Das Geschenk

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Ada
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Beitragvon Ada » 17.04.2011, 23:02

[tabs][tabs: ]Sie hatte sich den kleinen roten Gedichtband gewünscht, ein handliches, in Leinen gebundenes Buch. Ihren Namen auf der Innenseite des Einbands, mit einer liebevollen Widmung, mehr gemalt als geschrieben. Lesezeichen hätten sie ihre liebsten Gedichte blind finden lassen. In ihrer Vorstellung führte sie es mit sich, setzte sich ans Flussufer, schlug wahllos eine Seite auf, vertiefte sich in die Verse. Gegen das Sonnenlicht zeichneten sich die Umrisse ihrer Hand schemenhaft durch die hauchdünne Seite ab.

Sie bekam eine Gesamtausgabe, ein teures Werk, in Kalbsleder gebunden. Zwanzig Bände mit braunen Buchrücken standen stolz nebeneinander im Regal, die Goldprägung gebot Ehrfurcht. Den Grundstock einer Bibliothek sollten sie bilden. Allein die Gedichte nahmen drei Bände in Anspruch. In einer Villa hätten sie sich heimisch gefühlt.

Nach drei Umzügen ist das Braun der Buchrücken verblasst, das brüchige Leder von Rissen wie von einem Spinnennetz überzogen, das Gold der Prägung matt und angestaubt. Den nächsten Umzug werden sie nicht mitmachen, sie gehen als Spende an die Stadtbücherei. Eng gepackt im Pappkarton warten sie in der leergeräumten Wohnung auf ihre Abholung. Zwei Straßen weiter tritt eine Frau aus einem Buchladen auf die Straße, in der Hand einen roten Gedichtband. Sie steigt in ihren Mini, fährt stadtauswärts, den Blick nach vorne gerichtet.

[tabs:another]Sie hatte sich den kleinen roten Gedichtband gewünscht, das handliche, in Leinen gebundene Buch. In ihrer Vorstellung führte sie es mit sich, setzte sich ans Flussufer, schlug wahllos eine Seite auf, vertiefte sich in die Verse. Im Sonnenlicht leuchtete ihre Hand schemenhaft durch die hauchdünne Seite. Auf der Innenseite des Einbands stand ihr Name, ihre liebsten Gedichte hatten kleine Lesezeichen.

Sie bekam eine Gesamtausgabe, ein teures Werk, in Kalbsleder gebunden, unhandlich. Zwanzig Bände mit braunen Buchrücken standen stolz nebeneinander im Regal, die Goldprägung gebot Ehrfurcht. Den Grundstock einer Bibliothek sollten sie bilden. Allein die Gedichte nahmen drei Bände in Anspruch. In einer Villa hätten sie sich heimisch gefühlt.

Nach drei Umzügen ist das Braun der Buchrücken verblasst, das Gold der Prägung angestaubt. Den nächsten Umzug werden sie nicht mitmachen, sie gehen als Spende an die Bibliothek. An der Kasse des Buchladens steht eine Frau mit einem kleinen roten Buch in der Hand.[/tabs]
Zuletzt geändert von Ada am 19.04.2011, 11:49, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.04.2011, 01:25

Hallo Sabine,

mir gefällt deine Geschichte gut. Oft sind es die kleinen Dinge, die einem etwas bedeuten, die man sich wünscht, die wirklich ein Geschenk sind und eben nicht die großen, protzigen Dinge.
Ada hat geschrieben:Sie bekam eine Gesamtausgabe, ein teures Werk, in Kalbsleder gebunden, unhandlich.

Hier würde ich das Wort "unhandlich" streichen, da du es bereits ausdrückst durch das "in Kalbsleder gebunden".
Hab ich gern gelesen.

Saludos
Gabriella

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.04.2011, 06:57

Liebe Sabine,

mir gefällt es, wie du die Erfahrung beschreibst, dass das wertvolle Geschenk, nicht die Sehnsucht nach dem kleinen Wunsch des Beschenkten befriedigen kann.
Ich bin selbst jemand, der gern handliche Bücher hat, weil ich sie überall hinmitnehmen kann.
Ich kann das sehr gut nachempfinden, auch die Lesezeichen in Lyrikbändchen, allerdings ist mir der Sprung von der Bibliothek zum Buchladen in den letzten zwei Sätzen zu abrupt.
Es heißt ja, dass auch Kurzprosa dem Leser viel Raum lassen soll. Dafür bin ich unbedingt, aber hier ist mir das Ende, besonders der letzte Satz zu knapp, denn ich weiß nicht ob wirklich dieselbe Figur gemeint ist.
Hättest du als letzten Satz geschrieben, von der Bibliothek aus geht sie in den Buchladen, der um die Ecke liegt. Sie kannte die Auslagen im Fenster ...
Wäre für mich der Weg zum "Kleinen roten Buch" besser nachzuvollziehen, obgleich offener ...
Hoffentlich verstehst du, was ich meine.

Liebe Grüße
Gerda
Zuletzt geändert von Gerda am 18.04.2011, 08:00, insgesamt 2-mal geändert.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 18.04.2011, 07:06

Hallo Ada/ Sabine! Mir geht es so wie Gerda: Schöne Idee, Dein Thema! Aber mit dem letzten Satz kann ich mich - so - auch nicht anfreunden, zwischen der Bibliothek und dem Buchladen entsteht plötzlich eine große Distanz, man weiß nicht so recht, wer die Frau ist ... (ahnt es natürlich, fragt sich dann aber, ob dieses Rätselhafte an dieser Stelle angebracht ist).
Noch etwas anderes finde ich nicht so gelungen: Im Sonnenlicht leuchtete ihre Hand schemenhaft durch die hauchdünne Seite. Wenn ich mir das richtig vorstelle, wird man die Hand wohl eher als Schatten sehen, dann "leuchtet" sie nicht. - Ich habe gerade eine Hand unter einer transparenten Plastikhülle, und das Lampenlicht fällt drauf: Man sieht die Hand tatsächlich dunkler und nicht heller, klar, sie ist ja ein materieller "Widerstand".

Ada
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Beitragvon Ada » 18.04.2011, 09:19

Guten Morgen,

danke für Eure schnelle Rückmeldung. Es freut mich, dass Euch der Text grundsätzlich gefallen hat.

@Gabriella: Das "unhandlich" sollte für mich noch mal betonen, was falsch war. Ich mochte auch das Angehängte. Aber ich kann mich auch damit anfreunden, es wegzulassen. Als Information ist es wirklich redundant. Danke füs genaue Lesen.

@Gerda: Das wäre mir selbst nicht aufgefallen. Da eine komplette Geschichte in meinem Kopf existiert, empfand ich das nicht als Sprung. Werde ich auf jeden Fall nacharbeiten. Danke!

@Amanita: Du untermauerst nochmal Gerdas Sicht, das holpert also für mehr Leser. Bestätigt mich darin, einen Satz einzuschieben. Das Leuchten der Hand war beim Schreiben schon ein Knackpunkt. Beim Überarbeiten ist es jedesmal untergegangen, vielleicht weil meine Alternativen zunächst sehr steif und umständlich klangen. Na ja, ich kann so gut verdrängen, dass ich es glatt vergessen hatte, bis Du mich darauf hingewiesen hast. Danke! Wird nochmal umgewerkelt.

Gruß
Sabine

Andreas

Beitragvon Andreas » 18.04.2011, 15:00

Hallo Sabine,

zunächst - gerne gelesen.

Allerdings mag ich 2 Dinge anführen, die ich spontan gemocht hätte. Das Kalbsleder eignet sich hervorragend, um nach vielen Jahren z.B. "spröde" zu werden. Das ist ein klares Alterungsindiz und vielleicht gäbe es ja dafür noch Platz. Und konsequenter gegen Ende fände ich es, wenn diese Frau mit einem kleinen roten Gedichtband an der Kasse stände und nicht nur dem Buch, wenngleich es natürlich trotzdem auch so schlüssig ist.

Meine 2 Cent
Andreas

heinz

Beitragvon heinz » 18.04.2011, 15:48

das ist gut!

ein bescheidener herzlicher wunsch wird erschlagen durch dicke brocken, die ihrerseits dann noch ein haus drumherum bedürfen.

ob ich sagen kann, was mir auffiel?

... zum kleinen roten gedichtband würde ein 'büchlein' passen (weil man es leicht in der hand halten kann)
... eine widmung würde passen (... stand _auch_ ihr name ...)
... ob bibliotheken (noch) bücherspenden nehmen?

*hach*
bie uns gibt es solch ein kleines büchlein. auch deshalb spricht der gelungene text mich an.

Gerda

Beitragvon Gerda » 18.04.2011, 16:17

heinz hat geschrieben:... ob bibliotheken (noch) bücherspenden nehmen?

Meine im Ort (Kleinstadt Hintertauns)ja. :pfeifen:
LGG

Ada
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Beitragvon Ada » 18.04.2011, 19:16

Hallo Andreas,

danke fürs Lesen und ich freue mich, dass die kleine Geschichte Dich erreicht hat. Das spröde Leder mag ich, lässt sich sicher auch einbauen. Mit dem Gedichtband am Ende, dazu scheint mir der Text zu kurz, die Wiederholung zu dicht neben der ersten Erwähnung. Aber ich denke darüber nach, vielen Dank für Deine zwei Cent!

Hallo Heinz,

auch Dir vielen Dank fürs Lesen und Deine Anmerkungen. Das Büchlein könnte der Kompromiss zwischen dem Gedichtband und dem Buch sein, ja. An die Widmung werde ich bei der Überarbeitung denken, mal sehen, vielleicht findet sie ihren Platz. Ob die Bibliothek die Spende annimmt? Nicht jede Bibliothek würde das. Bücher zum Altpapier, das passte nicht, fand ich, und weg mussten sie. (Ich nehm dann Gerdas Kleinstadtbücherei ;-))

Grüße
Sabine

edit: Ich habe den Text leicht überarbeitet. Die ursprüngliche Version steckt jetzt im zweiten Tab, die neue im ersten. Wie man die Tabs kennzeichnet habe ich noch nicht herausgefunden.


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