Beitragvon Thomas Milser » 16.08.2010, 13:23
Servas Monika,
dass ich zu der von Dir besungenen Stadt ein etwas - sagen wir es mal euphemistisch - reserviertes Verhältnis habe, hatte ich ja andernorts und ebenda bereits kundgetan. Umso überraschter bin ich, wie gut es Dir gelungen ist, dieses Gesamtpaket Wien in eine ganzheitliche und absolut treffende Textstimmung zu packen. Ich bin kurz davor, meine Aversion zu überdenken ... :o)
Die Ursache dafür sehe ich darin, dass in Deinen Zeilen alles Typische zur Sprache kommt, aber eben schmählos, wertfrei, kenntnisreich und gefühlt beschreibend. Und es findet ein Abgleich statt, von dem man nicht recht weiß, ob er lobhudelnd oder hämisch daherkömmt, und die Sentimalität, die ja oft mit derlei Ortsbesingung einhergeht, ist nur eine scheinbare. Ganz klasse finde ich diesen Satz:
"An Schlaf ist nicht zu denken. Der Tag kühlt niemals aus in diesem ersten unsrer Sommer, die Kapuzinergruft hat längst geschlossen und wir, wir sind so voller Leben."
Ich lese darin auch eine Anklage, dass die Stadt eben nicht alles liefert, was des Besuchers Bedürfnis ist, und sich ihm verschließt, wenn Öffnung und Leben angebracht wäre, eben doch immer provinziell bleibt.
Der Perspektivwandel von Sommer zu Winter am Ende ist eine gute Wende, die meine Empfindung noch unterstützt. Ich bin nicht ganz sicher, ob der letzte Satz schon der Weisheit letzter Schluss ist. Und ob die Auslassungspunkte notwendig sind. Aber eine bessere Idee habe ich derzeit auch nicht (...)
Insgesamt ein Text, der nicht von Deiner bei Gedichten üblichen, nahezu chirurgischen Präzision geprägt ist (was keinesfalls eine negative Kritik sein soll), sondern sich mir leicht und luftig angedeiht, und mit einfachen Worten ein komplexes, detailliertes Bild zeichnet. Schön.
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)