Wiener Notizen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
scarlett

Beitragvon scarlett » 16.08.2010, 09:10

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Zuletzt geändert von scarlett am 24.04.2013, 08:13, insgesamt 3-mal geändert.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.08.2010, 13:23

Servas Monika,

dass ich zu der von Dir besungenen Stadt ein etwas - sagen wir es mal euphemistisch - reserviertes Verhältnis habe, hatte ich ja andernorts und ebenda bereits kundgetan. Umso überraschter bin ich, wie gut es Dir gelungen ist, dieses Gesamtpaket Wien in eine ganzheitliche und absolut treffende Textstimmung zu packen. Ich bin kurz davor, meine Aversion zu überdenken ... :o)

Die Ursache dafür sehe ich darin, dass in Deinen Zeilen alles Typische zur Sprache kommt, aber eben schmählos, wertfrei, kenntnisreich und gefühlt beschreibend. Und es findet ein Abgleich statt, von dem man nicht recht weiß, ob er lobhudelnd oder hämisch daherkömmt, und die Sentimalität, die ja oft mit derlei Ortsbesingung einhergeht, ist nur eine scheinbare. Ganz klasse finde ich diesen Satz:

"An Schlaf ist nicht zu denken. Der Tag kühlt niemals aus in diesem ersten unsrer Sommer, die Kapuzinergruft hat längst geschlossen und wir, wir sind so voller Leben."

Ich lese darin auch eine Anklage, dass die Stadt eben nicht alles liefert, was des Besuchers Bedürfnis ist, und sich ihm verschließt, wenn Öffnung und Leben angebracht wäre, eben doch immer provinziell bleibt.

Der Perspektivwandel von Sommer zu Winter am Ende ist eine gute Wende, die meine Empfindung noch unterstützt. Ich bin nicht ganz sicher, ob der letzte Satz schon der Weisheit letzter Schluss ist. Und ob die Auslassungspunkte notwendig sind. Aber eine bessere Idee habe ich derzeit auch nicht (...)

Insgesamt ein Text, der nicht von Deiner bei Gedichten üblichen, nahezu chirurgischen Präzision geprägt ist (was keinesfalls eine negative Kritik sein soll), sondern sich mir leicht und luftig angedeiht, und mit einfachen Worten ein komplexes, detailliertes Bild zeichnet. Schön.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.08.2010, 14:16

Servas Tom,

na wenn das kein toller Kommentar ist! Hey, danke dafür!

Es freut mich, dass du dem Text so viel abgewinnen kannst, Aversion der Stadt gegenüber hin oder her ... *smile*

Ja, die Auslassungspunkte ... sind fast eine Art "Notlösung" ... und drücken eigentlich genau das aus, was du auch hinterfragst: meine (relative) Unschlüssigkeit ob des letzten Satzes.
Ich werde sie mal weglassen.
Und - weiter überlegen.

Monika

Klara
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Beitragvon Klara » 16.08.2010, 15:55

Hallo scarlett,

das gefällt mir, das ist gefeilt und geschliffen, und man merkt es nicht, ahnt es nur, und an den richtigen Stellen rau wie gewollter grober Putz: sinnlich!

Ich hab mich gefreut beim Lesen, und mir kam das dumme Wort "Qualitätstext" in den Sinn. Dumm, weil Qualität jedem Wort angeheftet wird in der Werbung - sogar dem Leben, als hätte man die Auswahl zwischen mehreren.

Man sollte immer das teuerste Leben nehmen. Und nur die besten Texte lesen. Deiner gehört für mich dazu ;)

Herzlich
klara

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.08.2010, 15:59

Liebe Klara,

deine Worte gehn runter wie Öl! Verzeih, DAS ist nun qalitativ nicht gerade das Höchste, aber es sei mir gestattet.

Wenn du wüsstest, wie sehr mich dein Lob freut!

Und was meinst du zum letzten Satz, wenn ich fragen darf?

Liebe Grüße,
Monika

Klara
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Beitragvon Klara » 16.08.2010, 16:05

Und was meinst du zum letzten Satz, wenn ich fragen darf?

Ich lese die Punkte als Hinweis darauf, dass noch etwas kommt wie auch etwas war: notwendige Punkte.

Nach dem Lesen hab ich mich kurz gefragt, ob das denn tatsächlich Kurzprosa sei - und nicht eher ein Auszug, ein Anriss für eine längere Geschichte. Die drei Punkte geben mir die Antwort: Es ist eine Erinnerung in der Gegenwart, und die Gegenwart doppelt sich durch die Erinnerung. Wien bleibt Wien (im Rahmen dieses Textes), Wien bleibt, wird wurde Heimat, die Heimat bleibt Heimat - weil sie in einem steckt, und in der Stadt steckt, durch die Geschichte, die Vergangenheit etc. unlösbar vom SChreib-Ich wie von der Schreib-Stadt Wien.

Deswegen (oder war das keine Begründung) würd ich die Punkte zu dritt lassen: Sie haben einen Zug in die Zukunft, in das gegenwärtige Sicherheitsgefühl mit einem geliebten Menschen, einem Kind, einem Freund, einem Mann - egal.

Hab ich mich verständlich ausgedrückt??

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.08.2010, 16:19

Ja, Klara, das hast du, und ich werde deine Gedanken in meine weiteren Überlegungen miteinbeziehn.

Hab Dank dafür.

Herzlichst,
Monika

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 17.08.2010, 01:41

Ich hatte mir immer vorgenommen, mich wegen deines tollen Kommentars im Publicus (auf meinen Juist-Text) zu revanchieren, und der Komm war auch schon halb fertig, aber eben nur halb ... hier war es einfacher :o)
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 17.08.2010, 08:40

Liebe Mo,

so eine schöne Wien-Impression! Du triffst den Ton so genau, als würdest du dort leben! Es ist vergnüglich und melancholisch, so wie es typisch für Wien ist.

Ich mag das offene Ende, übrigens.

Und hier: Sissiträumen - das 1 s gehörte weg: Sisiträumen wäre richtig.

Gern mitspaziert,
ELsa
Zuletzt geändert von Elsa am 17.08.2010, 12:55, insgesamt 1-mal geändert.
Schreiben ist atmen

scarlett

Beitragvon scarlett » 17.08.2010, 11:55

Liebe Elsa,

na wenn du als Wienerin den Text gut findest, freut mich das ja umso mehr ...

Natürlich hast du recht, was die Schreibung Sisi anbelangt: die historische Elisabeth wird so geschrieben, nur die Romy- Sissi mit zwei s. Ich glaube aber, dass die meisten Touris eher der Filmsissi hinterherjagen ... aber ich werde das trotzdem ändern.
Merci fürs Ansprechen und natürlich für deine liebe Wortmeldung!

Hab es fein,
Mo

Sam

Beitragvon Sam » 17.08.2010, 22:41

Hallo Monika,

der Text macht es mir ein bisschen schwer, etwas darüber zu sagen, weil ich ein wenig zwiegespalten bin. Einerseits die vielen schönen Formulierungen, die von Klara erwähnte Sinnlichkeit, diese nicht zu verleugnende Geschichte, die auf so vielem lastet (die große, die Weltgeschichte, aber auch die kleine, ganz persönliche), die Lebenslust, der Sommer, der nach Heidelbeereis schmeckt. Das ist greifbar, spürbar, reichbar, schmeckbar. (Ich mag Wien sehr gerne und hoffe demnächst wieder einmal dort zu sein).

Auf der anderen Seite hat dein Text durch einige Formulierungen etwas Schweres, das mich beim Lesen einfach stört (was ja eigentlich kein Kriterium ist). Ein paar Beispiele:

"Heraufwabert von fern die Stadt."

"Dunstiger Atem schwappt aus den Mündern der Touristen", - der Atem ist doch nicht flüssig. wie kann er schwappen?

"Aus durchgeknetetem Asphalt drängt sich hervor, was die Jahrhunderte zuvor hineingetreten."

" Durchzieht die Gassen, hutscht über Stiegen. Mit jedem einzelnen erhasch ich einen Rest meines faschierten Siebenbürgen." - Das faschierte Siebenbürgen ist wirklich klasse, aber Huschen und Erhaschen so nah beieinander?

Dem stehen, wie gesagt, viele schöne Sätze gegenüber, dass ich eigentlich gar nicht meckern sollte. Aber vielleicht tue ich es gerade deshalb.


Gruß

Sam

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.08.2010, 21:10

Lieber Sam,

schön, dich wieder verstärkt hier zu lesen ...
Und danke, dass du dich meines Textes angenommen hast.

Dein Eindruck, dieses Einerseits - Andrertseits, kann ich gut nachvollziehen, wenn ich es auch nicht ändern kann, weil für mich Wien genauso ist: das Leichte und das Schwere, die Heiterkeit und das Niederdrückende (ich sag nur: Wien im November!), Lebenslust und Melancholie. Wien ist viel mehr als alle anderen Städte, die ich kenne, für mich in erster Linie ein Gefühl, ein Lebensgefühl.
Und deshalb ist das in meinem Text auch miteinander verwoben, das eine geht nicht ohne das andere.

"Durchzieht die Gassen, HUTSCHT über Stiegen" - hutschen ist schaukeln.

Und beim schwappen --- kann Dunst nicht auch irgendwie schwappen? wenn man einen Deckel hebt/öffnet, schwappt einem doch was entgegen ... oder? *grübel*

Liebe Grüße,

Monika

Sam

Beitragvon Sam » 22.08.2010, 14:51

Hallo Monika,

du hast bestimmt Recht, das eine geht nicht ohne das andere, gerade wenn es um Wien geht.

Danke für die Erklärung von "Hutscht", ich hatte huscht gelesen.

Ich persönlich habe bei "Schwappen" immer etwas flüssiges vor Augen. Dunst, oder auch Rauch, da dampft, quillt, wabert, steigt, weht etc. es eher. Aber das ist wohl Geschmackssache.

Lieben Gruß

Sam

eve
Beiträge: 105
Registriert: 03.01.2010

Beitragvon eve » 22.08.2010, 18:29

Ich glaube, ich habe noch nie einen so guten Text über Wien gelesen. Jedenfalls keinen, der mein eigenes Empfinden gegenüber dieser Stadt so perfekt einfangen und wiedergeben würde - das Leichte, das Schwere, das Zuckrige, das Schwarze, die Fröhlichkeit, die in ihrem tiefsten Inneren keine ist ... einfach super! Kompliment!

Eve


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