Die Lügnerin

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Rosebud

Beitragvon Rosebud » 18.11.2009, 19:13

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.11.2009, 11:28

Hi Zefi,

das hier
Rosebud hat geschrieben:„Ich liebte meine Schwester wie eine Mutter.

und
«Eine von euch wird sterben, wenn ich mit ihr fertig bin, die andere lasse ich gehen. Einigt euch, welche leben soll». Leyla weinte. Ich hielt sie im Arm. «Lass meine Schwester gehen», sagte ich ihm. Leyla bettelte: «Verlass mich nicht». Ich drückte sie an mich, küsste sie. Da gab Boban den anderen Soldaten ein Zeichen. Sie trennten uns, zerrten mich aus dem Zimmer. Ich hörte Leylas Schrei die ganze Nacht.“

lese ich in direktem Zusammenhang.
Diese Stelle ist ziemlich "tricky". Esma stellt sich vor die Schwester, übernimmt quasi die Mutterrolle, will, dass Boban sie nimmt und Leyla gehen lässt, doch Boban tut gerade das Gegenteil, verhält sich also umso grausamer.
Das heißt für mich, dass Esma ihre Schwester (im übertragenen Sinne "ihre Tochter") in Stich gelassen hat. Sie fühlt sich schuldig, deshalb das "Beklagte" im Sinne von zu Beklagende, wie Rosebud schreibt. Sie kann es nicht ertragen, dass ihre Schwester, die sie wie eine Mutter liebt (also nicht als "ihre Mutter", sondern Esma fühlt sich in der Mutterrolle), Mutter und Kind "beschnäbeln" sich, bildlich gesehen, wie die Tauben, derart gequält und entwürdigt wurde. Deshalb hat sie Leyla erdrosselt und nimmt es als richtig hin, dafür nun im Gefängnis zu sühnen und lebt in der Vergangenheit, als alles noch in Ordnung war.
Zefi hat geschrieben:wenn nicht Esmas Aussage vor Gericht einen so hypnotischen Anschein von Wahrheit gehabt hätte

Und genau dieses Hypnotisierende entlarvt Heitmann durch seine Zeichnung.

Rosebud, du hast eine Geschichte geschrieben, die einen nicht loslässt.

Anerkennende Grüße
Gabriella

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.11.2009, 11:47

Hallo Aram,

noch kurz zur Opferfrage:
aram hat geschrieben:ich vermute, dass sich die 'lüge' im "nein" auf die opferfrage abbildet.

Diese Antwort ist eine Lüge, ja. Sie ist Opfer. Sie trinkt deshalb auch ein Glas Wasser nach der Lüge. Aber sie ist Opfer des grausamen "Spiels" von Boban, nicht diejenige, die missbraucht wird. Das ist Leyla. Und dadurch wird Esma zur Täterin an Boban und an Leyla. (s. mein vorheriges posting)

Saludos
Mucki

aram
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Beitragvon aram » 19.11.2009, 12:01

hallo mucki,

vielleicht lässt sich eindeutig auflösen nach indizien - aber dann interessiert's mich auch nicht besonders ,-)

liebe grüße!

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.11.2009, 12:04

Hallo Aram,

nein, ich glaube nicht, dass es sich eindeutig nach Indizien auflösen lässt. Man kann nur nach/aufspüren, was hier alles möglich ist und DAS ist ja gerade das Gute daran. Das sehe ich genau wie du. ,-)

Saludos
Mucki

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 19.11.2009, 13:20

.
Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 18:41, insgesamt 1-mal geändert.

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 19.11.2009, 15:11

Hallo,

Man könnte aber genauso gut annehmen, Esmas Srebrenica-Erzählung ist eine Lüge, und die turtelnden Tauben verweisen vielleicht auf ein menschliches Liebespaar...


Zwei Alternativen könnte man annehmen.

a)Die turtelenden Tauben waren Esma und Boban, und die Schwester war die Rivalin. Daher mußte die Schwester sterben. Mit dieser Tat kann/konnte Esma nicht leben und tötete Boban, weil sie ihm die Schuld daran gab, daß sie ihre Schwester tötete.

b) Die Tauben waren die Schwester und Boban. Dies konnte Esma nicht ertragen, entweder weil sie nicht wollte, daß ihre Schwester ein Leben an der Seite eines Kriegsverbrechers führt, welches ihr Leben zerstört, deshalb mußte beiden sterben, oder Esma wäre gerne an der Stelle von ihrer Schwester gewesen. So in der Art.

Letzendlich ist die Srebrenica Rahmenhandlung nur erfunden. Es ist eine Lüge.
Es ging hier nicht um Kriegsverbrechen an den Schwester, sondern Auslöser für die Taten waren die klassischen Motive wie Liebe, Eifersucht und Haß.

Die Ereignisse in Srebrenica werden dazu mißbraucht um die wahren Motive zu verbergen, so daß die Täterin doch mit etwas MItleid rechnen kann, während bei Eifersucht und co. dies nicht der Fall sein dürfte.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Yorick

Beitragvon Yorick » 21.11.2009, 18:58

Wie es in Sethes letzen beiden Absätzen anklingt, erging es mir auch: die Rahmenhandlung wirkt auf mich wie eine Lüge. Besser wie eine Kulisse, eine austauschbare, vor der ganz andere Themen verhandelt werden. Wie z.B. die Rezeption eines Textes.
Warum sonst wird so viel Geheimnis um die Geschichte gemacht? Ginge es um die Ereignise ansicht, wäre eine sensiblere Erzählweise sicherlich hilfreicher (so bleibt auch die Figur der Esma für mich sehr blass, schwer erspürbar, behauptet.)

Das finde ich angesichts der Schwere des Themas (Kriegsverbrechen; Vergewaltigung, Folter, Mord) nicht einfach anzunehmen. Und es schaffte eine Distanz zwischen mir und dem Text, eine misstrauische Wachsamkeit - wie man sie vieleicht einem Bekannten gegenüber empfindet, der plötzlich rechtslastige Sprüche vom Stapel lässt. Man ist froh, wenn man ihn los ist.
Dazu kommt eine Deutungsbeliebigkeit, in der eben alles möglich ist - ich persönlich brauche da mehr Knochen, mehr Geschichte (was bei einer reinen Metaebenen-Geschichte natürlich gar nicht so gewollt ist und der eigentlichen Absicht sogar im Wege steht).

Heitmann ist für mich die plastischste Figur in dem Text - erlebbar.

Sprachlich sauber wie gewohnt, Rosebud.

viele Grüße,
Yorick.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.11.2009, 19:05

Hallo Rosebud,

das hier
Wir Leser sind Heitmänner: sehend, ahnend und interpretierend, aber im Ungewissen ge- und befangen. Wir bilden das Gelesene in unseren Köpfen ab und kolorieren es mit den eigenen Wahrheiten.

finde ich sehr trefflich gesagt.

Saludos
Gabriella

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 23.11.2009, 09:38

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