Untiefen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 25.09.2010, 11:40

Sie hatten sich ein Zimmer genommen in einer Pension ganz am Rande des kleinen märkischen Dorfes.
Wenn man dort ein Fenster öffnete, sah man hinaus auf endlose Wiesenmeere. Schaumkraut blühte blasslila in Wellentälern und als es dämmerte, stiegen milchige Schwaden auf.

Sie liebten sich diesmal ungewöhnlich sanft.
Der Mann schlief danach. Seine Arme lagen schwer auf der Frau an seiner Seite. Manchmal öffnete er die Augen im Traum und sie sah Schleier hinter seinen Lidern.
Vorsichtig löste sie sich aus seiner Umarmung. Sie stand auf und ging ans Fenster.

Glubschäugig schwammen Fische in den Wiesen. Es war mühsam, ihre Bahnen mit den Augen zu verfolgen. Sie musste auf das Schimmern achten. Darauf, wie sich die Wiesenfarbe mit der der Schuppen vermischte. Aber manchmal verlor sie die Spur.
Im Zimmer bewegte sich der Mann. Seine Arme lagen wie Tentakel auf dem Laken.
Selten wagte ein Fisch den Sprung in den Nachthimmel. Dann hob sie den Blick.
Zuletzt geändert von allerleirauh am 28.09.2010, 08:51, insgesamt 1-mal geändert.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 26.09.2010, 17:16

Huhu PanA.(merika)

Sie hatten sich ein Zimmer genommen in einem Hotel ganz am Rande des kleinen märkischen Dorfes.

ich sehe in dem Text mehr eine Pension, denn ein Hotel.

milchige Schwaden

Ich weiß, du brauchst die für die Schleier hinter seinen Lidern, aber milchige Schwaden ist für mich kohlenmonoxidhaltiger Rauch, der zB. beim Verbrennen feuchten Holzes entsteht. Hier sind es doch eher Nebel?

Sie liebten sich diesmal ungewöhnlich sanft, so als ob sie einen glauben machen wollten, sie wären Teil der Idylle.


Halte die Erklärung für überflüssig. Eine Analogie ist offensichtlich. Auch perspektivisch empfinde ich es als unglücklich, fühle mich jedenfalls unangenehm voyeuristisch.

Im Inneren des Zimmers

Überflüssig.

Ich finde den Text wunderbar. Besonders das Abdriften zum Phantastischen, nimmt mich mit auf die Bahnen. Sehr schön.
ME. eine gekonnte Vermischung oder besser eine symbiotische Verschiebung von Wirklichkeit und Wahrnehmung.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 27.09.2010, 10:20

Guten Morgen,

kann mich im Großen und Ganzen anschließen.

Wegen des Nebelproblems: Der Morgendunst vermischt sich ja mit den winzigkleinen Blüten. Alles zusammen dürfte eine leicht flockige Struktur annehmen (Kann ich jedenfalls gelegentlich beobachten, wohne vergleichbar) und Richtung Himmel ausdünnen. Eine solche Struktur könnte dann beim Abdriften ins Phantastische leicht in Fischschuppen und Glubschaugen übergehen.

Schönen Herbsttag noch
Marlene

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 27.09.2010, 10:57

Ich finde den Text sehr gelungen, würde allerdings das Hotel auch in eine Pension (gibt mehr ländliches Flair) umwandeln. "Sie liebten sich.....", diesen Satz benötigt der Text meines Erachtens, weil das nachfolgende "glauben machen wollen" schon dem Treffen der Beiden eine Wendung hin zum Unwirklichen gibt und das dann noch ausgebaut wird.

Liebe Grüße
Alma Marie
Die Schönheit erklärt man nicht, man empfindet sie (Peter Rosegger).

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 27.09.2010, 13:37

Hallo A. :o),

Zunächst zweidrei sprachliche Anmerkungen:

'glauben machen wollten' ist ein ganz schön unschöner Angli und auch ziemlich holperig, da würde ich 'glauben lassen' o.ä. formulieren. Ich frage mich auch nach dem Bezug des 'einen'. Ist ein Außenstehender gemeint, oder der jeweils andere?

Außerdem finde ich drei Mal 'Wiese', was mir für so einen kurzen Text etwas viel vorkömmt.

Im Moment fließt der Text für mich noch nicht; irgendwie fehlt mir deine erzählerische und sprachliche Leichtigkeit.

LieGrü,
Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 27.09.2010, 15:05

Liebe Allerleirauhte,

das finde ich einen wunderschönen Text, der ganz ruhig von den kleinen Wundern des Alltags erzählt.

Einzig den Satz

Sie liebten sich diesmal ungewöhnlich sanft, so als ob sie einen glauben machen wollten, sie wären Teil der Idylle.


mag ich nicht so. Entweder ist die Erklärung zuviel, oder das unbestimmt 'einen' ist zu wenig. Wenn ein fiktiber Beonachter auftaucht, müsste man ihn m.E. auch beim Namen nennen, dann also vielleicht

"Sie liebten sich diesmal ungewöhnlich sanft, als wollten sie einen fiktiven Beobachter glauben machen, sie seien Teil der Idylle."

Sehr schöner Text.

Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.09.2010, 15:18

Lieber Max,

ich finde es erstaunlich, dass Du darin von den Wundern des Alltags liest. Mir geht es so, dass mir durch manche Worte im Text genau das bedroht scheint und seine Fragilität so herausgearbeitet wird:

Sie wollten glauben machen, das klingt für mich eher so, als ob die beiden gerade nicht Teil der Idylle sind. Ich finde viele Hinweise, dass die Idylle nur außen ist und sich nicht ins Innere des Zimmers überträgt:
"glubschäugig", "Tentakel" (wer will da reingeraten?), mühsam, sie musste sich anstrengen, manchmal verlor sie die Spur...

Liebe allerleirauh,

für mein Empfinden könntest Du manches noch kürzen und die Atmosphäre dadurch noch dichter machen:

Hier etwa:

Sie hatten sich ein Zimmer genommen ganz am Rande des kleinen märkischen Dorfes.
Wenn man ein Fenster öffnete, sah man hinaus auf Wiesenmeere. Schaumkraut blühte in Wellentälern und als es dämmerte, stiegen (Nebel)Schwaden auf.[/quote]

Ich vermute, dass Du das, was ich oben ansprach, bewusst eingesetzt hast, um die Idylle zu "unterlaufen". Ich finde das gerade auch durch die "Unwirklichkeit", die Du erzeugst, gelungen. Für mich hat der Text dadurch etwas "Indifferentes", das die innere Lage der Protagonistin gut widerspiegelt.
Ich hoffe nur, dass ich das richtig verstehe :eek: und mich jetzt hier nicht zu weit aus dem Fenster lehne...

Liebe Grüße

leonie

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 28.09.2010, 08:58

hallo, ihr alle! vielen dank für eure rückmeldungen.

@nifl/max/tom: ich habe die meisten eurer anregungen aufgegriffen. mit den "milchigen schwaden" bin ich mir noch nicht sicher. es fällt mir schwer, einen passenenden begriff zu finden.

@leonie: ich finde nicht, dass du dich zu weit aus dem fenster gelehnt hast. ursprünglich hatte ich den text für mich UN genannt, weil unmögliches, unangenehmes, unmögliches, unmoralisches, unvorstellbares, unwiederholbares eine rolle spielt. wenn in deiner vorstellung das ambivalente/indifferente wichtig wird, dann bin ich zufrieden. :-)

lg
a
Zuletzt geändert von allerleirauh am 28.09.2010, 16:05, insgesamt 1-mal geändert.

Nicole

Beitragvon Nicole » 28.09.2010, 09:41

Liebe allerleirauh,

ich habe ein Problem dabei, mir die Situation vorzustellen.
Du schreibst "Seine Arme lagen schwer auf der Frau an seiner Seite. Manchmal öffnete er die Augen im Traum und sie sah Schleier hinter seinen Lidern.Vorsichtig löste sie sich aus seiner Umarmung."
WIE liegt er da? Wenn er SEINE Arme auf ihr liegen hat? Sie löst sich aus der Umarmung, das wäre für mich ein Arm unter ihr, einer darüber... Da stolpere ich.
Entweder er hat sie im Arm (Löffelchen), dann wäre ein Arm unter ihr, einer über ihr.
Oder er liegt auf dem Rücken/Bauch und hat beide Arme auf eine Seite gepackt - kommt mir ziemlich unbequem und komisch vor, als Schlaflage.
Oder er ist quasi auf ihr eingeschlafen, würde als auf dem Bauch auf ihr liegen. Dann müßte sie sich komplett unter ihm rauswursteln, nicht nur unter seinen Armen weg. Und dann könnte sie, m.E.n. seine Augen nicht sehen....
Ich bin verwirrt.

LG, Nicole

Max

Beitragvon Max » 28.09.2010, 11:10

Liebe Leonie,

kann man die bedrohung der Wunder des Alltags beschreiben ohne diese zu benennen?

Liebe Nicole,

ich glaube, es geht eigentlich nur, dass sie sich Gesicht zu Gesicht gegenüber liegen, sonst kann sie ihn ja nicht sehen, aber Du hast Recht, man kann dann kaum beide Arme auf das Gegenüber legen ... oder es ist Yoga :-)

Liebe grüße
Max

Nicole

Beitragvon Nicole » 28.09.2010, 11:14

... eventuell auch ein mir nicht bekannter Teil aus dem Kamasutra... :)
(sorry, völlig unqualifiziertes OT)

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.09.2010, 11:44

Nein, Max, Du hast Recht.
Ich meinte eher, dass mir schien, dass Dir das "ungebrochen" erschien...Aber ich glaube, das wurde im Posting deutlich, oder? (Auch wenn ich mich da nicht exakt ausgedrückt habe...).

Liebe Grüße

leonie

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 28.09.2010, 12:25

Ähm, Nicole und Max, liegt ihr etwa wie die Zinnsoldaten im Bett?
Ich habe diese Stelle eher so aufgefasst, dass sich ihre Beobachtung (die Arme des Mannes sind schwer, manchmal öffnet er im Traum die Augen - übrigens eine ganz bezaubernde Wendung) über einen längeren Zeitraum erfasst.
Gerade dieses Zusammenfassen dessen, was sich vielleicht über eine halbe oder ganze Nacht abspielt, in einer einzigen Beobachtung gibt dem Text so viel Atmosphäre, finde ich.
Bin ganz gefangen davon ...
Gruß von Zefira (ist auch 'n Fisch)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 28.09.2010, 16:19

liebe nicole,

ich glaube, wie zefira, dass hier über einen längeren zeitraum erfolgte beobachtungen aufgelistet werden.

dennoch: dein einwand ist natürlich berechtigt. am einfachsten würde man die logik wohl (wieder) herstellen, wenn man, ganz im sinne der progressiven muskelentspannung nach jacobson, von nur EINEM schweren arm schreiben würde. aber ist der dann auch schwer genug? ich muss mich entspannen, eine nächtliche versuchsreihe durchführen und nachdenken.

omm...

a.


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