zerschlagen. Das überzeugte jetzt auch die letzten Zweifler. Das hier war Teufelswerk.
Überall erzählte man sich, wo und bei wem der Teufel um Einlass gebettelt hatte. Selbst vor dem Wort Freundschaft sei er nicht zurückgeschreckt, hat immer wieder gerufen, dass man doch Freunde gewesen sei und habe dabei den schmächtigen Körper vom Ludwig durchgeschüttelt.

Gegen Abend fand man auch endlich den Leichnam wieder. Er lag auf einem Feld und war aufgrund der nächtlich einsetzenden Kälte steif gefroren.
Enzenberger wurde wieder in seinen Sarg gelegt, der diesmal sofort verschlossen wurde.  Nach all der Aufregung wurde der Tote tags darauf beerdigt. In den Gesichtern der Trauernden war ein seltsames Leuchten, hatte ihnen doch der Ludwig gesagt, dass man wieder auferstehen würde. Wer sonst, außer ihm konnte das so genau wissen.
Zuletzt geändert von Alma Marie Schneider am 19.10.2008, 08:35, insgesamt 2-mal geändert.
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Yorick

Beitragvon Yorick » 17.10.2008, 14:15

Sehr fein. Mit Zug, geradlinieg und einem wunderbaren Humor. Dieser wirkt besonders gut dadurch, dass alles ernst gemeint ist, und nicht komisch sein will. Klasse Text!

Randbemerkungen (Krümel):

Beim Titel habe ich natürlich gleich an Hans Magnus Enzen(s)berger gedacht. Gut, war er nicht. Dann der österreichische Fussballspieler? Nee, wohl doch fiktiv. Das hat eine Weile gedauert und hat es mir erschwert, mich auf den Text einzulassen. Auch wenn der Name sehr schön ist, könnte man den eventuell gegen einen weniger belegten austauschen? Oder es gibt einen anderen Hintergrund?

um ein letztes Mal auf ihren verstorbenen Mann anzustoßen.

Sicher? Ist klar, was gemeint ist, aber man könnte ja noch Jahre später auf den Verstorbenen anstoßen (und wird ja häufig auch getan). Vielleicht könnte man einfach "auf den Verstorbenen anstoßen" oder ähnliches (vielleicht mit einem gut gewählten Attribut dazu...)


Mittlerweile hatte sich die Meinung durchgesetzt,

Klingt sehr passiv. Könnte die Anwesenden ggf. mehr nach vorne holen, wenn es z.B. : "Viele waren der Meinung" (oder ähnlich).

Nach all der Aufregung wurde der Tote tags darauf beerdigt.

Mh, irgendwie stört mich "Nach all der Aufregung". Kann es nicht genau sagen, bringt vielleicht einen Distanz zum Erzählfluss rein...

In den Gesichtern der Trauernden war ein seltsames Leuchten,

Auch das Leuchten auf den Gesichtern, ah, es klingt sonderbar. Gut, alle sind heilig berührt, isses doch alles so fein christlich, aber muss es "Leuchten" sein?

Alles nur Minikrümel, wenn überhaupt.

Ganz toller Text.
Grüße,
Yorick.

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.10.2008, 14:26

Liebe Alma,

ich kann Yorick nur zustimmen. Toller Text, geschrieben in einem fast lapidaren Ton, zum Schlapplachen (Totlachen schreibe ich hier mal lieber nicht).

Ich habe nix zu meckern, außer dass hinter "nei" ein Punkt fehlt...

Liebe Grüße

leonie

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 19.10.2008, 08:57

@ Yorick
Danke Yorick für die Hinweise.
Die Geschichte hat einen realen Hintergrund. Enzenberger starb 1949. Er hieß wirklich so.
Ich denke über die restlichen Vorschläge nach. Die Sache mit dem "Leuchten" habe ich schon ein paarmal wieder zurückgeändert, weil es oft nur die Aussicht auf ein besseres Leben ist, das das Diesseits erträglich macht. In schlechten Zeiten sind die Menschen immer besonders gläubig und auch abergläubisch. Eventuell sollte ich einen zeitlichen Hinweis einfügen, das würde die Erzählung dann aber recht festlegen.

@Leonie
Danke liebe Leonie. Der Punkt ist ergänzt.

Allen ein schönes WE und liebe Grüße
Alma Marie
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Max

Beitragvon Max » 19.10.2008, 13:08

Liebe Alma,

das ist wirklich ein gelungener Text, den ich sehr gerne gelesen habe.

Liebe Grüße
max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.10.2008, 20:55

Liebe Alma,

ich finde Yoricks Kommentar sehr treffend:

einem wunderbaren Humor. Dieser wirkt besonders gut dadurch, dass alles ernst gemeint ist, und nicht komisch sein will


Das macht den Text zu einem feinen. Ein bisschen wie Bernhard, aber weicher. Man spürt die gleiche Souveränität wie in deinen Gedichten, obwohl du Prosa ja ganz anders durchführst.

Aber ich habe den Bezug hab ich immer noch nicht verstanden - wer ist denn nun dieser Enzenberger? Keine bekannte Persönlichkeit? Mich haben die Assoziationen da auch irritiert. Wenn du für Eingweihte den bekannten Bezug nicht pflegen willst, wäre ich auch für eine Alternative.


Kleinigkeit: Mir ist aufgefallen, dass du manchmal das Komma vor Infinitiv mit zu - Sätzen nicht setzt, z.B.:

Die Witwe schenke Schnaps aus um ein letztes Mal auf ihren verstorbenen Mann anzustoßen.


ist das extra?

Der Text hält keine Pointe bereit und zeigt trotzdem - er ist Episode, aber abgeschlossen..

hab ihn sehr genossen,

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 21.10.2008, 21:12

@Lisa: keine Pointe. Hmm, ist nicht die Pointe, dass der Arme draußen erbärmlich erfroren ist? Was allerdings recht früh schon vorhersagbar ist.

Das Thema erinnert ein wenig an Poe, der hatte - wenn ich mich recht erinnere, auch mal das Thema der lebendig Eingesargten. 1949 ist allerdings recht spät dafür - realer Hintergrund?

Gruß
Henkki

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 26.09.2010, 21:30

@Max
Späten Dank lieber Max. Ich freue mich sehr über Dein Lob.

@Lisa
Auch Dir herzlichen Dank. Enzenberger war der Dorfbader, wie man den Friseur damals nannte. Daß der Name an eine bekannte Persönlichkeit erinnert, war zwar nicht beabsichtigt, aber es gibt ja auch bekannte Müllers, Meiers usw.

@Zakkinen
Danke Zakkinen
Es ist tatsächlich eine reale Begebenheit. Leider muß man sagen. Heute muß ja ein Arzt den Totenschein ausstellen. Damals gab es auf dem Lande noch vielfach den amtlichen Totenbeschauer, der hatte in der Regel nicht studiert. Dafür durften die Toten erst nach Ablauf einer bestimmten Frist beerdigt werden.

Allen herzliche Grüße
Alma Marie
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