Der Oudspieler

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 21.07.2011, 20:13

Am frühen Abend hält ein Auto vorm Haus. In seinem Inneren lässt sich ein Gewirr von Menschenleibern ausmachen. Türen werden aufgestoßen. Dum. Fahrer und Beifahrer, beide kräftige Männer, winden sich aus dem Wagen. Wild gestikulierend diskutieren sie am Straßenrand: Taktaktaktak.

Mit einem metallenen Klicken öffnet sich dann eine der hinteren Türen. Tiktik. Schlagartig verstummen die Männer.

Die Übereinkunft zu handeln besteht, denn beide langen gleichzeitig ins Fahrzeug, die Gesichter abgewandt, so, als wäre ein Nichthinsehen nötig, oder zumindest der Tat an sich förderlich.

Mit vereinten Kräften zerren sie einen dritten Mann ins kühle Dämmerlicht. Er trägt einen mondweißen Kaftan und einen sorgfältig gebundenen, rotgemusterten Turban, umgreift ihre Schultern und mit einem Ruck heben sie ihn nach draußen. Mit ihren Händen formen die Männer eine Art Sitz, um dem Weißgekleideten den bevorstehenden Transport angenehmer zu machen. Grotesk und schutzlos baumeln seine blassen Beinchen herab, die dazugehörigen Füße, normal proportionierte Männerfüße, stecken in schäbigen Sandalen.

Der Restaurantbesitzer begrüßt lautstark die Ankömmlinge und weist ihnen den Weg.

Die Träger steigen mit ihrer Menschenlast ächzend die Treppen hinauf. Dumdumdum. Vorsichtig lassen sie den Mann im oberen Stockwerk auf einen Teppich gleiten. Hastig bedeckt er dort die dürren Gliedmaßen mit seinem Gewand. Dann richtet er sich auf und schaut sich im Raum um. Fenster sind weit geöffnet, die Gäste noch nicht angekommen. Kaum hörbar atmet er durch und streicht eine Haarsträhne zurück in den Turban.

Die Begleiter reichen ihm sein Instrument. Behutsam nimmt er den Oud in die Arme; streicht über den Korpus und kunstvoll gearbeitete Ornamente. Er schlägt Saiten an und beobachtet zufrieden, wie sich die Töne im langgestreckten Raum verteilen.

Die ersten Gäste erscheinen, Amerikaner und Briten, lassen sich auf bunte Teppiche fallen, flüstern miteinander und mustern ihn neugierig. Der Oudspieler lächelt. Man könnte meinen, seine Mundbewegung, das Leuchten der Augen, seien ein ausschließlich den Fremden geltender Gruß. Allein, das helle Lächeln gilt auch dem Abend, dem Vergnügen, unter Menschen zu sein, den Instrumenten, der Musik. Und der Wandlung.

Bittersüßer Tee wird in kleinen Gläsern serviert. Ein Sheikh zieht an einer Wasserpfeife. Die Amerikaner zünden die ersten Zigaretten des Abends an. Männer aus dem Dorf setzen sich zu ihnen. Sie haben ihre Darabukkas mitgebracht und warten auf ein Zeichen.

Ein Tanzlied klingt in den Abend. Der Musiker hat die Augen geschlossen und wiegt sich im Rhythmus seiner Weise. Die Darabukkas finden die Laute; geben, anfangs zögerlich, mit der Zeit bestimmend, den Takt vor:

Dumdum tak – Dumdum tak– Dumdumtak …

Die Fremden beobachten den Oudspieler eine Weile konzentriert, verfolgen jede seiner Bewegungen, das flinke Agieren von Händen und Fingern, seine Mimik, lehnen sich dann aber zurück, die Anspannung eines Tages fällt allmählich von ihnen ab.

Das Echo der Darabukkas kehrt von den Wänden zurück und so beginnen der Mann und sein Oud vom Tal zu sagen. Davon, dass es so auf das Meer des Lot zuläuft, wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt. Davon, wie sich jeden Tag die orangegoldene Abendsonne auf dem Bahr al-Mayyit spiegelt. Der Sänger beschreibt die Schönheit des Berges Rummana in klaren Mondnächten.

Die Männer aus dem Dorf fallen vielstimmig ein:
„wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt; wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt, wie ein Mädchen…“

Dumdum – taktak - Dumdum – taktak - Dumdum …

Hinter seinen geschlossenen Augen sieht er die Sprösslinge der Meerzwiebeln, die wieder die Hänge begrünen, Zypressenhaine und die blauen Echsen, die sich aus ihren Winterverstecken wagen. Den Himmel, in den sich ein Falke schwingt.

„wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt, wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt, wie…“

Später beginnen die Männer aus dem Dorf zur Musik zu tanzen. Einige der Fremden gesellen sich zu ihnen. Der Musiker beobachtet verstohlen eine blonde junge Frau, die sich anmutig zu den Klängen der Oud bewegt: „wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt…“

Es wird spät. Gegen Mitternacht gehen die meisten Gäste, unter ihnen auch die Tänzerin. Die Männer aus dem Dorf packen ihre Darabukkas ein und verschwinden mit einem Nicken in die Nacht.

Der Musiker sitzt noch immer aufrecht auf seinem Teppich und wartet geduldig auf die, die ihn nach Hause bringen. Er muss der Letzte sein, der den Raum verlässt.
Zuletzt geändert von allerleirauh am 21.07.2011, 22:56, insgesamt 2-mal geändert.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 21.07.2011, 21:35

Hallo allerleisanft,
das ist eine sehr gelungene Miniatur, hat Spannung und Dichte. Für das Ende könnte ich mir noch ein bißchen mehr Atem vorstellen, die Tänzerin bleibt etwas schmuck/bildlos.
Einzige kleine Störstelle: "Und der Wandlung." - das klingt für mich nach Erklärung des Autors für das, was er gerade beschrieben hat.
Schöner Text,
Grüße
Franz

Oldy

Beitragvon Oldy » 21.07.2011, 22:12

Gefallt mir ausnehmend gut.
Dicht und intensiv.
Das würde ich gern als Vertonung hören,

lg
Uwe

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 24.07.2011, 21:33

herr räuber und oldy,

danke für die kommentare. vielleicht mach ich mich mal an eine hörversion in den nächsten wochen...

lg
a

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 25.07.2011, 16:42

Liebe Allerleirauh,

Ein Text, der mich in diese besondere Stimmung hinein versetzt, ohne mich mit oberflächlichen Orientalismen zu belästigen. Man spürt einen Blick in die Tiefe, ein scharfes Auge, das die Weichheit der Dinge spürt und erkundet. Das hat mir auch wegen der leisen, sehr leise anklingenden Erotik (Man könnte auch sagen - wegen der Musikalität der Körper - angezogen.

Ja, ich glaube auch, dass eine musikalische Fassung sehr schön wäre.
Liebe Grüße
Renée

eve
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Registriert: 03.01.2010

Beitragvon eve » 25.07.2011, 18:18

ein sehr schöner, berührender text.

eve

Sam

Beitragvon Sam » 06.08.2011, 13:49

Hallo allerleirauh,

das ist ein wunderbarer, atmosphärisch sehr dichter Text, der nicht nur durch seine poetische Sprache besticht, sondern auch dadurch, dass er noch viel mehr erzählt, als eigentlich beschrieben wird. Und auf eine gewisse Art und Weise macht er mich wehmütig, nicht nur wegen des Mannes, der, Umständen geschuldet, nur noch in seiner Musik leben kann, sondern auch, weil hier ein kulturelles Zusammenkommen geschildert wird, das in der heutigen Zeit wohl immer seltener zu beobachten ist. Es sei denn in Form von Kulturtourismus, der sich mit Oberflächlichkeiten begnügt.

Wenn ich etwas bemäkeln wollte, dann den ersten Satz. "Vorm Haus" klingt in der Nachbarschaft einer so schönen Sprache sehr platt. Und warum nicht direkt sagen: "vor dem Restaurant"?

Gruß

Sam

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 11.04.2013, 21:21

"Hinter seinen geschlossenen Augen sieht er die Sprösslinge der Meerzwiebeln, die wieder die Hänge begrünen, Zypressenhaine und die blauen Echsen, die sich aus ihren Winterverstecken wagen. DEN HIMMEL, IN DEN SICH EIN FALKE
SCHWINGT."

Wie dieser Falke fühlte ich mich, beim Lesen dieses Satzes.


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