Der Unfall oder die unergründlichen Wege des Glücks

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LudwigP.

Beitragvon LudwigP. » 17.01.2006, 11:38

Der Unfall oder die unergründlichen Wege des Glücks


Der 10.Mai war ein verregneter Tag. Als ich aufgewacht bin, konnte ich noch nicht ahnen, dass dieser Tag mein Leben völlig verändern wird. Sie fragen sich, wer ich bin? Mein Name ist Tobias und ich möchte ihnen meine Geschichte kurz erzählen. Also......

Tobias, warum stellst Du Dir den Wecker immer so blöd ein, Du Trottel! – dachte ich, als der Wecker mich aus den Träumen riss. Ich stand auf, wusch mich kurz, frühstückte eine harte, wahrscheinlich schon eine Woche alte Semmel und ging zu meinem Wagen. Na ja, ich weiss, diese Rostlaube als Wagen zu bezeichnen ist gewagt, aber irgendwie muss ich mich in die Arbeit doch schon befördern.
Der Motor springt nach paar Minuten – die Batterie war zum Glück neu – an und ich fuhr los. Bis zu diesem Zeitpunkt war dieser Tag ein ganz normaler Tag, aber wirklich nur bis zu dem Zeitpunkt. Sie fragen sich, was passiert ist? Lassen Sie mich überlegen, wie war es genau? Ach so, jetzt weiss ich das wieder – ich fuhr also los, wie jeden Tag, dann kam die wie immer nicht funktionierende Ampel, an der ich normalerweise immer anhalte, ja normalerweise, nur diesmal leider nicht. Der Krach war unglaublich und ich dachte – Na gut, wenigstens ist mein Auto nicht neu!. Ich stieg aus und schaute nach, was eigentlich passiert ist. Das Auto, welches ich erwischt habe, war leider nicht alt und als ich den Fahrer bemerkte, wurde mir klar, dass das noch eine längere Geschichte wird.

„Haben Sie keine Augen im Kopf?“- herrschte mich die junge blonde Frau an - „Schauen Sie sich mein Auto an, wie soll ich jetzt weiterfahren?“, fuhr sie fort und mir wurde langsam immer schlechter. Was sollte ich tun, das Auto schaute wirklich nicht erfreulich aus, das einzige, was ich schaffte, war nur leises Gestotter – „Ich, ich habe kei, kei, keine Ahnung, wie es pa, passieren konnte!“ – langsam kam ich mir wie ein richtiger Idiot vor. Das was jetzt folgte, war für mich ein Schock, denn statt auf mich weiter zu schreien schaute mich die junge Frau und – wahrscheinlich sah sie meine Tränen der Verzweiflung – sagte wesentlich freundlicher: „Na, wenn Sie versichert sind, wird es nicht so tragisch sein, mein Vater hat eine kleine Autowerkstat in der Wienerstraße, er wird es mir schon reparieren! Aber ein nettes Abendessen wird es Sie schon kosten!“. Was sollte ich in dieser Situation machen? Ich lud also die blonde Unbekannte auf ein Abendessen ein, nur blöd, dass ich in der Zeit pleite war.

„Hallo Schwesterchen!“ – rief ich und lächelte meine Schwester verlegen an. „Hey Tobias, was führt Dich zu mir? Schon lange her, dass Du da warst, bist schon wieder pleite?“ – lächelte Marta zurück und winkte mich hinein. Ich überlegte kurz, was ich antworten soll, ging nach kurzem Zögern rein in Martas Wohnung, ohne ein Wort zu sagen. „Du sagst nichts, also doch Geldproblem, oder?“ – fragte sie mich noch einmal und ging in die Küche. Mir war es wirklich peinlich, besonders nachdem es schon das dritte mal war, dass ich sie um Geld bitten musste: „Ja, Du hast Recht, die Aktien sind den Bach runter, ich hab’ schon wieder rund 15000 Euro verloren!“ – antwortete ich. Ja, jetzt wissen Sie es – ich bin Börsenmakler, leider nicht besonders erfolgreicher. „Aber diesmal war es der Marko, der Hund hat nicht rechtzeitig verkauft, sonst wäre ich jetzt ein reicher Mann!“ – sagte ich und setzte mich aufs Sofa im Wohnzimmer. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig neidisch war, so wunderschön eingerichtete Wohnung sieht man nicht jeden Tag. Sie kam, setzte sich auf den Sessel mir gegenüber und schaute mich mit strengem Blick an. „Wie oft habe ich es Dir schon gesagt, aber Du hörst ja nie auf mich!“- fang sie an und ich dachte schon, dass es eine der langen Predigten wird, die ich mir schon oft anhören musste, aber ich irrte mich, denn sie sagte nur noch: „OK, wie viel brauchst Du diesmal?“. „Weißt Du, ich hatte einen kleinen Unfall“ – sagte ich ein wenig beruhigt.
„Einen Unfall? Wie ist denn das passiert? Hoffentlich ist nicht viel passiert?!“ – fragte Marta besorgt.
„Ich kann Dir leider nicht viel geben!“.
Ich dachte kurz nach , was ich ihr antworten soll: „So viel nicht! Es war nicht so schlimm! Ich würde an die 1000 Euro brauchen!“. Das war eindeutig zuviel für sie, sie schaute mich wieder mit dem typischen „Not amused“-Blick an sagte sichtlich nervös: „Ja, wo soll ich denn so viel Geld nehmen, du spinnst wohl!“ – als ich nichts antwortete, fuhr sie fort: „Das kann doch nicht Dein ernst sein!“. Ich rührte mich nicht und sagte kein Wort, was sollte ich auch sagen, sie hatte Recht, so viel Geld müsste sie sich bei ihrem Mann borgen, der aber konnte mich noch nie leiden.
„Weißt Du was, ich werde Dir das Geld borgen.“ – ich dachte, ich höre falsch - „Du sagst aber kein Wort zu meinem Mann, der würde mich umbringen, wenn er erfahren würde, dass ich es Dir geborgt habe!“. Na gut, das habe wieder mal gut gemacht, na ja, ich habe auch eine tolle Schwester. Ich lächelte sie beruhigt und überaus glücklich an: „Danke, Schwesterchen, Du bist ein Schatz“ – ich wusste, was sie hören wollte – „Du bekommst das Geld bis Ende des Monats!“. Das war’s, damit konnte sie leben. „Jetzt muss ich aber was trinken, das hat mich alles ziemlich durstig gemacht“ - sagte Marta und leerte ihr Sektglas in so kurzer Zeit, dass mir davon fast schwindlich wurde. Als ich sei verlassen habe, war sie milde ausgedrückt gut gelaunt - ich allerdings auch, was dazu führte, dass ich am nächsten Tag einen Brummschädel hatte. Aber das war mir ziemlich egal, Hauptsache, ich hatte Geld für meinen Date.

Endlich war es soweit, es war Samstag, der Tag an dem ich die blonde Traumfrau treffen sollte.
„Hallo, mein Wagen wollte nicht anspringen, entschuldigen Sie bitte meine Verspätung!“ – lächelte ich meine neue Begleiterin an und führte sie zum Tisch am Fenster.
„Hallo, ich dachte schon, dass Sie nicht kommen werden!“ - sagte sie und setzte sich.
„Wie schaut es mit der Reparatur aus?“
„Mein Vater arbeitet noch daran, aber in 3 Tagen bekomme ich meinen Wagen wieder.“ Ich war so nervös, dass ich fast nicht fähig war, ein vernünftiges Gespräch zu führen.
„Was trinken Sie?“ – fragte ich, um im Gespräch zu bleiben.
„Gläschen Rotwein, und Sie?“
„Auch!“. Ich konnte nur mit Mühe meine Aufregung verbergen, aber langsam beruhigte ich mich. Die Bedienung war überraschend schnell, nach paar Minuten konnten wir mit unseren Gläsern anstoßen.
„Sagen Sie doch Du zu mir, ich bin Karin!“ – sagte sie und lächelte mich herzlich an. „Warum nicht? Ich bin Tobias, freut mich!“ – lächelte ich zurück beruhigt – das Du-Wort hat vieles vereinfacht.
Als wir das Lokal verlassen haben, war es schon nach Mitternacht, mir schien aber die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, zu kurz: „Die Zeit ist so schnell vergangen, schade, aber was sagst Du, wenn wir uns morgen wieder treffen würden?“
„Warum nicht? Du holst mich um zwei ab, ja?“
„Gut, jetzt lass mich Dich nach Hause zu bringen, damit ich weiss, wo Du wohnst!“
Ich setzte sie vor der Haustür ab, sie küsste mich zärtlich und sagte: „Fahr’ vorsichtig! Gute Nacht!“
Und so geschah es, dass ich durch den Autounfall meine jetzige Frau kennengelernt habe, fast wie ein Märchen, nicht wahr?



©Ludwig P.
Zuletzt geändert von LudwigP. am 22.01.2006, 17:54, insgesamt 2-mal geändert.

Maija

Beitragvon Maija » 17.01.2006, 19:27

Hallo Ludwig P,

Eine wirklich schöne Geschichte. Schreiben kannst du gut ;-)
Liest sich alles flüssig und vom Inhalt alles in Ordnung. Man konnte gedanklich alles miterleben. Wie das Leben so mit einem spielt!
Ich kann nichts kritisieren :-$ .

Mein Name ist Tobias und ich möchte ihnen meine Geschichte kurz erzählen. Also......


Würde Euch oder Dir einsetzen, dann fühlt man sich gleich besser angesprochen.

Gruß Maija

LudwigP.

Beitragvon LudwigP. » 18.01.2006, 01:14

Danke!! Mit dem "Euch" hast Recht, das würde besser passen. Das ist meine erste Kurzgeschichte, so gut bin ich noch nicht, aber ich bemühe mich.

Gerade arbeite ich an einer Thriller-Kurzgeschichte mit dem Namen "Das Hinrichtungsspiel" - so eine Geschichte ist nicht leicht kompakt zu halten. Wenn ich fertig bin, werde ich die Geschichte in diesem Forum vorstellen (wird aber nichts für einen schwachen Magen).


lg

Ludwig

Maija

Beitragvon Maija » 18.01.2006, 08:07

Gut zu wissen, freue mich darauf! :thumbleft:

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.01.2006, 10:23

Lieber Ludwig,
auf deine neue Geschichte bin ich schon sehr gespannt! An dieser gefällt mir am besten die letzten Zeilen, weil sie der Geschichte eine zusätzliche Ebene verschafft (Leser - Erzähler Dialog). Diese Ebene finde ich immer besonders interessant. E.T.A. Hoffmann hat in seinem Goldenen Topf dieses Ebenenineinandergreifen bis zur Grenze des möglichen betrieben (wofür ich ihn abgöttisch liebe :grin: ). Dort hilft am Ende sogar eine Figur aus dem Kunstmärchen dem Erzähler seine GEschichte zuende zu erzählen. So wird er verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit gerecht. Das ahabe ich im Ende deiner Geschichte wiedererkannt.

Was mir auch gefällt ist die eigentlich ja schlichte Handlung, die sich aber meiner Meinung viel mehr als das große ganze lohnt zu erzählen.


Den ersten Satz, mit dem du die Frau beschreibst:
herrschte mich die junge blonde Frau an


würde ich übrigens ändern, da du dich hier schon verrätst wie du die Geschichte zu Ende führen möchtest...das ansonsten erst mal angespannte Verhältnis durch den Unfall wird mit diesem Satz "entlarvt".

Aber vielleicht übertreibe ich auch. ich treibe immer alle Leute ,die mit mir Krimi gucken in den Wahnsinn, weil ich sofort weiß , wer der Täter ist :mrgreen: . ich meine, wenn eine absolut scheinbar unwichtige Nebenrolle mit einem bekannten Schauspieler besetzt ist, dann weiß man doch einfach, dass das nur der Mörder sein kann :cool:
ich freu ich auf mehr!

LudwigP.

Beitragvon LudwigP. » 19.01.2006, 11:39

Hallo Lisa,

es freut mich, dass Dir meine (erste) Geschichte gefällt, für deine Worte bekommst Du von mir §blumen§ , bei der Beschribung der Frau am Anfang der Geschichte würde ich am liebsten das Wort "blonde" weglassen, damit es eigentlich nicht wie eine Beschreibung ausschaut - jeder soll sich die Frau vorstellen wie er möchte, sie kann auch so ziemlich häßlich sein. Du wirst mir nicht glauben, aber am Anfang sollte die Geschichte echt böse ausgehen, aber dann habe ich gedacht, dass die Liebe schön ist und eine Liebesgeschichte besser ankommt.


lg

Ludwig

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Beitragvon Lisa » 19.01.2006, 16:55

Lieber Ludwig,
das ist eine gute Idee, dass blonde rauszunehmen, das löst alles auf und niemand. auch ich nicht. weiß wie die Geschichte ausgehen wird :mrgreen:

Ps: Wie wäre es, wenn du die geschichte auch mit dem bösen Ende schreibst? Gegenübergestellt wirken die bestimmt interessant!


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