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WladimirSyree
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Beitragvon WladimirSyree » 23.10.2011, 00:06

Spiegelungen im Dunkel

Bei einem Spaziergang am See schaue ich lange auf die Spiegelungen des Abschied nehmenden Himmels. Zeitlos vollzieht sich der Übergang ins Nächtliche. Bei Wahrnehmung der Bewegung der Wellen geht es mir wie in einer Meditation: Die Seele tritt aus dem versunkenen menschlichen Gehäuse hervor und mischt sich ins Spiel der Strömung der ferner Abglanz gewordenen Lichtspuren. Erstaunlich bleibt die gleichzeitige Schärfung der Sinne: Die dunklen Glanze , vom Auge noch immer wahrgenommen und unterschieden, hinterlassen bei geschlossenen Lidern auf der Netzhaut ein Erinnerungsbild – geformt aus intensiven Braun-, Gold- und Violetttönen. Es scheint, als träten diese Farbklänge aus einem stummen Geisterreich wie Sendboten hervor, die sich tagsüber unter der Herrschaft des Lichtes zu grauen Schatten verkürzen, als wollten sie sich durch diese Kontraktion vor ihrer Vernichtung schützen. Doch mit dem Absterben der Strahlungen dehnen sie sich aus und wachsen und werden dem sichtbar, der auf das Dunkel harrt und verwundert schaut, dass die Nacht sich nicht zu etwas Lichtlosem verklumpt, sondern als ein Strömen feiner Farbnebel wahrgenommen werden kann, wie es wohl auch die großen Augen mancher nächtlicher Tiere tun. Schwarz oder schemenhaft ist die Nacht einzig für den ,Zivilisierten’, dem das Kunstlicht natürlich und das Dunkel fremd geworden ist.

(19. 10. 2011)[/font]
Zuletzt geändert von WladimirSyree am 24.10.2011, 22:10, insgesamt 2-mal geändert.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.10.2011, 10:51

Hallo WladimirSyree,

Bei einem abendlichen Spaziergang am großen See schaue ich lange auf die farbigen Spiegelungen des Abschied nehmenden Himmels.

dieser gedrechselte Einstiegssatz wäre für mich gleichfalls Ausstiegssatz. Er strotzt vor überfütternden Redundanzen.
Schriftsteller sollten für jedes Attribut verpflichtet sein, sich dies von ihrem Vorgesetzen (mindestens zwei Stockwerke höher) einzeln genehmigen zu lassen. (O-Ton Ludwig Reiners)

Das wäre Schade, denn im "ästhetisch Kontemplativen" übt der Text doch einen vernehmlichen Reiz aus. Beinnahe meint man, der Stil trüge eine Transmitterfunktion in den Moment ein, dass sich doch eine gewisse Plastizität und ein Wiederfinden einstellt.


Der letzte Satz ist mir die geschlossene Klammer (zum ersten) meines Unwillens, mich hinterrücks belehren zu lassen. Diesen Zeigefinger würde ich rausnehmen. Überdies passt er auch gar nicht "ins Manifest des Ganzen".

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

WladimirSyree
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Beitragvon WladimirSyree » 23.10.2011, 15:58

Lieber Nifl,

ich weiß, dass meine Texte vor Reiners Stilfibel nicht bestehen, und ich liebe Redundanzen. Irgendwie folgte ich bei diesem Text einer gewissen Zwangsläufigkeit, und ich habe ihn auch überarbeitet.

Wahrscheinlich stimmt deine Kritik, von Reiners Stilkanon aus geurteilt- und von meinem Stilgefühl aus stimmt für mich mein Text. Was du mit "gewisser Plastizität" meinst, verstehe ich nicht. Vielleicht meintest du "Musikalität" oder "Lautvarianz"?

Mit Grüßen

Walter

Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.10.2011, 16:18

Hallo Walter,

Was du mit "gewisser Plastizität" meinst, verstehe ich nicht.

Damit meinte ich, dass der Text eine Räumlichkeit, eine Bildhaftigkeit in mir evoziert, die trägt und mich mit auf die Reise nimmt.

LG
Nifl
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WladimirSyree
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Beitragvon WladimirSyree » 23.10.2011, 22:52

Für deine kritische Anregung vielen Dank. Und auch für deine Erläuterung.

Gruß Walter

Herby

Beitragvon Herby » 23.10.2011, 22:56

Hallo Wladimir,

das ist ein interessanter Text, den ich mit Sicherheit mehrmals lesen werde. Ich stimme Nifl zu, wenn er sagt

Nifl hat geschrieben:denn im "ästhetisch Kontemplativen" übt der Text doch einen vernehmlichen Reiz aus.


Wo allerdings die von Nifl gesehenen Redundanzen im ersten Satz sein sollen, ist mir rätselhaft, ich empfinde ihn auch nicht als "gedrechselt".

Doch eine Frage noch: du schreibst

WladimirSyree hat geschrieben:Die dunklen Glanze , vom Auge noch immer wahrgenommen und unterschieden, hinterlassen bei geschlossenen Lidern auf der Netzhaut ein Erinnerungsbild – geformt aus intensiven Braun-, Gold- und Violetttönen.


Hab ich das richtig verstanden - Glanz im Plural? Der Glanz/Die Glanze?? Das hab ich zumindest noch nie gehört oder gelesen :eek:

Liebe Grüße,
Herby

PS: da wir uns noch nie über den Weg kommentiert sind: herzlich Willkommen hier im Salon :smile:

WladimirSyree
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Beitragvon WladimirSyree » 24.10.2011, 00:28

Hallo, Herby,

ja, ich habe den Plural gebildet, es geht fachsprachlich für bestimmte funkelnde Minerale. Zum Beispiel gibt es den Bleiglanz, der auch sehr dunkel leuchtet.

Aber vielleicht klingt es wirklich zu seltsam.

Begegnet sind wir uns bei der Vorstellung, als du sagtest, du seist auf einen Auszug aus der Reisereportage (Afrika, Lateinamerika) gespannt. Aber kann man so etwas denn hier einstellen?

Gruß

Walter

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 24.10.2011, 10:45

Hallo Walter,

Begegnet sind wir uns bei der Vorstellung, als du sagtest, du seist auf einen Auszug aus der Reisereportage (Afrika, Lateinamerika) gespannt. Aber kann man so etwas denn hier einstellen?
Ja, sicher. Wenn du noch daran arbeiten möchtest unter Prosa, ansonsten in unserem neuen Bereich Lit|Blog entweder im Rahmen eines Blogs, in dem du die Reiseberichte "sammelst", oder als Einzeltexte.

Zu deinem Text kann ich noch nicht viel sagen, außer, dass ich nur schwer konzentriert bei ihm bleiben kann. Ein bisschen als wären die Worte die Wellen am See. Und ich weiß noch nicht, ob das für oder gegen den Text arbeitet.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 24.10.2011, 19:05

Hallo Herby.

Wo allerdings die von Nifl gesehenen Redundanzen im ersten Satz sein sollen, ist mir rätselhaft, ich empfinde ihn auch nicht als "gedrechselt".

Huch?

Bei einem abendlichen Spaziergang am großen See schaue ich lange auf die farbigen Spiegelungen des Abschied nehmenden Himmels.


-Wenn der Himmel Abschied nimmt ist Abend.
-Was bringt "großen"?
-Was bringt "lange"?
-Dass Abendrotspiegelungen farbig sind, ist auch klar

Ja, gedrechselt passt nicht so ganz, er ist überfrachtet und bevormundet mE. den Leser über die Maßen.

LG
Nifl
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Beitragvon WladimirSyree » 24.10.2011, 21:55

Hallo Flora,

vielen Dank. Ich freue mich, dass es die Möglichkeit gibt, mehrere Arten von Texten einzustellen und selbst auch kritische Beiträge zu anderen zu schreiben. Ich glaube, ich werde jetzt erst mal Beiträge lesen, kommentieren, und dann erst einen nächsten Text einstellen.

Ja, ich wollte das Phänomen durch Sprache erfassen oder mich durch Sprache an das Phänomen annähern. Und wenn durch die Sätze etwas von der leisen Bewegung der Wellen mit eingegangen ist, dann wäre es gut.

Viele Grüße

Walter

WladimirSyree
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Beitragvon WladimirSyree » 24.10.2011, 21:59

Hallo Nifl,

ich habe den Eingangssatz geändert. Vielleicht hattest du Recht.

Vielen Dank

Walter


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