Filmkritik: Globaler Gemischtwarenladen Eat Pray Love

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 02.10.2010, 15:29

Globaler Gemischtwarenladen Eat Pray Love

Arme Julia. Arme Liz. Sie sucht so sehr! Nach ihrem Wort zum Beispiel. Jede Stadt und jeder Mensch habe eines, das genau passt, heißt es irgendwann bei Pasta und Rotwein in Eat Pray Love. Das passende Wort für den Film braucht man nicht lange zu suchen: Kitsch.

Julia Roberts ist zu schön, um wahr zu sein für dieses Selbstfindungs-midlife-crisis-Machwerk (Regie: Ryan Murphy), das nur so tut, als stünde es auf Seiten der Frauen (oder überhaupt auf irgendeiner Seite): Die Schönheit passt einfach nicht, wirkt genauso übertrieben wie das Übermaß an Motorrollern in Rom, der Pizza in Neapel und das der Weisheit in Indien.

Alles stimmt so sehr, dass nichts mehr stimmt, und die ganze Welt wird eine Postkarte, wird zum Kalenderspruch, wird zum Zitat aus einem jener Ratgeber-Bücher, die nur den Portefeuilles der Verlage und Autoren guttun, die sie hervorbringen. Julia Roberts und ihre Sinnfindungs-Assistenten im Film füttern uns Zuschauer mit Weisheiten, bis wir uns daran überfressen, während sie selbst sogar in ihren demonstrativen Sackkleidern so unverschämt schlank und schön aussieht, dass wir Zuschauerinnen uns verschämt die eigenen Rettungsringe wegdrücken. Dabei hat Julia, also Liz uns doch eben noch geraten, just als sie in eine fetttriefende Pizza biss, wir sollten diese lästigen Schuldgefühle hinter uns lassen, das Essen genießen und einfach nur eine größere Jeans kaufen. Uns endlich annehmen, ja!

Tja, warum nur kann man der abgemagerten Julia Roberts diese Statements nicht abnehmen? Vielleicht hätte sie vor dem Dreh wenigstens ein paar Kilo zunehmen sollen, uns Zuschauerinnen und der allgemeinen Glaubwürdigkeit zuliebe? Nein, so weit ging es offenbar doch nicht mit dem Genießendürfen. Liz-Julia stopft sich voll mit gutem Essen, bleibt aber die wunderschöne, elfengleiche, knallharte Egoistin, auch wenn sie uns ihr weiches, verträumtes Mädchenlächeln im Lotussitz serviert. Und wir dürfen dabei zuschauen.

Der Plot von Eat Pray Love: Die reiselustige und kinderlose Liz (also Julia), Mitte 30 und Autorin von untermittelmäßigen Theaterstücken, ist mit dem falschen Mann verheiratet, sucht einen neuen und findet den dann auch. Der erste ist aber nicht so richtig schlimm falsch, so dass eine Scheidung ohne Schuldgefühle unmöglich ist. Der Ex war einfach ein Quentchen zu unreif („Ich glaub, ich geh wieder an die Uni, um meinen Master zu machen“) und einen gestrichenen Teelöffel zu spießig, um mit ihm glücklich sein zu können. („Du wolltest doch den Toaster!“, wirft er ihr beim lustigen Vor-Scheidungs-Geplänkel vor, als ginge es um Küchengeräte – und das tut es wohl auch). Liz verlässt ihn, stürzt in eine neue „Beziehung“ mit einem esoterischen Schauspieler, den sie bei der Premiere eines ihrer psychoverklebten Theaterstücke kennenlernt, und der in seiner Freizeit indisch-religiöse Gebete „chantet“ (Details sind unerheblich.) Der Wahnsinn auf den ersten Blick findet ein rasches Ende, als es im Bett nicht mehr klappen will. Julia, (also Liz) kommt in die Sinnkrise und auf die originelle Idee, ein Jahr fort zugehen, von allem weg, hin zu selbst. Sie will: Essen wie Gott in Rom, Beten und Putzen für den Guru in Indien und weise werden auf Bali.

Doch das innere Gleichgewicht ist nicht so einfach zu haben. Also torkelt Liz mit Hilfe einer Menge Rotwein durch die pittoreske Gegend, erzwingt Schlüsselerlebnisse herbei in einer Welt, die nur dazu da ist, ihr den Sinn des Lebens zu offenbaren – wenn sie nur lange genug drin blättert wie in einem Ratgeberbuch. Manchmal nimmt Julia-Liz sogar die Sonnenbrille dabei ab. Damit man ihre Tränen besser sieht.

Geld spielt übrigens keine Rolle. Die Slums in Indien bekommen eine Premium-Einstellung geschenkt, die arme alleinerziehende Mutter und Heilerin auf Bali ein Haus. Schreibt man halt rasch eine Email an die reichen NewYorker Freunde: Schenkt mir zum Geburtstag doch diesmal lieber nicht irgendwas Sinnloses, sondern spendet. Und die New Yorker Freunde lesen, machen betroffene Gesichter und überweisen postwendend, so dass alles gut wird auch für Julias Heilerin auf Bali. Außerdem dürfen auftreten: im indischen Ashram ein Texaner (nur scheinbar überzeichnet und grandios gespielt von Richard Jenkins), ein zahnloser Gutmenschen-Medizinmann und am Ende, für die Liebe, der glubschäugige, aber sehr männliche Brasilianer Felipe (ziemlich schleimig: Javier Bardem), damit die arme Liz sich nicht auch noch in den italienischen Sprachlehrer oder gar schon wieder in einen oberflächlichen Amerikaner verlieben muss. Und, nicht zu vergessen: die 17jährige Inderin und Ashram-Kollegin, die eigentlich studieren will, stattdessen jedoch zügig mit einem indischen Einserstudenten zwangsverheiratet wird – von der selbstbestimmten Liz dabei tatkräftig getröstet und überzeugt, dass irgendwie, mit genug Beten und Glauben, schon alles gut wird, während sie sich beziehungsreich an ihre eigene von Beginn an missglückte Ehe erinnert – und nicht mal auf die Idee kommt , der jungen Frau zu helfen, selbst an die Uni zu kommen.

Als Zuschauerin hat man fast den Verdacht, dass es doch so wirklich viel besser sei: Willenlos aber glücklich – jedenfalls für die Inderin. Julia-Liz ihrerseits darf selbstredend selbst entscheiden, wen sie lieben und wie sie sich dabei unglücklich machen will, denn sie ist ja Amerikanerin. Die – ungewollte? – Botschaft dieser Nebenhandlung wirkt so reaktionär, dass man Mutmaßungen über die Drehbuchvorlagen-Autorin anstellt, Futter für entsprechende Vorurteile sucht und googelt: Wie rückständig mag sie sein, jene echte Elizabeth – Liz – Gilbert? Jedenfalls ist sie offenbar als Tochter von Weihnachstbaumproduzenten großgeworden, was einiges erklären mag … Ihre „Probleme“ stehen jedenfalls in keinem Verhältnis zu dem Tamtam, das sie drum macht, und man möchte all den ganzen verlogenen Kram ja gern genießen, wenn er einem nicht so zwanghaft als Wahrheit aufgedrängt würde. Die teuer produzierte Langeweile verärgert. Wie da eine Art globales Weihnachtsmärchen erleuchten soll und doch nicht mal anständige Unterhaltung entstehen will: Der Film zieht sich langatmig durch seine Überlänge (140 Minuten!) und wird seine Botschaft – „Sende mir Licht und Liebe und lass mich los“ – einfach nicht los.

Wir lernen das Erwartbare: Wenn man nur hartnäckig genug an dich selbst denkt und so tut, als ginge es dabei um Transzendenz, wird alles gut. Wir fragen uns: War der Zeitgeist nicht schon ein paar Schrittchen weiter? Wir lächeln müde: Ein paar witzige Dialoge, ein, zwei anrührende Szenen, ein paar schöne Bilder, und Julia Roberts – mehr ist nicht. Und all der Aufwand, der den Indern, den Italienern und den Balinesen noch das letzte Klischee abpresst, noch den letzten Gott zur Selbstbefriedigung missbraucht und noch die letzte heilige Kuh entehrt, nur damit die arme reiche Liz zu sich selbst finden kann, als würde das irgendjemanden außer Gott interessieren? Achso, Gott ist ja nur „das Ich in mir“. Soll heißen: Das GRÖSSTE, was es gibt. Jedenfalls für die arme, nach all dem Essen, Lieben und Beten immer noch magere Julia.

Die Welt: ein Gemischtwarenladen, in dem man – ob es um Genuss, Gott oder Männer geht – schon das Passende findet, wenn man nur lange und egozentrisch genug sucht und sich tüchtig anstrengt, glücklich zu sein. Das tut Julia. Zur Belohnung darf sie passgenau so viel essenbetenlieben, wie ihre Geldbösre und ihr neuer Geliebter es hergeben, und wenn sie nicht gestorben sind, lügenschleimenbrechen sie noch heute.

Armes Kino. Armes Amerika.

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 02.10.2010, 16:05

Liebe Klara,

den FIlm werde ich mir wohl nicht ansehen, Deine Besprechung finde ich intelligent, eloquent und unterhaltsam. Stellenweise ein klein wenig redundant, um etwas kritisches anzumerken. Ansonsten habe ich das gerne gelesen und bewundert, wie Du den Film analysierst und auseinander nimmst!

Liebe Grüße

leonie

Benutzeravatar
Zakkinen
Administrator
Beiträge: 1768
Registriert: 17.07.2008
Geschlecht:

Beitragvon Zakkinen » 02.10.2010, 16:17

Hey Klara,

klasse Rezension. Einen Hauch lang und, wie Leonie schon angemerkt hat, ein Paar Redundanzen drin. Aber sehr unterhaltsam. Ich überlege fast, ob ich mir den Film jetzt mal ansehen muss ;o) Allerdings hatte ich schon vorher den Verdacht, dass weder Film noch Buch zu meinem Geschmack und meiner Weltanschauung kompatibel sind.

Liebe Grüße
Henkki

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 02.10.2010, 16:20

Danke fürs Lesen!

Ich wollte zuerst nicht rein, dann habe ich zwei überraschend gute Rezensionen und verlässlichen Blättern gelesen, die zwar nicht verschwiegen, dass der Film ein wenig kitschtriefte, aber doch wunder- und rührend schön etc. sei.

Nun hab ich mich geärgert, dass ich meinem Gefühl nicht gefolgt und draußen geblieben bin.
Und das musste raus ;)

Kann sein, dass der Text zum Teil redundant und im Umfang vielleicht etwas barock ist - müsste wohl redigiert werden :pfeifen:

Herzlich
klara

Benutzeravatar
Zakkinen
Administrator
Beiträge: 1768
Registriert: 17.07.2008
Geschlecht:

Beitragvon Zakkinen » 02.10.2010, 16:25

Im Gegensatz zu der ganz und gar nicht barocken Julia Roberts musste das dann vielleicht auch so sein. Ich sehe, Du hast den Text im Freitag. Da wirst Du jetzt sicher wieder zerbröselt :)

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 02.10.2010, 16:41

Nee, glaub nicht, bietet nicht so viel Angriffsfläche - oder??
*zitter*
;)

Benutzeravatar
Zakkinen
Administrator
Beiträge: 1768
Registriert: 17.07.2008
Geschlecht:

Beitragvon Zakkinen » 02.10.2010, 16:51

Na zu dem Lidl-Text wurde es ja recht bunt.

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 02.10.2010, 16:55

Verfolgst du das? Bist du einer der Freitags-Kommentatoren - und ich weiß nix davon? ;)

Ein Doppelleben???

Benutzeravatar
Zakkinen
Administrator
Beiträge: 1768
Registriert: 17.07.2008
Geschlecht:

Beitragvon Zakkinen » 02.10.2010, 17:00

Ich, ein Doppelleben? Nienich!

Nein, ich habe nur gerade mal über Facebook auf den Freitag geklickt und dann geschaut, was Du da sonst noch hast. Ich bin zu doof für eine Meinung im Freitag ;o)

LG
H

Klara
Beiträge: 4508
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 02.10.2010, 17:05

Ich bin zu doof für eine Meinung im Freitag

Diese Selbserkenntnis allein qualifiziert dich - erst recht für den Freitag ;)

Mucken und Motzen verwechselt da so mancher mit Linkssein -

Jeder ist zu doof für eine Meinung. Deshalb hat ja auch jeder so hartnäckig eine ;)
(Mit zwei Freundinnen hab ich mich neulich noch u.A. über Sarrazin unterhalten -´warum komme ich da jetzt drauf??)

(Ich verrat dir mal bei Gelegenheit, wie doof ich bin, aber das bleibt dann unter uns ;))

Benutzeravatar
Zakkinen
Administrator
Beiträge: 1768
Registriert: 17.07.2008
Geschlecht:

Beitragvon Zakkinen » 02.10.2010, 17:13

Mucken und Motzen verwechselt da so mancher mit Linkssein

Ein Grund, warum mir viele angeblich Linke seeehr suspekt sind. Obwohl ich mich politisch eher links verorten würde, habe ich ein riesen Problem mit vorgefertigten Meinungen. Mit dem, was man halt zu denken hat, wenn man links, grün, sozial, progressiv oder was weiß ich sein will. Also halte ich mich meist raus.

Und mehr bei anderer Gelegenheit, gerne.

Benutzeravatar
allerleirauh
Beiträge: 766
Registriert: 26.06.2010
Geschlecht:

Beitragvon allerleirauh » 02.10.2010, 17:34

liebe klara,

danke für diese rezension. sie rückt mein weltbild wieder gerade.

ich war auf empfehlung von (durchaus ernstzunehmenden) kinoliebhabern ebenfalls in diesem unsäglichen film und stand bislang mit meinem brechreiz ganz alleine da.

lga

eve
Beiträge: 105
Registriert: 03.01.2010

Beitragvon eve » 03.10.2010, 17:26

oh, vielen herzlichen dank für diesen beitrag! du hast mir absolut aus der seele gesprochen und ich bewundere, wie gut und scharf du das beobachtet und formuliert hast!
ausserdem hast du ein paar lücken bei mir geschlossen, denn ich bin stellenweise ( und zwar speziell bereits am anfang) eingeschlafen.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste